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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 18.03.2009
Aktenzeichen: 2 Ws 96/09 Vollz
Rechtsgebiete: StVollzG


Vorschriften:

StVollzG § 43 Abs. 6 Satz 1
Die nach § 43 Abs. 6 Satz 1 StVollzG erarbeiteten Freistellungstage sind, wenn sie nicht an Werktagen als solche oder als Urlaubstage genutzt worden sind, auf den Entlassungszeitpunkt in der Weise anzurechnen, daß Sonntage, gesetzliche Feiertage und Samstage bei der vom Entlassungszeitpunkt aus beginnenden Rückrechnung mitzählen.
KAMMERGERICHT Beschluß

Geschäftsnummer: 2 Ws 96/09 Vollz

In der Strafvollzugssache

wegen Anrechnung der Freistellungstage

hat der 2. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 18. März 2009 beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde des Gefangenen gegen den Beschluß des Landgerichts Berlin - Strafvollstreckungskammer - vom 2. Februar 2009 wird verworfen.

Der Gefangene hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Die Beschwerde des Gefangenen gegen die Festsetzung des Streitwertes in dem vorbezeichneten Beschluß wird als unzulässig verworfen.

Das Verfahren ist insoweit gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

Gegen den Beschwerdeführer wird in der Justizvollzugsanstalt Tegel eine Freiheitsstrafe vollzogen, deren voraussichtliches Ende im Vollstreckungsblatt auf den 18. April 2009 notiert ist. Durch die Erfüllung seiner Arbeitspflicht in einem der dortigen Betriebe hat er sich gemäß § 43 Abs. 6 Satz 1 StVollzG dreizehn Freistellungstage erarbeitet, die er nicht zur Freistellung von der Arbeit oder gemäß § 43 Abs. 7 Satz 1 StVollzG als Urlaub genutzt hat. Bei einer Anrechnung nach § 43 Abs. 9 StVollzG errechnete sich der Entlassungszeitpunkt auf den 5. April 2009 (18-13=5).

Von der Vollzugsbehörde verlangte der Antragsteller stattdessen, das Zeitguthaben gemäß § 43 Abs. 9 StVollzG in der Weise auf den Entlassungszeitpunkt anzurechnen, daß dieser um dreizehn Werktage zurückverlegt wird, was unter Berücksichtigung der Samstage, Sonntage und Osterfeiertage den 30. März 2009 als Entlassungstag ergeben hätte, also sechs Tage früher. Dies begründete der Gefangene damit, daß er gemäß § 43 Abs. 6 Satz 1 StVollzG für je zwei Monate seiner Tätigkeit einen Werktag von der Arbeit freigestellt wird und gemäß Nr. 5 Abs. 2 der bundeseinheitlichen VV zu § 43 StVollzG als Werktage alle Kalendertage gelten, die nicht Sonntage, gesetzliche Feiertage oder Samstage sind. Die Vollzugsgeschäftsstelle wies ihn darauf hin, daß sich diese Berechnung auf die Ermittlung des Entlassungstages nach § 43 Abs. 9 StVollzG nicht auswirke und er möge seine Freistellungstage als Urlaub nehmen. Nunmehr forderte er mit Schreiben vom 27. Dezember 2008 "im Interesse an einer außergerichtlichen Einigung" die "ordnungsgemäße Berechnung"; er erwarte das neue Vollstreckungsblatt binnen einer Woche; ansonsten beschreite er den Rechtsweg und ergreife eine Reihe - näher dargestellter - Sanktionen, die bis hin zum Amtsenthebungsverfahren reichten.

Nachdem die Vollzugsbehörde darauf nicht reagierte, verfolgte er sein Begehren mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung (§ 109 Abs. 1 StVollzG) vom 6. Januar 2009 weiter. Mit dem angefochtenen Beschluß vom 2. Februar 2009 hat die Strafvollstreckungskammer den Antrag als unbegründet zurückgewiesen.

Mit seiner Rechtsbeschwerde rügt der Gefangene die Verletzung materiellen und formellen Rechts. Sie hat keinen Erfolg. Ferner wendet er sich mit der Beschwerde gegen die Bemessung des Streitwerts auf 500 Euro. Er hält 200 Euro für angemessen. Dieses Rechtsmittel ist unzulässig.

I. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig. Sie erfüllt auch die Voraussetzungen des § 116 Abs. 1 StVollzG, weil zu der aufgeworfenen Frage keine obergerichtliche Rechtsprechung existiert.

1. Die als Aufklärungsrüge gestaltete Verfahrensrüge ist allerdings unzulässig. Denn sie ist entgegen § 118 Abs. 2 Satz 2 StVollzG nicht ausreichend ausgeführt. Der Beschwerdeführer nennt keine Tatsachen, welche die Strafvollstreckungskammer aufzuklären unterlassen hätte, und auch keine Beweismittel. Vielmehr erschöpft sich diese Rüge in Rechtsbehauptungen, die indes im Rahmen der Sachrüge zu behandeln sind.

2. Die Sachrüge ist unbegründet.

a) Eine Änderung des Vollstreckungsblattes kann der Gefangene unter keinen Umständen verlangen.

Strafvollstreckung und Strafvollzug sind nicht deckungsgleich. Vollstreckungsbehörde ist die Staatsanwaltschaft Berlin, gegen die der Beschwerdeführer keinen Rechtsstreit führt. Diese und die Vollzugbehörde arbeiten zwar gemeinsam an der Verwirklichung des Urteilsinhalts, jedoch auf getrennten Ebenen. Die Freiheitsstrafe ist nicht nur zu vollstrecken, sondern auch zu vollziehen (vgl. Isak/ Wagner, Strafvollstreckung 7. Aufl., Rdn. 2). Ob und wie lange eine Strafe zu vollstrecken ist, bemißt sich nach dem Urteilsinhalt, den Anrechnungsvorschriften des § 51 StGB, §§ 449 ff. StPO und den Vorschriften der Strafvollstreckungsordnung (StrVollstrO). Vollzugsvorschriften betreffen grundsätzlich nicht das "Ob", sondern das "Wie" der Durchführung der freiheitsentziehenden Kriminalsanktionen (vgl. Isak/ Wagner Rdn. 4).

Die Bemessung des Arbeitsentgelts und seine Umwandlung in Freistellungstage betreffen das Vollzugsverhältnis. Erst die Regelung des § 43 Abs. 9 StVollzG, der die Anrechnung auf den Entlassungszeitpunkt ermöglicht, vermischt ein Element des "ob" der Sanktion mit dem "wie" (vgl. Isak/ Wagner aaO). Gleichwohl bleibt die Maßnahme - ebenso wie die Vorverlegung des Entlassungszeitpunkts nach § 16 Abs. 2 und 3 StVollzG - eine des Vollzugs, die sich auf die vollständige Vollstreckung der Strafe auch dann nicht auswirkt, wenn der Gefangene aufgrund der genannten Vorschriften tatsächlich mehrere Tage vor dem notierten Zeitpunkt entlassen wird (vgl. Senat ZfStrVo 2004, 112; NStZ 2004, 228; Arloth, StVollzG 2. Aufl., § 43 Rdn. 23 S. 248 Mitte; Matzke/ Laubenthal in Schwind/ Böhm/ Jehle, StVollzG 4. Aufl., § 43 Rdn. 25 ). Auf die Eintragungen im Vollstreckungsblatt haben die von dem Gefangenen aufgeworfenen Fragen mithin keinen Einfluß.

b) In der Sache hat die Rechtsbeschwerde keinen Erfolg. Die Berechnung, die das Landgericht und die Vollzugsbehörde angestellt haben, trifft zu. Die nach § 43 Abs. 6 Satz 1 StVollzG erarbeiteten Freistellungstage sind, wenn sie nicht an Werktagen als solche oder als Urlaubstage genutzt worden sind, auf den Entlassungszeitpunkt in der Weise anzurechnen, daß Sonntage, gesetzliche Feiertage und Samstage bei der vom Entlassungszeitpunkt aus beginnenden Rückrechnung mitzählen.

Das Landgericht hat ausgeführt:

"Grundlage für die vorzeitige Entlassung aus der Strafhaft ist § 43 Abs. 9 StVollzG. Nach dieser Vorschrift hat die Anstalt Freistellungen nach § 43 Abs. 6 Satz 1 StVollzG auf den Entlassungszeitpunkt anzurechnen, sofern der Gefangene nicht eine Freistellung von der Arbeit nach § 43 Abs. 6 Satz 1 StVollzG oder einen Arbeitsurlaub nach § 43 Abs. 7 StVollzG beantragt hat. Nach § 43 Abs. 6 Satz 1 StVollzG wird dem Gefangenen für je zwei Monate zusammenhängende Arbeit eine Freistellung von einem Werktag gewährt. Werktage sind nach Ziff. 6 Abs. 1 der VV zu § 43 StVollzG alle Kalendertage, die nicht Sonntage, gesetzliche Feiertage oder Samstage sind.

Die Anrechnung der von dem Antragsteller gesammelten Freistellungs(werk)tage führt zu einer Verkürzung der Haftzeit um nicht mehr als die aufgelaufene Zahl der Freistellungstage. Wochenend- und Feiertage, die in den Freistellungszeitraum fallen würden, werden nicht zusätzlich angerechnet. Die angesparten Freistellungstage sind vielmehr unterschiedslos auf Werk- und Nichtwerktage anzurechnen (Feest - Däubler/Spaniol, StVollzG, 5. Aufl. 2006, § 43, Rn. 16).

Soweit es vorliegend bezogen auf den bislang notierten Entlassungstag des 18. April 2009 (Samstag) zu einer Kollision zwischen § 16 Abs. 2 StVollzG und § 43 Abs. 9 StVollzG kommt, regelt die VV zu § 16 Abs. 1 c), dass vorrangig die erarbeiteten Freistellungstage anzurechnen sind. Erst danach ist gemäß § 16 Abs. 2 StVollzG zu prüfen, ob die Entlassung bereits am vorhergehenden Werktag erfolgen muss, weil das (neue) Strafende auf einen Sonntag, Samstag oder Feiertag fällt. Die Tatsache, dass dem Gefangenen durch diese Regelung möglicherweise Freistellungstage genommen werden, weil er auch ohne die Freistellung nach § 16 Abs. 2 StVollzG bereits vorher entlassen worden wäre, ist hinzunehmen. Der Gefangene könnte den Verlust von Freistellungstagen vermeiden, indem er sie bereits vor der Entlassung nach § 43 Abs. 6 StVollzG oder - bei Vorliegen von Lockerungsvoraussetzungen - nach § 43 Abs. 7 StVollzG in Anspruch nimmt (S/B/J - Matzke/Laubenthal, StVollzG, 4. Aufl. 2005, § 43, Rn. 25; Feest-Däubler/Spaniol, aaO.). Die Pro-blematik eines möglichen Verlusts von Freistellungstagen hat der Antragsteller bereits frühzeitig erkannt, so dass er auch nicht durch Unkenntnis faktisch daran gehindert ist, die Freistellungstage vor Haftende anderweitig erschöpfend in Anspruch zu nehmen."

Diese Ausführungen treffen zu. Der Senat teilt die Auffassung des Landgerichts, die auch einhellig in allen Kommentaren zum Strafvollzugsgesetz vertreten wird (vgl. Arloth, Rdn. 23 S. 248 unten bis 249 oben; Däubler/ Spaniol in AK-StVollzG 5. Aufl., Rdn. 16; Calliess/ Müller-Dietz, StVollzG 11. Aufl., Rdn. 4 Seite 314 Mitte; Matzke/ Laubenthal in Schwind/ Böhm/ Jehle, Rdn. 25 - jeweils zu § 43 StVollzG).

Strafzeit läßt sich ausschließlich unabhängig vom Werktagsbe-griff verkürzen. Folgte man der Berechnung des Beschwerdeführers, so müßte er an den in die Verkürzungszeit fallenden Wochenenden jeweils wieder in die Haftanstalt zurückkehren, da er insoweit keine Freistellung erworben hat. Auch Arbeitsurlaub nach § 43 Abs. 7 Satz 1 StVollzG wird grundsätzlich - wie erarbeitet - nur an Werktagen gewährt. Möchte der Gefangene ihn auch am Wochenende in Freiheit verbringen, so muß er seine erworbenen Werktage zu diesem Zweck einsetzen, wie Nr. 6 Abs. 2 VV zu § 43 StVollzG erhellt. Er verliert also durch die Einbeziehung der Wochenenden in die vom Entlassungszeitpunkt ausgehende Rückrechnung zwar möglicherweise Urlaubstage, aber keinen Tag, den er an einem Wochenende hätte in Freiheit verbringen können.

Einem gleichwohl von ihm so empfundenen "Verlust" von Freistellungstagen kann der Gefangene nur dadurch entgehen, indem er sie während seiner Haftzeit als Freistellung von der Arbeit (§ 43 Abs. 6 StVollzG) oder als Urlaub (§ 43 Abs. 7 StVollzG) nutzt, worauf die Anstalt ihn pflichtgemäß hingewiesen hat. Zusätzliche Tage in Freiheit kann er auf diese Weise nicht erlangen. Im Streitfall wirkt sich auch das vom Landgericht erkannte und in der Kommentierung von Däubler/ Spaniol in AK-StVollzG (aaO) aufgegriffene Problem nicht aus, daß Freistellungstage durch das Zusammenspiel des § 43 Abs. 9 StVollzG mit § 16 Abs. 2 StVollzG "verloren" gehen könnten. Denn der sich nach der zutreffenden Berechnung ergebende Entlassungstag, der 5. April 2009, ist ein Sonntag, wodurch noch Raum für eine weitere Vorverlegung gemäß § 16 Abs. 2 StVollzG bleibt.

Die Meinung des Gefangenen, die Anstalt habe bei der Anrechnung nach § 43 Abs. 9 StVollzG ein Ermessen, geht fehl. Ein Ermessen steht ihr erst im Rahmen der - der Anrechnung gemäß § 43 Abs. 9 StVollzG nachfolgenden (vgl. Spaniol/ Däubler aaO) - Festlegung des Entlassungszeitpunkts gemäß § 16 Abs. 2 und 3 StVollzG zu, was aus dem im Gesetz verwendeten Wort "kann" folgt.

II. 1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 4 StVollzG, § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.

2. Die Beschwerde gegen die Festsetzung des Streitwerts (§ 63 Abs. 2 GKG) ist nach den §§ 1 Nr. 1 Buchstabe j, 68 Abs. 1, Satz 1 GKG nur zulässig, wenn der Gegenstandswert der Beschwerde 200 EUR übersteigt. Er beträgt im vorliegenden Fall 10 EUR. Denn den Beschwerdegegenstand bilden nur die Mehrkosten, die dem Beschwerdeführer bei dem festgesetzten Streitwert gegenüber einer niedrigeren Wertfestsetzung entstehen könnten. Für die Verwerfung eines Antrages auf gerichtliche Entscheidung wird eine volle Gebühr erhoben (Nr. 3810 des Kostenverzeichnisses der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG). Da bis zu einem Streitwert von 300 EUR die Mindestgebühr von 25 EUR erhoben wird (§ 34 Abs. 1 GKG) und diese Gebühr bei dem festgesetzten Streitwert 35 EUR beträgt, ist der zur Zulässigkeit erforderliche Beschwerdewert nicht erreicht.

Die Kostenentscheidung beruht insoweit auf § 68 Abs. 3 GKG.

3. Ist - wie hier - die Hauptentscheidung mit einem zulässigen (vgl. Hartmann, Kostengesetze 38. Aufl., § 63 GKG Rdn. 49) Rechtsmittel angefochten, kann der Senat die Streitwertfestsetzung allerdings nach § 63 Abs. 3 Satz 1 GKG ändern (vgl. Kamann/ Volckart in AK, § 121 StVollzG Rdn. 12). Er hält dies jedoch nicht für geboten.

Gegenstand des Rechtsstreits ist die Anrechnung von dreizehn Freistellungstagen auf den Entlassungszeitpunkt. Einschließlich der Osterfeiertage wirkt sich die Berechnung auf sechs Tage aus. An sechs Tagen verdient ein Gefangener in der Regel weniger als 100 Euro. Da der Antragsteller allerdings nicht um diesen Betrag, sondern um einen dieser Arbeitsleistung entsprechenden Anteil an Freiheit prozessiert, muß der Streitwert entsprechend der höheren Bedeutung der Freiheit gegenüber Geldeswert deutlich höher festgesetzt werden, was das Landgericht angemessen getan hat.

Ende der Entscheidung

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