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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 14.04.2008
Aktenzeichen: 20 U 183/06
Rechtsgebiete:


Vorschriften:

1. Für die Beschäftigung eines Heilpraktikers, der die für eine Behandlung notwendige Zusatzausbildung nicht besitzt, gelten die arzthaftungsrechtlichen Grundsätze der Anfängeroperation.

2. Die Übertragung der Behandlung auf einen Heilpraktiker, der die für diese Behandlung notwendige Zusatzausbildung nicht besitzt, stellt einen Behandlungsfehler dar und begründet die Vermutung dafür, dass der Mangel an Ausbildung für später aufgetretene gesundheitliche Beeinträchtigungen des Patienten ursächlich geworden ist.


Kammergericht Im Namen des Volkes

Geschäftsnummer: 20 U 183/06

verkündet am: 14.04.2008

In dem Rechtsstreit

hat der 20. Zivilsenat des Kammergerichts in Berlin-Schöneberg, Elßholzstr. 30-33, 10781 Berlin, auf die mündliche Verhandlung vom 14. April 2008 durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Budde, den Richter am Kammergericht Baldszuhn und die Richterin am Landgericht Dr. Simmler

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 17. August 2006 verkündete Urteil des Landgerichts Berlin - 6 O 192/04 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Der Kläger verlangt Schmerzensgeld und Feststellung der Ersatzpflicht für zukünftige materielle und immaterielle Schäden wegen einer angeblich fehlerhaften physiotherapeutischen Behandlung.

Hinsichtlich des Tatbestandes und der Anträge erster Instanz wird auf das Urteil des Landgerichts Berlin vom 17.8.2006 Bezug genommen.

Der Kläger wiederholt zur Berufung im Wesentlichen seine erstinstanzliche Stellungnahme zum Gutachten und meint, das Landgericht lege ein fehlerhaftes und lückenhaftes Gutachten seiner Entscheidung zugrunde. Der Sachverständige habe die Fragen des Beweisbeschlusses nicht richtig beantwortet und fehlerhaft eine Ursächlichkeit der streitgegenständlichen Behandlung vom 23.12.2002 verneint. Seine Ergänzungsfragen hätten beachtet und sachverständig abgeklärt werden müssen.

Er verfolgt mit der Berufung seine Anträge erster Instanz weiter.

Die Beklagten beantragen die Zurückweisung der Berufung.

Der Senat hat Beweis erhoben durch mündliche Anhörung des Sachverständigen Prof. Dr. N .

II.

Die Berufung war zurückzuweisen, da die Klage des Klägers unbegründet ist. Dem Kläger stehen keine Ansprüche auf Schmerzensgeld (§ 253 Abs. 2 BGB) und/oder Schadensersatz aus Delikt (§ 823 Abs. 1 BGB) oder Vertragshaftung (§ 280 Abs. 1 BGB) zu, da den Beklagten keine Behandlungsfehler vorzuwerfen sind. Entsprechend hat der Kläger das Behandlungshonorar zu begleichen.

Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. N liegt kein Behandlungsfehler darin, dass der Beklagte zu 1) als Praxisinhaber die Behandlung an den Beklagten zu 2), einen ausgebildeten Krankengymnasten ohne chiropraktische Zusatzausbildung übertragen hat.

Diese Frage durfte, anders als das Landgericht meint, nicht im Hinblick auf die Frage der Kausalität dahingestellt bleiben. Das Landgericht hat insoweit übersehen, dass der Kläger inzident einen Ansatz für eine Beweislastumkehr nach den Grundsätzen der Anfängeroperation vorgetragen hatte. Wenn, wie der Kläger behauptete, die Behandlung nur durch einen zusätzlich ausgebildeten Chiropraktiker vorgenommen werden durfte, hätte der Beklagte zu 1) als Praxisträger, da er dann einem nicht ausreichend Qualifizierten die Behandlung übertragen hätte, durch geeignete Aufsicht sicherstellen müssen, dass jemand mit ausreichender Qualifikation jederzeit in der Lage ist, vom Behandler zu übernehmen, sollte dieser den Standard in der konkreten Behandlungssituation nicht erfüllen können (Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 5. Auflage 2006, Rn. B 3). Unterbleibt dies, liegt bereits in der Übertragung der Behandlung ein Behandlungsfehler und trägt der Praxisträger die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der eingetretene Schaden nicht auf fehlender Erfahrung und Übung des noch nicht ausreichend qualifizierten Operateurs - hier: des nicht ausreichend qualifizierten Therapeuten - beruht (BGH Urteil vom 10. März 1992 VI ZR 64/91 VersR 1992, 745; BGHZ 88, 248, 256 = VersR 1984, 60, 62; BGH Urteil vom 7. Mai 1985 VI ZR 224/83 VersR 1985, 782); d.h., es spricht eine Vermutung dafür, dass der Mangel an Erfahrung und Übung für später aufgetretene gesundheitliche Beeinträchtigungen des Patienten ursächlich geworden ist (OLG Düsseldorf Urteil vom 7. Oktober 1993 8 U 18/92 VersR 1994, 603).

Jedoch hat der Sachverständige anhand des Ausbildungsgebiets der Chiropraktik und der Krankengymnastik gut verständlich und nachvollziehbar ausgeführt, dass die in den Einzelheiten streitige Behandlung durch den Beklagten zu 2), auch wenn sie in der vom Kläger beschriebenen Art und Weise vorgenommen wurde, eine mehrschrittige Behandlung von Dehnungs- und Massageelementen darstellte, die in das Ausbildungsgebiet des Krankengymnasten fällt. Dem Chiropraktiker vorbehaltene Impulstechniken, d.h. Techniken von schneller, sekundenbruchteilhafter Krafteinwirkung mit Drehung bzw. Seitneigung (Druck und Zug), hat der Sachverständige im Rahmen der ihm geschilderten Behandlung nicht erkennen können. Damit war der Beklagte zu 2) für die durchgeführte Behandlung ausreichend qualifiziert.

Im Übrigen dringen die Angriffe des Klägers gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts nicht durch. Das Landgericht hat die übrigen Ergänzungsfragen des Klägers an den Sachverständigen zu Recht für die Entscheidung des Rechtsstreits für unerheblich gehalten (S. 7 des Urteils; vgl. Geiß/Greiner,a.a.O., Rn. E 18; BGH Beschluss vom 10. Mai 2005 VI ZR 245/04 VersR 2005, 1555). Die Anhörung des Sachverständigen hat diese Einschätzung erneut bestätigt. Im einzelnen:

Ob die vom Kläger beschriebene Behandlungsmethode "eine medizinisch indizierte und korrekt durchgeführte Behandlung" darstellt, ist nach den Ausführungen des Sachverständigen für die Entscheidung des Rechtsstreits unerheblich. Denn der Sachverständige hat deutlich gemacht, dass auch eine Behandlung, wie sie der Kläger beschreibt, nicht geeignet ist, einen Bandscheibenvorfall an einem gesunden Rücken hervorzurufen (S. 19 des Gutachtens, Bl. 137 d.A.) - sie ist also nicht geeignet, Bänder zu zerreißen und dadurch den Bandscheibenvorfall traumatisch (verletzungsbedingt, S. 26 des Gutachtens, Bl. 144 d.A.) herbeizuführen. Vielmehr ergibt sich aus den dem Sachverständigen vorgelegten bildgebenden Untersuchungen, dass der Kläger an einer - bis zur Behandlung symptomlosen - degenerativen Erkrankung des Rückens litt, die so weit fortgeschritten war, dass ein Bandscheibenvorfall sich durch jede auch banale Bewegung oder auch ohne Zuordnung zu einer bestimmten Bewegung ergeben konnte (S. 19f des Gutachten, Bl. 137f d.A.). Denn der Faserring der Bandscheibe war so abgenutzt, dass durch eine banale Bewegung, die den Faserring komprimiert (z.B. Bücken nach vorne), der Ring reißen und der Gallertkern austreten konnte; dieses Vorkommnis ist nach den Ausführungen des Sachverständigen schmerzlos, weil keine Nervenfasern betroffen sind. Wird der Gallertkern dann auf die Nervenfasern des Rückenmarks gedrückt (zB. im Rahmen einer weiteren Bückbewegung, die durch die Wirbelbewegung nach vorne den Gallertkern nach hinten drückt), kommt es zu Schmerzen und ggfls. neurologischen Ausfallerscheinungen. Daraus ergibt sich zwanglos, dass eine Bewegung durch die vom Kläger geschilderte Behandlung zu einem Vorfall der degenerativ geschädigten Bandscheiben führen kann - nicht jedoch zwangsläufig muss (was sich schon aus den Ausführungen des Klägers während der Untersuchung beim Sachverständigen ergibt, er sei vor dem 23.12. noch zwei Mal in der beschriebenen Art behandelt worden, ohne dass er danach Schmerzen der Art wie nach dem 23.12. fühlte, S. 5 d. Gutachtens, Bl. 123 d.A.). Der Sachverständige führt insoweit gut nachvollziehbar aus, dass angesichts des im MRT festgehaltenen Schadensbildes der Bandscheibenvorfall auch schon vor der streitgegenständlichen Behandlung bestanden haben kann, allerdings ohne Beschwerden zu machen (weil der bereits ausgetretene Gallertkern noch nicht auf die Rückenmarksnerven drückte); er hält dies sogar für wahrscheinlicher (mehr als 50 %), als dass der Bandscheibenvorfall während der Behandlung eintrat. Der Sachverständige ist - wie er in der Anhörung noch einmal durch die genaue Schilderung des Eintretens von degenerativ verursachten Bandscheibenschäden gut verständlich machte - angesichts des bestehenden Schadensbildes schlicht nicht in der Lage, den schlussendlichen Eintritt des degenerativen Bandscheibenvorfalls auch nur mitursächlich auf die Behandlung durch die Beklagten am 23.12. zurückzuführen. Die Behandlung kann ursächlich (für das Zerreißen des degenerativ vorgeschädigten Faserrings und den Austritt des Gallertkerns) gewesen sein, sie muss aber nicht (mit-)ursächlich gewesen sein. Der Schmerzeintritt alleine ist nach den Aussagen des Sachverständigen kein geeignetes Zuordnungsmerkmal, da ein Bandscheibenvorfall (der Austritt des Gallertkerns aus dem Faserring) schmerzlos bereits zuvor vorgelegen haben kann und sich durch ein bewegungsbedingtes Verrutschen der Gallertmasse auf die Rückenmarksnerven schmerzmäßig erst zeitnah zur Behandlung äußerte (S. 20 unten, 22 d. Gutachtens, Bl. 138, 140 d.A.).

Selbst wenn die Behandlung also medizinisch nicht indiziert und/oder nicht korrekt durchgeführt sein sollte - wofür nach den Ausführungen des Sachverständigen bereits wenig spricht -, fehlt es am Nachweis der Ursächlichkeit der Behandlung für den Eintritt des Bandscheibenvorfalls.

Im Übrigen erscheint zweifelhaft, ob - eine Entstehung des Bandscheibenvorfalls durch die Behandlung am 23.12. zugunsten des Klägers unterstellt -, diese den Beklagten überhaupt als schuldhaft verursacht zugerechnet werden könnte, da der Kläger, wie er selbst vorträgt, vorher keinerlei Beschwerden am Rücken hatte, so dass die Beklagten mangels greifbarer Anhaltspunkten von einer Vorschädigung, die u.U. eine den Rücken einbeziehende Behandlung verboten hätte, nicht ausgehen konnten. Hierauf kommt es aber angesichts der fehlenden Beweisbarkeit der Ursächlichkeit der Behandlung für den Eintritt des Bandscheibenvorfalls nicht an.

Soweit der Kläger eine Stellungnahme des Sachverständigen zu dem Schreiben des Physiotherapeuten S gefordert hat, ist darauf hinzuweisen, dass er bereits dafür beweisfällig ist, dass "die gesamte Wirbelsäule" (wie der Physiotherapeut schreibt) behandelt worden ist - aus der Beschreibung des Behandlungsablaufs durch die Beklagten ergibt sich dies nicht, so dass eine Stellungnahme des Sachverständigen hierzu - da das Gericht die vom Kläger behauptete Behandlungsart nicht als bewiesen behandeln kann - nicht entscheidungserheblich ist.

Hinsichtlich der Ergänzungsfragen 7 und 8 fehlt es an der Entscheidungserheblichkeit etwaiger Antworten des Sachverständigen, da der Kläger bereits für den diesen Fragen zugrundeliegenden Sachverhalt, nämlich dass er den Beklagten um Rat suchend seine Schmerzen gesprächsweise geschildert haben will, beweisfällig ist, wie das Landgericht auf S. 7-8 seines Urteils richtig ausgeführt hat. Im Übrigen hat der Sachverständige ausgeführt, dass bei dem degenerativen Schadensbild des Klägers eine frühere ärztliche Behandlung keine größeren Heilungschancen gebracht hätte (S. 22 d. Gutachtens, Bl. 140 d.A.); mit großer Wahrscheinlichkeit finden die bestehenden Beeinträchtigungen des Klägers ihre Ursache in der degenerativen Rückenerkrankung und sind nicht durch die Behandlung der Beklagten ausgelöst. Damit ist ein (unterstellte) Verzögerung der Behandlung des Bandscheibenvorfalls nicht ursächlich für den vom Kläger geltend gemachten Schaden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO, die Vollstreckbarkeitsentscheidung aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da ein Zulassungsgrund nach § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegt; die Sache hat weder rechtsgrundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

Ende der Entscheidung

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