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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 10.03.2008
Aktenzeichen: 20 U 224/04
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 218 a Abs. 2
1. Die medizinisch-soziale Indikation (§ 218 a Abs. 2 StGB) setzt kein pathologisches Geschehen bei der Mutter voraus.

2. Auch wenn keine psychiatrische Erkrankung vorliegt, muss der Arzt bei Hinweisen auf ein präsuizidales Syndrom der Ursache durch diagnostische Fragestellungen nachgehen. 3. Das Unterlassen kann eine mangelnde Befunderhebung darstellen.


Kammergericht Im Namen des Volkes

Geschäftsnummer: 20 U 224/04

verkündet am: 10. März 2008

In dem Rechtsstreit

hat der 20. Zivilsenat des Kammergerichts auf die mündliche Verhandlung vom 10. März 2008 durch seine Richter Budde, Baldszuhn und Balschun für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen das am 31.8.2004 verkündete Urteil der Zivilkammer 13 des Landgerichts Berlin teilweise geändert und wie folgt neu gefasst:

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 4.000,00 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14. April 2003 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben die Klägerin zu 69 % und der Beklagte zu 31 % zu tragen. Von den Kosten des Berufungsverfahrens hat die Klägerin 60 % und der Beklagte 40 % zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Klägerin macht Schmerzensgeldansprüche gegen den Beklagten geltend im Zusammenhang mit einem stationären Aufenthalt im Krankenhaus Am Urban, bei dem ein Schwangerschaftsabbruch gemäß § 218 a Abs.2 StGB vorgenommen werden sollte. Auf Grund einer Untersuchung der Klägerin durch den Beklagten am 3.7.2001 im Rahmen eines psychiatrischen Konsils verneinte jener eine psychiatrische Indikation. Nach Unterrichtung der Klägerin, dass der Abbruch nicht vorgenommen werden würde, gab sie an, sich etwas antun zu wollen, um das Kind zu verlieren, auch wenn ihr Leben dadurch gefährdet werde. Nach telefonischer Rücksprache der behandelnden Gynäkologen mit dem Beklagten sah dieser keine Indikation zur Zwangsaufnahme oder Änderung seiner Einstellung zur Indikation des Schwangerschaftsabbruchs. Die Klägerin nahm verschiedene Tabletten ihrer Hausapotheke in einer zwischen den Parteien streitigen Anzahl nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus ein. Sie wurde bewusstlos ins St.Joseph-Krankenhaus eingeliefert, wo ihr der Magen ausgespült wurde und sie auf der Intensivstation betreut werden musste. Am 6.7.2001 wurde der Schwangerschaftsabbruch in der Charité vorgenommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens erster Instanz, der dort gestellten Anträge und des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das Landgericht hat mit am 31.August 2004 verkündetem Urteil die Klage abgewiesen. Wegen der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des Urteils verwiesen.

Die Klägerin verfolgt mit ihrer Berufung ihr erstinstanzliches Vorbringen weiter und rügt insbesondere, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Verletzung materiellen Rechts beruhe.

Sie meine, dass sich das Landgericht für die Beurteilung der Frage, ob ein Behandlungsfehler vorliege, nicht auf das unzureichende und unzutreffende Gutachten des Dr. K?? habe stützen dürfen. Denn es fehle insbesondere eine Auseinandersetzung des Sachverständigen mit den entgegen gesetzten Einschätzungen von zwei anderen Fachärzten, nämlich der einweisenden Ärztin S???? und den Ärzten der Klinik, die dann den Schwangerschaftsabbruch vorgenommen und die jeweils eine Notlage im Sinne von § 218 a Abs.2 StGB wegen Suizidgefahr bejaht hätten.

Insbesondere habe der Sachverständige verkannt, dass die Feststellung einer psychiatrischen Erkrankung der Schwangeren im engeren Sinne nicht notwendig für eine Indikation sei; vielmehr komme es nur darauf an, ob die Selbstmordabsichten eine Gefahr für ihr Leben dargestellt hätten. Es fehlten jegliche Darlegungen zu den Methoden, die geeignet seien, Prognosen über die Gefahr einer seelischen oder körperlichen Beeinträchtigung der Schwangeren zu erstellen.

Ferner habe das Landgericht nicht die angebotenen Beweise über ihren Zustand in jenem Zeitraum Anfang Juli 2001, vor allem unmittelbar vor und nach dem psychiatrischen Konsil, erhoben. Ebenso fehle eine Vernehmung der Fachärzte S???? und Dr. E?? von der Charité, die die Indikationslage unstreitig bejaht hätten. Insoweit hätte sich der Sachverständige nach Beweiserhebung auch damit auseinandersetzen müssen.

Schließlich stehe nicht fest, dass das Untersuchungsgespräch mit dem Beklagten länger als 10 Minuten gedauert oder der Beklagte zumindest über ausreichende Voruntersuchungen bzw. Aufnahmebefunde verfügt habe, was nach Aussage des Sachverständigen Voraussetzung für eine medizinisch korrekte Beurteilung wäre.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils zu verurteilen, an sie 10.000,00 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er tritt der Berufung aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen entgegen. Wie in erster Instanz behauptet er, die Klägerin habe erklärt, sich nicht selbst umbringen zu wollen, sondern sich nur etwas antun zu wollen, um das Kind zu verlieren, auch wenn ihr Leben dadurch gefährdet sei. Die eingenommenen Medikamente seien auch nicht geeignet gewesen, einen Menschen umzubringen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens in der Berufungsinstanz wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Der Senat hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 14.8.2006 (Bd. II Bl. 10 d. A.) durch Einholung eines medizinischen Gutachtens des Sachverständigen Dr. med. Karl Kreutzberg. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten vom 28.8.2007 Bezug genommen.

II.

Die Berufung ist zulässig und teilweise begründet.

Der Klägerin steht gegen den Beklagten ein Schmerzensgeldanspruch in Höhe von 4.000,00 EUR gemäß § 823 BGB i. V. m. § 847 Abs.2 BGB a. F. zu.

Die schuldhafte Verletzung von ärztlichen Pflichten im Zusammenhang mit der Überprüfung, ob der gewollte Schwangerschaftsabbruch durchzuführen ist, begründet einen deliktischen Schmerzensgeldanspruch der Mutter, wenn diese durch den Behandlungsfehler schuldhaft in ihrer körperlichen Integrität verletzt worden ist.

Insoweit hat das Landgericht zutreffend in seinen Entscheidungsgründen ausgeführt, dass das Unterlassen einer gebotenen ärztlichen Maßnahme einen Behandlungsfehler und damit zugleich eine Körperverletzung im Sinne von § 823 Abs.1 BGB darstellen kann. Voraussetzung dafür ist jedoch vorliegend, dass der von der Klägerin gewünschte Schwangerschaftsabbruch der Rechtsordnung entsprochen hätte, also von ihr nicht missbilligt worden wäre (BGH, Urteil vom 31.1.2006 - Az. VI ZR 135/04 -, NJW 2006, 1660).

Der mit Einwilligung der Schwangeren von einem Arzt vorgenommene Schwangerschaftsabbruch ist dann nicht rechtswidrig, wenn er unter Berücksichtigung der gegenwärtigen und zukünftigen Lebensverhältnisse der Schwangeren nach ärztlicher Erkenntnis angezeigt ist, um eine Gefahr für das Leben oder das Risiko einer schwer wiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren abzuwenden, und die Gefahr nicht auf andere, für sie zumutbare Weise abgewendet werden kann, § 218 a Abs.2 StGB. Entscheidend für die Zulässigkeit einer Abtreibung kann nur sein, ob das Austragen des Kindes zu unzumutbaren Belastungen für die gesundheitliche Situation der Mutter führt, denen anders als durch einen Abbruch nicht wirksam begegnet werden kann (BGH, a. a. O.). Dabei beruht die medizinisch-soziale Indikation auf der Erwägung, dass die Schwangere in einem solchen die Opfergrenze überschreitenden Ausnahmezustand in menschlich unzumutbarer Weise überfordert würde, weil das Austragen der Schwangerschaft auf Kosten ihres eigenen Lebens oder ihres Gesundheitszustandes von ihr verlangt würde. Insoweit ist allein entscheidend, ob das Austragen des Kindes für die Mutter eine derart schwerwiegende körperliche oder seelische Gesundheitsgefahr bedeuten und ein solches Maß an Aufopferung eigener Lebenswerte verlangen würde, dass dies von der Frau nicht erwartet werden kann und deshalb bei der gebotenen Güterabwägung das Lebensrecht des Ungeborenen dahinter zurücktreten muss (BVerGE 88, 203, 256 ff., 272 ff., 299 = NJW 1993, 1751 ff.). Erforderlich ist daher keine psychotische Störung mit Krankheitswert, sondern eine Gefahr für das Leben der Schwangeren, wie bei einer ernsthaften Suizidgefahr. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Indikation keine rein medizinische ist, sondern eine medizinisch-soziale, da auch solche Gefährdungen in Betracht kommen, die sich durch Summierung wirtschaftlicher und familiärer Belastungen oder in Vorausschau auf künftige Überforderungen durch Sorge- und Einstandspflichten im Falle der Geburt eines Kindes als psychische Dauerüberlastung der Schwangeren niederschlagen können (Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 27. Aufl., § 218 a Rn. 29; Dreher/Fischer, StGB, 55. Aufl., § 218 a Rn. 26).

In einem Schadensersatzprozess muss die Klägerin grundsätzlich nach allgemeinen Grundsätzen darlegen und beweisen, dass die Voraussetzungen für einen rechtmäßigen Schwangerschaftsabbruch wegen medizinischer Indikation bei fehlerfreier Diagnose des untersuchenden Arztes vorgelegen haben. In Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, wonach grundsätzlich nicht ohne sachverständige Beratung entschieden werden kann (BGH, Urteil vom 15.7.2003 -Az. VI ZR 203/02-, NJW 2003, 3411), hat das Landgericht zwar richtigerweise ein Sachverständigengutachten nebst Ergänzungsgutachten eingeholt. Dieses Gutachten vermag jedoch die entscheidungserheblichen Fragen nicht zu klären.

Gemäß § 529 Abs.1 Nr.1 ZPO hat das Berufungsgericht seiner Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen zu Grunde zu legen, soweit keine konkreten Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit des Beweisergebnisses begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Konkrete Anhaltspunkte, welche die Bindung des Berufungsgerichts an die vorinstanzlichen Feststellungen entfallen lassen, können sich aus einer fehlerhaften Rechtsanwendung oder aus Fehlern ergeben, die dem Eingangsgericht bei der Feststellung des Sachverhalts unterlaufen sind (BGH, Urteil vom 8.6.2004 -Az. VI ZR 230/03-, NJW 2004, 2828).

Zweifel im Sinne dieser Vorschrift liegen auch schon dann vor, wenn aus der für das Berufungsgericht gebotenen Sicht eine gewisse - nicht notwendig überwiegende - Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass im Fall der erneuten oder ergänzenden Beweiserhebung die erstinstanzliche Feststellung keinen Bestand haben wird, sich also deren Unrichtigkeit herausstellt (BGH, Urteil vom 15.7.2003 -Az. VI ZR 361/02-, NJW 2003, 3480 ff.).

Solche Zweifel sind vorliegend dem landgerichtlichen Urteil zu entnehmen und werden von der Berufungsbegründung hinreichend dargelegt.

Die Klägerin beanstandet zu Recht, dass das Landgericht seiner Entscheidung ein fehlerhaftes Verständnis des § 218 a Abs.2 StGB zu Grunde gelegt hat. Entgegen der Auffassung des Landgerichts setzt die medizinisch-soziale Indikation -wie bereits ausgeführt- kein pathologisches Geschehen bei der Mutter voraus. Insofern kam es entgegen dem Beweisbeschluss des Landgerichts nicht auf die Frage an, ob dem Beklagten ein ärztlicher Fehler unterlaufen sei, als er bei der Klägerin keine depressive Störung mit akuter Selbstmordgefährdung diagnostiziert habe, sondern darauf, ob der Beklagte hätte erkennen können, dass ein Schwangerschaftsabbruch am 3.7.2001 angezeigt gewesen sei, um eine Gefahr für das Leben der Klägerin oder zumindest das Risiko einer schwer wiegenden Beeinträchtigung ihres körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes abzuwenden und diese Gefahr nicht andere, für die Klägerin zumutbare Weise hätte abgewendet werden können.

Die insoweit erneute Begutachtung durch den Sachverständigen Dr. K?? K????? hat ergeben, dass zwar die Diagnose des Beklagten einer Erlebnisreaktion bzw. Konfliktlage, keine psychiatrische Erkrankung, medizinisch korrekt war. Jedoch bestand der Hinweis auf eine mögliche Suizidalität der Klägerin ("präsuizidales Syndrom"), deren Ursache der Beklagte durch diagnostische Fragestellungen hätte nachgehen müssen, was aber nach der Krankenakte nicht geschehen ist, weil es zu einer Konfrontation kam, die einen weiteren psychiatrischen Dialog unmöglich machte. Der Beklagte hätte nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. K????? in seinem Gutachten vom 28.8.2007 daher zumindest nach dem Telefonat mit den behandelnden Gynäkologen, die von den geäußerten Selbstmordabsichten berichteten, einen neutralen Dritten hinzuziehen müssen, der die Suizidalität der Klägerin hätte überprüfen müssen. Dieses Ergebnis bestätigt die Ausführungen des Gutachters in erster Instanz, Dr. G??? K?? in seinem Gutachten vom 11.2.2004, der es für angezeigt hielt, dass sich der Beklagte nach der Äußerung der Suizidabsicht durch die Klägerin noch einmal ein 2. Bild durch persönliche Untersuchung macht. Soweit der Beklagte der Auffassung ist, eine weitere Untersuchung der Klägerin sei wegen ihrer ablehnenden Haltung ihm gegenüber nicht durchführbar gewesen, hat er ihr aber auch kein Gespräch mit einem anderen Arzt angeboten. Es ist davon auszugehen, dass die Klägerin ein solches Gespräch angenommen hätte, da sie dem ärztlichen Berichtsbogen zufolge noch nach dem Gespräch mit dem Beklagten ein weiteres ausführliches Gespräch im Krankenhaus über ihre Situation hatte.

Damit liegt aber ein ärztliches Fehlverhalten durch mangelnde Befunderhebung vor. Auf den zeitlich notwendigen Umfang der Untersuchung kommt es in diesem Zusammenhang nicht an, da nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. K????? in seiner Anhörung am 10.3.2008 die Situation nicht eilig war und bei vom Patienten geäußerten Selbstmordabsichten vom Arzt gesetzte zeitliche Grenzen der Untersuchung nicht zu berücksichtigen seien; vielmehr hätte die Situation bis zu ihrer Deutlichkeit geklärt werden müssen. Da die Unterlassung die Erhebung medizinisch gebotener Befunde betrifft und der Befund mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein positives und deshalb aus medizinischer Sicht reaktionspflichtiges Ergebnis gehabt hätte, kommt der Klägerin zudem eine Beweiserleichterung hinsichtlich der haftungsbegründenden Kausalität zugute (vgl. Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 5. Aufl., Kap. B Rn. 296). Aus der Bejahung der Beweisfrage zu 1. in seinem Gutachten vom 28.8.2007 durch den Sachverständigen Dr. K????? ist nämlich zu schließen, dass die weitere Untersuchung der Klägerin mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu der Feststellung einer ernsthaften und akuten Suizidalität geführt hätte. Dieses Ergebnis hat der Sachverständige Dr. K????? in seiner mündlichen Anhörung nachvollziehbar damit begründet, dass die Merkmale eines präsuizidalen Syndroms nach E?? R??? bei der Klägerin vorgelegen hätten. Die Klägerin habe sich in einer biographischen Krisensituation bedingt durch ihre eigene Kindheit und ihre negativen Erfahrungen im Hinblick auf ihre erste Tochter befunden, die zu einem Schwarz-Weiß-Denken im Sinne einer Einengung der Lebenssituation geführt hätte. Wäre die Klägerin weiter befragt worden, wäre ihre Ausweglosigkeit erkennbar geworden. Die bereits im Gespräch mit dem Beklagten deutlich gewordene Aggression habe sich schließlich gegen sie selbst gerichtet. Nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. K????? bestand bei dem Vorliegen eines präsuizidalen Syndroms eine ernsthafte Suizidgefahr.

Soweit der Beklagte der Auffassung ist, der Geschehensablauf nach Beendigung des Gesprächs mit ihm sei auch unter der Annahme zu prüfen, dass die Klägerin -in fortgesetzter Wut über seine medizinische Beurteilung - sich nachträglich durchsetzen und eine aus ihrer Sicht "offene Rechnung" rachsüchtig begleichen wolle, ist dem der Sachverständige Dr. K????? nachvollziehbar entgegengetreten. Nach seinen Ausführungen in der mündlichen Anhörung habe sich die Klägerin authentisch geäußert und nicht geschauspielert. Zwar habe es in ihrer Biographie Situationen gegeben, in denen Hassgefühle und Rachegedanken eine Rolle gespielt hätten, dies gelte jedoch nicht für dieses Verfahren. Vielmehr verhalte sie sich im Hinblick auf den Beklagten lebensklug. Sie zeige Auseinandersetzungsbereitschaft mit der Situation des Beklagten und Gerechtigkeitsgefühl, was in ihrer Äußerung zum Ausdruck käme, dass ihr der Beklagte Leid täte.

Der ernsthaften Suizidgefahr konnte auch nicht anders als durch einen Schwangerschaftsabbruch begegnet werden, da -wie bereits der Sachverständige Dr. K?? in seinem Gutachten vom 11.2.2004 ausgeführt hat-, eine Zwangsunterbringung für die Dauer der Schwangerschaft unzumutbar gewesen wäre (vgl. auch Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl., § 218 a Rn.34). Die Klägerin hätte auch angesichts ihrer eigenen negativen Erfahrungen in ihrer Biographie und die ihrer Geschwister, die zur Adoption freigegeben wurden und schwer körperlich und seelisch erkrankten, nicht auf den Adoptionsweg verwiesen werden können (Schönke/Schröder, a.a.O., Rn. 35).

Folge der unterlassenen Untersuchung der Klägerin war das Unterbleiben des Schwangerschaftsabbruchs am 3.7.2001 und dessen Durchführung erst am 6.7.2001. Die Verweigerung des Schwangerschaftsabbruchs führte zunächst zum Selbstmordversuch der Klägerin, wobei nicht geklärt werden konnte, ob der Selbstmordversuch geeignet war, das Leben der Klägerin ernsthaft zu gefährden, da sie nicht beweisen konnte, welche Tabletten sie in welcher Zahl eingenommen hat (nach ihren Angaben ca. 180 Tabletten aus der Hausapotheke). Der Sachverständige Dr. K????? ist aber der Auffassung, dass eine Gefährdung der eigenen Person von der Klägerin intendiert gewesen sei. Damit ist im Rahmen der Bemessung des Schmerzensgeldes zu berücksichtigen, dass eine ernsthafte Lebensgefahr für die Klägerin bestand. Fest steht auch, dass die Klägerin bewusstlos ins Krankenhaus eingeliefert, ihr der Magen ausgespült wurde und sie zunächst auf der Intensivstation betreut werden musste.

Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes war im Rahmen der Genugtuungsfunktion zu berücksichtigen, dass der Beklagte keinerlei Einsicht oder Bedauern hinsichtlich der von ihm verursachten Situation der Klägerin gezeigt hat, sondern ihr vielmehr herabwürdigend unterstellt, den Prozess aus Rache und Hass zu führen und dabei unhaltbare Vorwürfe zu formulieren.

Schmerzensgeldmindernd ist dagegen zu werten, dass der verweigerte Schwangerschaftsabbruch nicht zu einer Traumatisierung der Klägerin und der Selbstmordversuch nicht zu bleibenden körperlichen Schäden geführt haben.

Der Zinsanspruch folgt aus den §§ 291, 288 Abs.1 BGB.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs.1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Die Revision ist gemäß § 543 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 ZPO nicht zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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