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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 21.05.2002
Aktenzeichen: 21 U 311/01
Rechtsgebiete: ZPO, BGB, GmbHG, InsO, HGB


Vorschriften:

ZPO § 4
ZPO § 92
ZPO § 92 Abs. 1 S. 1
ZPO § 92 Abs. 1
ZPO § 92 Abs. 2
ZPO § 138 Abs. 3
ZPO § 543 Abs. 2 Nr. 1 n.F.
ZPO § 592 S. 1
ZPO § 597 Abs. 2
ZPO § 708 Nr. 4
ZPO § 711
BGB § 196 Abs. 1 Nr. 1
BGB § 196 Abs. 2 a.F.
BGB § 201
BGB § 208
BGB § 217
BGB § 288
BGB § 291
BGB § 765
BGB § 765 Abs. 1
BGB § 766 S. 1
BGB § 768 I 1
BGB § 768 I 2
BGB § 773 I Nr. 3
BGB § 773 Abs. 1 Nr. 4
GmbHG § 13 Abs. 3
GmbHG §§ 66 ff.
GmbHG § 66 Abs. 1, 1. HS
GmbHG § 68 Abs. 2
GmbHG § 69
InsO § 254 II 1
InsO § 301 II 1
HGB § 6 Abs. 1
HGB § 344 Abs. 1
HGB § 352
HGB § 353
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
KAMMERGERICHT Im Namen des Volkes Vorbehaltsurteil

Geschäftsnummer: 21 U 311/01

Verkündet am: 21. Mai 2002

In dem Rechtstreit

hat der 21. Zivilsenat des Kammergerichts auf die mündliche Verhandlung vom 21. Mai 2002 durch die Richterin am Kammergericht Neubauer als Einzelrichterin für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der Zivilkammer 33 des Landgerichts Berlin vom 2. August 2001 - 33 O 238/01 - geändert:

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 12.650,11 EUR (24.741,47 DM) nebst 8,5 % Zinsen seit dem 13. Juni 2001 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Dem Beklagten wird vorbehalten, seine Rechte im Nachverfahren auszuführen.

Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 27,5 % und der Beklagte 72,5 % zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Parteien können die Vollstreckung jeweils durch Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, sofern nicht die vollstreckende Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin im Urkundsprozess Zahlung.

Die Klägerin ist als Abfall- und Schuttbeseitigungsunternehmen tätig. Der Beklagte war Geschäftsführer der Firma £ GmbH. Für diese Firma führte die Klägerin diverse Aufträge durch. Die S GmbH schuldete der Klägerin hierfür 24.741,47 DM.

Ausweislich der Eintragung im Handelsregister vom 24. April 1996 wurde die GmbH infolge rechtskräftiger Abweisung eines Antrags auf Eröffnung des Konkursverfahrens mangels Masse aufgelöst.

Am 9. September 1996 unterzeichneten die Parteien eine als "Bürgschaft" überschriebene Vereinbarung (Anlage K 1), u.a. mit folgendem Wortlaut:

"Die Firma S GmbH, Berlin, schuldet der Firma A GmbH per 30. Januar 96 einen Betrag in Höhe von 24.741,47 DM ... .

Der Inhaber / Geschäftsführer der Firma S GmbH, Berlin, R H verbürgt sich höchstpersönlich und unwiderruflich dafür, daß die vorgenannte Firma ihren Zahlungs- und vertraglichen Verpflichtungen vereinbarungsgemäß nachkommt."

Die S GmbH wurde wegen Vermögenslosigkeit durch Eintragung vom 31. August 2000 im Handelsregister gelöscht.

Die Klägerin hat gemeint, die Erklärung des Beklagten stelle eine Schuldübernahme, gegebenenfalls ein Schuldanerkenntnis oder ein Schuldversprechen dar. Soweit der Beklagte wissentlich als Geschäftsführer der nicht mehr existenten S GmbH aufgetreten sei, habe er arglistig gehandelt.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an sie 24.741,47 DM nebst 8,5 % Zinsen hieraus seit dem 9. September 1996 zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat gemeint, eine nur in Betracht kommende Bürgschaftserklärung ermangele es an der Schriftform. Im Übrigen habe er sich nicht mehr verbürgen können, da die S GmbH am 9. September 1996 nicht mehr existiert habe. Weiter hat der Beklagte die Einreden der Verjährung und der Vorausklage erhoben.

Das Landgericht Berlin hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, der Beklagte könne seiner Inanspruchnahme aus der Bürgschaft die Einrede der Verjährung der Hauptschuld entgegenhalten.

Mit ihrer Berufung wendet sich die Klägerin gegen dieses Urteil. In Ergänzung ihres erstinstanzlichen Vorbringens behauptet sie, zum Zeitpunkt der Eintragung der Auflösung der Firma S GmbH am 24. April 1996 sei kein zu verteilendes Gesellschaftsvermögen mehr vorhanden gewesen. Deshalb, so meint sie, stelle die vom Beklagten unterzeichnete Erklärung kein deklaratorisches Schuldanerkenntnis der Firma S GmbH, sondern ein selbständiges Schuldversprechen oder Schuldanerkenntnis des Beklagten dar. Zudem habe das Landgericht den Vortrag des Beklagten, für ein "Nichts" könne man keine Bürgschaftsverpflichtung mehr eingehen, zu Unrecht unberücksichtigt gelassen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Landgerichts Berlin vom 2. August 2001 - Aktenzeichen 33 O 238/01 - abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin DM 24.741,47 nebst 8,5 % Zinsen seit dem 9. September 1996 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angegriffene Urteil unter Aufrechterhaltung seines erstinstanzlichen Vertrags und trägt u.a. vor, der Beklagte habe als Liquidator kraft Gesetzes für die Firma S GmbH in Liquidation gehandelt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.

I. Die Klage ist im Urkundsprozess zulässig, insbesondere ist sie statthaft. Die Klägerin hat für sämtliche streitigen anspruchsbegründenden und -erhaltenden Tatsachen den Urkundenbeweis angetreten. Aus der in Anlage K1 beigefügten Vereinbarung vom 9. September 1996 ergeben sich die Verbürgung des Beklagten und der verbürgte Anspruch in hinreichend bestimmbarer Weise sowie die Klägerin als Gläubigerin und die Firma S GmbH als Hauptschuldnerin. Die anspruchserhaltenden Tatsachen hinsichtlich der Verjährung und der Vorausklage, nämlich die beiden Handelsregistereintragungen vom 24. April 1996 und vom 31. August 2000, sind unstreitig. Auch im Urkundenprozess muss der Kläger nur streitige anspruchsbegründende und -erhaltende Tatsachen beweisen (ständige Rechtsprechung; vgl. u.a. BGHZ 62, 286, 290 ff.). Denn zur Konkretisierung von § 592 S. 1 ZPO ist § 597 Abs. 2 ZPO heranzuziehen. Danach ist der Urkundenprozess nur dann unstatthaft, wenn "ein dem Kläger obliegender Beweis" nicht mit Urkunden geführt wird. Nach dem allgemeinen Grundsatz des Prozessrechts, der in § 138 Abs. 3 ZPO seinen Ausdruck gefunden hat, obliegt es dem Kläger aber nicht, unstreitige Tatsachen zu beweisen (BGH, a.a.O.).

II. Die Klage ist hinsichtlich der geltend gemachten Hauptforderung in vollem Umfang begründet. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Zahlung von 12.650,11 EUR (24.741,47 DM) aus Bürgschaftsvertrag gemäß § 765 Abs. 1 BGB zu.

1. Die Parteien haben einen wirksamen Bürgschaftsvertrag geschlossen.

a) Bei der 9. September 1996 unterzeichneten Urkunde handelt es sich - entgegen der Ansicht der Klägerin - nicht um eine Schuldübernahme, ein selbständiges Schuldversprechen oder Schuldanerkenntnis des Beklagten, sondern um einen Bürgschaftsvertrag. Ein Indiz hierfür ist schon die Überschrift "Bürgschaft". Massgeblich für die Abgrenzung ist weiter, ob nach dem erkennbaren Parteiwillen eine selbständige oder eine angelehnte Schuld begründet werden sollte. Gemäß dem Wortlaut der Vereinbarung war letzteres der Fall. Denn ausweislich der ausdrücklichen Feststellung im ersten Teil der Vereinbarung schuldet die Firma S GmbH - und nicht der Beklagte - der Klägerin 24.741,47 DM. Darüber hinaus "verbürgt sich [der Beklagte] ... dafür, daß die vorgenannte Firma ihren Zahlungs- und vertraglichen Verpflichtungen vereinbarungsgemäß nachkommt." Der Beklagte sollte danach lediglich dafür einstehen, dass die Firma S GmbH ihrer Zahlungsverpflichtung gegenüber der Klägerin nachkommt, nicht aber die Zahlungsverpflichtung der Firma S GmbH als eigene anerkennen bzw. (mit-) übernehmen.

Eine anderweitige Auslegung der Urkunde gebietet auch nicht die im Handelsregister am 24. April 1996 eingetragene Auflösung der S GmbH infolge rechtskräftiger Abweisung eines Antrags auf Eröffnung des Konkursverfahrens mangels Masse. Damit verlor die Abgabe einer Bürgschaftserklärung durch den Beklagten nicht ihren Sinn. Die Zahlungspflicht der Firma S GmbH bestand trotz ihrer Auflösung im Zeitpunkt der Unterzeichnung der Vereinbarung am 9. September 1996 fort, so dass auch die Übernahme einer Bürgschaft für deren Zahlungspflicht möglich und wirtschaftlich sinnvoll war. Entgegen der Ansicht der Klägerin hat die Auflösung nicht das sofortige Erlöschen der Gesellschaft zur Folge. Die aufgelöste Gesellschaft besteht vielmehr als in Liquidation befindliche GmbH nach §§ 66 ff. GmbHG fort. Aus § 69 GmbHG ergibt sich, dass dabei die in Liquidation befindliche GmbH mit der vor der Auflösung existierenden Gesellschaft identisch ist (Altmeppen in Roth/Altmeppen, Kommentar zum GmbHG, 3. Auflage, § 69 Rdnr. 1). Die zwischen der Gesellschaft und Dritten (hier der Klägerin) geschlossenen Verträge bleiben wirksam (Beck'sches Handbuch der GmbH, 2. Auflage, § 16 Rdnr. 24).

Ob im Zeitpunkt der Unterzeichnung der Bürgschaftserklärung zu verteilendes Gesellschaftsvermögen der Hauptschuldnerin vorhanden gewesen ist, kann offenbleiben, denn die Rechtspersönlichkeit der Firma S bestand auch ohne Gesellschaftsvermögen bis zur Löschung im Handelsregister fort; letztere erfolgte unstreitig erst am 31. August 2000 und somit nach Unterzeichnung der Vereinbarung am 9. September 1996.

b) Der Beklagte hat seine Bürgschaftserklärung wirksam in der Schriftform des § 766 S. 1 BGB abgegeben.

2. Mit der Löschung der Firma S GmbH als vermögenslos im Handelsregister am 31. August 2000 ist die Hauptschuldnerin als Rechtsperson untergegangen. Damit gingen auch ihre Zahlungsverpflichtungen gegenüber der Klägerin unter. Fällt der Hauptschuldner weg und erlischt dadurch die Hauptschuld, so wird wegen der Abhängigkeit der Bürgschaft vom Bestand der Hauptschuld (vgl. §§ 767, 768 11 BGB) im Grunde auch der Bürge frei. Die Akzessorietät der Bürgschaft gilt jedoch nicht unbegrenzt. § 768 I 2 BGB, §§ 254 II 1, 301 II 1 InsO lassen erkennen, dass im Interesse des Gläubigers der Sicherungszweck der Bürgschaft, namentlich den Gläubiger für den Fall der Zahlungsunfähigkeit des Hauptschuldners abzusichern, Vorrang vor ihrer Abhängigkeit von der Hauptschuld gewinnt. Die Akzessorietät tritt daher zurück, wenn wie vorliegend der Untergang der Hauptschuld auf dem Vermögensverfall des Hauptschuldners beruht (BGH NJW 1982, 875 [876]). Infolge der Aufhebung der Akzessorietät bedarf es auch nicht der Fiktion einer Hauptschuld; die Forderung gegen den Bürgen wandelt sich von einem akzessorischen Nebenrecht in einen selbständigen Anspruch (BGH a.a.O.; KG NJW-RR 1999,1206 [1207]). Die Hauptschuld der Firma S GmbH ist demnach zwar untergegangen; der Beklagte ist dadurch aber nicht freigeworden, vielmehr weiterhin - nunmehr selbständig - aus der Bürgschaft verpflichtet.

3. Der Beklagte ist nicht berechtigt, die Inanspruchnahme aus der Bürgschaft wegen Verjährung der Hauptschuld nach § 768 Abs. 1 S. 1 BGB zu verweigern.

a) Tatsächlich ist die Hauptschuld nicht verjährt, denn sie ist vor dem Eintritt der Verjährung infolge Wegfalls der Hauptschuldnerin untergegangen.

Die Hauptforderung der Klägerin gegen die S GmbH wegen diverser im Rahmen ihres Gewerbes als Abfall- und Schuttbeseitigungsunternehmen ausgeführter, nicht näher dargelegten Aufträge unterliegt der Verjährungsfrist von vier Jahren gemäß § 196 Abs. 1 Nr. 1 Abs. 2 BGB a.F. Die Leistungen der Klägerin erfolgten für den Gewerbebetrieb der Firma S GmbH. Für letztere - als Formkaufmann nach § 6 Abs. 1 HGB i.V.m. § 13 Abs. 3 GmbHG - gilt die Vermutung des § 344 Abs. 1 HGB, wonach die von einem Kaufmann vorgenommenen Rechtsgeschäfte im Zweifel als zum Betrieb seines Handelsgewerbes gehörig gelten.

Offenbleiben kann, ob die Forderungen gegen die S GmbH bereits vor dem 1. Januar 1996 entstanden waren oder nicht. Denn jedenfalls war die Verjährungsfrist im Zeitpunkt der Beendigung der Gesellschaft am 31. August 2000 noch nicht vollendet. Im Falle der Entstehung der Forderungen vor dem 1. Januar 1996 begann die Verjährung nach §§ 201, 208, 217 BGB mit dem im ersten Absatz der am 9. September 1996 unterzeichneten Urkunde liegenden Anerkenntnis am 10. September 1996 erneut zu laufen. Denn wenn die Unterbrechung der kurzen Verjährungsfrist nach dem Schluss des Jahres endet, in dem der Anspruch entstanden ist, läuft die Frist nach Beendigung der Unterbrechung sofort weiter und nicht erst mit Schluss des Jahres der Unterbrechung (Palandt-Heinrichs, BGB, 61. Auflage, § 201 Rdnr. 1 m.w.N.). Die Verjährung wäre mit Ablauf des 9. September 2000 vollendet gewesen. Im Falle der Entstehung der Forderungen nach dem 1. Januar 1996 endete die Unterbrechung durch das Anerkenntnis vor Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist. Dann bleibt es beim Verjährungsbeginn zum Ende des Jahres 1996 (Palandt-Heinrichs, a.a.O.), so dass die Verjährungsfrist zum Ende des 31. Dezember 2000 abgelaufen wäre.

Der erste Teil der als Bürgschaft überschriebenen Vereinbarung ist dabei nach dem eindeutigen Erklärungsgehalt als deklaratorisches Schuldanerkenntnis der S GmbH hinsichtlich ihrer gegenüber der Klägerin bestehenden Verbindlichkeiten aus den Aufträgen auszulegen. Der Beklagte trat insoweit als gesetzlicher Vertreter der Hauptschuldnerin auf. Seine Befugnisse als Geschäftsführer entfallen nicht mit der Auflösung der Gesellschaft. Vielmehr setzen die Geschäftsführer ihr Amt nach der Grundsatzregelung des § 66 Abs. 1, 1. HS GmbHG als Liquidatoren fort, solange nicht andere Liquidatoren bestellt werden. Der Beklagte war als früherer Geschäftsführer der Gesellschaft nach dem gesetzlichen Regelfall des § 66 Abs. 1, 1. HS GmbHG Liquidator. Er führte sein Amt für die GmbH schlicht fort, ohne dass es irgendeines Bestellungs- oder Erklärungsaktes bedurfte (Altmeppen in Roth/Altmeppen, a.a.O., § 66 Rdnr. 2, 7). Zwar muss die Zeichnung nach § 68 Abs. 2 GmbHG grundsätzlich den Liquidationstatbestand deutlich machen. Die Verwendung des Liquidationszusatzes ist jedoch ebensowenig wie der korrekte Firmengebrauch eine Wirksamkeitsvoraussetzung der Vertretung (Altmeppen in Roth/Altmeppen, a.a.O., § 68 Rdnr. 10).

b) Der Beklagte kann die Inanspruchnahme aus der Bürgschaft auch nicht deshalb verweigern, weil die Klägerin die Bürgschaftsforderung nicht innerhalb der für die (fiktive) Hauptschuld laufenden Frist verjährungsunterbrechend geltend gemacht hat. Die Frage, ob sich der Bürge mit Erfolg auf die Einrede der Verjährung der Hauptschuld berufen kann, wenn eine juristische Person als Hauptschuldnerin vor Ablauf der Verjährungsfrist vermögenslos geworden, im Handelsregister gelöscht und deshalb nicht mehr parteifähig ist, hat der BGH zwar bisher ausdrücklich offengelassen (vgl. BGH NJW 1998, 2972, [2974]). Jedoch ergibt sich dieses Ergebnis bereits begrifflich aus seiner bisherigen Rechtsprechung sowie aus der Wertung und Risikoverteilung im Gesetz.

aa) Nach der Rechtsprechung des BGH (NJW 1982, 875, [876]) verselbständigt sich die Verpflichtung des Bürgen mit dem Wegfall der Hauptschuld, ohne dass es hierfür der Fiktion des Fortbestandes der Hauptschuld bedarf. Begrifflich hat die Verselbständigung der Bürgenschuld damit zugleich den Verlust der Einrede der Verjährung der Hauptschuld zur Folge, es sei denn, diese war bereits vor dem Wegfall der Hauptschuld entstanden (vgl. unter a).

bb) Dieses dogmatisch konsequente Ergebnis steht auch im Einklang mit der Wertung des Gesetzes. Der Bürge kann sich grundsätzlich dann nicht auf die Einreden des Hauptschuldners berufen, wenn dies dem der Bürgschaft im Verhältnis Bürge - Gläubiger zugrundeliegenden Sicherungszweck widerspricht (Palandt-Sprau, BGB, 61. Auflage, § 768 Rdnr. 7). Die Bürgschaft verfolgt den Zweck, den Gläubiger für den Fall des Zahlungsunvermögens des Hauptschuldners abzusichern. Die Bestimmungen in §§ 768 I 2, 773 I Nr. 3, 4 BGB, §§ 254 II 1, 301 II 1 InsO zeigen, dass im Interesse des Gläubigers der Sicherungszweck der Bürgschaft Vorrang vor ihrer Abhängigkeit von der Hauptschuld gewinnt, wenn die Hauptschuld aus Gründen untergeht oder ermässigt wird, die auf dem Vermögensverfall des Hauptschuldners beruhen (BGH NJW 1982, 875, [876]). Dieser gesetzgeberischen Wertung entspricht es, dem Bürgen auch das Risiko zuzuweisen, dass die Hauptschuld aufgrund des Wegfalls des Hauptschuldners wegen Vermögenslosigkeit ihre Verjährbarkeit verliert, denn darin verwirklicht sich ebenso das vom Bürgen übernommene Risiko der Zahlungsunfähigkeit des Hauptschuldners (KG NJW-RR 1999,1206, [1207]; OLG Celle OLGR Celle 2001, 87; Reinicke/Tiedtke, Bürgschaftsrecht, 2. Auflage, Rdnr. 264).

c) Im Übrigen sprechen auch praktische Gründe dagegen, dem Bürgen die hypothetische Verjährung der (fiktiven) Hauptschuld als eigene Einrede zuzugestehen. Der Gläubiger wäre zu Unrecht benachteiligt, weil er zur Unterbrechung der Verjährung der Hauptschuld mangels existierendem Hauptschuldner überhaupt nicht mehr in der Lage ist. Er wäre darauf verwiesen, vor der Verjährung der Hauptschuld einen Titel gegen den Bürgen zu erwirken und hieraus noch vor Verjährungseintritt zu vollstrecken. Die damit verbundenen Unwägbarkeiten (Verfahrensdauer etc.) dürfen nicht zu seinen Lasten gehen, sonst bestünde für den Bürgen ein Anreiz, das Verfahren möglichst bis zur Verjährung der Hauptschuld hinauszuzögern. Darüber hinaus besteht zu keinem Zeitpunkt ein schutzwürdiges Vertrauen des Bürgen, die Hauptschuld werde verjähren und er deshalb nach § 768 I 1 BGB einredeberechtigt sein (KG NJW-RR 1999, 1206, [1207f.]).

d) Eine ungerechtfertigte Bevorzugung des Gläubigers, der den Bürgen aufgrund des Wegfalls der Einrede der Verjährung der Hauptschuld entsprechend der Verjährungsfrist für die Bürgschaftsschuld 30 Jahre lang in Anspruch nehmen kann, wird im Einzelfall zugunsten des Bürgen unter Anwendung der Verwirkungsgrundsätze zu vermeiden sein (so auch KG NJW-RR 1999, 1206, [1207f.]). Vorliegend hat die Klägerin ihren Anspruch aus § 765 BGB jedoch nicht nach Treu und Glauben verwirkt. Ein Recht ist erst dann verwirkt, wenn der Berechtigte es längere Zeit hindurch nicht geltend gemacht hat ("Zeitmoment") und der Verpflichtete sich nach dem gesamten Verhalten des Berechtigten darauf einrichten durfte und auch eingerichtet hat, dass dieser das Recht auch in Zukunft nicht geltend machen werde ("Umstandsmoment", vgl. Palandt-Heinrichs, a.a.O., § 242 Rdnr. 87 m.w.N.). Vorliegend fehlt es schon an dem erforderlichen Zeitmoment: die fiktive Verjährung der Hauptschuld wäre im 2. Halbjahr 2000 eingetreten, die Klage wurde aber bereits am 16. Mai 2001 eingereicht und am 12. Juni 2001 zugestellt.

e) Die vorstehende Wertung steht auch nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung des BGH, nach der der persönlich haftende Gesellschafter sich nicht auf die Verjährung der Forderung gegen die Gesellschaft berufen kann, wenn die Verjährung der gegen ihn gerichteten Forderung rechtzeitig unterbrochen worden ist. Denn die zwischen dem Verhältnis von Hauptschuldner und Bürgen einerseits und demjenigen von handelsrechtlicher Personengesellschaft und persönlich haftendem Gesellschafter andererseits bestehenden Unterschiede rechtfertigen eine unterschiedliche Behandlung der Verjährungsfrage (BGH NJW 1998, 2972, [2974]; Reinicke/Tiedtke, a.a.O., Rdnr. 265).

f) Entgegen der Ansicht des Beklagten ergibt sich aus den von ihm zitierten Entscheidungen des BGH (NJW 86, 310 und 99, 278) nichts anderes. Vielmehr war in beiden Fällen die dortige Hauptschuldnerin noch existent, der Gläubiger war also in der Lage, die Verjährung der Hauptschuld zu verhindern (Anmeldung des Anspruchs zur Konkurstabelle), die Akzessorietät zwischen Haupt- und Bürgschaftschuld bestand noch, anders als im vorliegenden Fall.

4. Der Beklagte kann sich ebensowenig mit Erfolg auf die Einrede der Vorausklage (§ 771 BGB) berufen. Diese ist im gegebenen Fall nach § 773 Abs. 1 Nr. 4 BGB ausgeschlossen, denn aufgrund der Ablehnung des Antrages auf Eröffnung des Konkursverfahrens mangels Masse war anzunehmen, dass die Zwangsvollstreckung in das Vermögen der Hauptschuldnerin nicht zur Befriedigung der Klägerin geführt hätte (vgl. Palandt-Sprau, a.a.O., § 773 Rdnr. 2).

III. Die Klägerin kann lediglich Rechtshängigkeitszinsen gemäß §§ 291, 288 BGB beanspruchen. Anpsruch auf Fälligkeitszinsen nach §§ 352, 353 HGB hat die Klägerin nicht, Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagte Kaufmann ist, sind nicht vorgetragen.

IV. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 92 Abs. 1, S. 1 ZPO. Denn nach ständiger Rechtsprechung (BGH MDR 1961, 141 f.; NJW 1988, 2173, [2175]) ist ein Teilunterliegen im Sinne des § 92 Abs. 1 ZPO auch dann anzunehmen, wenn lediglich der Zinsanspruch teilweise abgewiesen wird. Die von der Klägerin geltend gemachten Zinsen sind zwar als Nebenforderung im Sinne des § 4 ZPO bei der Wertberechnung nicht zu berücksichtigen. Jedoch folgt bereits aus dem Wortlaut des § 92 ZPO, der von einem teilweisen Obsiegen und Unterliegen schlechthin, ohne Unterscheidung zwischen Haupt- und Nebenforderung, spricht, dass das Obsiegen bzw. Unterliegen nach wirtschaftlicher Betrachtungsweise zu bestimmen ist; mithin ohne Rücksicht darauf, ob es sich um Haupt- oder Nebenforderungen handelt. Für eine Anwendung des § 92 Abs. 2 ZPO fehlt es an der verhältnismäßig geringfügigen Mehrforderung. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 4,711 ZPO.

Die Revision war gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO n.F. zuzulassen, denn die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung. Die Rechtsfrage, ob sich der Bürge mit Erfolg auf die Einrede der Verjährung der Hauptschuld auch dann berufen kann, wenn eine juristische Person als Hauptschuldnerin vor Ablauf der Verjährungsfrist vermögenslos geworden, im Handelsregister gelöscht und deshalb nicht mehr parteifähig ist, hat der BGH bislang ausdrücklich offen gelassen (BGH NJW 1998, 2972, [2974]).

Ende der Entscheidung

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