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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 03.09.2007
Aktenzeichen: 22 U 196/06
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 253
ZPO § 287
Zur Höhe des Schmerzensgeldes bei einer HWS - Distorsion.
Kammergericht Im Namen des Volkes

Geschäftsnummer: 22 U 196/06

verkündet am: 3. September 2007

In dem Rechtsstreit

hat der 22. Zivilsenat des Kammergerichts in Berlin-Schöneberg, Elßholzstr. 30-33, 10781 Berlin, auf die mündliche Verhandlung vom 03.09.2007 durch die Richterin am Kammergericht Schulz als Einzelrichterin

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 15. November 2006 verkündete Urteil des Landgerichts Berlin - 24 O 473/05 - teilweise geändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 100 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. September 2005 zu zahlen.

2. Die Beklagte wird ferner verurteilt, an die Klägerin 1.248,73 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Januar 2005 zu zahlen.

3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben die Klägerin zu 83 % und die Beklagte zu 17 % zu tragen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Klägerin zu 67 % und der Beklagten zu 33 % auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Von der Darstellung tatsächlicher Feststellungen nach § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO (vgl. § 26 Nr. 5 EGZPO) abgesehen.

Gründe:

A.

1. Die Berufung ist zulässig.

Die Bedenken der Beklagten hinsichtlich der Verständlichkeit der Anträge und der Bestimmtheit des Umfangs der Berufung greifen nicht durch.

Die Berufung richtet sich - wie aus der Berufungsbegründung ersichtlich - gegen

- die Höhe des vom Landgericht zuerkannten Schmerzensgeldbetrages (1.250 EUR), wobei die Klägerin 3.500 EUR für angemessen hält; - Hinsichtlich der Schadensersatzforderungen gegen die Abweisung eines Betrages in Höhe von 18,80 EUR sowie

- gegen die Abweisung des Feststellungsantrages

Ferner ist die Klägerin der Auffassung, dass eine Aufrechnung der Beklagten wegen angeblicher Überzahlung nicht in Betracht komme, weil die 2.400 EUR - unstreitig - ohne Vorbehalt auf das Schmerzensgeld gezahlt worden seien.

Das Landgericht hat von den Schadensersatzforderungen insgesamt 1.248,73 EUR (Aufstellung Seite 11 des Urteils) als berechtigt angesehen. Da nach Auffassung des Landgerichts nur ein Schmerzensgeld in Höhe von 1.250 EUR gerechtfertigt gewesen ist und das Landgericht ferner die Aufrechnung der Beklagten mit einem Rückzahlungsanspruch wegen des danach überzahlten Betrages (2.400 EUR abzüglich 1.250 EUR ergeben 1.150 EUR) zugelassen hat, ergab sich ein Verurteilungsbetrag von 98,73 EUR (1.248,73 EUR abzüglich 1.150 EUR).

Die Berufungsanträge zu 1. (Schmerzensgeld) und 2. (Schadensersatz) sind daher - in Verbindung mit der Berufungsbegründung - verständlich:

Die Klägerin begehrt die Zahlung von weiteren 1.168,80 EUR Schadensersatz, nämlich 1.150 EUR vom Landgericht als begründet angesehene, aber wegen der Aufrechnung erloschene Schadensersatzforderungen und einen Betrag von 18.80 EUR, der vom Landgericht als unbegründet angesehen worden ist.

Da die Bestimmung des Schmerzensgeldbetrages von einer gerichtlichen Schätzung nach § 287 ZPO abhängig ist, muss er nach ständiger Rechtsprechung nicht beziffert werden, sondern es reicht aus, wenn die vom Kläger vorgestellte Größenordnung erkennbar ist (statt Vieler: Zöller-Greger, ZPO, 26. Auflage, § 253 Rdnr. 14). Aus der Berufungsbegründung ergibt sich, dass die Klägerin nach wie vor einen Betrag von (mindestens) 3.500 EUR für angemessen hält, also abzüglich der bereits von der Beklagten vorprozessual gezahlten 2.400 EUR weitere 1.100 EUR.

2. In der Sache hat die Berufung teilweise - nämlich hinsichtlich eines Teils der Schmerzensgeldforderung - Erfolg.

Der Senat hält ein Schmerzensgeld in Höhe von 2.500 EUR für angemessen, so dass sich unter Berücksichtigung der bereits gezahlten 2.400 EUR ein Anspruch in Höhe von 100 EUR ergibt. Hinsichtlich der Schadensersatzforderung bleibt es bei den vom Landgericht als begründet angesehenen 1.248,73 EUR.

a. Schmerzensgeld

aa. Das Berufungsgericht ist nach aktueller Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (Urteil vom 28. März 2006 - VI ZR 46/05 -, z.B. NJW 2006, 1589; MDR 2006, 1123), auch nach der Reform des Rechtsmittelrechts gehalten, die erstinstanzliche Schmerzensgeldbemessung auf der Grundlage der nach § 529 ZPO maßgeblichen Tatsachen gemäß §§ 513 Abs. 1, 546 ZPO in vollem Umfang darauf zu überprüfen, ob sie überzeugt. Hält das Berufungsgericht sie für zwar vertretbar, letztlich aber bei Berücksichtigung aller Gesichtspunkte nicht für sachlich überzeugend, so darf und muss es nach eigenem Ermessen einen eigenen, dem Einzelfall angemessenen Schmerzensgeldbetrag finden. Das Berufungsgericht darf es also nicht dabei belassen zu prüfen, ob die Bemessung Rechtsfehler enthält, insbesondere ob das Gericht sich mit allen maßgeblichen Umständen ausreichend auseinandergesetzt und um eine angemessene Beziehung der Entschädigung zu Art und Dauer der Verletzungen bemüht hat (vgl. BGHZ 138, 388, 391 m.w.N.).

bb. Entsprechend dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Pnn und den insoweit nicht angegriffenen Feststellungen des Urteils des Landgerichts ist von einer zehnwöchigen unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit auszugehen (bis 31. Dezember 2002), anschließend war die Arbeitsfähigkeit noch ein Jahr lang um 20 %, bzw. 15 % und 10 % eingeschränkt. Neben der HWS-Distorsion 1. Grades hat die Klägerin noch die im Urteil des Landgerichts genannten geringfügigeren Verletzungen (Beckenprellung, Platzwunde auf dem Handrücken, Schürfwunde am linken Bein) erlitten, die folgenlos ausgeheilt sind. Der Senat, der geschäftsplanmäßig u.a. für Verkehrssachen zuständig ist, hat in der Vergangenheit in ähnlich gelagerten Fällen ein Schmerzensgeld im Bereich von 1.000 EUR pro Monat Erwerbsunfähigkeit (MdE mindestens 50 %) zugesprochen, so dass sich im vorliegenden Fall ein Schmerzensgeld von 2.500 EUR ergibt (z.B. Urteil vom 19. Februar 2007 - 22 U 30/06 -; Urteil vom 16. September 2005 - 22 U 232/04).

Ergänzend wird noch beispielhaft auf Nr. 509 der "Schmerzensgeldtabelle" von Hacks/Ring/Böhm, 25. Auflage, 2007, hingewiesen:

Urteil des Landgerichts München I vom 11. Juli 2003 - 19 O 15850/02

1.000 EUR

HWS-Trauma, 22 Tage arbeitsunfähig, wegen massiver muskulärer Blockaden war hier außerdem eine intensive physiotherapeutische Behandlung notwendig.

Die von der Klägerin angeführten Fälle sind nicht zum Vergleich heranzuziehen, da der Krankheitsverlauf dort erheblich schwerer war, bzw. weitere erhebliche Verletzungen hinzukamen. Wegen weiterer Einzelheiten kann auf Seite 3 der Berufungserwiderung vom 2. Juli 2007 (Bl. 194 d.A.) Bezug genommen werden.

cc. Das von der Klägerin verlangte Unfallrekonstruktionsgutachten war nicht einzuholen. Zwar ist es zutreffend, dass die Ausführungen des medizinischen Sachverständigen Prof. Pnn zur Geschwindigkeitsänderung in dem Gutachten nicht im Sinne eines Unfallrekonstruktionsgutachtens verwertet werden können. Allerdings kommt es für die Frage, welche Verletzungen die Klägerin durch den Unfall erlitten hat, hier nicht auf die korrekt ermittelte Geschwindigkeitsänderung an. Denn der Sachverständige Prof. Pnn hat anhand der Ergebnisse der bildgebenden Diagnostik und der klinischen Symptome eine höhergradige Halswirbelsäulenverletzung definitiv ausgeschlossen, vgl. Seiten 27, 28 des Gutachtens vom 26. Juni 2006. Wie er nochmals im Einzelnen in der Stellungnahme vom 13. September 2006 (Bl. 118 d.A.) ausgeführt hat, war die Beurteilung des biomechanischen Sachverhalts lediglich von Bedeutung für die Aussage, dass der Unfall als solcher geeignet war, eine HWS-Distorsion hervorzurufen. "Auch die Feststellung einer höheren Geschwindigkeitsänderung nach Unfallrekonstruktionsgutachten würde nicht zu einer Änderung der Einstufung des Schweregrades der HWS-Distorsion führen" (Bl. 121 d.A.).

b. Schadensersatz

Soweit das Landgericht einen Anspruch auf Zahlung von 18,30 EUR (Eigenanteil für physiotherapeutische Maßnahmen nach Maßgabe der Quittung vom 15. April 2003) verneint hat, ist die Berufung unbegründet.

Zwar fallen die ihr zugrunde liegenden Behandlungen nach Maßgabe der Heilmittelverordnung von Dr. Sn Gnn vom 7. April 2003 in einen Zeitraum, in dem noch eine unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit der Klägerin vorlag. Allerdings können die Behandlungen gleichwohl nicht dem Unfallereignis zugeordnet werden, denn wie der Sachverständige Prof. Pnn auf Seite 32 in seinem Gutachten vom 26. Juni 2006 ausführt, war mit Abschluss der Behandlung im Dezember 2002, d.h. der ersten physiotherapeutischen Behandlungsfolge, eine weitere Behandlung zunächst nicht notwendig. Hinzu kommt, dass als Diagnose eine "Blockierung der Kopfgelenke sowie akute und subakut segmentale Schmerzen durch eine Gelenksfunktionsstörung" angegeben werden, d.h. die typische Beschwerdesymptomatik wie man sie bei dem Vorliegen degenerativer Veränderungen im Bereich der Halswirbelsäule, welche auch bei der Klägerin vorliegen, findet.

c. Feststellungsantrag

Der Feststellungsantrag ist auch unter Berücksichtigung des Vorbringens der Klägerin in der Berufungsinstanz unbegründet.

Die Begründetheit setzt voraus, dass eine nicht eben entfernt liegende Möglichkeit künftiger Verwirklichung der Schadensersatzpflicht durch Auftreten weiterer, bisher noch nicht erkennbarer und voraussehbarer Leiden besteht. Daran fehlt es hier.

Der Sachverständige hat unfallbedingte Dauerfolgen eindeutig ausgeschlossen (vgl. auch Seite 7 des Urteils des Landgerichts). Auch aus anderen Verfahren ist dem Senat bekannt, dass leichte HWS-Verletzungen selbst folgenlos ausheilen und etwaige Beschwerden aus orthopädisch-traumatologischer Sicht dann nicht mehr auf den der HWS-Distorsion 1. Grades zugrunde liegenden Verkehrsunfall zurückzuführen sind. Hiervon zu unterscheiden sind die Fälle, in denen es infolge eines Unfalles zu einer psychischen Erkrankung, etwa in Form eines psychogenen Schmerzsyndroms kommt. Dass sich die Klägerin auf eine derartige psychische Erkrankung berufen will, ist ihrem Vortrag aber nicht zu entnehmen, zumal dieser auch wenig präzise und nicht durch ärztliche Atteste etc. belegt ist. Der Sachverständige Prof. Pnn hatte auch keinen Anlass, seine Untersuchungen in diese Richtung auszudehnen. Vielmehr hat die Klägerin im Rahmen der unfallunabhängigen Eigenanamnese lediglich angegeben, sie würde bei Bedarf Medikamente gegen Kopfschmerzen einnehmen. Bezüglich der Schlafstörungen (Durchschlafstörungen) hat sie angegeben, diese seien darauf zurückzuführen, dass sie seit dem Unfallgeschehen nicht mehr auf dem Rücken schlafen könne, ferner hätten die Schlafstörungen auch durch die Wechseljahre zugenommen (Seite 4). Selbst wenn man hinsichtlich der nicht näher beschriebenen Schlafstörungen einen Bezug zum Unfallgeschehen herstellen könnte, ist das Unvermögen, auf dem Rücken schlafen zu können (welches nach Aussage der Klägerin wohl überwiegende Ursache der Durchschlafstörungen ist), nach Ausheilung der durch den streitgegenständlichen Unfall erlittenen HWS-Distorsion nicht mehr auf den Unfall zurückzuführen, sondern Folge der unfallunabhängigen degenerativen Veränderungen der Halswirbelsäule.

B.

Die Revision war nach § 543 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 ZPO i.V.m. § 26 Ziffer 7 EGZPO nicht zuzulassen, da die Sache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Rechtsfortbildung oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 1, 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Ende der Entscheidung

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