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Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 10.02.2003
Aktenzeichen: 22 U 300/02
Rechtsgebiete: ZPO
Vorschriften:
ZPO § 91 a |
Das Gericht darf einem Schuldner nicht zwei einander gegenseitig ausschließende persönliche Handlungspflichten auferlegen.
2.
Geht ein Schuldner gegenüber zwei Gläubigem einander gegenseitig ausschließende persönliche Handlungspflichten ein, bewirkt das auf Antrag eines der Gläubiger zu seinen Gunsten ergangene Urteil ein nachträgliches Unvermögen des Schuldners für die Erfüllung der Ansprüche aus dem anderen Vertrag.
Kammergericht Beschluss
Geschäftsnummer: 22 U 300/02
In dem Rechtsstreit
hat der 22. Zivilsenat des Kammergerichts durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Ubaczek und die Richter am Kammergericht Renner und Schneider am 10. Februar 2003 beschlossen:
Tenor:
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.
Gründe:
Die Beklagte vermietete der B.... Schule B... Räume im Hause J.... Straße in B... und sicherte ihr vertraglich Konkurrenzschutz hinsichtlich der übrigen Mieteinheiten des Hauses zu. Später, am 13. Juni 2002, vermietete die Beklagte Räume dieses Hauses an die Klägerin, deren Geschäftsfeld sich zumindest teilweise mit dem der B... Schule überschneidet.
Die B... Schule erwirkte deshalb gegen die Beklagte die einstweilige Verfügung des Landgerichts Berlin vom 4. Juli 2002 - 97 O 110/02 -, durch die der Beklagten untersagt wurde, der Klägerin Räume im Hause J... Straße zu überlassen. Auf den Widerspruch der Beklagten bestätigte das Landgericht Berlin diese einstweilige Verfügung mit Urteil vom 29. Juli 2002.
In Kenntnis der einstweiligen Verfügung vom 4. Juli 2002 hat die Klägerin den Erlass einer einstweiligen Verfügung mit dem Inhalt beantragt, der Beklagten zu untersagen, sie an der Nutzung der am 13. Juni 2002 gemieteten Räume zu hindern. Das Landgericht Berlin - Kammer vom Tagesdienst - hat diese einstweilige Verfügung am 13. Juli 2002 antragsgemäß erlassen. Auf den Widerspruch der Beklagten hat das Landgericht Berlin auch diese einstweilige Verfügung mit Urteil vom 29. Juli 2002 - 97 O 127/02 - bestätigt.
Mit Schreiben vom 2. August 2002 gab der Prozessbevollmächtigte der Klägerin gegenüber der Beklagten die folgende Erklärung ab:
"Unsere Mandantin verzichtet hiermit auf die Rechte aus der einstweiligen Verfügung vom 13. Juli 2002 und erklärt, hieraus keine Vollziehungs- oder Ordnungsmaßnahmen zu betreiben."
Gegen das ihr am 14. August 2002 zugestellte Urteil vom 29. Juli 2002 hat die Beklagte die am Montag den 16. September 2002 eingegangene Berufung eingelegt. Mit Rücksicht auf die Erklärung der Klägerin vom 2. August 2002 haben die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend für in der Hauptsache erledigt erklärt und mit widerstreitenden Kostenanträgen verhandelt.
Die Kosten des Rechtsstreits waren der Klägerin aufzuerlegen, weil sie ohne Eintritt des die Erledigung herbeiführenden Ereignisses im Rechtsstreit unterlegen wäre (§91 a ZPO).
Die Berufung war zulässig.
Der Umstand, dass die Klägerin mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 2. August 2002 erklären ließ, sie verzichte auf die Rechte aus der einstweiligen Verfügung vom 13. Juli 2002, beseitigt nicht das Interesse der Beklagten an der Prüfung, ob diese Entscheidung zu Recht ergangen ist.
Dass der den Streit in der Hauptsache erledigende Umstand, nämlich die Verzichtserklärung der Klärung, nach Erlass der angefochtenen Entscheidung und noch vor Einlegung der Berufung eingetreten ist, macht die Berufung ebenfalls nicht unzulässig.
Die Berufung war auch begründet.
Auch wenn der Vertrag vom 13. Juni 2002 wirksam zustande gekommen sein sollte und die von der Beklagten ausgesprochene fristlose Kündigung vom 12. Juli 2002 keinen sie rechtfertigenden Grund gehabt hätte (beides ist nach der Sach- und Rechtslage wohl sicher anzunehmen), hätte jedenfalls das angefochtene Urteil nicht ergehen dürfen. Denn die darin bekräftigte Verpflichtung der Beklagten stand im direkten Gegensatz zu dem von derselben Kammer des Landgerichts Berlin am 4. Juli 2002 zu dem Aktenzeichen 97 O 110/02 auf Antrag der B... Schule im Wege der einstweiligen Verfügung der Beklagten auferlegten Verbot.
Zwar können beide Vertragspartner der Beklagten bei Annahme der Wirksamkeit beider Verträge grundsätzlich die Erfüllung des mit ihnen geschlossenen Vertrages verlangen und die Beklagte gegebenenfalls auch auf Erfüllung verklagen. Ist aber auf entsprechenden Antrag eines von Beiden bereits eine gerichtliche Entscheidung zu seinen Gunsten ergangen, kann der andere nicht mehr auf Erfüllung klagen, sondern nur noch auf Schadensersatz. Denn durch ein weiteres auf Vertragserfüllung gerichtetes Urteil würde die Beklagte in die für sie ausweglose Situation gebracht, zwei sich in der Hauptsache direkt widersprechende Entscheidungen befolgen zu müssen.
Die zuerst ergangene Entscheidung verhindert somit die Erfüllung der aus dem anderen Vertrag geschuldeten Leistung und begründet insoweit den Fall des nachträglichen Unvermögens (Baur "Einstweiliger Rechtsschutz bei gegenläufigen Handlungs- und Unterlassungspflichten", Festschrift für Karl Sieg, 1976, Seite 43, 45 mit Nachweisen).
Entgegen der Auffassung des Landgerichts kann es auch nicht dem Belieben der Beklagten überlassen werden, welches der beiden gegensätzlichen Urteile sie befolgen will. Denn zumindest dann, wenn es - wie hier - um individuelle Handlungs- oder Unterlassungspflichten geht, sind zwei einander widersprechende Entscheidungen nicht vollstreckbar. Der Schuldner kann nicht wegen der Missachtung des einen Urteils bestraft werden, wenn er sein Verhalten an dem anderen Urteil ausgerichtet hat, also unter Hinweis auf ein rechtskräftiges Urteil darauf verweisen kann, sich rechtstreu zu verhalten (vgl. auch Baur, a.a.O. Seite 46).
Ende der Entscheidung
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