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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 26.04.2004
Aktenzeichen: 22 W 19/04
Rechtsgebiete: ZPO, GVG


Vorschriften:

ZPO § 114
ZPO § 127 Abs. 1 Satz 2
ZPO § 127 Abs. 2 S. 2
ZPO § 574 Abs. 2 Nr. 1
ZPO § 574 Abs. 2 Nr. 2
GVG § 23 Nr. 1
Das bei dem Landgericht eingegangene PKH-Gesuch ist insgesamt zurückzuweisen, wenn die beabsichtigte Klage nur zu einem Teil Aussicht auf Erfolg hat, der unterhalb der Zuständigkeit des Landgerichts liegt.
Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 22 W 19/04

In dem Prozesskostenhilfeverfahren

hat der 22. Zivilsenat des Kammergerichts in Berlin in der Sitzung am 26. April 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Ubaczek und die Richterinnen am Kammergericht Meising und Schulz beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 13. Mai 2003 - Az. 24O 44/03 - wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

I.

Die Antragsteller begehren Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Klage gegen die Antragsgegnerin, die auf Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen eines Verkehrsunfalls, der sich am 21. Juni 1999 in der G. Straße in B. ereignet hat, gerichtet ist. Bei diesem Unfall ist der Sohn der Antragsteller getötet worden.

Das Landgericht hat durch Beschluss vom 13. Mai 2003 (Einzelrichter) das Prozesskostenhilfegesuch mangels Erfolgsaussicht der beabsichtigten Klage zurückgewiesen.

Gegen den ihnen am 16. Juni 2003 zugestellten Beschluss des Landgerichts haben die Antragsteller mit am 14. Juli 2003 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz sofortige Beschwerde eingelegt, welcher das Landgericht nicht abgeholfen hat (Beschluss vom 11. März 2004, Bl. 94 d.A.).

Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig.

Sie ist gemäß § 127 Abs. 2 S. 2 ZPO statthaft und form- und fristgerecht eingelegt worden, 569, 571 ZPO.

In der Sache hat sie keinen Erfolg.

Das Landgericht hat in dem angefochtenen Beschluss den Prozesskostenhilfeantrag der Antragsteller zu Recht mangels hinreichender Erfolgsaussicht der beabsichtigten Klage zurückgewiesen (§ 114 ZPO).

1.

Das Landgericht hat zu Recht und mit zutreffender, ausführlicher Begründung, aufweiche der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug nimmt, ausgeführt, dass die Antragsteller über die bereits gezahlten 3.000 EUR hinaus keinen weiteren Anspruch auf Erstattung der anteiligen Kosten für die Errichtung des Grabmals haben.

Das Landgericht hat insbesondere auch zu Recht ausgeführt, dass die durchschnittlichen Kosten für die Errichtung eines Grabmals, bestehend aus Grabstein, Vorbereitungsarbeiten und Material nach dem substantiierten Vortrag der Antragsgegnerin maximal 2.500,00 EUR betragen, was von den Antragstellern nicht bestritten worden sei.

Der Einwand der Antragsteller im Beschwerdeverfahren, bereits aus dem Umstand, dass die Antragsteller höhere Kosten für die Grabstelle geltend machen, gehe hervor, dass die Behauptung der Antragsgegnerin, ein durchschnittliches Grab koste nicht mehr als 2.500,00 EUR, bestritten worden sei, ist nicht gerechtfertigt. Denn die Antragsteller könnten auch die Auffassung vertreten, dass ihnen bzw. ihrem Sohn eine Grabstätte zustehe, deren Kosten über dem Durchschnitt liegen. Dafür, dass sie diese Auffassung vertreten, sprechen z.B. die Ausführungen auf Seite 3 oben des Schriftsatzes vom 27. Dezember 2002, Bl. 5 d.A..

Auch wenn aufgrund des Vorbringens im Beschwerdeverfahren davon auszugehen ist, dass die Antragsteller nunmehr die o.g. Behauptung der Antragsgegnerin bestreiten wollen, führt dieses zu keinem anderen Ergebnis.

Angesichts der ausführlichen Darlegungen, die von der Antragsgegnerin unter Vorlage der Schreiben der A. I. S. vom 26. Juni 2002 (Bl. 31, 32 d.A.) und 5. Juli 2002 (Bl. 33 d.A.) zu diesem Punkt vorgetragen werden, reicht ein einfaches Bestreiten der Antragsteller nicht aus. Hinzu kommt, dass die von der Antragsgegnerin eingereichten Kopien von Fotos von dem Grabmal durchaus geeignet sind, den Inhalt der genannten Schreiben zu bestätigen; das von den Antragstellern errichtete Grabmal entspricht - auch unter Berücksichtigung der landestypischen Gebräuche - ersichtlich gehobenen Ansprüchen.

2.

Das Landgericht hat den Antragstellern zu Recht unter Berücksichtigung der von der Antragsgegnerin geleisteten Zahlung ein weiteres Schmerzensgeld in Höhe von 1.577,42 EUR aus übergegangenem Recht zugebilligt.

a.

Entgegen der Auffassung der Antragsteller ist ein über 2.600,00 EUR hinausgehender Schmerzensgeld betrag nicht gerechtfertigt, auch wenn nur die (neuere) Rechtsprechung herangezogen wird, wonach für Verletzungen, die nicht sofort zum Todeseintritt führen, stets ein Schmerzensgeld gewährt und der heutige Preisindex berücksichtigt wird. Vielmehr ist die vom Landgericht als angemessen erachtete Höhe von 2.600 EUR im Vergleich zu anderen Fällen sogar im oberen Bereich anzusiedeln.

V. M. ist, ohne das Bewusstsein wiedererlangt zu haben, an den schweren Unfallverletzungen nach etwa einer Stunde verstorben.

Unter Zugrundelegung der vom Landgericht und den Antragstellern angegebenen Entscheidungen (Nr. 578 und Nr. 702 der Schmerzensgeldtabelle Hack/Ring/Böhm. 20. Auflage) wäre unter Berücksichtigung des heutigen Preisindexes ein Schmerzensgeld von 1.444,49 EUR (2.825,00 DM) bzw. 1.733,28 EUR (3.390,00 DM) als angemessen anzusehen. In diesen Fällen ist der Verletzte, ohne das Bewußtsein wiedererlangt zu haben, nach 3 1/2 bzw. 1/2 Stunden verstorben. Bei den weiteren angegebenen Entscheidungen (Nr. 842 und Nr. 920), nach welchen unter Berücksichtigung des heutigen Preisindexes ein Schmerzensgeld von 2.773,76 EUR (5.425,00 DM) bzw. 3.497,24 EUR (6.840,00 DM) anzusetzen wäre, ist zu berücksichtigen, dass in diesen Fällen der Verletzte erst nach einem Tag bzw. nach drei Tagen seinen Verletzungen erlag.

In diesem Zusammenhang können auch die Entscheidungen Nr. 866 und Nr. 920 der Tabelle herangezogen werden. In beiden Fällen wurde ein Schmerzensgeld von 2.500 EUR zugesprochen, wobei hier der Tod nach drei bzw. 4 Tagen eintrat. Zudem beruhten hier die Verletzungen auf einer vorsätzlichen Körperverletzung des Schädigers, so dass hier auch der Genugtuungsgedanke im Vordergrund stand.

b.

Das Landgericht hat zutreffend festgehalten, dass eine Erhöhung des Schmerzensgeldes wegen des Regulierungsverhaltens der Antragsgegnerin nicht in Betracht kommt.

Unter Berücksichtigung der Angaben der Antragsteller in dem Schriftsatz vom 24. Februar 2003 (Bl. 43, 44 d.A.) und nach Durchsicht des von der Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 20. März 2003 (Bl. 46 f. d.A.) eingereichten Schriftwechsels ist eine Regulierungsverschleppung durch die Antragsgegnerin nicht festzustellen.

Mit Schreiben vom 8. Dezember 2000 (Bl. 55 d.A.) haben die Antragsteller erstmals Ansprüche angemeldet, aber nicht beziffert. Entgegen der Auffassung der Antragsteller ist es auch nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin (Schreiben vom 22. Dezember 2000, Bl. 57 d.A.) vor einer Bestätigung der Eintrittspflicht dem Grunde nach den Inhalt der Ermittlungsakten (3 Ve Js 472/99 StA I bei dem Landgericht Berlin) vollständig zur Kenntnis nehmen wollte und die Antragsteller um entsprechende Veranlassung bat. Die Antragsteller kamen dieser Aufforderung nicht nach, so dass die darauf beruhende Verzögerung der Regulierung ihnen zuzurechnen ist. Erst mit Schreiben vom 13. Juni 2001 haben die Antragsteller ihre Ansprüche auch teilweise beziffert und mit Schreiben vom 27. März 2002 mitgeteilt, dass ihnen die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft auch nicht vollständig vorliege. Im übrigen ist dem bei der Akte befindlichen Schriftwechsel zu entnehmen, dass seit Mitte 2001 über die zu erstattenden Kosten und über Regulierungsangebote der Antragsgegnerin korrespondiert wurde; eine zögerliche Bearbeitung durch die Antragsgegnerin ist auch hier nicht erkennbar.

3.

Das Landgericht hat ferner rechtsfehlerfrei und ausführlich dargelegt, dass und warum hinsichtlich des von den Antragstellern geltend gemachten Schmerzensgeldes wegen eines durch den Unfalltod ihres Sohnes so genannten "Schockschadens" derzeit keine hinreichende Erfolgsaussicht besteht.

Die bisherigen Ausführungen, die sich auf die Angabe beschränken, der Antragsteller zu 1. leide unter "Schlafstörungen und Depressionen" und konsumiere zuviel Alkohol, die psychischen Beeinträchtigungen der Antragstellerin zu 2. äußerten sich in Form von Essstörungen und Weinen, lassen nicht erkennen, dass diese Symptome über diejenigen Beeinträchtigungen hinausgehen, denen nahe Angehörige bei Todesnachrichten erfahrungsgemäß ausgesetzt sind (BGHZ 56, 163 f.). Auch die von den Antragstellern eingereichten ärztlichen Atteste vom 14. April 2000 sind in dieser Hinsicht wenig aussagekräftig; hierin wird lediglich festgehalten, dass die Antragsteller weiterhin über "psychische Beeinträchtigungen" klagen und eine medikamentöse Behandlung stattfindet.

4.

Das Landgericht hat auch zu Recht das Prozesskostenhilfegesuch insgesamt zurückgewiesen, obwohl auch aus seiner Sicht die beabsichtigte Klage wegen des Schmerzensgeldes aus übergegangenem Recht in Höhe von 1.577,42 EUR Erfolg hat, da der erfolgversprechende Teil der beabsichtigten Klage unterhalb der Zuständigkeitsgrenze des Landgerichts in Höhe von 5.000 EUR liege.

Dieses entspricht der überwiegenden Auffassung, der auch der Senat folgt, vgl. z.B. Brandenburgisches Oberlandesgericht, 1. Zivilsenat, Beschluß vom 23. März 2001 - Az: 1 W 7/01 - MDR 2001, 769; OLG Saarbrücken, NJW-RR 1995, 575; OLG Hamm, MDR 1995, 1065 f.; OLG Frankfurt/Main, NJW-RR 1995, 899; OLG Köln, VersR 1999, 115, 117 m.w.N.; Zöller/ Philippi, ZPO, 24. Auflage, § 114 Rdnr. 23; Baumbach/Hartmann, ZPO, 61. Auflage, § 114 Rdnr. 105 "Zuständigkeit").

Hierfür sprechen folgende Erwägungen: Nach § 114 ZPO hat das angerufene Landgericht die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Klage vollständig, also auch unter Berücksichtigung seiner sachlichen Zuständigkeit (§§ 23, 71 GVG), zu überprüfen. Würde das Landgericht für den erfolgversprechenden Teil der beabsichtigten Klage, obwohl dessen Wert die Zuständigkeitsgrenze des Landgerichts unterschreitet, Prozesskostenhilfe bewilligen und der Antragsteller anschließend in diesem Umfang seine Klage bei dem Landgericht erheben, so müsste das Landgericht die Klage entweder als unzulässig abweisen oder den Rechtsstreit auf Antrag des Klägers an das zuständige Amtsgericht verweisen; im letzteren Falle wäre jedoch - entgegen dem Leitbild von § 127 Abs. 1 Satz 2 ZPO - Prozesskostenhilfe eben nicht durch das zuständige Prozeßgericht erster Instanz gewährt, sondern durch die Prozeßkostenhilfebewilligung des Landgerichts praktisch in die Zuständigkeit des Amtsgerichts eingegriffen worden. Außerdem würde dem Antragsgegner in solchen Fällen unnötig die kostenauslösende Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts (§ 78 Abs. 1 ZPO) aufgezwungen (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht a.a.O.).

Demgegenüber wird teilweise die Auffassung vertreten, dass das Landgericht auch dann, wenn es die Erfolgsaussicht lediglich für einen Teil der Klage bejaht, dessen Streitwert die landgerichtliche Zuständigkeit nicht erreicht, Prozesskostenhilfe zu bewilligen hat (Kammergericht, Beschluss vom 3. Mai 1996 - 9 W 2830/96 -, KGReport 1996, 192; OLG Dresden, MDR 1995, 202; OLG Schleswig, NJW-RR 1999, 1667). Die von der herrschenden Auffassung praktizierte Verfahrensweise führe vor allem zu unpraktischen Aufspaltungen der Zuständigkeit: Für die Zuständigkeit über die bereits erhobene Klage bleibe das Landgericht selbst dann zuständig, wenn diese in dem Umfang, in dem das Landgericht eine hinreichende Aussicht auf Erfolg verneint habe, zurückgenommen und dadurch der Streitwert i. S. d. § 23 Nr. 1 GVG nicht mehr überschritten werde (§ 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO), während für die Entscheidung über das Prozesskostenhilfegesuch das Amtsgericht zuständig sei. Auch müsse in den zuletzt genannten Fällen zunächst das Landgericht die Erfolgsausicht der beabsichtigten Klage prüfen und sodann das Amtsgericht noch einmal, so dass mit dem Prozesskostenhilfeverfahren zwei Gerichte befasst würden.

Auch unter Berücksichtigung dieser Argumentation hält der Senat die von der herrschenden Auffassung angeführten Erwägungen jedoch für gewichtiger.

III.

Aus den obigen Ausführungen ergibt sich, dass die Beurteilung dieser Streitfrage für die Entscheidung über die vorliegende sofortige Beschwerde entscheidungserheblich ist.

In Anbetracht der unterschiedlichen Rechtsprechung der Oberlandesgerichte zu dieser sich in der gerichtlichen Praxis nicht selten stellenden Frage, hält der Senat im Hinblick auf eine einheitliche Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs für erforderlich, so dass nach § 574 Abs. 2 Nr. 1 und 2 ZPO i.V.m. Abs. 2, 3 der Vorschrift die Rechtsbeschwerde zuzulassen war.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet, § 127 Abs. 4 ZPO.

Ende der Entscheidung

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