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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 05.09.2001
Aktenzeichen: 24 W 7632/00
Rechtsgebiete: WEG, ZPO


Vorschriften:

WEG § 4
WEG § 5
WEG § 21 III
WEG § 43 IV Nr. 1
ZPO § 81
1. Die von der Eigentümergemeinschaft erteilte Verfahrensvollmacht des WEG-Verwalters und des von ihm bevollmächtigten Rechtsanwalts in einem Schadensersatzverfahren gegen einen einzelnen Wohnungseigentümer umfasst nicht die Änderung der Teilungserklärung im Vergleichswege (hier: Umwandlung von Teileigentum in Wohnungseigentum nach §§ 4, 5 WEG). Ein insoweit "unter Widerruf" geschlossener Vergleich ist schwebend unwirksam und bedarf zu seinem Wirksamwerden der Zustimmung aller Wohnungseigentümer.

2. Auch ein bestandskräftiger Mehrheitsbeschluss, mit dem der vollmachtlose Vergleichsschluss über die Änderung der Teilungserklärung genehmigt wird, ersetzt nicht die Zustimmung aller Wohnungseigentümer.

3. Wird m einem von dem Verwalter bzw. Rechtsanwalt geschlossenen Widerrufsvergieich vor dem WEG-Gericht der Widerruf "allen Beteiligten" vorbehalten, so ist im Zweifel jeder Wohnungseigentümer "Beteiligter" und auch allein zum Widerruf berechtigt.


KAMMERGERICHT Beschluß

Geschäftsnummer: 24 W 7632/00

In dem Wohnungseigentumsverfahren

betreffend die Wohnanlage

hat der 24 Zivilsenat des Kammergerichts auf die sofortige weitere Beschwerde der Beteiligten zu I. 6. (G. S.) gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 29 August 2000 - 85 T 230/98 - durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Dr. Briesemeister die, Richterin am Kammergericht Kingreen und den Richter am Kammergericht B-D Kuhnke in der Sitzung vom 5. September 2001 beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben, das Verfahren ist in zweiter Instanz fortzusetzen.

Der Geschäftswert des vorliegenden Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 30 000 00 DM festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragsteller und die Antragsgegnerin sind die Wohnungseigentümer der Wohnanlage. Der im Dachgeschoss gelegenen, in der Teilungserklärung als Atelier bezeichneten Einheit Nr. 9 der Antragsgegnerin ist eine Dachterrasse vorgelagert. Darunter befindet sich die Wohnung Nr. 8 der Beteiligten zu I. 6.. Nachdem es schon 1989 zu Durchfeuchtungsschäden in der Wohnung der Beteiligten zu I. 6. gekommen war, ließ die Gemeinschaft Anfang des Jahres 1990 durch die Firma Sanierungsarbeiten an der Terrasse durchführen, unter anderem wurde der Zementestrich aufgenommen und die Terrassenabdichtung mit einer weiteren Dichtungsbahn überklebt. Ab September 1990 ließ die Antragsgegnerin ihre Einheit umbauen. Dabei wurde im November/Dezember 1990 ein neues Atelierfenster eingebaut. Danach kam es zu weiteren Feuchtigkeitsschaden in der Wohnung der Beteiligten zu I. 6.. Daraufhin ließ die Gemeinschaft die Dachterrasse 1994/95 erneut sanieren und auch Arbeiten m der Wohnung der Beteiligten zu I. 6., die auf Kosten der Gemeinschaft zeitweilig anderweitig untergebracht wurde, durchführen. Insgesamt hat die Gemeinschaft nach ihren Angaben insoweit 119.258,54 DM aufgewendet. Diesen Betrag haben die Antragsteller von der Antragsgegnerin verlangt, weil sie die Schadensursache in den von der Antragsgegnerin veranlassten Baumaßnahmen sehen. Das Amtsgericht hat den Zahlungsantrag zurückgewiesen, weil es nach einem Sachverständigengutachten die Schadensursache m der mangelhaften früheren Abdichtung erblickt hat. In dem Erstbeschwerdeverfahren waren die Wohnungseigentümer einschließlich der Beteiligten zu I. 6., aber ausschließlich der Antragsgegnerin durch ihre Verwalterin vertreten, die wiederum Rechtsanwälte als Verfahrensbevollmächtigte bestellt hat. Nach umfangreicher Verhandlung und Beweisaufnahme am 29 Februar 2000 schlössen sämtliche Beteiligten folgenden Vergleich.

1. Die Antragsgegnerin zahlt an die Antragsteller zugunsten der gemeinschaftlichen Instandhaltungsrücklage den Betrag von 10.000,- DM. Die Antragsgegnerin verzichtet darauf, den von ihr für die Baumaßnahmen bereits gezahlten Anteil zurückzuverlangen. Sie verzichtet ferner auf Schadenersatzansprüche, die ihr im Zuge der Baumaßnahmen der Gemeinschaft an der Terrasse bzw. durch die vorangegangene Abdichtung der Terrasse entstanden sein können. Die Antragsteller nehmen diesen Verzicht ausdrücklich an.

2. Mit der Zahlung des vorgenannten Betrages ist die streitgegenständliche Forderung der Antragsteller ausgeglichen. Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass den Antragstellern gegen die Antragsgegnerin im Zusammenhang mit dem Einbau des Atelierfensters keine weiteren Forderungen zustehen.

3. Alle Beteiligten sind sich darüber einig, dass das Teileigentum von Bl. Grundbuch von in Wohnungseigentum umgewandelt wird. Sie bewilligen und beantragen die entsprechende Eintragung im Grundbuch. Etwaige Kosten der Grundbucheintragung tragt die Antragsgegnerin. Diese übernimmt es auch, die Zustimmungen der m Betracht kommenden Grundpfandrechtsgläubiger auf ihre Kosten einzuholen. Schuldrechtlich verpflichten sich die Antragsteller schon jetzt, der Antragsgegnerin und ihren Rechtsnachfolgern die Nutzung des vorgenannten Teileigentums als Wohnung zu gestatten. Die Antragsteller verpflichten sich ferner, diese Pflicht auch ihren Rechtsnachfolgern aufzuerlegen.

4. Für den Fall, dass das Grundbuchamt die Bewilligung der Beteiligten beanstandet verpflichten sich die Beteiligten, an einer Änderung der Teilungserklärung dergestalt dass das Teileigentum der Einheit Nr. 9 in Wohnungseigentum umgewandelt wird auf Kosten der Antragsgegnerin mitzuwirken.

5. Die Gerichtskosten beider Instanzen übernimmt zu 1/12 die Antragsgegnerin zu 11/12 werden die Gerichtskosten von den Antragstellern als Gesamtschuldnern übernommen. Seine außergerichtlichen Kosten trägt jeder Beteiligte selbst.

6. Alle Beteiligten behalten sich den Widerruf dieses Vergleichs durch schriftliche Anzeige bei Gericht bis zum 14 April 2000 vor.

Innerhalb der Widerrufsfrist beschlossen die Wohnungseigentümer in der Versammlung am 11. April 2000 zu TOP 7 mehrheitlich, aber gegen die Stimme der Beteiligten zu I. 6. die Zustimmung zu dem am 29. Februar 2000 geschlossenen gerichtlichen Vergleich. Die Beteiligte zu I. 6. beauftragte zudem einen eigenen Verfahrensbevollmächtigten der am 14. April 2000 den Widerruf des Vergleichs bei Gericht erklärte. Mit Beschluss vom 29. August 2000 hat das Landgericht festgestellt, dass das Verfahren durch den gerichtlichen Vergleich vom 29. Februar 2000 beendet worden sei, weil die Beteiligte zu I. 6. nicht ohne Ermächtigung der Gemeinschaft habe widerrufen dürfen und diese sogar dem Vergleich mit bestandskräftigem Mehrheitsbeschluss zugestimmt habe. Die sofortige weitere Beschwerde der Beteiligten zu I. 6. hat Erfolg.

II.

Die sofortige weitere Beschwerde der Beteiligten zu I. 6. ist gemäß §§ 27, 29 FGG 45 WEG zulässig. Das Rechtsmittel ist auch in der Sache gerechtfertigt. Die vom Landgericht getroffene Feststellung hinsichtlich der Verfahrensbeendigung ist nicht rechtsfehlerfrei (§ 27 Abs. 1 FGG).

1. Rechtlich bedenklich ist schon der Ausgangspunkt des Landgerichts dass am 29. Februar 2000 überhaupt ein wirksamer Widerrufsvergleich geschlossen worden ist. Bei dem anhängigen gerichtlichen Verfahren geht es um Schadensersatzansprüche der Gemeinschaft gegen eine einzelne Wohnungseigentümerin. Hierbei handelt es sich allerdings um Angelegenheiten die einer mehrheitlichen Regelung durch die Eigentümergemeinschaft sei es vor Gericht oder außerhalb unterliegen. Demzufolge kann ohne Weiteres auch angenommen werden, dass die Wohnungseigentumsverwalterin und die von ihr beauftragten Rechtsanwälte zur Verfahrensvertretung befugt sind, wobei eine Prozessvollmacht in entsprechender Anwendung des § 81 ZPO auch die Vergleichsvollmacht enthält, wenn diese nicht ausdrücklich ausgeschlossen ist (§ 83 ZPO). Der mit dem Ziel der Verfahrensbeendigung geschlossene Vergleich vom 29. Februar 2000 enthält aber nicht nur eine vergleichsweise Regelung der Zahlungsansprüche, sondern in seinen Nr. 3 und 4 auch eine Einigung darüber, dass das Teileigentum der Antragsgegnerin in Wohnungseigentum umgewandelt wird, die entsprechende Eintragung im Grundbuch bewilligt und beantragt wird, hilfsweise eine schuld-rechtliche Verpflichtung zur Vornahme dieser Erklärungen festgelegt wird. Diese wesentlichen Bestandteile des gerichtlichen Vergleichs stellen keine Angelegenheiten dar, über die die Gemeinschaft mit Mehrheit befinden darf. Es handelt sich nicht einmal um Angelegenheiten die einer Vereinbarung nach § 10 WEG zugänglich waren und mit dinglicher Wirkung zum Gegenstand des Sondereigentums gemacht werden können, sondern es geht um das sachenrechtliche Grundverhältnis gemäß den §§ 4 und 5 WEG , das nur unter Mitwirkung sämtlicher Wohnungseigentümer rechtswirksam geändert werden kann (vgl. BGHZ 130 159 = NJW1995 2851). Nach den gesamten Umständen kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Verwalterin zur Abgabe derartiger Erklärungen ermächtigt war, erst recht gilt dies für den von ihr bestellten Verfahrensbevollmächtigten. Da nicht festgestellt werden kann dass die Vergleichspunkte Nr. 3 und 4 unwesentlich waren, schlägt die Teilunwirksamkeit auch auf die Vergleichspunkte Nr. 1 und 2 durch. Damit kam es für die Wirksamkeit des gerichtlichen Vergleichs nicht darauf an, ob er widerrufen wird oder nicht, sondern es war umgekehrt die Genehmigung aller Wohnungseigentümer zu dem von der Verwalterin und dem Verfahrensbevollmachtigten vollmachtlos geschlossenen Vergleich nötig gewesen. Es bedarf keiner Entscheidung ob bei allstimmiger Zustimmung zu TOP 7 in der Eigentümerversammlung vom 11. April 2000 die formlose Zustimmung zu dem gerichtlichen Vergleich wirksam gewesen wäre. Denn die Beteiligte zu I. 6. hat bei der Abstimmung am 11. April 2000, wie sich aus dem Versammlungsprotokoll ergibt, ihre Zustimmung ausdrücklich verweigert.

2. Eine andere rechtliche Beurteilung ist nicht deshalb geboten weil, der Eigentümerbeschluss vom 11 April 2000 zu TOP 7 mangels Anfechtung bestandskräftig geworden ist. Gemäß der - allerdings erst nach dem angefochtenen Beschluss des Landgerichts ergangenen - Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 20. September 2000 (NJW 2000 3500 = ZMR 2000, 271 = NZM 2000, 1184) ist ein trotz absoluter Beschlussunzuständigkeit der Wohnungseigentümergemeinschaft gefasster Beschluss auch ohne Anfechtung nichtig. Auch die Bestandskraft eines Mehrheitsbeschlusses in Angelegenheiten die das sachenrechthche Grundverhältnis der Wohnungseigentümer betreffen, ersetzt nicht die erforderliche allstimmige Genehmigung.

3. Unabhängig von den vorstehenden Rechtsgründen wäre der innerhalb der Widerrufsfrist erklärte Widerruf des Vergleichs durch die Beteiligte zu I. 6. wirksam. Auch ein vor Gericht geschlossener Vergleich stellt ein Rechtsgeschäft und eine Prozesshandlung der Parteien bzw. Beteiligten dar. Die Beteiligten können deshalb auch bindend festlegen, unter welchen Voraussetzungen ein Widerruf des Vergleichs erklärt werden kann mit der Wirkung, dass der gesamte Vergleich hinfällig wird. Nach dem protokollierten Inhalt des gerichtlichen Vergleichs vom 29. Februar 2000 war der Widerruf dieses Vergleichs ausdrücklich "allen Beteiligten" vorbehalten. Sowohl die Verwalterin wie auch der von ihr betraute Verfahrensbevollmächtigte haben den Vergleich nicht in eigenem Namen geschlossen, sondern für die Beteiligten zu 11 bis 9. Wenn der Widerruf "allen Beteiligten" vorbehalten war, durften von ihm auch alle Beteiligten Gebrauch machen und zwar je für sich. Da die Beteiligte zu I. 6. zu dem Kreis der Wohnungseigentümer gehört, war ihr also auch der Widerruf vorbehalten den sie fristgerecht ausgeübt hat.

Aus den vorstehenden Rechtsgründen ist der angefochtene Beschluss ersatzlos aufzuheben. Das gerichtliche Verfahren ist in zweiter Instanz fortzusetzen.

Ende der Entscheidung

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