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Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 08.02.2006
Aktenzeichen: 25 UF 74/05
Rechtsgebiete: BGB
Vorschriften:
BGB § 1630 Abs. 3 |
Tenor:
1. Auf die Beschwerde der Pflegemutter wird der Beschluss des Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg (Familiengericht) vom 10. August 2005 - Geschäftsnummer 125 F 5616/04 - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Der Pflegemutter wird das Personensorgerecht für die am 9. November 1995 geborene Stefanie Schmidt übertragen.
2. Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten findet nicht statt.
3. Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.000 Euro festgesetzt.
Gründe:
I. S.... S... ist am ...... 1995 außerhalb bestehender Ehe der Kindesmutter geboren.
Sie lebt seit 1998 in Dauerpflege bei ihrer Pflegemutter, Frau K.. .
Unter dem 2. April 2004 beantragte die Pflegemutter "das Personensorgerecht für S...." bei dem Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg. Sie legte dar, dass die Kindesmutter im Jahre 2002 nach Bayern verzogen sei. Die Pflegemutter legte eine Erklärung der Kindesmutter vor (Bl. 3 d.A.), in der es hieß: "Hiermit möchte ich ... an Frau B... K.. das Sorgerecht abgeben."
Der Verfahrensbevollmächtigte der Mutter teilte mit Schriftsatz vom 18. Oktober 2004 mit, dass die Kindesmutter der Übertragung der elterlichen Sorge auf die Pflegemutter zustimme. Eine Erklärung der Mutter war dem Schriftsatz beigefügt (Bl. 20 7 21 d.A.).
In einem Bericht des weiteren Beteiligten vom 12. Mai 2005 (Bl. 32 d.A.) wurde für das Mitwirken eines Vormundes plädiert. Frau K.. nehme ihre Aufgabe als Pflegemutter sehr ernst, versuche, sie gewissenhaft zu erfüllen. In manchen Bereichen zeige sie noch Unsicherheiten. In einem Bericht des Pflegekinderdienstes der Caritas vom 11. Februar 2005 hieß es, dass die Übertragung des Sorgerechtes auf die Pflegemutter nicht so günstig sei. Für S.... sei bei einer Amtsvormundschaft die zweite außerhalb des Pflegeverhältnisses verantwortliche Person dann greifbar (Bl. 34 d.A.).
Das Amtsgericht hat die Pflegemutter am 26. Juli 2005 angehört. Die Kindesmutter ist zu diesem Termin nicht erschienen. Es wird auf Bl. 36 d.A. verwiesen.
Wegen des weiteren Verlaufs des amtsgerichtlichen Verfahrens wird auf die Verfahrensakten verwiesen.
Das Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg hat durch Beschluss vom 10. August 2005 der Pflegemutter die Gesundheitssorge und die Sorge in schulischen Angelegenheiten übertragen. Es hat den Antrag im Übrigen zurückgewiesen. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 37 - 39 d.A. verwiesen.
Der Beschluss ist der Pflegemutter am 26. August 2005 zugestellt worden. Sie hat dagegen mit am 13. September 2005 bei dem Kammergericht eingegangenem Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten Beschwerde eingelegt, die zugleich begründet worden ist.
Die Pflegemutter verfolgt ihr erstinstanzliches Begehren weiter.
Die Kindesmutter hat mit Schriftsatz ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 14. November 2005 eine Entbindung der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen beantragt. Im Schriftsatz ist ausgeführt worden, dass die Kindesmutter bereits ihr Einverständnis mit der Übertragung der elterlichen Sorge auf die Pflegemutter erklärt habe, aber auch gegen die gerichtliche Regelung keine Bedenken vorbringen könne.
Die Kindesmutter ist von der Pflicht des persönlichen Erscheinens entbunden worden.
Der Senat hat am 8. Februar 2006 S.... S..., die Pflegemutter und deren Verfahrensbevollmächtigte angehört. Für die Kindesmutter ist niemand erschienen (Bl. 76 d.A.).
Hinsichtlich des weiteren Verfahrensverlaufs in der zweiten Instanz wird auf die Sachakten verwiesen.
II. Die Beschwerde ist gemäß § 621 e Abs. 1 ZPO i.v.m. § 621 Abs. 1 Nr. 1 ZPO form- und fristgerecht eingelegt worden, mithin zulässig. Sie hat in der Sache Erfolg.
Nach Auffassung des Senats ist es gerechtfertigt, der Pflegemutter das Personensorgerecht für S.... S... in Gänze zu übertragen.
Der Senat folgt zunächst der zutreffenden Ansicht des Amtsgerichts, dass vorliegend kein Sorgerechtsentzug nach §§ 1666, 1666 a BGB verfahrensgegenständlich ist. Auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Beschluss wird verwiesen. Die Voraussetzungen für die Anordnung einer Vormundschaft (§§ 1773 ff. BGB) liegen damit nicht vor.
Die Übertragung des Personensorgerechts auf die Pflegemutter folgt aus § 1630 Abs. 3 Satz 1 und 2 BGB.
Nach dieser Regelung kann das Familiengericht, wenn Eltern ein Kind für längere Zeit in Familienpflege geben, auf Antrag der Eltern oder der Pflegeperson Angelegenheiten der elterlichen Sorge auf die Pflegeperson übertragen. Für die Übertragung auf Antrag der Pflegeperson ist die Zustimmung der Eltern erforderlich.
Die Pflegemutter hat einen entsprechenden Antrag gestellt. S.... ist seit längerer Zeit, nämlich seit 1998, in Familienpflege. Die Zustimmung der Kindesmutter liegt vor. Sie ist mit Schreiben vom 14. April 2003 und 14. Oktober 2004 erteilt worden. Die Kindesmutter ist nach den Ermittlungen des Senats insbesondere auch nach den entsprechenden Angaben der Pflegemutter, allein sorgeberechtigt, so dass ihre Zustimmung ausreichend ist (vgl. OLG Braunschweig FamRZ 2002, 118).
Entgegen der vom Amtsgericht vertretenen Ansicht waren nicht nur die Angelegenheiten der Gesundheitssorge und die schulischen Angelegenheiten auf die Pflegemutter zu übertragen. Im Rahmen des § 1630 Abs. 3 BGB kann das Sorgerecht insgesamt übertragen werden (vgl. Baer, FamRZ 1982, 229). Hier liegen die Voraussetzungen für eine Übertragung des gesamten Personensorgerechts vor.
Die Regelung in § 1630 Abs. 3 BGB bezweckt, dass ein Kind, das sich auf Wunsch des Erziehungsberechtigten in Familienpflege befindet, von der Pflegeperson ordnungsgemäß betreut werden kann (BT-Drucks. 8/2788, S. 47). Auf diese Weise kann besonderen Bedürfnissen der Betreuung des Kindes Rechnung getragen werden, während für die Angelegenheiten des täglichen Lebens bereits eine Vertretung nach § 1688 Abs. 1 BGB gewährleistet ist (Diederichsen, in: Palandt, BGB, 65 Aufl., 2006, § 1630 Rn. 15).
Zur Frage, nach welchen Maßstäben Angelegenheiten der elterlichen Sorge übertragen werden können, werden divergierende Ansichten vertreten. Nach einer Meinung ist die Übertragung nur zulässig, soweit dies für das Kindeswohl erforderlich ist (vgl. Strätz, in: Soergel, BGB, 12. Aufl., § 1630 Rn. 9). Dem scheint das Amtsgericht zuzuneigen, wenn es ausführt, dass die Pflegemutter eine "Vorratsentscheidung" begehre. Nach anderer Auffassung sind der Normzweck der ordnunggemäßen Kindesbetreuung und das Kindeswohl (§1697 a BGB) maßgeblich (vgl. Huber, in: Münchener Kommentar, BGB, 4. Auflage, § 1630 Rn. 25 m.w.N.). Der Senat tendiert zur zweiten ansicht. Sie ist gerechtfertigt, weil § 1630 Abs. 3 BGB zum einen keinen dem § 1628 Abs. 1 BGB vergleichbaren Erheblichkeitsvorbehalt enthält (vgl. ders., ebd.). Zum anderen fehlt eine dem § 1666 Abs. 1 letzter Halbsatz BGB entsprechende Normierung.
Selbst wenn man der ersten Auffassung beitreten wollte, ist hier ein Erfordernis der Übertragung der Personensorge in Gänze zu bejahen.
Durch die vom Amtsgericht vorgenommene Übertragung von Teilbereichen der elterlichen Sorge wird eine umfassende Betreuung des Kindes nicht ermöglicht. Diese ist nur gewährleistet, wenn die Pflegemutter alle Fragen, die die Personensorge betreffen, regeln kann. Das betrifft z.B. auch den Aufenthalt des Kindes - und zwar nicht nur, wenn die Frage anstehen sollte, welche Wohnform für Stefanie geeignet ist. Nach Ansicht des Senats ist zu berücksichtigen, dass die Kindesmutter ihr Einverständnis mit einer Übertragung des Sorgerechts insgesamt erklärt hat. Eine lediglich teilweise Übertragung von Angelegenheiten der elterlichen Sorge würde bedingen, dass die Pflegemutter bei einem konkreten Handlungsbedarf in Angelegenheiten, hinsichtlich derer ihr das Sorgerecht nicht übertragen worden ist, die Zustimmung der Mutter bräuchte. Die Pflegemutter hat vor dem Senat bekundet, dass die Kontaktaufnahme mit der Mutter in der Vergangenheit nicht einfach gewesen sei. Folglich ist nicht auszuschließen, dass bei einem konkreten Regelungsbedarf sogar weitere gerichtliche Verfahren erforderlich würden, wenn nur Teilbereiche der elterlichen Sorge übertragen werden Dies entspräche nicht dem Zweck der Regelung in § 1630 Abs. 3 BGB.
Die Übertragung der Personensorge auf die Pflegemutter entspricht dem Wohl von S.... am besten (§ 1697 a BGB).
Die Pflegemutter ist geeignet, die elterliche Sorge auszuüben. Dass sie sich bei Fragestellungen an das Jugendamt gewandt hat, spricht nicht gegen ihre Eignung. Nach dem Eindruck, den der Senat bei der Anhörung der Pflegemutter und des Kindes gewonnen hat, besteht zwischen beiden ein liebe- und vertrauensvolles Verhältnis. S.... hat selbst sinngemäß bekundet, dass ihre Pflegemutter alles regeln solle - z.B. "die Taufe".
Von der persönlichen mündlichen Anhörung der Mutter hat der Senat abgesehen, nachdem sie um Entbindung von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen gebeten hat, § 50 a Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 FGG (vgl. Engelhardt, in: Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, § 50 a Rn. 23).
Eine Erstattungsanordnung hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten hat der Senat nicht getroffen, weil dies nicht der Billigkeit entsprochen hätte, § 13 a Abs. 1 Satz 1 FGG.
Die Wertfestsetzung ergibt sich aus §§ 131 Abs. 2, 30 Abs. 2 und 3 KostO. Eine Abweichung vom Regelwert war angesichts des eingeschränkten Verfahrensgegenstandes (Personensorge) gerechtfertigt.
Angesichts der hier getroffenen Einzelfallentscheidung war die Rechtsbeschwerde nicht zuzulassen (§ 621 e Abs. 2 i.V.m. § 543 Abs. 2 ZPO entsprechend).
Ende der Entscheidung
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