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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 21.02.2007
Aktenzeichen: 26 SCH 1/06 KapMuG
Rechtsgebiete: KapMuG, ZPO


Vorschriften:

KapMuG § 1 Abs. 1
KapMuG § 1 Abs. 3 Nr. 1
ZPO § 538
ZPO § 538 Abs. 2
ZPO § 567 Abs. 1 Nr. 2
ZPO § 569 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 26 SCH 1/06 KapMuG

In dem Rechtsstreit

hat der 26. Zivilsenat des Kammergerichts durch die Richter am Kammergericht von Gélieu und Crass und die Richterin am Kammergericht Sternagel am 21. Februar 2007 beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Kläger gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 8. Februar 2006 - 11 O 64/05 - wird auf ihre Kosten bei einem Beschwerdewert von 3.000,00 EUR zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

I.

Die Kläger machen gegen die Beklagten Ansprüche aus Prospekthaftung, Verletzung von Beratungspflichten u.ä. im Zusammenhang mit dem Beitritt zum geschlossenen Immobilienfonds "Tnnn Innnnn und Vnnnnn Gnn &nnnnnnnnnnn " geltend.

Die Kläger haben mit Schriftsatz vom 15. November 2005 einen Musterfeststellungsantrag gemäß § 1 Abs. 1 KapMuG gestellt. Hinsichtlich der Feststellungsziele wird auf diesen Schriftsatz (Band V, Bl. 1 ff d.A.) Bezug genommen. Gemäß dem angefochtenen Beschluss hat das Landgericht den Antrag als unzulässig zurückgewiesen, da der Rechtsstreit entscheidungsreif sei (§ 1 Abs. 3 Nr. 1 KapMuG), wie sich aus dem am selben Tag verkündeten Urteil ergebe.

Das Urteil und eine Ausfertigung des Beschlusses sind den Klägern am 15. Februar 2006 zugestellt worden. Gegen diesen Beschluss wenden sie sich mit der sofortigen Beschwerde, die am 24. Februar 2006 eingegangen ist und der das Landgericht nicht abgeholfen hat.

II.

Die sofortige Beschwerde ist statthaft, § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO, sie ist auch rechtzeitig innerhalb der zweiwöchigen Frist des § 569 Abs. 1 ZPO eingelegt worden. Die sofortige Beschwerde kann jedoch keinen Erfolg haben. Nachdem das Landgericht am 8. Februar 2006 ein Endurteil verkündet hat und damit das Verfahren für die erste Instanz abgeschlossen ist, kann ein Musterfeststellungsverfahren nicht mehr durchgeführt werden, weil dieses nur im erstinstanzlichen Verfahren statthaft ist (Vorwerk in Vorwerk/Wolf, KapMuG § 1 Rn 56). Das Beschwerdegericht hat dabei nicht zu prüfen, ob das Landgericht zu Recht eine Entscheidungsreife des Rechtsstreits angenommen hat, denn eine Aufhebung und Zurückverweisung kommt in diesem Verfahrensstadium nicht mehr in Betracht, da die Hauptsache bereits beim Berufungsgericht anhängig ist. Die gegenteilige Auffassung würde dazu führen, dass das Beschwerdegericht in der Sache prüft, ob das Landgericht die Entscheidungsreife - unter Zugrundelegung von dessen Rechtsansicht (Vorwerk in Vorwerk/Wolf, KapMuG § 1 Rn 52) - zutreffend bejaht hat. Käme es dabei zu dem Ergebnis, dass keine Entscheidungsreife vorlag, so müsste es den Beschluss des Landgerichts über die Zurückweisung des Musterfeststellungsantrages aufheben und das Landgericht anweisen, den Antrag neu zu bescheiden. Das Landgericht müsste dann einen Musterfeststellungsbeschluss in einem Verfahren erlassen, dessen Hauptsache bei ihm gar nicht mehr anhängig ist. Solches sieht aber das Gesetz nicht vor. Es wird nicht übersehen, dass es auch gegenteilige Stimmen in der Literatur gibt (Reuschle S. 31 Fu 41; Gundermann/Härle VuR 2007, 457/459), die jedoch weniger überzeugen.

Es ist auch nicht, oder jedenfalls nur in Einzelfällen, möglich, die Hauptsache an das Landgericht zurückzuverweisen, denn dies würde voraussetzen, dass die Voraussetzungen des § 538 Abs. 2 ZPO vorliegen. Dies ist aber zum Beispiel immer dann nicht der Fall, wenn es nur um die Entscheidung von Rechtsfragen geht. Für eine solche Konstellation sieht die ZPO eine Zurückverweisungsmöglichkeit nicht vor. Auch in vielen anderen Fällen wird eine Zurückverweisung nicht in Betracht kommen, wenn jeweils die Voraussetzungen von § 538 Abs. 2 ZPO nicht vollständig erfüllt sind. Die Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde gegen die Zurückweisung des KapMuG-Antrages kann aber nicht davon abhängen, ob in dem jeweils streitigen Fall - mehr oder weniger zufällig - auch die Voraussetzungen des § 538 Abs. 2 ZPO vorliegen. Einen besonderen Zurückverweisungsgrund hat der Gesetzgeber im Rahmen des Erlasses des KapMuG in den § 538 ZPO nicht eingeführt, so dass mangels Zurückverweisungsmöglichkeit der Hauptsache es dabei verbleibt, dass das Landgericht einen Musterfeststellungsbeschluss in einer Sache erlassen müsste, die bei ihm nicht mehr anhängig ist. Dies ist aber vom Gesetzgeber ersichtlich nicht gewollt.

Der Senat sieht auch keinen Anlass für eine analoge Anwendung von § 538 ZPO für die vorliegende Fallkonstellation, um dem Rechtsschutzbedürfnis des Klägers Genüge zu tun. Denn der Rechtsstreit zwischen den hiesigen Parteien wird im Berufungsverfahren umfassend geprüft. Alle entscheidungserheblichen Tatsachen- und Rechtsfragen werden in diesem Verfahren geklärt. Das Rechtsschutzbedürfnis für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens fehlt hier ebenso wie in den Fällen, in denen das Landgericht ein Ablehnungsgesuch betreffend einen erstinstanzlichen Richter zurückweist und gleichzeitig ein die Instanz abschließendes Urteil ergeht. Wenn gegen dieses Urteil ein Rechtsmittel gegeben ist, ist der Ablehnungsgrund - aus Gründen der Prozessökonomie - in der Berufungsinstanz als Verfahrensfehler geltend zu machen, während die parallel geführte Beschwerde unzulässig ist (BGH Beschluss vom 18.10.2006 - XII ZB 244/05 im Anschluss an KG, Beschluss vom 5.11.2004 - 15 W 105/04 = MDR 2005, 890 jeweils mit weiteren Nachweisen).

Dagegen kann auch nicht eingewendet werden, dass der Sinn des KapMuG-Verfahrens, durch eine Interessenbündelung in einem einheitlichen Verfahren für eine Vielzahl gleich gelagerter Schadensfälle eine einheitliche Lösung auf prozessökonomischem Wege zu erzielen, nicht erreicht werde, weil die Rechtskraft der Entscheidung nur zwischen den Parteien des konkreten Verfahrens und nicht für eine Vielzahl anderer Anleger gilt. Denn - wie sich aus der Regelung des § 1 Abs. 3 Nr. 1 KapMuG ergibt - schränkt das Gesetz den von ihm angestrebten Rechtsschutz selbst dadurch ein, dass es einen Musterfeststellungsantrag dann für unzulässig hält, wenn der zu Grunde liegende Rechtsstreit entscheidungsreif ist. Dem zügigen Abschluss eines einzelnen Verfahrens wird danach der Vorrang eingeräumt vor dem Bedürfnis für eine Vielzahl von Anlegern eine verbindliche Entscheidung über bestimmte Feststellungsziele zu erreichen. Auch wenn im Regierungsentwurf unter "Effektiver Rechtsschutz" (bei Reuschle Seite 79 f) die hohen Rechtsverfolgungskosten genannt werden, aufgrund derer die Gefahr bestehe, dass der einzelne Anspruch nicht durchgesetzt werden könne oder in keinem wirtschaftlichen Verhältnis zum Aufwand stehe und für die einzelnen Anleger deshalb der Anreiz bestehe, sich dem Musterverfahren durch Klageerhebung anzuschließen, spricht dies nicht gegen eine Unzulässigkeit der Beschwerde im vorliegenden Fall. Denn diese Argumentation zielt ausschließlich auf die Interessen der anderen Anleger, die sich dem Musterfeststellungsverfahren anschließen könnten, nicht aber auf das Verhältnis der Parteien des hiesigen Rechtsstreits. Denn hier sind die Rechtsverfolgungskosten bei dem Kläger, der den Rechtsstreit durch die I. Instanz geführt und in die II. Instanz gebracht hat, bereits entstanden.

Die sofortige Beschwerde war nach alledem zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Rechtsbeschwerde war gemäß § 574 Abs. 2 ZPO zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.

Ende der Entscheidung

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