Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 08.02.2006
Aktenzeichen: 3 UF 19/05
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 540 Abs. 1 Nr. 1
Der Widerspruch des Ehegatten gegen die Scheidung (Art. 166 Abs. 3 Satz 2 türk. ZGB) ist nur dann missbräuchlich, wenn sich aus widersprüchlichem Verhalten des Antragsgegners ergibt, dass er die Wiederherstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft nicht erstrebt, da ihm entweder seinerseits die positive Einstellung zu ehelichen und familiären Verpflichtungen verloren gegangen ist oder er eine anderweitige Beziehung eingegangen ist.
Kammergericht Im Namen des Volkes

Geschäftsnummer: 3 UF 19/05

In der Familiensache

hat der 3. Zivilsenat des Kammergerichts - Senat für Familiensachen - auf die mündliche Verhandlung vom 8. Februar 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Becker, die Richterin am Kammergericht Haas und den Richter am Kammergericht Nielsen für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Antragsgegners wird das am 13. Januar 2005 verkündete Urteil des Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg geändert:

Der Scheidungsantrag der Antragstellerin wird abgewiesen.

Die Antragstellerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I. Gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO wird zunächst auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit folgenden Ergänzungen Bezug genommen.

Die Parteien sind Cousin und Cousine 1. Grades, ihre Mütter sind Schwestern. Unstreitig ist, dass die Antragstellerin während des Bestehens der ehelichen Gemeinschaft wiederholt ihre Unzufriedenheit damit äußerte, dass die Parteien keine eigene Wohnung hatten; ebenso unstreitig ist, dass die Antragstellerin, als sie eine eigene Wohnung nahm, zunächst die Möglichkeit des Zusammenlebens in dieser Wohnung offenließ, hierzu jedoch nicht mehr bereit war, da die Ehe, wie sie in ihrer persönlichen Anhörung vor dem Senat bekundete, für sie zu Ende war, als sie sich zum Auszug entschlossen hatte. Unstreitig führt die Antragstellerin eine außereheliche Beziehung mit Herrn Cnnn Cn .

Die Antragstellerin hat ihren Scheidungsantrag in ihrer Berufungserwiderung weiter darauf gestützt, dass es sich um eine sogenannte Zwangsheirat handele, keine Liebesheirat; der Antragsgegner habe mehrere Male, vor allem zu Beginn des Einzugs bei seinen Eltern versprochen, sich nach einer eigenen Wohnung umzusehen, dies aber unterlassen, obgleich Geldnöte dem nicht entgegengestanden hätten. Da das Verschulden des Antragsgegners an der Zerrüttung überwiege, stehe ihm kein Widerspruchsrecht zu; jedenfalls sei dies rechtsmissbräuchlich, da es ihm nicht um die Wiederherstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft gehe, sondern um die Wiederherstellung "seiner Ehre".

Der Antragsgegner hält an seinem Widerspruch gegen die Scheidung der Ehe fest. Er bestreitet, dass es sich um eine sogenannte Zwangsheirat handele; auch wenn die Antragstellerin noch sehr jung gewesen sei, als sie sich kennengelernt hätten, habe es sich um eine Liebesheirat gehandelt, die keineswegs von den Familien festgelegt worden sei, sondern, insbesondere, damit die Antragstellerin ihre Schulausbildung beenden könne, aufgeschoben worden sei. Soweit die Antragstellerin in den letzten zwei bis drei Jahren gegenüber Familienangehörigen Klage geführt habe, dass sie keine eigene Wohnung hätten, so habe er aus finanziellen Gründen eine eigene Wohnung nicht anmieten können, da er 1995 seine abhängige Arbeit verloren habe und aus dem anschließend betriebenen Laden am Mnnnnn platz nur weniger als 2000 DM monatlich erlöst habe. In der Folge sei das Einkommen - infolge Schließung der benachbarten Schule und Pachterhöhung - auf 11.000 bzw. 9.400 EUR zurückgegangen. Jedenfalls habe die Antragstellerin den Umstand, dass die Parteien keine eigene Wohnung hätten, ihm gegenüber niemals als einen den Bestand der Ehe bedrohenden Faktor dargestellt. Er gehe davon aus, dass die Antragstellerin wegen eines anderen Mannes aus der Ehe hinaus strebe, mit dem sie inzwischen eine ehebrecherische Beziehung führe. Schon deshalb sei sein Widerspruch nicht missbräuchlich. Er hoffe, dass die Ehe unter Zurückstellung der vergangenen Störungen fortgesetzt werden könne.

II. Die zulässige Berufung des Antragsgegners ist begründet. Das Amtsgericht hat seine internationale Zuständigkeit zu Recht angenommen und ist auch zu Recht davon ausgegangen, dass sich die Scheidung nach türkischem Recht richtet. Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts kann die Antragstellerin zum jetzigen Zeitpunkt eine Scheidung jedoch nicht verlangen, da dem Antragsgegner ein Widerspruchsrecht nach Art. 166 Abs. 2 des türkischen Zivilgesetzbuchs (im Folgenden ZGB) zusteht.

Da die Antragstellerin sich in erster Instanz ausschließlich auf Art. 166 ZGB gestützt hat und auch zur Verteidigung gegen die Berufung keine Scheidungsgründe nach Art. 161 bis 165 ZGB nennt, richtet sich die Scheidung allein nach Art. 166 ZGB.

Nach dieser Vorschrift kann die Ehe geschieden werden, wenn die eheliche Gemeinschaft in ihrem Fundament so zerrüttet ist, dass den Ehegatten die Fortsetzung des gemeinsamen Lebens nicht zugemutet werden kann.

Auf Grund der persönlichen Anhörung der Antragstellerin muss eine objektive Zerrüttung hier wohl angenommen werden, da die Antragstellerin jedenfalls die eheliche Lebensgemeinschaft um keinen Preis aufnehmen will und inzwischen ja auch eine anderweitige Beziehung eingegangen ist. Da eine Scheidung nach Art. 166 Abs. 3 ZGB mangels der Zustimmung des Antragsgegners nicht in Betracht kommt, kann die Ehe nur geschieden werden, wenn dem Antragsgegner kein Widerspruchsrecht zusteht.

Hierfür kommt es darauf an, wessen Verschulden überwiegt (Art. 166 Abs. 1 ZGB). Nach Überzeugung des Senats liegt das überwiegende Verschulden bei der Antragstellerin. Soweit die Antragstellerin geltend macht, es handele sich um eine "Zwangsehe", würde dies nur eine Anfechtbarkeit der Ehe nach Art. 151 ZGB begründen, wobei die Frist zur Geltendmachung längst abgelaufen wäre. Auch eine daraus folgende, dem Antragsgegner anzulastende Zerrüttung ist nicht hinreichend dargelegt. Selbst wenn ihr Vortrag zuträfe, dass ihre Eltern sie zur Ehe "gezwungen" hätten (nach ihrem Vortrag haben sie lediglich gesagt, kein anderer komme als Ehemann in Betracht - In Wirklichkeit dürften die Eltern nur nicht gewollt haben, dass sie unverheiratet nach Deutschland geht), ergibt sich aus ihrem Vortrag nichts, was auf eine dann nicht freiwillig weitergeführte Ehe schließen lässt, in der es ihr an Achtung und Respekt ihres Mannes gefehlt hat, zumal die gemeinsame Tochter erst nach 6 Ehejahren geboren ist.

Hinsichtlich der weiteren Voraussetzungen des Verschuldens des Antragsgegners fehlt es an jedem Vortrag der Antragstellerin, inwieweit das Zusammenleben mit dem Antragsgegner unter der Wohnsituation litt und inwieweit es zu sozialen Spannungen mit den anderen Familienmitgliedern gekommen ist, so dass sich der Umstand, dass der Antragsgegner keine eigene Wohnung für die Parteien gesucht hat, als eine Missachtung der Antragstellerin und als ein Verschulden ihr gegenüber darstellen würde. Insbesondere ergibt sich aus dem Vortrag der Antragstellerin aber nicht, dass sie den Antragsgegner gleichsam "in Verzug gesetzt" hat, also ihm bedeutet hat, dass die fehlende eigene Wohnung den Bestand der Ehe gefährde, ihr das Zusammenleben mit ihm unmöglich mache. Nach ihrem Vortrag hat sie "insbesondere" in den ersten Jahren des Zusammenlebens den Antragsgegner aufgefordert, eine eigene Wohnung zu suchen, in den letzten Jahren also nicht mehr so dringlich, so dass bei dem Antragsgegner durchaus der Eindruck entstehen konnte, die Antragstellerin habe sich letztlich mit den Verhältnissen arrangiert. Auch wenn der Vortrag des Antragsgegners, man habe von einem Familieneinkommen von (damals) 2.000 DM keinen eigenen Haushalt führen können, nicht überzeugt, hätte die Antragstellerin, wenn sie das Zusammenleben mit der Familie des Antragsgegners als unerträglich empfand, ihm dies vor ihren Auszug mitteilen müssen, um ihm eine Chance zur Aufrechterhaltung der Ehe zu geben. Wie aber auf Grund der persönlichen Anhörung unstreitig ist, hat die Antragstellerin dem Antragsgegner im Gegenteil einen Nachzug in die von ihr angemietete Wohnung in Aussicht gestellt, obgleich sie innerlich hierzu nicht mehr bereit war. Es ist zwar nachvollziehbar, aus welchen Gründen die Antragstellerin bei ihrem Auszug ihre Absicht der endgültigen Trennung verheimlichte, nur begründen diese Umstände kein überwiegendes Verschulden des Antragsgegners an der Zerrüttung. Von einem überwiegenden Verschulden der Antragstellerin und damit dem Bestehen eines Widerspruchsrechts des Antragsgegners ist daher auszugehen.

Gegen den Widerspruch des Antragsgegners könnte die Ehe deshalb nur geschieden werden, wenn sich der Einspruch als ein Missbrauch des Rechts darstellen und in der Fortsetzung der ehelichen Gemeinschaft weder für den Antragsgegner noch für die Kinder ein schutzwürdiges Interesse bestehen würde (Art. 166 Abs. 3 Satz 2 ZGB). Die Unbeachtlichkeit des Widerspruchs hat demnach zwei kumulative Voraussetzungen, die Missbräuchlichkeit und das fehlende Interesse an der Aufrechterhaltung; Ein Missbrauch des Widerspruchsrechts liegt daher nicht bereits dann vor, weil an der Aufrechterhaltung der Ehe, die gescheitert ist, kein Interesse bestehe. Vielmehr liegt ein Missbrauchsfall - entsprechend der türkischen Rechtsprechung (vgl. insoweit Nachweise bei Odendahl, Die Zerrüttungsscheidung nach Art. 134 des türkischen Zivilgesetzbuches und die deutschen Familiengerichte, FamRZ 2000,462 unter VIII) - nur dann vor, wenn sich aus widersprüchlichem Verhalten des Antragsgegners ergibt, dass er die Wiederherstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft nicht erstrebt, da ihm entweder seinerseits die positive Einstellung zu ehelichen und familiären Verpflichtungen verloren gegangen ist oder er eine anderweitige Beziehung eingegangen ist. Für beides ist hier nichts ersichtlich. Aus der persönlichen Anhörung des Antragsgegners, der sich sehr differenziert über die Problematik zu äußern in der Lage war, hat der Senat keineswegs den Eindruck gewonnen, dass ihm die eheliche Gesinnung abhanden gekommen ist.

Danach kann die Ehe wegen des Widerspruchs des Antragsgegner nicht geschieden werden. Auf Art. 166 Abs. 4 ZGB wird hingewiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Auslegung türkischen Rechts nicht revisibel ist und im Übrigen keine Zulassungsgründe vorliegen.

Ende der Entscheidung

Zurück