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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 29.12.2008
Aktenzeichen: 3 Ws (B) 467/08
Rechtsgebiete: StPO, StVG


Vorschriften:

StPO § 81a Abs. 2
StVG § 24a Abs. 2
Wird innerhalb von eineinhalb Stunden nach Gestellung eines des Führens eines Kraftfahrzeuges unter Wirkung von Cannabis Verdächtigen (§ 24a Abs. 2 StVG) der für die Anordnung einer Blutentnahme nach § 81a Abs. 2 StPO zuständige Bereitschaftsrichter nicht erreicht, so liegt Gefahr im Verzuge vor.
KAMMERGERICHT Beschluss

Geschäftsnummer: 2 Ss 300/08 - 3 Ws (B) 467/08

In der Bußgeldsache gegen

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit

hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Kammergerichts in Berlin am 29. Dezember 2008 beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 17. Juli 2008 im Rechtsfolgenausspruch hinsichtlich der verhängten Geldbuße mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Die weitergehende Rechtsbeschwerde wird verworfen.

Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Gründe:

Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässiger Zuwiderhandlung gegen § 24 a Abs. 2 und 3 StVG zu einer Geldbuße in Höhe von 500,00 Euro verurteilt und gegen ihn nach § 25 StVG ein Fahrverbot von drei Monaten angeordnet. Die die Verletzung sachlichen und - wie die Begründung ergibt - auch formellen Rechts rügende Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat lediglich hinsichtlich der verhängten Geldbuße (vorläufigen) Erfolg.

1. Die vom Betroffenen als Verletzung materiellen Rechts bezeichnete Verfahrensrüge, das Amtsgericht habe die dem Betroffenen unter Verstoß gegen § 81 a Abs. 2 StPO trotz Nichtvorliegens von Gefahr im Verzuge lediglich aufgrund der Anordnung des Polizeibeamten entnommene Blutprobe trotz des daraus folgenden Beweisverwertungsverbots der Verurteilung zugrunde gelegt, ist zumindest unbegründet.

a) Dabei kann dahinstehen, ob die Verfahrensrüge überhaupt in zulässiger Form erhoben worden ist, weil in der Hauptverhandlung Widerspruch gegen die Beweisverwertung zu erheben gewesen und das Vorliegen des erforderlichen Widerspruchs in der Begründung des Rechtsmittels vorzutragen gewesen wäre (so OLG Hamburg VRS 114, 275 (282 f.)), was hier nicht geschehen ist; denn ausweislich der Urteilsfeststellungen lag hinsichtlich der Anordnung der Blutentnahme kein Verstoß gegen § 81 a Abs. 2 StPO vor.

b) Unzutreffend ist die Annahme der Rechtsbeschwerde, Gefahr im Verzuge könne vorliegend nicht gegeben gewesen sein, weil Betäubungsmittel im Körper langsam abgebaut würden, oft auch noch nach Monaten nachweisbar seien und eine Sanktion nach § 24 a StVG auch bei einer "geringsten Menge von Drogen im Blut des Betroffenen" ausgesprochen werden könne. Zum einen ist § 24 a Abs. 2 StVG der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts folgend (vgl. BVerfG NJW 2005, 349 (351)) verfassungskonform dahin auszulegen, dass eine Wirkstoffkonzentration festgestellt sein muss, die es entsprechend dem Charakter der Vorschrift als eines abstrakten Gefährdungsdeliktes als möglich erscheinen lässt, dass der untersuchte Kraftfahrzeugführer am Straßenverkehr teilgenommen hat, obwohl seine Fahrtüchtigkeit eingeschränkt war, wobei dies den Empfehlungen der so genannten Grenzwertkommission folgend bei einem Nachweis von mindestens 1 mg/ml Tetrahydrocannabinol (THC), einem Abbauprodukt des Cannabis, der Fall ist (vgl. OLG Saarbrücken NJW 2007, 1373 (1374) und VRS 112, 54 (57 f); OLG Karlsruhe VRS 112, 130; OLG Frankfurt NStZ-RR 2007, 249; OLG Hamm VRR 2008, 351; OLG Schleswig, Beschluss vom 18. September 2006 - 1 Ss OWi 119/06 - juris Rn. 7 f.). Außerdem ist anerkannt, dass zum Nachweis einer auf dem Konsum von Cannabis beruhenden Ordnungswidrigkeit nach § 24 a Abs. 2 StVG im Hinblick auf den schnellen Abbau von THC im Blut schnellstmöglich nach Beendigung der Teilnahme des Kraftfahrzeugführers am Straßenverkehr eine Blutentnahme zu veranlassen ist (vgl. Nds. OVG, Urteil vom 14. August 2008 - 12 ME 183/08 - juris Rdn. 6; BayVGH, Beschluss vom 3. Februar 2004 - 11 CS 4.157 - juris Rn. 10; König in LK, StGB 11. Aufl., § 316 Rdn. 151), zumal über die Dauer der Nachweisbarkeit von THC im Blut die Auffassungen weit auseinander gehen (vgl. zum Meinungsspektrum: Körner, BtMG 6. Aufl., C 4 Rn. 97).

c) Nach den Urteilsfeststellungen haben die Polizeibeamten, die den Betroffenen am 2. Dezember 2007 (einem Sonntag) um 0.15 Uhr mit seinem Fahrzeug anhielten und überprüften, mehrfach vergeblich versucht, den zuständigen Richter vom Bereitschaftsdienst des Amtsgerichts Tiergarten telefonisch zu erreichen. Bei diesem hat sich niemand gemeldet, und bei einem letzten Anruf um 01.43 Uhr ging lediglich die Mailbox an. Nach Einholung einer zustimmenden Stellungnahme des Staatsanwalts vom Tagesdienst der Staatsanwaltschaft Berlin ist dann unter Annahme von Gefahr im Verzuge von den Polizeibeamten die Durchführung der Blutentnahme angeordnet und um 02.15 Uhr dem Betroffenen Blut entnommen worden. Unter Berücksichtigung der obigen Darlegungen ist, auch wenn der Betroffene vor der Blutentnahme angab, noch bis kurz vor Fahrtantritt gegen 23.00 Uhr Cannabis geraucht zu haben, die Annahme von Gefahr im Verzuge nicht zu beanstanden. Die in der Rechtsbeschwerde erhobene Behauptung, der "zuständige Richter" hätte angesichts der erst gegen 02.15 Uhr entnommenen Blutprobe nach nur wenigen Stunden über die Frage der Durchführung einer Blutentnahme entscheiden können, ist unzutreffend. Gerichtsbekanntermaßen endet der Sonnabend-Bereitschaftsdienst des Amtsgerichts Tiergarten am Sonntag um 09.00 Uhr. Erst danach ist der Sonntags-Bereit-schaftsdienst zuständig. Nachdem der zuständige Richter offensichtlich nicht erreichbar war, bestand somit keineswegs "nach nur wenigen Stunden" die Möglichkeit, einen zuständigen Richter zu erreichen, sondern erst über acht Stunden nach der Gestellung des Betroffenen.

d) Selbst wenn man von einer rechtsfehlerhaften Annahme des Vorliegens von Gefahr im Verzuge ausgehen würde, ist zu berücksichtigen, dass Verstöße gegen § 81 a StPO die gewonnenen Untersuchungsergebnisse in der Regel nicht unverwertbar machen, wobei dies insbesondere bei fehlender Anordnungszuständigkeit, etwa bei unzutreffender Bejahung von Gefahr im Verzuge, gilt (vgl. Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl., § 81 a Rn. 32; Senge in KK, StPO 6. Aufl., § 81 a Rn. 14; jeweils m.w.N.); denn von einem Verwertungsverbot ist nur in Fällen auszugehen, in denen die getroffene Entscheidung nach dem Maßstab (objektiver) Willkür oder grober Fehlbeurteilung nicht mehr vertretbar gewesen ist und etwa ein vorhandener Richtervorbehalt bewusst umgangen worden ist (vgl. BVerfG NJW 2008, 3053 (3054 f.); BGH NStZ 2007, 601 (602); HansOLG Hamburg VRS 114, 275 (280 ff.); OLG Karlsruhe Justiz 2004, 493 (494); OLG Stuttgart NStZ 2008, 238). Für das Vorliegen dieser Voraussetzungen wird von der Rechtsbeschwerde nichts vorgetragen und ist nach dem im Urteil festgestellten Sachverhalt auch nichts ersichtlich.

2. Die auf die mit der Rechtsbeschwerde erhobenen Sachrüge hin veranlasste Überprüfung des Schuldspruchs deckt keine Rechtsfehler auf. Soweit dem Betroffenen lediglich Fahrlässigkeit zur Last gelegt worden ist, obwohl er gemäß rechskräftigem Bußgeldbescheid vom 15. Januar 2008 bereits am 14. November 2007 unter der Einwirkung von Cannabis verkehrsordnungswidrig ein Kraftfahrzeug geführt hat und gegenüber den Polizeibeamten angab, er konsumiere seit Jahren regelmäßig Drogen und habe noch kurz vor Fahrtantritt Cannabis geraucht, und sich somit eine Verurteilung wegen vorsätzlicher Begehungsweise aufdrängte (vgl. zum Vorsatz: König in Hentschel, Straßenverkehrsrecht 39. Aufl., § 24 a StVG Rn. 26), ist der Betroffene dadurch nicht beschwert.

3. Dagegen hält der Rechtsfolgenausspruch rechtlicher Überprüfung nicht stand. Das Amtsgericht hat eine Geldbuße in Höhe von 500,00 Euro verhängt, die damit deutlich über der nunmehr bei 250,00 Euro anzusetzenden Geringfügigkeitsgrenze des § 17 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 OWiG (vgl. Senat VRS 111, 202 (203)) liegt, von der an genauere Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen als Bemessungskriterium für die Höhe der Geldbuße zu treffen sind. Zwar kann auch in solchen Fällen von einer näheren Erörterung der wirtschaftlichen Verhältnisse dann abgesehen werden, wenn sie erkennbar nicht vom Durchschnitt abweichen und der Tatrichter eine Geldbuße festsetzt, die dem Bußgeldkatalog entspricht (vgl. OLG Hamm VRS 92, 40 (43) m.w.N.; Mitsch in KK, OWiG 3. Aufl., § 17 Rn. 92). Vorliegend jedoch hat der Betroffene ein außerordentlich niedriges Nettoeinkommen angegeben und ist das Doppelte der Regelgeldbuße verhängt worden. Auch können die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen in Fällen, in denen sie bei der Bemessung der Geldbuße zu berücksichtigen sind, vom Gericht geschätzt werden, wenn der Betroffene keine glaubhaften Angaben zu ihnen gemacht hat und der Aufwand für ihre Ermittlung in keinem Verhältnis zu der Bedeutung des Tatvorwurfs gestanden hätte (vgl. KG LRE 42, 380 (381)). Auch insoweit sind jedoch die für die Schätzung maßgeblichen Tatsachen und die ihnen zugrunde liegende Beweiswürdigung so umfassend im Urteil mitzuteilen, dass dem Senat als Rechtsbeschwerdegericht die gebotene Überprüfung ermöglicht wird (vgl. OLG Hamburg NJW 2004, 1813 (1814 f.)).

Dem wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Zwar ist die Würdigung der Beweise Sache des Tatrichters, aber das Rechtsbeschwerdegericht hat auf die Sachrüge zu prüfen, ob ihm hierbei Rechtsfehler unterlaufen sind. Rechtsfehlerhaft ist die Beweiswürdigung dann, wenn sie in sich widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist. Dabei brauchen die Schlussfolgerungen des Tatrichters zwar nicht zwingend zu sein; es genügt grundsätzlich, dass sie möglich sind und er von ihrer Richtigkeit überzeugt ist. Er muss jedoch die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die Erfahrungssätze des täglichen Lebens und die Gesetze der Logik beachten. Um dem Rechtsbeschwerdegericht diese Nachprüfung zu ermöglichen, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsichtigen Tatsachengrundlage beruht (vgl. Senat, Beschluss vom 26. August 2005 - 3 Ws (B) 405/05 -; KG, Beschluss vom 18. Dezember 1996 - (4) 1 Ss 199/96 (129/96) - m.w.N.). Diesem Grundsatz entspricht das angefochtene Urteil nicht. Der in ihm vorgenommenen Schätzung, dem Betroffenen stehe entgegen seinen Angaben ein monatliches Einkommen von mindestens 900,00 Euro zur Verfügung, hat das Amtsgericht nicht nur zugrunde gelegt, dass der Betroffene offensichtlich in der Lage ist, seinen gegenüber der Polizei eingeräumten regelmäßigen Drogenkonsum zu finanzieren, sondern auch darauf abgestellt, dass er am Kraftverkehr teilnimmt, "was bekanntermaßen mit hohen Kosten beispielsweise für Kraftstoff verbunden ist" (UA S. 3). Das Urteil enthält jedoch keine Feststellungen dazu, ob es sich bei dem vom Betroffenen geführten Fahrzeug um seinen eigenen Pkw handelte. Dies gilt auch für die im Urteil aufgeführten drei rechtskräftig gegen den Betroffenen ergangenen Bußgeldbescheide und die dabei jeweils vom Betroffenen geführten Fahrzeuge. Dass es sich bei dem vom Betroffenen geführten Fahrzeug um ein von ihm bei einem Autoverleih angemieteten Wagen gehandelt hätte, ist dem Urteil gleichfalls nicht zu entnehmen. Demnach bleibt jedoch nach den insoweit lückenhaften Urteilsfeststellungen offen, ob es sich nicht möglicherweise um ein dem Betroffenen für eine einzelne Fahrt oder einen Tag von einer anderen Person zur Verfügung gestelltes Fahrzeug handelte, durch dessen kurzfristige Benutzung dem Betroffenen möglicherweise überhaupt keine Kosten, auch nicht für Benzin, entstanden sind. Dies gilt auch für die längere Zeit zurückliegenden Fahrten, die zur Ahndung durch Bußgeldbescheid führten.

4. Wegen der Wechselwirkung von Geldbuße und Fahrverbot kann die erforderliche Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs hier nicht auf die Geldbuße beschränkt werden, sondern erfasst auch die Anordnung des Fahrverbots (vgl. OLG Hamburg aaO S. 1815; BayObLG, DAR 2004, 593).

Da der Senat wegen erforderlicher Tatsachenfeststellungen an einer eigenen Sachentscheidung über den Rechtsfolgenausspruch gehindert ist, hebt er diesen mit den zugrunde liegenden Feststellungen auf und verweist die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurück.

Ende der Entscheidung

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