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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 09.11.2005
Aktenzeichen: 3 Ws 283/05
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 464 Abs. 3
Ein im Anschluss an die Verkündung des Urteils erklärter Rechtsmittelverzicht erfasst regelmäßig auch das Recht gegen die Kosten- und Auslagenentscheidung sofortige Beschwerde nach § 464 Abs. 3 StPO einzulegen.
Geschäftsnummer: 3 Ws 283/05 1 AR 754/05

In der Strafsache gegen

wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln

hat der 3. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 9. November 2005 beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen die Kosten- und Auslagenentscheidung in dem Urteil des Landgerichts Berlin vom 5. April 2005 wird als unzulässig verworfen.

Der Verurteilte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin hat den Beschwerdeführer wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten verurteilt. Auf seine umfassend eingelegte und in der Berufungsverhandlung mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft auf das Strafmaß beschränkte Berufung hat das Landgericht Berlin das angefochtene Urteil, wie von dem Verteidiger im Schlussvortrag beantragt, dahin abgeändert, dass es die Vollstreckung der von dem Amtsgericht erkannten Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt hat. Zu den Kosten und Auslagen hat das Landgericht ausweislich der Sitzungsniederschrift entschieden: "Der Angeklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens und seine insoweit entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen." Im Anschluss an die Verkündung des Urteils und des Beschlusses über die Dauer der Bewährungszeit haben der - seinerzeit noch - Angeklagte, dieser nach Rücksprache mit seinem Verteidiger, und der Vertreter der Staatsanwaltschaft erklärt, auf Rechtsmittel zu verzichten.

Unter Berufung auf die Kosten- und Auslagenentscheidung in dem Urteil des Landgerichts beantragte der Verteidiger aus abgetretenem Recht des Verurteilten bei dem Amtsgericht, die dem Verurteilten zu erstattenden notwendigen Auslagen für die Berufungsinstanz auf 1.125,20 Euro festzusetzen und zu überweisen. Auf die schriftliche Bitte der Rechtspflegerin des Amtsgerichts, den Festsetzungsantrag zurückzunehmen, da der Verurteilte seine notwendigen Auslagen selbst zu tragen habe, hat der Verteidiger mit Schreiben an das Amtsgericht vom 6. Mai 2005 zu verstehen gegeben, dass nach seiner Mitschrift im Termin die notwendigen Auslagen der Landeskasse auferlegt worden seien, die gegenteilige Entscheidung in dem übermittelten schriftlichen Urteil sich für ihn als auf einem Übertragungsfehler beruhend darstelle und er daher um Vorlage bei dem Landgericht bitte zwecks Berichtigung in dortiger Zuständigkeit. Außerdem hat er, dies ausdrücklich "rein vorsorglich", gegen die, wie er anmerkte "noch gar nicht zugestellte", schriftliche Kostenentscheidung "namens und im Auftrage des Mandanten" sofortige Beschwerde eingelegt.

1. Die sofortige Beschwerde, die wegen der erkennbar gewollten umfassenden finanziellen Entlastung des Betroffenen als sowohl gegen die Kosten- als auch gegen die Auslagenentscheidung in dem Berufungsurteil gerichtet zu verstehen ist, steht zur Entscheidung. Der Fall, für den sie hilfsweise, wie die Kennzeichnung der Einlegung als "rein vorsorglich" ausdrückt, eingelegt worden ist, ist eingetreten. Das Landgericht hat es abgelehnt, die Kosten- und Auslagenentscheidung, wie vorrangig erstrebt, zu berichtigen. Der Strafkammervorsitzende hat auf die Vorlage der Sache mit dem Berichtigungsbegehren ausdrücklich vermerkt, dass kein Übertragungsversehen vorliegt, sondern die angegriffene Entscheidung so gewollt war.

2. Die nach § 464 Abs. 3 Satz StPO statthafte Kostenbeschwerde ist unzulässig; denn der Verteidiger hat nach Rücksprache mit dem - damals noch - Angeklagten - hier Beschwerdeführer - ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 5. April 2005 im Anschluss an die Verkündung des Urteils "auf Rechtsmittel" verzichtet, was auch die Möglichkeit, die Kosten- und Auslagenentscheidung anzufechten, hat entfallen lassen. In der betreffenden Verzichtserklärung ist nämlich ein uneingeschränkter Rechtsmittelverzicht in Kenntnis des Anfechtungsrechts gegen die Kosten- und Auslagenentscheidung zu sehen, der auch die sofortige Beschwerde nach § 464 Abs. 3 StPO erfasst (vgl. Senat, Beschluss vom 30. Oktober 1996 - 3 Ws 496/96 - ; Meyer-Goßner, StPO 48. Aufl., § 302 Rdn. 17, § 464 Rdn. 21, jeweils m. N.). Dem steht nicht entgegen, dass die Verzichtserklärung, wie die Sitzungsniederschrift ergibt, ohne vorherige Rechtsmittelbelehrung durch das Landgericht abgegeben worden ist. Denn bei dem anwaltlich beratenen Beschwerdeführer muss davon ausgegangen werden, dass ihm die Möglichkeit der Anfechtung von Kostenentscheidungen bekannt war. Dafür spricht schon der dann einen Monat später hilfsweise erfolgte Rückgriff auf eben das Instrument der Kostenbeschwerde, als sich abzeichnete, dass möglicherweise dem Berichtigungsbegehren kein Erfolg beschieden sein könnte. Jedenfalls hat der Beschwerdeführer nicht vorgetragen, dass ihm und seinem Verteidiger diese Anfechtungsmöglichkeit im Zeitpunkt der Verzichtserklärung unbekannt gewesen wäre. Der somit wirksame Rechtsmittelverzicht ist unanfechtbar und unwiderruflich.

3. Zu der Unzulässigkeit aufgrund des umfassend wirkenden Rechtsmittelverzichts kommt hinzu, dass die sofortige Beschwerde wegen Verspätung unzulässig ist. Sie hätte binnen Wochenfrist ab der am 5. April 2005 in Form der Verkündung geschehenen Bekanntgabe der missbilligten Kosten- und Auslagenentscheidung bei dem Landgericht eingelegt werden müssen (§§ 35, 306, 311 Abs. 2 StPO). Der Beschwerdeführer hat sie aber erst einen Monat nach dem Verkündungstag angebracht und dies auch noch bei dem Amtsgericht als unzuständigem Gericht. Zu dem Landgericht ist das Rechtsmittel überhaupt erst Monate später gelangt, nämlich anlässlich der Vorlage der Sache zur Entscheidung über das Berichtigungsbegehren.

Schon in dem anwaltlichen Auslagenfestsetzungsantrag die sofortige Beschwerde zu erblicken, bereitet nicht nur wegen seines klar auf jenes andere Ziel gerichteten Inhalts Schwierigkeiten, sondern scheidet aus, weil selbst damit die Frist nicht gewahrt wäre. Er datiert erst vom 18. April 2005 und war obendrein ebenfalls nicht an das Landgericht gerichtet, sondern an das für die sofortige Beschwerde unzuständige Amtsgericht.

Die Verspätung kommt auch nicht dafür in Betracht, durch von Amts wegen erfolgende Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 45 Abs. 2 Satz 3 StPO) geheilt zu werden. Das Unterbleiben der Rechtsmittelbelehrung über die Möglichkeit, die Kosten- und Auslagenentscheidung mit der sofortigen Beschwerde anzufechten, bietet dafür keinen Ansatz. Die in § 44 Satz 2 StPO festgelegte gesetzliche Vermutung bei unterbliebener Rechtsmittelbelehrung hebt nur das Erfordernis auf, fehlendes Verschulden tragfähig auszufüllen. Den ursächlichen Zusammenhang zwischen Belehrungsmangel und Fristversäumung setzt die Wiedereinsetzung aber auch in solchem Falle voraus (vgl. Meyer-Goßner, § 44 Rdn. 22 m. N.). Er liegt hier erkennbar nicht vor. Die Verspätung der sofortigen Beschwerde liegt hier erkennbar nicht am Unterbleiben der Rechtsmittelbelehrung, sondern daran, dass der Verteidiger die Kosten- und Auslagenentscheidung bei der Verkündung in der Berufungsverhandlung anders verstanden hat, als sie ausweislich der Sitzungsniederschrift ergangen war. Ein darin zu erblickendes Verschulden des Verteidigers vermag dem Beschwerdeführer nicht zur Wiedereinsetzung zu verhelfen. Da es nicht um die Verteidigung gegen einen Schuldvorwurf geht, sondern um die Belastung mit Kosten und Auslagen, muss sich der Beschwerdeführer insoweit nach dem allgemeinen Verfahrensgrundsatz des § 85 Abs. 2 ZPO das Verschulden seines Vertreters zurechnen lassen (vgl. Meyer-Goßner, § 44 StPO Rdn. 19 m. N.).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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