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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 06.03.2006
Aktenzeichen: 4 VAs 58/05
Rechtsgebiete: StGB, BZRG, GVGEG


Vorschriften:

StGB § 63
BZRG § 4 Nr. 2
BZRG § 49
GVGEG § 23
GVGEG § 28 Abs. 3
Zu den Voraussetzungen der vorzeitigen Tilgung einer Zentralregistereintragung über die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB.
4 VAs 58/05

In der Justizverwaltungssache betreffend

wegen vorzeitiger Tilgung einer Eintragung im Bundeszentralregister

hat der 4. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin

am 6. März 2006 beschlossen:

Tenor:

1. Der Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung gegen den Bescheid des Bundesministeriums der Justiz vom 4. Juli 2005 wird verworfen.

2. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

3. Der Geschäftswert wird auf 3.000,00 € festgesetzt.

Gründe:

Das Bundeszentralregister enthält über den Betroffenen neun Eintragungen von strafgerichtlichen Verurteilungen in den Jahren 1993 bis 2003, darunter die Eintragung des Urteils vom 15. Dezember 1993, durch das das Landgericht Nürnberg-Fürth im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Betroffenen in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB angeordnet hat. Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte der zur Tatzeit fünfzehnjährige Betroffene von einer Autobahnbrücke eine leere Sektflasche auf einen vorbeifahrenden PKW geworfen, die die Windschutzscheibe durchschlug und den Fahrzeugführer im linken Gesichtsbereich traf. Dieser wurde dadurch erheblich verletzt. Das sachverständig beratene Gericht stellte fest, dass der Betroffene bei dieser Tat, einem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr, und drei weiteren Taten (Sachbeschädigung sowie zwei Diebstähle) "im Zustand eines Grenzbefundes zur geistigen Behinderung als Folge einer frühkindlichen Hirnschädigung in Verbindung mit einem hyperkinetischen Syndrom und einer krankhaften schweren Schädigung seiner Persönlichkeit in ihrem Stimmungs-, Antriebs- und affektiven Bereich" gehandelt habe; aufgrund dieses als krankhafte seelische Störung im Sinne des § 20 StGB zu wertenden Zustandes sei "seine Fähigkeit, nach seiner vordergründig erhaltenen Unrechtseinsicht zu handeln, zweifelsfrei erheblich vermindert im Sinne des § 21 StGB, nicht ausschließbar jedoch auch völlig aufgehoben im Sinne des § 20 StGB" gewesen. Das Amtsgericht Kaufbeuren hat mit Beschluss vom 24. Februar 1998 die weitere Vollstreckung der Maßregel zur Bewährung ausgesetzt und festgestellt, dass die Führungsaufsicht fünf Jahre dauert. Die Führungsaufsicht ist durch Beschluss des Amtsgerichts Köln vom 6. Juli 2004 aufgehoben worden.

Der Generalbundesanwalt hat den Antrag des Betroffenen auf Tilgung der Eintragung (§ 49 Abs. 1 BZRG) abgelehnt, das Bundesministerium der Justiz hat seine Beschwerde mit dem angefochtenen Bescheid vom 4. Juli 2005 zurückgewiesen. Der zulässige Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 23 Abs. 1 und Abs. 2 EGGVG hat keinen Erfolg.

1. Das Bundeszentralregistergesetz bestimmt, dass die Eintragung einer gerichtlichen Entscheidung, mit der die Unterbringung eines Betroffenen in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB angeordnet worden ist (§ 4 Nr. 2 BZRG), so lange im Register bleibt, bis der Betroffene das 90. Lebensjahr vollendet hat oder der Registerbehörde der Tod amtlich mitgeteilt worden ist (§ 45 Abs. 3 Nr. 2 i.V.m. § 24 BZRG). Über die Eintragung nach § 4 Nr. 2 BZRG kann Gerichten, Staatsanwaltschaften und anderen Behörden zu den gesetzlich näher geregelten Zwecken eine unbeschränkte Auskunft erteilt werden (§§ 41 bis 44 BZRG); außerdem ist sie in ein Führungszeugnis für Behörden aufzunehmen (§ 32 Abs. 3 Nr. 1 BZRG). Grund dafür ist, dass die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zwar kein Unwerturteil enthält, jedoch einen so wichtigen Hinweis auf persönlichkeitsbestimmende Tatsachen, dass ihre Kenntnis späterer Beurteilung nicht vorenthalten werden darf (vgl. Götz/Tolzmann, BZRG 4. Aufl., § 45 Rdn. 28). Die Registrierung und die Auskunft an die genannten Stellen dienen sowohl der allgemeinen Sicherheit als auch dem Schutze des Betroffenen selbst (vgl. BVerfG StV 1991, 556 zu der dem § 4 Abs. 2 BZRG entsprechenden Vorschrift des § 11 Abs. 1 Nr. 1 BZRG, wonach Schuldunfähigkeitsvermerke - verfassungsrechtlich unbedenklich - auch ohne eine gerichtliche Verurteilung in das Register einzutragen sind).

Dem Interesse des Betroffenen an einer gesellschaftlichen Wiedereingliederung trägt das Gesetz dadurch Rechnung, dass die Eintragung nicht in ein Führungszeugnis für private Zwecke eingetragen werden darf (§ 32 Abs. 2 Nr. 8 BZRG) und die Auskunft nach den §§ 41 bis 44 BZRG strengen Beschränkungen unterliegt (vgl. Götz/Tolzmann aaO § 45 Rdn. 28).

Im Übrigen wird dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dadurch Genüge getan, dass § 49 Abs. 1 BZRG dem Generalbundesanwalt als Registerbehörde die Befugnis einräumt, insbesondere im Interesse der Rehabilitation des Betroffenen anzuordnen, dass die Eintragung vorzeitig aus dem Register getilgt wird, soweit nicht das öffentliche Interesse einer solchen Anordnung entgegensteht. Diese Befugnis ist - verfassungsgemäß (vgl. BVerfG aaO 556 f zu der entsprechenden Regelung des § 25 Abs. 1 BZRG) - dahin ausgestaltet, dass der Registerbehörde für ihre Entscheidung ein Ermessenspielraum zusteht. Gemäß § 28 Abs. 3 EGGVG ist das ausgeübte Ermessen nur dahin überprüfbar, ob der Betroffene in seinem subjektiv-öffentlichen Recht auf ermessensfehlerfreie Entscheidung verletzt ist, ob also Willkür oder Missbrauch des Ermessens vorliegt (vgl. etwa Senat, Beschluss vom 2. März 2001 - 4 VAs 4/01 -; Meyer-Goßner, StPO 48. Aufl., § 28 EGGVG Rdn. 8). Der Senat ist daher nur zu der Überprüfung befugt, ob die Behörden von einem vollständig und richtig ermittelten Sachverhalt, soweit er für die Entscheidung von Bedeutung ist, ausgegangen sind; er hat ferner zu prüfen, ob bei der angegriffenen Entscheidung Umstände zum Nachteil des Betroffenen berücksichtigt worden sind, die nach Sinn und Zweck des Gesetzes keine Rolle spielen dürfen, oder ob maßgebliche Gesichtspunkte, die bei der Ermessensentscheidung von Belang sein können, falsch bewertet oder außer Acht gelassen worden sind (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. etwa Beschluss vom 24. März 2004 - 4 VAs 14/04 -). Weder der angefochtene Bescheid noch die durch ihn bestätigte Entscheidung des Generalbundesanwaltes lassen solche Fehler erkennen.

2. Der Betroffene hat sich nach seinem Vorbringen auf dem Gebiet der Informationstechnologie fortgebildet und strebt eine Anstellung als Computeradministrator in einer Behörde an. Der Generalbundesanwalt hat dieses Interesse des Betroffenen an seiner beruflichen Wiedereingliederung berücksichtigt und es mit dem öffentlichen Interesse abgewogen. Letzteres ergibt sich aus dem Interesse von Staat und Gesellschaft an der Zuverlässigkeit und Vollständigkeit des Registers als Auskunftsmittel für weitere Strafverfahren und als Erkenntnisquelle zur Beurteilung von Bewerbern in Vertrauensstellungen (vgl. BVerfG aaO 556). Das öffentliche Interesse kann nur in seltenen Ausnahmefällen zurücktreten, wenn besondere Umstände den Fortbestand der Eintragung im Register als eine unbillige, mit Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung unvereinbare Härte erscheinen lassen (vgl. Götz/Tolzmann aaO § 49 Rdn. 15). Dass ein solcher Härtefall hier vorliegt, ist durch die angegriffene Entscheidung rechtsfehlerfrei verneint worden.

a) Der Betroffene kann sich nicht darauf berufen, dass die Maßregel gemäß § 63 StGB zu Unrecht angeordnet worden sei und er stattdessen zu einer Jugendstrafe hätte verurteilt werden müssen, die bei Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen vor der Vollendung des 90. Lebensjahres tilgungsfähig geworden wäre. Denn es ist grundsätzlich nicht Aufgabe des Tilgungsverfahrens, die materielle Richtigkeit einer gerichtlichen Entscheidung nachzuprüfen (vgl. OLG Hamm NStZ 1988, 136; ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. etwa Beschluss vom 24. März 2004 aaO; Götz/Tolzmann aaO § 49 Rdn. 17, § 25 Rdn. 26, 42 aE; Kalf StV 1991, 580, 582). Die Tilgung kann zwar ausnahmsweise in Betracht kommen, wenn das Urteil offensichtlich fehlerhaft ist, d.h. solche Fehler aufweist, die ohne jede weitere Nachprüfung eindeutig ersichtlich sind (vgl. OLG Hamm aaO 136; Götz/Tolzmann aaO § 49 Rdn. 17; Rebmann/Uhlig, BZRG, § 25 Rdn. 32). Davon kann hier aber keine Rede sein. Auch nach dem im Vollstreckungsverfahren erstatteten nervenärztlichen Gutachten des Sachverständigen Dr. K. vom 15. Dezember 1997, das sich kritisch mit dem Gutachten des vom Tatgericht herangezogenen Sachverständigen auseinandergesetzt hat, waren die Voraussetzungen für eine Unterbringung nach § 63 i.V.m. § 21 StGB im Hinblick auf die schwerwiegenden Persönlichkeitsdefizite des Betroffenen erfüllt.

b) Der Generalbundesanwalt hat bei der Abwägung, ob das öffentliche Interesse einer Tilgung entgegensteht, eine hypothetische Fristenberechnung vorgenommen, bei der er die Registerlage berücksichtigt hat, die bestünde, wenn der Betroffene bei der Tatbegehung schuldfähig gewesen und zu einer Strafe verurteilt worden wäre. Dass er auf dieser Grundlage zu dem Ergebnis gelangt ist, die Eintragung solle jedenfalls so lange bestehen, wie eine entsprechende Verurteilung im Register eingetragen bliebe, ist ermessensfehlerfrei (vgl. Rebmann/Uhlig aaO § 25 Rdn. 30; Kalf aaO 581, 583).

Die Annahme des Generalbundesanwalts, gegen den Betroffenen wäre im Falle seiner Schuldfähigkeit wegen der Taten, die dem Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 15. Dezember 1993 zugrunde lagen, eine Jugendstrafe bis zu zwei Jahren verhängt worden, ist zutreffend. Davon geht offenbar auch der Betroffene aus, wie sich aus seinen Angaben gegenüber dem Sachverständigen Dr. J. im Gutachten vom 20. Mai 2004 ergibt ("Selbst hätte ich 2 Jahre Jugendknast und Nachdenken verordnet".). Gemäß § 46 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d) BZRG hätte die Eintragung einer solchen Strafe, sofern ihre Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden wäre, erst nach fünf Jahren getilgt werden können. Dies wäre nach der Regelung des § 47 Abs. 3 BZRG aber nur dann möglich gewesen, wenn keine weitere Verurteilung in das Register gelangt wäre. Eben diese Voraussetzung ist nicht erfüllt. Denn der Betroffene ist vor Ablauf der (hypothetischen) Tilgungsfrist mehrfach - zuletzt am 8. Mai 2002 wegen falscher Verdächtigung und am 12. März 2003 wegen Körperverletzung - zu Freiheitsstrafen verurteilt worden, die der Tilgung entgegengestanden hätten.

c) Unabhängig von dem unter b) erörterten Gesichtspunkt hat die Registerbehörde ihre Entscheidung rechtsfehlerfrei auch auf Feststellungen gestützt, die der psychiatrische Sachverständige Dr. J. in seinem Gutachten vom 20. Mai 2004 getroffen hat.

aa) Das Gutachten ist zur Klärung der Frage erstattet worden, ob die vom Landgericht Nürnberg-Fürth angeordnete Maßregel inzwischen als erreicht angesehen werden kann, was das Amtsgericht Köln in seinem die Führungsaufsicht aufhebenden Beschluss vom 6. Juli 2004 bejaht hat. Der Sachverständige ist zu dem Ergebnis gekommen, dass eine psychische Störung des Betroffenen im Sinne der §§ 20, 21 StGB derzeit "nicht mehr fassbar" sei, keine Hinweise für eine erhöhte Gefahr der Begehung erheblicher Straftaten durch den Betroffenen bestünden und der Zweck der Maßregel nunmehr als erfüllt angesehen werden könne.

Der Sachverständige hat allerdings auch eine erhebliche (fortbestehende) Persönlichkeitsstörung des Betroffenen festgestellt. Er hat dargelegt, dass eine "erhöhte Kränkbarkeit und Neigung zu aggressiv getöntem querulatorischem Kampf um seine vermeintlichen und tatsächlichen Rechte" vorliege und seine emotionale Entwicklung nicht altersentsprechend sei, insbesondere noch "viele unreife Anteile von leichter Erregbarkeit und aggressivem Sichbehaupten" enthalte.

Vor dem Hintergrund dieser Diagnose und den zahlreichen nach der Maßregel begangenen Straftaten drängt sich die von der Registerbehörde gezogene Schlussfolgerung auf, dass bei einer erneuten Straffälligkeit des Betroffenen, die nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr. J. zwar nicht wahrscheinlich, aber auch nicht auszuschließen ist, die Eintragung den Strafverfolgungsbehörden und Gerichten nicht vorenthalten werden darf. Denn diese können der Persönlichkeit des Betroffenen nur gerecht werden, wenn sie bei den von ihnen zu treffenden Entscheidungen seine durch die Eintragung dokumentierte psychische Auffälligkeit berücksichtigen können. Entsprechendes gilt für die Behörden, die über eine Bewerbung des Betroffenen in den öffentlichen Dienst unter Berücksichtigung des angestrebten Betätigungsfelds zu befinden hätten (vgl. BVerfG aaO 556).

bb) Entgegen dem Vorbringen des Betroffenen war die Registerbehörde nicht gehalten, ein eigenständiges psychiatrisches Gutachten für die Zwecke des Verfahrens nach § 49 Abs. 1 BZRG einzuholen. Denn es ist anerkannt, dass ein solches Gutachten entbehrlich ist, wenn erst kurz zuvor ein Gutachten, auch in einem anderen Verfahren, eingeholt worden ist, das eine für den Fortbestand des öffentlichen Interesses an der Eintragung sprechende Beurteilungsgrundlage enthält (vgl. Rebmann/Uhlig aaO § 25 Rdn. 44 f; Götz/Tolzmann aaO § 25 Rdn. 28; Kalf aaO 581). So liegt es hier. Das Gutachten vom 20. Mai 2004 war zeitnah vor der Entscheidung des Generalbundesanwalts erstattet worden und weist die für die Beurteilung des Tilgungsantrags erforderlichen Tatsachengrundlagen auf.

Die von dem Betroffenen beantragte Einholung eines weiteren Gutachtens durch den Senat kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil sich die gerichtliche Prüfung im Verfahren nach den §§ 23 ff EGGVG, wie bereits dargelegt, darauf beschränkt, ob die angegriffene Entscheidung ermessensfehlerfrei ergangen ist. So liegt es hier. Die Registerbehörde ist von einem vollständig und richtig ermittelten Sachverhalt ausgegangen.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 30 Abs. 1 EGGVG, 130 KostO, die Festsetzung des Geschäftswertes auf den §§ 30 Abs. 3 EGGVG, 30 KostO.

Ende der Entscheidung

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