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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 15.09.2009
Aktenzeichen: 4 Ws 103/09
Rechtsgebiete: StPO, JGG


Vorschriften:

StPO § 112 Abs. 2 Nr. 2
JGG § 72 Abs. 1 Satz 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
KAMMERGERICHT Beschluss

Geschäftsnummer: 1 AR 1409/09 - 4 Ws 103/09

In der Strafsache gegen

wegen Bedrohung u.a.

hat der 4. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 15. September 2009 beschlossen:

Tenor:

Die weitere Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 7. August 2009 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

Das Amtsgericht - Jugendschöffengericht - Tiergarten in Berlin hat den jugendlichen Angeklagten mit Urteil vom 18. Mai 2009 - (425) 47 Js 854/08 Ls (1/09) - wegen Beleidigung in zwei Fällen, vorsätzlicher Körperverletzung und Bedrohung zu einer einheitlichen Jugendstrafe von einem Jahr verurteilt. Gleichzeitig hat es gegen den zu diesem Zeitpunkt noch in anderer Sache in Jugendstrafhaft befindlichen Angeklagten wegen Fluchtgefahr die Untersuchungshaft angeordnet. Gegen dieses Urteil haben sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt; die Berufungshauptverhandlung ist auf den 22. September 2009 terminiert. Den Haftbefehl, der - nach Erreichen des Endes der vollstreckten Jugendstrafe in anderer Sache am 15. Juni 2009 - seit dem 16. Juni 2006 vollstreckt wurde, hat das Amtsgericht am 22. Juli 2009 durch einen neuen Haftbefehl ersetzt, der nicht nur auf Fluchtgefahr, sondern darüber hinaus auch auf Wiederholungsgefahr gestützt wurde. Wegen des dem Angeklagten zur Last gelegten Sachverhalts nimmt der Senat Bezug auf den entsprechenden Inhalt des Haftbefehls. Die hiergegen erhobene Beschwerde hat das Landgericht - Jugendkammer - mit dem angefochtenen Beschluss mit der Maßgabe verworfen, dass nur der Haftgrund der Fluchtgefahr bestehe.

Mit seiner gemäß § 2 Abs. 2 JGG, § 310 Abs. 1 Nr. 1 StPO zulässigen weiteren Beschwerde, der das Landgericht nicht abgeholfen hat, erstrebt der Angeklagte die Aufhebung des Beschlusses des Landgerichts und des Haftbefehls, hilfsweise die Außervollzugsetzung des Haftbefehls.

Das Rechtsmittel ist unbegründet. Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.

1. Der dringende Tatverdacht bedarf angesichts des Teilgeständnisses des Angeklagten, im Übrigen angesichts des gegen ihn ergangenen erstinstanzlichen Urteils und der darin enthaltenen ausführlichen Beweiswürdigung keiner weiteren Erörterung.

2. Es besteht weiterhin Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO). Die Jugendkammer hat in dem angefochtenen Beschluss eingehend dargelegt, weshalb sie eine Änderung der Haftverhältnisse, insbesondere die beantragte Aufhebung des Haftbefehls, ablehnt. Dem Inhalt dieses Beschlusses vermag der Senat nur sehr weniges hinzuzufügen. Er gibt den Sachstand ausführlich und zutreffend wieder und die Erwägungen der Jugendkammer überzeugen. Der Senat nimmt deshalb auf den Inhalt dieses Beschlusses Bezug. Der Beschwerdeführer muss befürchten, dass auch das Landgericht im Zuge der Berufungshauptverhandlung zu denselben Feststellungen wie das Amtsgericht kommt und danach seine Berufung verworfen wird, überdies möglicherweise - angesichts der Berufung des Staatsanwaltschaft - gegen ihn eine über ein Jahr hinausgehende Jugendstrafe verhängt wird. In Anbetracht des außergewöhnlich problematischen Verlaufs des Vollzugs der zuletzt gegen den Angeklagten vollständig vollstreckten dreijährigen Jugendstrafe in anderer Sache kann er aus jetziger Sicht mit einer vorzeitigen Entlassung aus der Jugendstrafhaft nach § 88 JGG nicht rechnen. Dies gibt ihm einen beachtlichen Anreiz zur Flucht oder zum Untertauchen.

Umstände, die der aus der Straferwartung herzuleitenden Fluchtgefahr entgegenstehen stehen oder sie entscheidend mindern könnten, liegen aus den Gründen des angefochtenen Beschlusses nicht vor, ohne dass daran das Vorbringen der Verteidigung in der Begründung der weiteren Beschwerde und in der ergänzenden Stellungnahme im Schriftsatz vom 14. September 2009 etwas zu ändern vermag.

3. Eine vorläufige Anordnung über die Erziehung oder andere Maßnahmen (§§ 72 Abs. 1, 71 JGG) sind nicht geeignet, den Zweck der Untersuchungshaft in gleicher Weise zu erfüllen. Der Erlass eines Unterbringungsbefehls gemäß § 71 Abs. 2 JGG oder aber auch eine Haftverschonung, verbunden mit Auflagen nach § 2 Abs. 2 JGG, § 116 StPO, würde die Gewissheit des Senats erfordern, dass er sich auf den Beschwerdeführer verlassen kann (vgl. KG, Beschluss vom 2. August 2006 - 5 Ws 359/06 -; Senat, Beschluss vom 2. Juli 2008 - 4 Ws 59/08 -; jeweils m.w.N.). Davon kann keine Rede sein. Es ist nicht zu erwarten, dass der Angeklagte, obschon er erst etwa 17 Jahre und vier Monate alt ist, Anreizen widerstehen kann, die weitere Durchführung des Verfahrens durch Flucht, nahe liegend in die Türkei, wo Verwandte von ihm leben, oder zumindest durch ein Untertauchen in Deutschland zu vereiteln. Dem kann anders als durch den Vollzug der Untersuchungshaft nicht begegnet werden. Dass auch die Unterbringung in einem Heim der Jugendhilfe, das zwangsläufig nicht vergleichbar fluchtsicher wie eine Jugendstrafanstalt ist, die bestehende Fluchtgefahr nicht ausreichend mindern kann, liegt angesichts des massiven Fehlverhaltens des Angeklagten während des vergangenen Vollzugs der Jugendstrafe, insbesondere im Hinblick auf Verstöße etwa gegen das Handybesitzverbot oder gegen Kontaktverbote mit anderen Gefangenen und der darin zum Ausdruck kommende Neigung des Angeklagten, anstaltsinterne Regeln der Sicherheit und Ordnung immer wieder zu missachten, auf der Hand.

4. Es ist überdies nichts dafür ersichtlich, dass im vorliegenden Verfahren der Beschleunigungsanspruch des inhaftierten Angeklagten nicht beachtet worden ist. Das erstinstanzliche Urteil ist am 15. Juni 2009 und damit ohne Ausschöpfen der Urteilsabsetzungsfrist zu den Akten gelangt. Wenige Tage später wurde das schriftliche Urteil zugestellt. Dass die Akten nicht unmittelbar anschließend an das Berufungsgericht weitergeleitet wurden, war zunächst der von einem der Verteidiger begehrten Gewährung von Akteneinsicht und in der Folge der vom selben Verteidiger beantragten und zügig durchgeführten Haftprüfung geschuldet. Im Übrigen hat das Landgericht nach Eingang der Akten die Berufungshauptverhandlung zeitnah terminiert.

5. Die Fortdauer der Untersuchungshaft steht zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Rechtsfolge nicht außer Verhältnis (§ 72 Abs. 1 Satz 3 JGG), selbst wenn das Landgericht nicht von § 52 a Abs. 1 Satz 2 JGG Gebrauch macht, sondern die bisher erlittene etwa dreimonatige Untersuchungshaft auf eine gegebenenfalls verhängte Jugendstrafe angerechnet wird.

6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO. Ausreichende Gründe, § 74 JGG anzuwenden, waren nicht ersichtlich.



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