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Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 06.01.2006
Aktenzeichen: 4 Ws 183/05
Rechtsgebiete: JGG
Vorschriften:
JGG § 103 Abs. 1 |
KAMMERGERICHT Beschluss
Geschäftsnummer: 4 Ws 183/05 1 AR 1324/05
In der Strafsache
wegen schweren Raubes u.a.
hat der 4. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 6. Januar 2006 beschlossen:
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Berlin wird der Beschluss des Landgerichts Berlin vom 29. November 2005 aufgehoben, soweit durch ihn das Verfahren gegen die Angeklagten Jörg Ma., L., H., A. und K. abgetrennt und die Anklage der Staatsanwaltschaft Berlin vom 6. Oktober 2005 unter Eröffnung des Hauptverfahrens zur Hauptverhandlung vor der allgemeinen großen Strafkammer des Landgerichts Berlin zugelassen worden ist.
Die Anklage wird zur Hauptverhandlung auch gegen die vorgenannten Angeklagten vor der Strafkammer 30 - Jugendkammer - des Landgerichts Berlin zugelassen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Landeskasse Berlin.
Gründe:
Die Staatsanwaltschaft legt mit der vor der Strafkammer 30 - Jugendkammer - des Landgerichts Berlin erhobenen Anklageschrift vom 6. Oktober 2005 dem Heranwachsenden Ma. und dem Jugendlichen Fo. (ganz überwiegend mittäterschaftlich begangenen, teilweise versuchten) schweren Raub in siebenundzwanzig (Ma.) bzw. fünf (Fo.) Fällen zur Last; der Stiefvater des Angeklagten Ma., Jörg Ma., ist wegen mittäterschaftlicher Beteiligung an fünfzehn dieser Fälle angeklagt, die Angeklagten H., A. und K. haben sich als Mittäter der Raubtaten in jeweils vier Fällen (H. und A.) bzw. einem Fall (K.) zu verantworten. Dem Angeklagten Jörg Ma. und der Mitangeklagten L. werden darüber hinaus gemeinschaftliche räuberische Erpressung in zwei Fällen sowie gemeinschaftlicher Diebstahl vorgeworfen; die Angeklagte L. soll sich zudem des Vortäuschens einer Straftat schuldig gemacht haben.
Die Jugendkammer hat mit dem angefochtenen Beschluss das Verfahren gegen die erwachsenen Angeklagten Jörg Ma., L., H., A. und K. abgetrennt, insoweit die Anklage unter Eröffnung des Hauptverfahrens zur Hauptverhandlung vor der allgemeinen großen Strafkammer des Landgerichts zugelassen und lediglich das Verfahren gegen die Angeklagten Ma. und Fo. vor der Jugendkammer eröffnet. Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft, mit der sie sich gegen die Abtrennung des Verfahrens und die Zulassung der Anklage zur Hauptverhandlung vor der allgemeinen großen Strafkammer wendet, hat Erfolg.
1. Die nach § 311 Abs. 2 StPO fristgemäß eingelegte sofortige Beschwerde ist zulässig, weil die Jugendkammer mit der Teileröffnung des Hauptverfahrens gegen die erwachsenen Angeklagten vor der allgemeinen großen Strafkammer die Verweisung an ein Gericht niederer Ordnung ausgesprochen hat (§ 210 Abs. 2, i.V.m. § 209 a Nr. 2 Buchst. a) StPO; vgl. OLG Stuttgart ZfJ 1995, 297; KG, Beschluss vom 14. Februar 1994 - 5 Ws 65/94 -; KK-Pfeiffer, StPO 5. Aufl., § 2 Rdn. 14; LR-Wendisch, StPO 25. Aufl., § 2 Rdn. 63). Einer Auslegung des Rechtsmittels (auch) als einfache Beschwerde gegen die nach § 103 Abs. 3 JGG vorgenommene Abtrennung des Verfahrens (so OLG Köln NStZ-RR 2000, 313, 314) bedarf es nicht, weil der Trennung verbundener Strafsachen keine eigenständige verfahrensrechtliche Bedeutung zukommt, wenn sie, wie im vorliegenden Fall, in der Weise erfolgt, dass das Gericht die eine Sache vor sich, die andere vor einem Gericht niederer Ordnung eröffnet (vgl. KG aaO).
2. Das Rechtsmittel ist auch begründet. Die Anklage ist insgesamt zur Hauptverhandlung vor der Jugendkammer zuzulassen.
a) Gemäß § 103 Abs. 1 JGG können Strafsachen gegen Jugendliche bzw. Heranwachsende (§ 112 Satz 1 JGG) und Erwachsene nach den Vorschriften des allgemeinen Verfahrensrechts verbunden werden, wenn es zur Erforschung der Wahrheit oder aus anderen wichtigen Gründen geboten ist. Die Voraussetzungen einer Verbindung nach allgemeinem Verfahrensrecht (§§ 2, 3 StPO) liegen hier vor, da bei den den Angeklagten zur Last gelegten mittäterschaftlich begangenen Taten ein sachlicher und im Übrigen ein persönlicher Zusammenhang im Sinne des § 3 StPO besteht. Auch die spezifisch jugendrechtlichen Voraussetzungen einer einheitlichen Verfahrensdurchführung sind gegeben. Zwar soll nach den gesetzgeberischen Vorstellungen und den sich hieran orientierenden Richtlinien zum Jugendgerichtsgesetz die Verbindung von Strafsachen gegen Jugendliche/Heranwachsende und Erwachsene die Ausnahme sein; sie soll nur dann in Betracht kommen, wenn im Rahmen der pflichtgemäßen Ermessensentscheidung die besseren Gründe für eine Verbindung sprechen (vgl. OLG Stuttgart ZfJ 1995, 297; Ostendorf, JGG 6. Aufl., § 103 Rdn. 5 f; Brunner/Dölling, JGG 11. Aufl., § 103 Rdn. 8). Letzteres ist hier der Fall.
b) Die gemeinsame Verhandlung ist zur Erforschung der Wahrheit geboten. Es ist anerkannt, dass eine einheitliche Verhandlung vor dem Jugendgericht vor allem dann im Interesse einer geordneten Rechtspflege liegen kann, wenn dem/den jugendlichen bzw. heranwachsenden und dem/den erwachsenen Angeklagten gemeinschaftlich begangene Straftaten zur Last gelegt werden und voraussichtlich eine umfangreiche Beweisaufnahme erforderlich wird (vgl. OLG Köln NStZ-RR 2000, 313, 314; OLG Koblenz JR 1982, 479, 480 f; OLG Karlsruhe MDR 1981, 693, 694; KG, Beschlüsse vom 26. April 2000 - 5 Ws 310/00 -, 16. Dezember 1998 - 3 Ws 674/98 - und 14. Februar 1994 - 5 Ws 65/94 -; Ostendorf aaO Rdn. 5; Brunner/Dölling aaO Rdn. 8, 8 a). Denn im Falle gemeinschaftlicher Begehung von Straftaten kann man den Angeklagten sowohl bei der Aufklärung ihrer Rolle im Gesamtgeschehen als auch bei der Strafzumessung regelmäßig nur in einer gemeinsamen Hauptverhandlung gerecht werden. Auch lassen sich dadurch divergierende Entscheidungen vermeiden.
Die Angeklagten Ma. und Fo. waren, anders als die erwachsenen Angeklagten, im Ermittlungsverfahren weitgehend geständig und es steht zu erwarten, dass sie auch in der Hauptverhandlung ein Geständnis ablegen werden; es ist daher davon auszugehen, dass eine nur gegen sie allein vor der Jugendkammer geführte Hauptverhandlung deutlich kürzer und damit für sie weniger belastend als eine gemeinsame Hauptverhandlung sein würde. Dies spricht für eine Trennung des Verfahrens. Demgegenüber liegt es jedoch im Interesse der Wahrheitserforschung und nicht zuletzt auch im Interesse der jungen Angeklagten, in einer umfassenden Beweisaufnahme die Tatbeiträge der Erwachsenen und den Einfluss, den diese auf sie ausgeübt haben, näher zu beleuchten. Es besteht auch, was die Jugendkammer nicht hinreichend berücksichtigt hat, ein legitimes Interesse der Rechtspflege daran, die in der Hauptverhandlung zu erwartenden Angaben der jungen Angeklagten für den Schuldnachweis gegen die erwachsenen Angeklagten zu berücksichtigen. Insoweit liegt es nicht anders als in allen anderen Fällen, bei denen mehrere Beschuldigte wegen gemeinschaftlicher Tatbegehung (§§ 2, 3 StPO) angeklagt werden und bei denen die nichtgeständigen Angeklagten hinnehmen müssen, dass ein glaubhaftes Geständnis von Mitangeklagten zu ihrer Überführung beitragen kann. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang der Umstand, dass dem Angeklagten Ma. im Falle einer Trennung des Verfahrens und der dadurch begründeten Verfahrensstellung als Zeuge gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO ein Zeugnisverweigerungsrecht betreffend den Angeklagten Jörg Ma. zustünde. Denn die Regelung des § 103 Abs. 1 JGG bezweckt nicht, dem wegen gemeinschaftlicher Tatbegehung mitangeklagten Erwachsenen die Aussicht auf eine günstigere Beweisposition zu gewähren, die er bei einer - der Wahrheitserforschung zuwider laufenden - Trennung des Verfahrens hätte. Anhaltspunkte dafür, dass, wie die Jugendkammer meint, der Angeklagte Ma. wegen der Schwägerschaft (§ 1590 BGB) zu dem Mitangeklagten Jörg Ma. "in seinem Verteidigungsverhalten beeinträchtigt wird", liegen nicht vor, zumal er bereits ein umfassendes Geständnis abgelegt hat, durch das er in Kenntnis seines Auskunftsverweigerungsrechts auch seinen Stiefvater belastet hat. Entscheidendes Gewicht kann schließlich auch nicht der weiteren Erwägung der Jugendkammer zukommen, dass der Angeklagte Ma. aus Angst vor seinem Stiefvater "gehemmt" sein könnte, an der Aufklärung der Straftaten mitzuwirken. Denn dieser Furcht lässt sich durch eine räumliche Trennung beider Angeklagter im Gerichtsaal und der Möglichkeit eines zeitweiligen Ausschlusses des Angeklagten Jörg Ma. von der Hauptverhandlung gemäß § 247 StPO hinreichend begegnen.
3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens waren der Landeskasse aufzuerlegen, weil niemand sonst für sie haftet.
Ende der Entscheidung
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