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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 27.03.2009
Aktenzeichen: 4 Ws 31/09
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 310 Abs. 1
StPO § 310 Abs. 2
Hat das Amtsgericht in Verkennung seiner Zuständigkeit eine Entscheidung getroffen (hier: Verwerfung eines Wiederaufnahmeantrages), für die erstinstanzlich ein Landgericht mit der Folge zuständig ist, dass dagegen das übergeordnete Oberlandesgericht als Beschwerdegericht angerufen werden kann, dann stellt sich die in der äußeren Form einer Beschwerdeentscheidung getroffene Entscheidung des Landgerichts nach der allein maßgeblichen Sach- und Verfahrenslage als eine mit der Beschwerde zum Oberlandesgericht anfechtbare erstinstanzliche Entscheidung des Landgerichts dar.
KAMMERGERICHT Beschluss

Geschäftsnummer: 1 AR 328/09 - 4 Ws 31/09

In der Strafsache

wegen Betruges u.a.

hat der 4. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 27. März 2009 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde und die sofortige Beschwerde des Verurteilten vom 13. Februar 2009 gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 4. Februar 2009 werden verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

Das Amtsgericht Tiergarten hat den Beschwerdeführer, dem Rechtsanwalt Prof. H als Verteidiger beigeordnet worden ist, am 17. April 2007 u.a. wegen Betrugs zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Seine hiergegen unbeschränkt eingelegte Berufung hat die 65. Kleine Strafkammer des Landgerichts Berlin durch Urteil vom 23. August 2007, rechtskräftig seit dem 4. März 2008, verworfen. Am 29. August 2008 hat der Beschwerdeführer (erneut) einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gestellt, da bei der Verhandlung die Tatsachen nicht geprüft worden seien, und die Beiordnung eines neuen Pflichtverteidigers beantragt. Mit Beschluss vom 10. Dezember 2008 hat das Amtsgericht Tiergarten den Wiederaufnahmeantrag des Beschwerdeführers als unzulässig verworfen. Seine hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde hat die 33. Große Strafkammer des Landgerichts Berlin - zuständig als Beschwerdekammer - am 4. Februar 2009 unter Hinweis darauf, dass ihm kein (anderer) Pflichtverteidiger beizuordnen ist, da das Amtsgericht ihm einen Pflichtverteidiger bestellt hat und dessen Beiordnung nicht aufgehoben worden ist, aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung verworfen.

Die Beschwerde bzw. sofortige Beschwerde des Verurteilten vom 13. Februar 2009 gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 4. Februar 2009 sind zulässig, haben in der Sache jedoch keinen Erfolg.

1. Zwar ist, wenn wie hier ein Ausnahmefall des § 310 Abs. 1 StPO nicht vorliegt, eine weitere Beschwerde gegen die auf eine Beschwerde hin ergangene Entscheidung des Landgerichts nach § 310 Abs. 2 StPO unzulässig. Das Rechtsmittel des Verurteilten ist vorliegend jedoch nicht als weitere Beschwerde, sondern als Beschwerde bzw. sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 4. Februar 2009 zu behandeln. Denn dieser Beschluss ist der wahren Rechtslage entsprechend als erstinstanzliche Entscheidung zu werten. Hat - wie hier - das Amtsgericht in Verkennung seiner Zuständigkeit eine Entscheidung getroffen, für die erstinstanzlich ein Landgericht mit der Folge zuständig ist, dass dagegen das übergeordnete Oberlandesgericht als Beschwerdegericht angerufen werden kann, dann stellt sich nach allgemeiner Auffassung die in der äußeren Form einer Beschwerdeentscheidung getroffene Entscheidung des Landgerichts nach der allein maßgeblichen Sach- und Verfahrenslage als eine mit der Beschwerde zum Oberlandesgericht anfechtbare erstinstanzliche Entscheidung des Landgerichts dar. In einem solchen Fall ist die (sofortige) Beschwerde gegen die Entscheidung des Landgerichts zulässig, weil die sonst vom Gesetz gewollte Entscheidung des dem Landgericht übergeordneten Gerichts im Beschwerdeverfahren nicht erreichbar wäre (vgl. KG NStZ 2007, 422 und Beschlüsse vom 17. März 2009 - 2 Ws 117/09 - und vom 8. Februar 2005 - 5 Ws 39/05 -; OLG Düsseldorf NStZ-RR 2001, 111; OLG Karlsruhe Justiz 2002, 23; Matt in Löwe-Rosenberg, StPO 25. A., § 310 Rdnr. 9; Meyer-Goßner, StPO 51. A., § 310 Rdnr. 2; Engelhardt in Karlsruher Kommentar, StPO 6. A., § 310 Rdnr. 4; a.A. OLG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 15. Dezember 2000 - 1 Ws 389/99 - [juris]).

So ist es hier. Denn die 65. Kleine Strafkammer des Landgerichts Berlin hat über die unbeschränkt eingelegte Berufung des Beschwerdeführers durch Urteil entschieden, so dass sich der unbeschränkte Wiederaufnahmeantrag des Verurteilten vom 29. August 2008 zutreffend gegen dieses Berufungsurteil des Landgerichts Berlin richtete und nicht gegen das erstinstanzliche Urteil des Amtsgerichts Tiergarten (vgl. Gössel in Löwe-Rosenberg, StPO 25. A., § 367 Rdnr. 8; Meyer-Goßner, a.a.O., GVG § 140a Rdnr. 6; Schmidt in Karlsruher Kommentar, StPO 6. A., § 140a GVG Rdnr. 5). Zuständig für das Wiederaufnahmeverfahren war daher nicht das Amtsgericht Tiergarten, sondern das nach § 141a Abs. 2 GVG bestimmte Landgericht, das in der gleichen Besetzung (§ 76 Abs. 1 GVG) wie in der früheren Hauptverhandlung zu entscheiden hat (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O.), hier also eine andere Kleine Strafkammer des Landgerichts Berlin.

2. Der Senat entscheidet gleichwohl gemäß § 309 Abs. 2 StPO in der Sache selbst. Der Mangel des angefochtenen Beschlusses kann im Beschwerdeverfahren in dem Sinne ausgeglichen werden, dass der Senat an die Stelle der an sich berufenen Kleinen Strafkammer tritt (vgl. KG NStZ 2007, 422 und Beschluss vom 8. Februar 2005, a.a.O.; OLG Düsseldorf a.a.O.). Denn der für Beschwerden u.a. mit den Buchstaben "O" zuständige Senat wäre auch dann zur Entscheidung über die Rechtsmittel berufen, wenn richtigerweise die Kleine Strafkammer des Landgerichts als Gericht des ersten Rechtszuges entschieden hätte (vgl. KG, Beschluss vom 8. Februar 2005, a.a.O., m.w.N.).

3. Soweit sich der Verurteilte in seiner Beschwerde gegen die Verwerfung seines Wiederaufnahmeantrages wendet, handelt es sich um eine auch im Übrigen zulässige - insbesondere mangels Zustellung des angefochtenen Beschlusse fristgerecht eingelegte - sofortige Beschwerde nach § 372 Satz 1 StPO. Diese ist jedoch - unbeschadet des Umstandes, dass die Einhaltung der zwingenden Formvorschrift des § 366 Abs. 2 StPO für die Anbringung eines Wiederaufnahmeantrages aufgrund der inhaltlichen Distanzierung des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle von dem Antragsvorbringen äußerst fraglich erscheint (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 366 Rdnr. 4) - jedenfalls deshalb unzulässig, weil der Verurteilte mit seinem pauschalen Vorbringen, wonach in der Verhandlung die Tatsachen nicht geprüft worden und die ihm vorgeworfenen Überweisungen nicht möglich seien, auch habe er keine Kontakte zu einer Stuttgarter Bank, weder einen der gesetzlich anerkannten Gründe für eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu seinen Gunsten (§ 359 StPO) vorgebracht noch Beweismittel hierfür (§ 366 Abs. 1 StPO) angegeben hat.

4. Soweit sich der Verurteilte gegen die Ablehnung seines Antrags auf Bestellung eines (anderen) Pflichtverteidigers wendet, handelt es sich um eine zulässige (einfache) Beschwerde. Auch diese ist jedoch unbegründet. Denn die Beiordnung von Rechtsanwalt Prof. H als Verteidiger des Beschwerdeführers wirkt fort bis zum rechtskräftigen Abschluss des Wiederaufnahmeverfahrens nach § 370 Abs. 2 StPO (vgl. Senat, Beschluss vom 4. Mai 2005 - 4 Ws 23/05 -; KG, Beschluss vom 19. Juli 2006 - 3 Ws 506/05 -; Meyer-Goßner, a.a.O., § 364a Rdnr. 2). Die Bestellung eines Verteidigers nach §§ 364a, 364b StPO kommt nur in Betracht, wenn zuvor kein Verteidiger mitgewirkt hat oder dessen Vollmacht erloschen oder die Beiordnung als Pflichtverteidiger aufgehoben worden ist (vgl. Senat, a.a.O.; KG, Beschluss vom 8. Januar 2001 - 3 Ws 644/00 -). Die Beiordnung von Rechtsanwalt Prof. H wurde aber nicht aufgehoben.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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