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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 03.12.2002
Aktenzeichen: 5 U 245/02
Rechtsgebiete: ZPO, UWG


Vorschriften:

ZPO § 935
ZPO § 940
UWG § 25
1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung kann nach Verkündung des Berufungsurteils nicht mehr wirksam zurückgenommen werden.

2. In schwierigen urheberrechtlichen Fällen ist besonders sorgfältig zu prüfen, ob angesichts der im Verfügungsverfahren nur beschränkt möglichen Aufklärung der Sach- und zuweilen auch der Rechtslage die begehrte Maßnahme zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig ist. Insoweit bedarf es einer Interessenabwägung, die ergeben kann, dass das Begehren für eine Entscheidung im summarischen Verfahren nicht geeignet ist.


KAMMERGERICHT Im Namen des Volkes

Geschäftsnummer: 5 U 245/02

Verkündet am: 3. Dezember 02

In dem Rechtsstreit

hat der 5. Zivilsenat des Kammergerichts durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Haase und die Richter am Kammergericht Dr. Pahl und Grass auf die mündliche Verhandlung vom 3. Dezember 2002 für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Antragstellerinnen gegen das am 4. Juli 2002 verkündete Urteil der Zivilkammer 16 des Landgerichts Berlin wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Gründe:

Auf die tatsächlichen Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils wird Bezug genommen.

Den Antragstellerinnen steht kein im Wege der einstweiligen Verfügung sicherbarer Anspruch darauf zu, dass der Antragsgegnerin untersagt wird, den Inhalt der

- Literatur-Kartei Englisch mit dem Titel "Harry Potter", ISBN 3/86072/670/0,

- Literatur-Kartei Sekundarstufe I mit dem Titel "Harry Potter und der Stein der Weisen", ISBN 3/86072/594/7 sowie

- Literatur-Werkstatt-Grundschule mit dem Titel "Harry Potter und der Stein der Weisen", ISBN 3/86072/651-X zu vervielfältigen und/oder zu verbreiten.

Rechtlich unbeachtlich ist zunächst, dass die Antragstellerinnen ihren Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung am 4. Dezember 2002 - nach Verkündung des Senatsurteils am 3. Dezember 2002 - zurückgenommen haben. Zwar kann ein Antragsteller seinen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung grundsätzlich auch noch nach mündlicher Verhandlung des Antragsgegners zur Hauptsache ohne dessen Zustimmung rechtswirksam zurücknehmen (vgl. OLG Düsseldorf NJW 1982, 2452). Dies gilt jedoch nicht, wenn das Verfahren bereits rechtskräftig abgeschlossen ist. Dies ist vorliegend der Fall, da das Berufungsurteil des Senats mit Verkündung rechtskräftig geworden ist und es das Verfahren somit abgeschlossen hat. In diesem Stadium entfaltet eine Antragsrücknahme keine Wirkung mehr.

Die beantragte einstweilige Verfügung kann indessen schon deshalb nicht ergehen, weil den Antragstellerinnen - jedenfalls soweit es um urheberrechtliche Ansprüche geht - der erforderliche Verfügungsgrund (§§ 935, 940 ZPO) fehlt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats, der insoweit der herrschenden Meinung folgt, gilt für urheberrechtliche Unterlassungsansprüche die Vermutung des § 25 UWG nicht (vgl. Senat KGR 2001, 216/217; GRUR 1996, 974; AfP 1994, 314; MK/Heinze, ZPO, 2. Aufl., § 935 Rdnr. 183; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche, 8. Aufl., Kap. 54 Rdnr. 20 b; Gutsche, Vorläufiger Rechtsschutz im Urheberrecht in Festschrift für Wilhelm Nordemann, 1999, S. 80). In diesem Zusammenhang hat der Antragsteller daher die Eilbedürftigkeit seines Begehrens gemäß den § 935, 940 ZPO glaubhaft zu machen. Zusätzlich muss sein Begehren für eine Entscheidung im summarischen Verfahren auch geeignet sein (vgl. Senat AfP 1994, 314; OLG Karlsruhe GRUR 1979, 700 und 1982, 169/171; Gutsche a. a. O., S. 78). Für diese Eignungsprüfung wird gefordert, dass die Urheberrechtsfähigkeit keinen "durchgreifenden Zweifeln" begegnet und dass die Rechtsverletzung ohne Schwierigkeiten feststellbar ist (vgl. OLG Karlsruhe a. a. O.; Senat AfP 1994, 314; OLG Celle CR 1994, 748/750 und GRUR 1998, 50; Gutsche a. a. O., S. 78).

Es kann für den vorliegenden Fall dahinstehen, ob sich überhaupt nur jene Urheberrechtsverletzung mit den Mitteln des einstweiligen Rechtsschutzes unterbinden lässt, die im tatsächlichen wie im rechtlichen einfach gelagert ist (so Gutsche a. a. O.). Jedenfalls ist in Fällen der auch hier gegebenen Art besonders sorgfältig zu prüfen, ob angesichts der im Verfügungsverfahren nur beschränkt möglichen Aufklärung der Sach- und zuweilen auch Rechtslage die begehrte Maßnahme die Voraussetzungen des § 940 erfüllt, also zur Abwendung wesentlicher Nachteile eine Eilentscheidung nötig ist. Bei dieser Prüfung sind die beiderseitigen Interessen gegeneinander abzuwägen, auch unter Berücksichtigung etwa der gefährdeten Marktanteile und der Realisierungsmöglichkeiten späterer Schadensersatzansprüche. Der Erlass einer einstweiligen Verfügung kommt danach nur in Frage, wenn die Beurteilung der konkreten Verletzungsfrage keine größeren Schwierigkeiten macht. Dies betrifft insbesondere den Schutzumfang und den Verletzungstatbestand (vgl. Senat AfP 1994, 314/315).

Die nach alledem erforderliche Interessenabwägung führt hierzu dem Ergebnis, dass der Erlass der begehrten einstweiligen Verfügung untunlich ist. Dafür spricht schon, dass die Antragstellerinnen ersichtlich auf den Erlass der einstweiligen Verfügung nicht angewiesen sind. Die beanstandeten Lehrerhandbücher sind nicht geeignet, den Verkauf der Harry Potter Romane oder auch begleitender Merchandising-Artikel ernsthaft zu behindern, sodass den Antragstellerinnen Vermögensgefährdungen, die ein rasches Eingreifen notwendig machen könnten, nicht drohen. Schwerwiegender wären die Folgen eines Verbots für die Antragsgegnerin. Denn im Falle eines Verbots würden die Unterrichtsmaterialien längere Zeit nicht verwendet werden können und verlören möglicherweise sogar ihre Aktualität, so dass sie auch zu einem späteren Zeitpunkt kaum noch verkäuflich wären.

Hinzu kommt, dass ersichtlich auch die Antragstellerinnen der Angelegenheit keine überragende Bedeutung zugemessen haben. Denn sie haben bereits mit Schreiben vom 14. Februar 2002 von der Existenz der "Lehrer-Handreichungen" erfahren, dann aber zunächst zwei Monate abgewartet, bis sie sich die beanstandeten Lehrerhandbücher besorgt haben, um dann am 25. April 2002 - etwa zehn Wochen nach Kenntnisnahme - die Antragsgegnerin abzumahnen. Bis zur Einreichung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung sind dann noch weitere drei Wochen vergangen. Es braucht vorliegend nicht der Frage nachgegangen zu werden, ob nicht schon wegen dieses Zuwartens ein Verfügungsgrund entfallen ist. Immerhin spricht diese - auch in Anbetracht des Umstandes, dass die Antragstellerinnen keine Inländer sind - eher behäbige Vorgehensweise gegen eine Gefährdung der Interessen der Antragstellerinnen, die sofortiges Eingreifen erforderlich machen könnte. Hinzu kommt, dass dieses Verfahren letztlich nur zu einer vorläufigen Entscheidung führen könnte, während im Klageverfahren eine abschließende höchstrichterliche Entscheidung zu erwarten ist. Diesem Punkt kommt deshalb Bedeutung zu, weil das Verfahren neuartige urheberrechtliche Grundsatzfragen aufwirft. Denn bisher ist - soweit ersichtlich - noch kein Autor gegen die Darstellung eines Werkes im Rahmen eines Lehrerhandbuches vorgegangen, obwohl derartige Handreichungen eine lange Tradition haben. Der Bedeutung der Rechtsfrage haben die Parteien auch in der Weise Rechnung getragen, dass sie jeweils Privatgutachten renomierter Urheberrechtler - Prof. Dr. L für die Antragstellerinnen, Prof. E für die Antragsgegnerin - eingeholt haben, die mit ausführlichen Begründungen zu gegensätzlichen Ergebnissen gekommen sind. Zwar ist es grundsätzlich möglich und regelmäßig auch geboten, im Verfügungsverfahren notfalls auch schwierige Rechtsfragen zu lösen. Doch zeigt der vorliegende Fall, was im Übrigen die Antragstellerinnen selbst eingeräumt haben, dass manchem Streit zuweilen ein längeres Zuwarten und Überlegen dienlich sein kann. Hinzu kommt, dass - selbst wenn man dem Ergebnis des den Antragstellern günstigen Privatgutachtens von Prof. L folgte - gar nicht sicher wäre, dass die beantragten einstweiligen Verfügungen zu erlassen wären. Vielmehr dürfte das verlangte pauschale Verbot der drei Lehrerhandbücher nicht gerechtfertigt sein, vielmehr wäre im Einzelnen durchzuprüfen, inwieweit sie im Detail den notwendigen Abstand vermissen lassen, wie dies im Termin auch ausführlicher und anhand konkreter Beispielskapitel erörtert worden ist. Denn es ist nicht zu verkennen, dass sich zwar das Handbuch für die dritte bis fünfte Klasse recht eng an den Text des Romans hält, doch halten das Werk für die Sekundarstufe I und vor allem das für den Englischunterricht, das sich im Übrigen mit mehreren Harry Potter Romanen befasst, einen deutlich weiteren Abstand. Es wäre also im Tatsächlichen sozusagen "Zeile für Zeile" eingehend zu prüfen, ob der erforderliche Abstand eingehalten ist. Es liegt auf der Hand, dass das summarische Verfahren nicht besonders geeignet ist, derartige schwierige und zeitraubende Fragen zu klären.

Gegenüber diesem Interesse, letztlich zu einer abgewogenen und zutreffenden Lösung zu kommen, treten die Interessen der Antragstellerinnen zurück. Wie bereits dargelegt, ist eine Absatzbehinderung nicht ersichtlich. Der Umstand, dass jedenfalls nach Auffassung der Antragsgegnerin sich die Harry Potter Romane für die Behandlung im Schulunterricht eignen, ist fraglos auch nicht rufschädigend. Schließlich ist auch eine Verletzung des Urheberpersönlichkeitsrechts der Antragstellerin zu 1. nicht ersichtlich, denn an ihrem Vorbringen, sie sei grundsätzlich gegen die Verwendung ihrer Werke als "Zwangslektüre" im Schulunterricht, hält sie ersichtlich nicht aufrecht.

Hinsichtlich der Antragstellerin zu 2. ist darauf hinzuweisen, dass dieser ohnehin nur Lizenzrechte hinsichtlich verschiedener Verwertungen der Romane zustehen, wobei es insbesondere um die Verfilmung und um das Merchandising geht. Diese Rechte könnten auch allenfalls punktuell zu Verboten führen, da der Grundsatzanspruch aus § 97 Abs. 1 UrhRG nur der Antragstellerin zu 1. zustehen dürfte.

Diese besonderen Umstände des Falles müssen bei der Abwägung, ob er sich für ein Verfügungsverfahren eignet, berücksichtigt werden und zu dem Ergebnis führen, dass dies nicht der Fall ist. Für die Parteien und die Rechtssicherheit wäre ein konsequentes Vorgehen im Rahmen einer Hauptsacheklage, die über die Revision zu einer höchstrichterlichen Entscheidung führt, die ggf. noch im Wege der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden kann, eindeutig hilfreicher.

Die erstrebte einstweilige Verfügung kann auch nicht auf § 14 Abs. 5 i. V. m. Abs. 2 Nrn. 2 oder 3 MarkenG gestützt werden. Allerdings ist der Senat bisher in ständiger Rechtsprechung der wohl herrschenden Meinung gefolgt, § 25 UWG finde auf die Durchsetzung markenrechtlicher Ansprüche Anwendung, da § 15 MarkenG ohne inhaltliche Änderungen dem früheren § 16 UWG entspreche. Doch können gegenüber der Anwendung des § 25 UWG auf derart komplexe Sachverhalte durchaus Bedenken bestehen (vgl. Teplitzy a. a. O. Kap. 54 Rdnr. 20 b). Unabhängig von diesen Bedenken rechtfertigt ein Verstoß gegen § 14 MarkenG, der, nachdem die Antragsgegnerin hinsichtlich der Covergestaltung eine Unterlassungserklärung abgegeben hat, nur noch darauf gestützt werden könnte, dass auf jeder Seite der Materialien der jeweilige Werktitel auftaucht, jedenfalls nicht das pauschale Verbot.

Schließlich bestehen auch keine Ansprüche der Antragstellerinnen aus § 1 UWG. Das folgt schon daraus, dass das Urheberrecht Sonderrechtsschutz einräumt, dessen Bedingungen geklärt werden müssen. Hinter diesem Sonderrechtsschutz muss der allgemeine Rechtsschutz aus § 1 UWG zurückstehen, denn das Wettbewerbsrecht hat die Wertungen des Urheberrechts hinzunehmen. Es müssen daher besondere, außerhalb der Sonderschutztatbestände des Urheberrechts liegende Umstände vorliegen, um die Unlauterkeit einer Handlung zu begründen (vgl. BGH GRUR 1997,459 - "CB-Infobank I"). Wie aber bereits ausgeführt, ist die Herausgabe der Lehrerhandbücher nicht rufschädigend. Da derartige Handbücher zu Lehrzwecken seit alters her üblich sind, kann auch nicht von einem unlauteren Nachahmen ausgegangen werden. Die Entscheidung, ob das Vorgehen der Antragsgegnerin zu beanstanden ist, muss letztlich dem Urheberrecht vorbehalten sein. Der Senat folgt mithin in Ansehung des § 1 UWG dem Privatgutachten von Prof. E.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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