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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 22.10.1999
Aktenzeichen: 5 U 5806/99
Rechtsgebiete: UWG, GG, ZPO, BGB


Vorschriften:

UWG § 1
GG Art. 5
ZPO § 519 Abs. 3 Nr. 1
ZPO § 91 Abs. 1 Satz 1
ZPO § 543 Abs. 1
BGB § 823 Abs. 1
BGB § 1004 Abs. 1
Zur Zeit ist kein Raum für die Annahme, dass die Verbreitung eines Vorschaltgeräts zum Fernseher mit einer "spot-stop-Funktion" einer privaten Rundfunkveranstalterin bei der Akquisition von Werbung wesentlich die Ausübung ihrer Rundfunkfreiheit erschwert.

KG Berlin Urteil 22.10.1999 - 5 U 5806/99 - 15 O 130/99 LG Berlin


hat der 5. Zivilsenat des Kammergerichts durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Bornemann, den Richter am Kammergericht Crass und die Richterin am Landgericht Kingreen auf die mündliche Verhandlung vom 22. Oktober 1999 für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Antragsgegnerin wird das am 28. Mai 1999 verkündete Urteil der Zivilkammer 15 des Landgerichts Berlin geändert:

Die einstweilige Verfügung vom 11. März 1999 wird aufgehoben und der Antrag auf ihren Erlass zurückgewiesen.

Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

Die Antragstellerin betreibt einen werbefinanzierten privaten Fernsehsender.

Die Antragsgegnerin vertreibt unter der Bezeichnung "Fernsehfee" ein Vorschaltgerät zum Anschluss an Fernseher, das über eine "spot-stop-Funktion" verfügt. Diese ermöglicht eine Ausblendung von Werbung aus dem laufenden Programm, indem das Gerät für die Dauer der Ausstrahlung von Werbespots automatisch auf einen werbefreien Kanal umschaltet. Die Antragsgegnerin bewirbt ihr Produkt und ihre Dienstleistung mit der u.a. aus der Anlage Ast 1 ersichtlichen Werbung im Internet und bietet das Gerät mit einer unverbindlichen Preisempfehlung von 399,00 DM an. Hinzu kommen laufende monatliche Kosten für das Ausstrahlen der an das Vorschaltgerät gerichteten Befehlssignale.

Die Zivilkammer 15 des Landgerichts Berlin hat der Antragsgegnerin durch Beschluss vom 11. März 1999 in Wege der einstweiligen Verfügung unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel untersagt,

a) ein Vorschaltgerät zum Anschluss an TV-Geräte ... anzubieten, zu vertreiben und/oder zu bewerben, soweit mit diesem Gerät Fernsehwerbung im ...-Programm der Antragstellerin derart unterdrückt wird, dass das Vorschaltgerät das angeschlossene Fernsehempfangsgerät während der Übertragung von Fernsehwerbung auf dem eingestellten ...-Kanal auf einen anderen zu dieser Zeit werbefreien Kanal umschaltet

und/oder

b) an diese Vorschaltgeräte gerichtete Befehlssignale auszustrahlen bzw. ausstrahlen zu lassen, die bewirken, dass an das Vorschaltgerät angeschlossene Fernsehempfangsgeräte während Werbeübertragungen im ...-Programm der Antragstellerin auf einen ggf. werbefreien Kanal umschalten und/oder eine entsprechende Dienstsleistung zu bewerben.

Auf den Widerspruch der Antragsgegnerin hat das Landgericht durch das angefochtene Urteil die einstweilige Verfügung vom 11. März 1999 bestätigt. Zur Begründung hat es ausgeführt, zwischen den Parteien bestehe ein konkretes Wettbewerbsverhältnis. Die Angebote der Parteien würden sich wechselseitig ausschließen, da die Antragstellerin den Zuschauer als Konsumenten von Werbung zu gewinnen trachte, während die Antragsgegnerin den Kundenkreis umwerbe, der sich dieser Art von Programm entziehen wolle. Der Vertrieb und die Bewerbung des Vorschaltgerätes mit der "spot-stop-Funktion" würden gegen § 1 UWG verstoßen, weil die Antragsgegnerin unmittelbar in das durch Art. 5 GG geschützte Recht auf Rundfunkfreiheit eingreife. Durch auf der Hand liegende Einnahmeverluste sei die Existenz der Privatsender bedroht.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung der Antragsgegnerin, die in der Berufungsbegründung keinen Antrag angekündigt hat.

Die Antragsgegnerin rügt:

Es bestehe kein Wettbewerbsverhältnis zwischen den Parteien. Die Antragstellerin werde an der Betätigung ihrer Rundfunkfreiheit nicht gehindert, da die allenfalls marginalen Einbußen bei den Werbeeinnahmen ihre Existenz als Fernsehanbieter nicht gefährden würden und sie sich zudem andere Einnahmequellen (z.B. Bannerwerbung, product placement, Pay-TV) erschließen könne. Ihr System ziele nicht in sittenwidriger Weise gegen die Geschäftstätigkeit der Antragstellerin, sondern biete eine ergebnisoffene Technik an, mittels derer die Fernsehzuschauer das Programm der Antragstellerin besser nutzen könnten. Sie genieße durch Art. 2 und Art. 14 GG Grundrechtsschutz für die Freiheit ihrer wirtschaftlichen Betätigung. Zu berücksichtigen sei auch der Grundrechtsschutz der Zuschauer nach Art. 5 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 Satz 2 GG. Bei der Abwägung der Grundrechtspositionen nach dem Prinzip der praktischen Konkordanz sei der Schutz des Individualsphäre vorrangig gegenüber dem wirtschafltichen Gewinnstreben von Wettbewerbern. Eine Beschneidung der negativen Informationsfreiheit sei nicht zulässig. Der Bestand der Antragstellerin werde nicht grundsätzlich beeinträchtigt.

Die Antragsgegnerin beantragt,

unter Aufhebung der einstweiligen Verfügung vom 11. März 1999 sowie des Urteils vom 28. Mai 1999 den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.

Die Antragstellerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Antragstellerin erwidert:

Die Berufung sei unzulässig, weil die Berufungsbegründung nicht den Voraussetzungen des § 519 Abs. 3 Nr. 1 ZPO entspreche.

Zwischen den Parteien bestehe ein Wettbewerbsverhältnis. Das Angebot der Antragsgegnerin verstoße unter den Gesichtspunkten der Behinderung und Ausbeutung im Hinblick auf die Nachahmungsgefahr gegen § 1 UWG. Sie beute ihre Vorleistungen in unlauterer Weise aus. Das Verhalten stelle einen unzulässigen Eingriff in die grundrechtlich geschützte Rundfunkfreiheit dar. Die Antragsgegnerin könne sich nicht auf Grundrechtsschutz berufen. Privatpersonen seien nicht vor jeder Art potentieller Belästigung geschützt. Es liege außerdem ein unzulässiger Eingriff in ihren Gewerbebetrieb nach § 823 Abs. 1 BGB vor. Von der weiteren Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

Die zulässige Berufung der Antragsgegnerin ist begründet.

Die Berufungsbegründung enthält die Berufungsanträge im Sinne von § 519 Abs. 3 Nr. 1 ZPO. Was beantragt wird, kann sich auch ohne förmlichen Antrag aus der Begründungsschrift ergeben, wenn jedenfalls klar ist, dass die volle Beschwer bekämpft werden soll (BGH NJW 1992, 698; Zöller/Gummer, 21. Aufl., § 519 ZPO Rdn. 28). So liegt der Fall hier. In der Berufungsbegründung der Antragsgegnerin vom 16. August 1996 wird deutlich, dass sie sich insgesamt gegen die Annahme des Landgerichts wehrt, der Antragstellerin stehe ein Verbietungsrecht zu.

Es kann dahinstehen, ob entsprechend der Ansicht des Landgerichts mit Blick auf denselben Kundenkreis der umworbenen Fernsehzuschauer zwischen den Parteien ein konkretes Wettbewerbsverhältnis besteht oder ob ein solches insbesondere angesichts der Verschiedenartigkeit der angebotenen Leistungen zu verneinen ist (vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 23. 9. 1999 - 6 U 74/99 - S. 5 - 7; LG Frankfurt, Urteil vom 8. 4. 1999 - 2/3 O 97/99 - S. 4 - 6).

Der Antragstellerin steht gegen die Antragsgegnerin ein Unterlassungsanspruch weder aus § 1 UWG unter den Gesichtspunkten der Behinderung oder der Ausbeutung noch aus §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 BGB zu.

Unter Behinderung im Sinne des Wettbewerbsrechts ist die wettbewerbswidrige Beeinträchtigung der wettbewerblichen Entfaltungsmöglichkeiten eines Mitbewerbers zu verstehen (Köhler/Piper, UWG, § 1 Rdnr. 79). Ob eine Behinderung wettbewerbswidrig ist, lässt sich nur aufgrund einer Gesamtwürdigung aller Einzelumstände des konkreten Falles beurteilen (Baumbach/Hefermehl, UWG, 21. Aufl., § 1 Rdnr. 208).

Nach dieser Gesamtwürdigung liegt entsprechend der Ansicht des Oberlandesgerichts Frankfurt (a.a.O. S. 7 ff.) keine unzulässige Beeinträchtigung vor.

Die Antragsgegnerin verstößt gegen keinerlei (sonstige) Rechtsvorschriften. Sie greift auch weder in die Rundfunkausstrahlung der Antragstellerin ein, noch zwingt sie dem Zuschauer die Ausblendung von Werbung auf. Vielmehr eröffnet sie ihm die Möglichkeit, durch eigene freie Entscheidung beim Beginn von Werbeausstrahlungen - statt bisher manuell - automatisch das Programm wechseln zu lassen. Der Zuschauer verhält sich dabei ebenfalls weder rechts- noch vertragswidrig, da für ihn keinerlei Verpflichtung besteht, sich die Werbung anzuschauen.

Das Verhalten der Antragsgegnerin ist ebensowenig unzulässig unter dem Gesichtspunkt eines Eingriffs in das Grundrecht der Antragstellerin auf Rundfunkfreiheit (vgl. Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 4. Aufl., Art. 5 Rdnr. 34), dessen Schutz auch die Werbung genießt (Ring, Medienrecht, C-0.3, § 7 Rdnr. 11). Das ergibt die Berücksichtigung der mittelbaren Drittwirkung des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG (vgl. Ricker/Schiwy, Rundfunkverfassungsrecht, B, Rdnrn. 122-129) bei der verfassungskonformen Konkretisierung des § 1 UWG (vgl. Baumbach/Hefermehl, a.a.O. Einl, Rdnrn. 92, 93).

Durch die Zulassung des Handelns der Antragsgegnerin wird die Antragstellerin bei der Akquisition von Werbung nicht Bedingungen unterworfen, die die Ausübung ihrer grundrechtlichen Freiheit wesentlich erschweren oder gar praktisch unmöglich machen würden (vgl. BVerfG NJW 1998, 1627, 1632; BVerfGE 73, 118, 157; vgl. auch Ricker/Schiwy, a.a.O., C, Rdnr. 97). Dieses Recht unterscheidet sich von der allein dem öffentlichen Rundfunk gewährten Bestands- und Entwicklungsgarantie unter Einschluss der erforderlichen Finanzmittel (vgl. BVerfG a.a.O.).

Eine solche wesentliche Erschwerung, die konkret drohen müsste (vgl. BGH GRUR 1985, 881, 882 - Bliestal-Spiegel; GRUR 1990, 44, 45 - Annoncen-Avis; KG AfP 1997, 726, 728; OLG Bremen WRP 1999, 1052, 1053), hat die Antragstellerin jedenfalls nicht glaubhaft gemacht. Bisher gibt es nur Vermutungen. Sie hat keine Anhaltspunkte, wieviele Fernsehzuschauer das Gerät kaufen und die monatliche Gebühr zahlen werden. Außerdem hat sie keine Tatsachen dafür vorgetragen, dass sie tatsächlich bereits Einbußen in ihrem Umsatz auf dem Werbemarkt erlitten hat. Unter solchen Umständen ist - zur Zeit - kein Raum für die Annahme, die Verbreitung des Vorschaltgeräts mit der streitgegenständlichen "spot-stop-Funktion" erschwere bei der Akquisition von Werbung wesentlich die Ausübung ihrer Rundfunkfreiheit.

Eine Ausbeutung der Leistungen der Antragstellerin durch Anlehnung an fremde Waren zur Empfehlung der eigenen Ware (vgl. Baumbach/Hefermehl, a.a.O. § 1 Rdnrn. 552 ff.) scheidet aus, weil es sich bei der "Fernsehfee" mit der streitgegenständlichen Funktion um eine Zusatzware zu dem Programm der Antragstellerin handelt, welche frei hergestellt, vertrieben und beworben werden kann (vgl. Baumbach/Hefermehl, a.a.O., Rdnrn. 491; 550).

Angesichts der oben zur Behinderung aufgeführten Abwägung ergibt sich auch kein Unterlassungsanspruch aus §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 BGB wegen eines Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb der Antragstellerin.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.



Ende der Entscheidung

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