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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 06.04.2001
Aktenzeichen: 5 U 6/01
Rechtsgebiete: UWG


Vorschriften:

UWG § 3
UWG § 1
Leitsatz:

Die im Fließtext gehaltene Werbeangabe "Sie können surfen, so lange Sie wollen. Sie zahlen nicht nach Stunden, sondern monatlich einen Festpreis" ist irreführend und sittenwidrig, wenn der "Festpreis" tatsächlich nur für ein Gigabyte gilt und für jedes weitere Gigabyte weitere Gebühren anfallen. Eine nur versteckt erteilte Aufklärung ist zur Klarstellung nicht geeignet.


KAMMERGERICHT Im Namen des Volkes Geschäftsnummer:

5 U 6/01 97 O 180/00 LG Berlin

Verkündet am: 6. April 2001

In Sachen

hat der 5. Zivilsenat des Kammergerichts durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Haase und die Richter am Kammergericht Dr. Pahl und Crass auf die mündliche Verhandlung vom 6. April 2001 für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Antragsgegnerin gegen das am 27. November 2000 verkündete Urteil der Kammer für Handelssachen 97 des Landgerichts Berlin wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die angefochtene Entscheidung im Kostenpunkt wie folgt gefasst wird:

Die Kosten des Verfahrens hat die Antragsgegnerin zu tragen mit Ausnahme der Mehrkosten, die durch die Anrufung des Landgerichts Köln entstanden sind; diese trägt die Antragstellerin.

2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Antragsgegnerin.

Tatbestand:

Die Parteien bieten Zugänge zum Internet an und stehen insoweit in unmittelbarem Wettbewerb zueinander. Im Internet bewarb die Antragsgegnerin ihr Produkt "B K W " wie folgt:

Die Antragstellerin hält die angegriffene Werbung für irreführend im Sinne des § 3 UWG und sittenwidrig im Sinne des § 1 UWG.

Sie hat, nachdem sie zunächst das Landgericht Köln angerufen hatte, vor dem Landgericht Berlin die einstweilige Verfügung vom 6. November 2000 erwirkt, derzufolge der Antragsgegnerin unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel untersagt worden ist, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs einen Zugang zum Internet, bei dem ab einer gewissen Datenübertragungskapazität nutzungsabhängige Kosten für den Kunden hinzukommen, mit der Angabe zu bewerben:

"Sie können surfen, solange Sie wollen. Sie zahlen nicht nach Stunden, sondern monatlich einen Festpreis", wenn dies geschieht, wie in der bereits vorstehend abgebildeten Werbeaussage.

Gemäß dem angefochtenen Urteil hat das Landgericht die einstweilige Verfügung bestätigt.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Antragsgegnerin mit ihrer Berufung. Sie beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die einstweilige Verfügung aufzuheben und den auf ihren Erlass gerichteten Antrag zurückzuweisen.

Die Antragstellerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Im Übrigen wird von der Darstellung des Tatbestandes gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Antragsgegnerin kann keinen Erfolg haben. Der Antragstellerin steht ein im Wege der einstweiligen Verfügung sicherbarer Anspruch aus den §§ 3 und 1 UWG auf Unterlassung der beanstandeten Internet-Werbung zu.

Allerdings trifft der Hinweis der Antragsgegnerin zu, dass es sich nicht um eine Blickfangwerbung handelt, so dass die hierfür entwickelten Grundsätze nicht anwendbar sind. Dennoch ist die Werbung irreführend. Dabei ist vom Verständnis des breiten Publikums auszugehen, denn die Werbung wendet sich letztlich an alle, so dass auch die erkennenden Richter zu den angesprochenen Verkehrskreisen gehören. Zutreffend weist die Beklagte weiter darauf hin, dass auch nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. WRP 2000, 517/520 - "Orientteppichmuster"; GRUR 2000, 528/529 - "L-Carnitin") auf das Verständnis des durchschnittlich informierten und verständigen Durchschnittsverbrauchers (europäisches Verbraucherleitbild) und nicht mehr auf den ungezwungen-flüchtigen Verbraucher abzustellen ist. Doch ist es nach der Auffassung des Senats überwiegend wahrscheinlich, dass auch der "Durchschnittsverbraucher" die beanstandete Werbung nicht so kritisch durchsieht, dass er zu der richtigen - aber dem Fließtext der Internet-Anzeige widersprechenden - Feststellung kommt, dass es sich hier gerade nicht um einen Festpreis handelt und man gerade nicht surfen kann, solange wie man will. Diese Auflösung ergibt sich erst aus der Sternchen-Fußnote, welche die Beklagte offenbar bewusst so angeordnet hat, dass sie erst nach kritischem Studium des gesamten Textes auffallen kann. Dabei fällt ins Gewicht, dass das Sternchen nicht etwa dem Wort "Festpreis" beigegeben ist und so nicht geeignet ist, den Begriff im Sinne des Angebots der Klägerin abweichend vom üblichen Verkehrsverständnis zu definieren. Das Sternchen findet sich auch nicht etwa hinter der Angabe "99,00 DM pro Monat", wo es gegebenenfalls noch zur Aufklärung des Verbrauchers geeignet sein könnte, sondern versteckt sich auch noch abgedeckt durch das Wort "inklusive" hinter der Angabe "1 GB", die aus der Sicht der Mitglieder des Senats auch nicht vom Durchschnittsverbraucher sogleich durchschaut wird. Dieser rechnet eher mit Zusatzkosten, die sich auf den Zeitablauf beziehen und nicht etwa auf die Speicherkapazität. Dass der Begriff "Gigabyte" dem Durchschnittsverbraucher in seiner Bedeutung bekannt ist, ist aus der Sicht des Senats auch nicht überwiegend wahrscheinlich. Hinzu kommt noch, dass durch das vorangestellte Wort "inklusive" der Eindruck erweckt wird, den Verbraucher erwarte ein "Bonus". Damit wird er davon abgelenkt, dass es sich bei dem "aufklärenden" Hinweis um einen solchen handelt, der die ursprüngliche Werbeaussage ("Festpreis") an sich in ihr Gegenteil verkehrt. Unter diesen Umständen bleibt es trotz des letztlich doch erfolgten "Sternchen-Hinweises" dabei, dass es überwiegend wahrscheinlich ist, dass der Durchschnittsverbraucher die Aufklärung nicht richtig wahrnimmt und versteht. Es geht hier nicht nur um das Verständnis von Internet-Insidern, sondern es geht auch um den durchschnittlichen Internet-Nutzer, dessen Verständnis ebenso durch die Angebote der Konkurrenz beeinflusst ist. Wenn hier nun ein vom Üblichen abweichendes Preismodell in versteckter Form und im Widerspruch zu der Angabe "Festpreis" beworben wird, so kann keineswegs vorausgesetzt werden, dass der Durchschnittsverbraucher die Einzelheiten des Preismodells erkennt und die auf ihn zukommenden Kosten einigermaßen sicher kalkulieren kann. Auch das "europäische Verbraucherleitbild" führt nicht dazu, dass von einem Verbraucher auszugehen ist, der die ihm unterbreiteten Angebote besonders kritisch prüft und im Grunde davon ausgeht, dass schon irgendwo ein Haken sein wird. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist ihre Werbung auch nicht so zu behandeln wie die der dortigen Antragsgegnerin in dem Fall OLG Hamburg, MMR 2000, 702 = MD 2000, 867. Denn dort erschien das auf die weitergehende Aufklärung hinweisende Sternchen unmittelbar hinter der Angabe des Monatstarifs. Damit lag es für den Interessenten nahe, sich mit dem Inhalt der "Aufklärung" vertraut zu machen, die darauf hinwies, dass 3,9 Pfennig pro Minute und 6 Pfennig pro Verbindung zu zahlen sind, was einer üblichen Preisgestaltung entsprechen dürfte, den Hinweis "Festpreis" aber auch nicht verdient. Während also bei der Fallgestaltung des OLG Hamburg noch eine für den Durchschnittsverbraucher hinreichende Aufklärung unterstellt werden könnte, so gilt dies für den hier zu entscheidenden Fall nicht.

Die beanstandete Werbung stellt sich auch als Verstoß gegen § 1 UWG dar. Zwar fällt die verwirrende Werbung der Beklagten mit einem angeblichen "Festpreis unter keine der Fallgestaltungen, die bislang unter dem Gesichtspunkt "übertriebenes Anlocken" diskutiert worden sind, doch liegt es nahe, in dieser Art der Werbegestaltung ein solches übertriebenes Anlocken zu sehen. Denn der Interessent wird mit einer objektiv falschen Angabe dazu gebracht, sich auf das Angebot der Beklagten überhaupt einzulassen und sich näher mit diesem zu befassen. Dies könnte unter Umständen wettbewerbsrechtlich wesentlich bedenklicher als ein "übertriebenes Anlocken" mit einem vielleicht sogar vorteilhaften Angebot, etwa einem solchen mit Geldgeschenken oder sonstiger Wertreklame, erscheinen. Jedenfalls verbietet auch § 1 UWG irreführende Angaben, da solche als Verstoß gegen das Wahrheitsgebot, das oberste Gebot des Lauterkeitsrechts, regelmäßig auch sittenwidrig sind (vgl. Köhler/Piper, UWG, 2. Aufl., § 1 Rdn. 13). Sollte es entgegen der Auffassung des Senats an der Relevanz der Irreführung im Sinne des § 3 UWG fehlen, fände jedenfalls § 1 UWG Anwendung, da das täuschende Vorgehen der Beklagten fraglos sittenwidrig ist. Es geht nicht an, Interessenten mit einer eindeutig unwahren Werbeangabe anzusprechen und in der Werbeanzeige ganz versteckt über den wahren Inhalt des Angebots und auch das noch in missverständlicher Form aufzuklären. Die Werbung der Beklagten erweist sich als unlauter, weil sie es letztlich dem detektivischen Verstand des Interessenten überlässt, ob er den wahren Inhalt des Angebots enträtselt oder nicht. Ersichtlich verspricht sich die Beklagte Einiges davon, dass viele Interessenten den erforderlichen detektivischen Sachverstand nicht aufbringen werden und die Anzeige letztlich in der Weise missverstehen, dass sie von einem objektiv günstigen "Festpreis" ausgehen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO für das Berufungsverfahren. Hinsichtlich der Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens war auszusprechen, dass die durch die Anrufung des örtlich unzuständigen Landgerichts Köln entstandenen Kosten von der Antragstellerin zu tragen sind (§ 281 Abs. 3 S. 2 ZPO).

Ende der Entscheidung

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