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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 23.03.2004
Aktenzeichen: 5 Ws 100/04
Rechtsgebiete: StPO, ZPO


Vorschriften:

StPO § 35 Abs. 2 Satz 1
StPO § 37 Abs. 1
StPO § 458 Abs. 1 Alt. 3
ZPO § 189
ZPO § 319
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
5 Ws 100/04

In der Strafsache

wegen gefährlicher Körperverletzung

hat der 5. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 23. März 2004 beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des F T K, wohnhaft in B, H S 30, wird der Beschluß des Landgerichts Berlin vom 23. Januar 2004 aufgehoben.

Die Kosten der Beschwerde und die dem Beschwerdeführer F T K insoweit entstandenen notwendigen Auslagen hat die Landeskasse Berlin zu tragen.

Gründe:

In dem Verfahren 279 Ds 639/02 verhängte das Amtsgericht Tiergarten in Berlin in der Hauptverhandlung vom 21. August 2003 wegen gefährlicher Körperverletzung gegen den anwesenden Angeklagten eine Freiheitsstrafe von neun Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Personalien des Angeklagten im Hauptverhandlungsprotokoll und im Urteilseingang lauten: F T K, geboren am in D/K, wohnhaft in B, H S 30. Das Urteil ist seit dem 29. August 2003 rechtskräftig. Gegen dieses Urteil wendet sich der Beschwerdeführer mit seinem als "Rechtsmittel" bezeichneten Antrag vom 13. Oktober 2003, mit dem er auch "Wiedereinsetzung in den vorigen Stand" begehrt. Zur Begründung trägt der Beschwerdeführer vor, daß er in der Hauptverhandlung vom 21. August 2003 nicht zugegen gewesen und demzufolge mit der dort verurteilten Person nicht identisch sei. Weder sei er an dem Geschehen beteiligt gewesen, welches dem Urteil vom 21. August 2003 zugrunde liegt, noch träfen die Feststellungen zu seinen persönlichen Verhältnissen auf ihn zu. Das Schreiben vom 13. Oktober 2003 endet mit der Bitte, "der Sache nachzugehen, damit die Tatsachen ans Licht kommen und nicht womöglich ein falscher bestraft" werde. Die Strafkammer hat mit dem angefochtenen Beschluß vom 23. Januar 2004 den "Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist" und die "Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 21. August 2003" als unzulässig verworfen. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des F T K ist zulässig und begründet.

1. Der angefochtene Beschluß kann keinen Bestand haben, weil die Strafkammer das Schreiben des F T K vom 13. Oktober 2003 zu Unrecht als "Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist" und als "Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 21. August 2003" gewertet (unten b) und beide verworfen (unten a) hat. Der Angeklagte hat in dem Schreiben den geltend gemachten Einwand gegen das Urteil vom 21. August 2003 nicht eindeutig bezeichnet. Unmißverständlich hat er lediglich seine Identität mit dem Verurteilten bestritten und deutlich gemacht, daß er nicht als mit dem Verurteilten identisch gelten möchte, insbesondere, daß ihn die Folgen des Urteils nicht treffen sollen. Daran hat sich die Auslegung der im Schreiben vom 13. Oktober 2003 enthaltenen Erklärung zu orientieren. Die Erklärung ist dabei so zu deuten, daß der erstrebte Erfolg möglichst erreichbar ist (vgl. Meyer-Goßner, StPO 46. Aufl., § 300 Rdn. 3 m. weit. Nachw.). Damit darf das Schreiben vom 13. Oktober 2003 nicht als Berufung bzw. als Antrag auf Wiedereinsetzung behandelt werden.

a) Unrichtig ist bereits der Ausgangspunkt der Strafkammer, gegen den Beschwerdeführer sei in dessen Anwesenheit am 21. August 2003 ein Urteil verkündet worden.

Ausgehend von dessen diesen Umstand bestreitendem Vorbringen soll diese Frage ja gerade erst Gegenstand der von ihm begehrten Untersuchung sein.

Betroffen von einem strafrechtlichen Erkenntnis ist grundsätzlich nur diejenige Person, gegen die Anklage erhoben wurde und die tatsächlich vor Gericht stand, auch wenn die angegebenen Personalien unrichtig waren. Die Rechtswirksamkeit eines Strafurteils ist daher nicht berührt, wenn der richtige Angeklagte unter falschem Namen an der Hauptverhandlung teilgenommen hat (vgl. BGH NStZ-RR 1999, 9 und 1990, 290, 291; OLG Düsseldorf, NStZ 1994, 355; OLG Köln, MDR 1983, 865; Beulke in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl., § 155 Rdn. 5 und 10; Schoreit in KK-StPO, 5. Aufl., § 155 Rdn. 7). Dieser Person ist das Urteil am 21. August 2003 in ihrer Anwesenheit verkündet worden, und gegen diese wurde es nach Ablauf der Rechtsmittelfrist am 29. August 2003 rechtskräftig.

Dem Beschwerdeführer ist - ausgehend von seinem Vorbringen - das Urteil nicht verkündet worden. Sondern er hat am 1. Oktober 2003 formlos eine Urteilsabschrift übersandt bekommen, was nach § 37 Abs. 1 StPO, § 189 ZPO die Folgen der nach § 35 Abs. 2 Satz 1 StPO insoweit vorgeschriebenen Zustellung auslöst. Wäre also in dem "Rechtsmittel" des Beschwerdeführers eine Berufung zu sehen, so wäre die Frist für deren Einlegung am 8. Oktober 2003 abgelaufen (§ 314 Abs. 2 StPO). Freilich hätte dem Beschwerdeführer in diesem Fall die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht versagt werden dürfen. Denn die Fristversäumung wäre ursächlich darauf zurückzuführen, daß ihm das Urteil ohne Rechtsmittelbelehrung zugesandt worden ist (§ 44 Satz 2 StPO). Hätte er die Wochenfrist gekannt, hätte er sich nämlich am 1. Oktober 2003 nicht damit zufriedengegeben, von dem Rechtsanwaltsbüro erst am 10. Oktober 2003 einen Termin zur Vorsprache zu erhalten. Aus den vom Landgericht angegebenen Gründen hätte der Wiedereinsetzungsantrag daher nicht verworfen werden dürfen.

b) Zur Beseitigung des Anscheins, wegen einer Straftat verurteilt worden zu sein, ist die Berufung indes nicht zulässig. Zwar bejaht das OLG Köln (a.a.O.) die Zulässigkeit der Berufung mit der Begründung, derjenige, gegen den sich das Urteil seinem äußeren Schein nach richtet, müsse es mit den dafür vorgesehenen Rechtsmitteln beseitigen können, obwohl sich auf ihn nicht die Überzeugung des Gerichts beziehe, er habe sich der angeklagten Straftat schuldig gemacht. Denn er müsse die sich an die Verurteilung knüpfenden Nachteile bis zur Vollstreckung der Freiheitsstrafe befürchten.

Der Senat teilt diese Auffassung nicht. Mit der Berufung (oder der Revision) würde der wahre Namensträger nämlich ein Urteil zerstören, das inhaltlich gegen den vor Gericht Erschienenen zutreffend und der Rechtskraft fähig ist. Diese Folge darf er als in Wahrheit nicht Angeklagter nicht auslösen. Er bedarf dieses Rechts auch nicht, um den von ihm erstrebten Erfolg zu erreichen. Denn der wahre Namensträger kann den falschen Rechtsschein ohne Eingriff in die Rechtskraft gegen den vor Gericht angehörten Täter bereits durch eine Berichtigung der Personalien des Verurteilten im Rubrum des Strafurteils erreichen (vgl. Meyer-Goßner, Einl. Rdn. 174).

Die Berichtigung eines Strafurteils ist in der Strafprozeßordnung nicht geregelt, sie wird jedoch in Anlehnung an § 319 ZPO allgemein für zulässig erachtet, wenn ein offensichtliches Verkündungsversehen vorliegt (vgl. BGH St. 7, 75). Eine Berichtigung ist daher zumindest dann zulässig, wenn der Urteilstenor nicht den Gedanken wiedergibt, den das Gericht zum Ausdruck bringen wollte, und mit der Berichtigung keine sachliche Änderung des Urteils verbunden ist. Ein solches Verkündungsversehen ist hier zwar ausgeschlossen, da das Amtsgericht die vom Angeklagten angegebenen Personalien für zutreffend hielt und diese daher - wie geschehen - auch in das Urteil aufnehmen wollte. Andererseits läge eine sachliche Änderung des Urteils aber nicht vor, wenn nachträglich festgestellt werden würde, daß der Verurteilte nicht mit dem Träger des im Urteil bezeichneten Namens identisch ist, weil sich dieses immer auf die Person bezieht, die in der Hauptverhandlung anwesend war. Durch eine Richtigstellung der Personalien würde daher nachträglich nicht etwas sachlich Neues in das Urteil hineingenommen. Eine Berichtigung von falsch angegebenen Personalien hätte vielmehr nur Formalcharakter, da die Rechtsstellung des in Wirklichkeit Verurteilten in keiner Weise beeinträchtigt würde. Demgegenüber hat bei einem Namensmißbrauch der wahre Namensträger ein berechtigtes Interesse daran, in der Öffentlichkeit nicht weiter als Verurteilter zu erscheinen. Falls sich nach Rechtskraft des Urteils allen Verfahrensbeteiligten und jedem Dritten, der den gesamten Vorgang kennt, die Falschbezeichnung des Verurteilten deutlich offenbart, ist aus Gründen der Rechtssicherheit das Gericht daher verpflichtet, eine Klarstellung herbeizuführen (BGH, a.a.O.; OLG Düsseldorf, a.a.O.; OLG Darmstadt bei Alsberg, Entschd. 2, S. 131; Eberhard Schmidt, Lehrkommentar zur Strafprozeßordnung, Teil I, 2. Aufl., Rdn. 294).

2. Das Begehren des Verurteilten wird nunmehr in erster Linie vom Amtsgericht als Antrag auf Berichtigung der im Urteilseingang wiedergegebenen Personalien zu behandeln sein. Da die Staatsanwaltschaft das Urteil vom 21. August 2003 bereits vollstreckt, ist das Bestreiten der Identität mit dem Verurteilten darüber hinaus als Einwendung gegen die Zulässigkeit der Strafvollstreckung gemäß § 458 Abs. 1 Alt. 3 StPO zu werten (vgl. Meyer-Goßner, § 458 Rdn. 10; Wendisch in Löwe/Rosenberg, § 458 Rdn 9, Fischer in KK-StPO, § 458 Rdn. 12). Die Einwendung, das Urteil betreffe in Wahrheit eine andere Person, gehört zu den Vollstreckungshindernissen, die von der Vollstreckungsbehörde an das Gericht weiterzuleiten sind, falls dort nicht abgeholfen wird (Meyer-Goßner a.a.O., Rdn. 6; Wendisch, a.a.O., Rdn. 5). Das Gericht kann, wenn nicht bereits die Vollstreckungsbehörde wegen der Zweifelhaftigkeit der Strafvollstreckung entsprechende Maßnahmen getroffen hat, auch von Amts wegen den Aufschub oder die Unterbrechung der Vollstreckung anordnen (§ 458 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2).

Die Kosten des Verfahrens trägt die Landeskasse Berlin, weil kein anderer dafür haftet. Die Auslagenentscheidung folgt aus entsprechender Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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