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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 27.03.2006
Aktenzeichen: 5 Ws 118/06 Vollz
Rechtsgebiete: StVollzG


Vorschriften:

StVollzG § 24 Abs. 1
StVollzG § 24 Abs. 2
Soweit ein Strafgefangener die Fortsetzung einer "Langzeitsprechstunde" mit einer neuen Partnerin begehrt, stellt die abschlägige Entscheidung der Anstalt keinen - nur nach Maßgabe des § 14 Abs. 2 StVollzG möglichen - Widerruf, sondern eine vollständige Neubescheidung dar.
Geschäftsnummer: 5 Ws 118/06 Vollz

In der Strafvollzugssache

wegen Langzeitsprechstunde

hat der 5. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 27. März 2006 beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde des Gefangenen gegen den Beschluß des Landgerichts Berlin - Strafvollstreckungskammer - vom 3. Februar 2006 wird als unzulässig verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

I.

Der Beschwerdeführer verbüßt in der Sozialtherapeutischen Anstalt (SothA) der Justizvollzugsanstalt Tegel eine Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und sexueller Nötigung in Tateinheit mit Nötigung sowie wegen versuchter Nötigung aus dem Urteil des Landgerichts Berlin vom 27. Mai 1998. Als voraussichtliches Strafende ist der 2. Januar 2007 vorgesehen. Danach ist die Vollstreckung von Sicherungsverwahrung vermerkt. Das Landgericht hatte bei dem Antragsteller, der die Taten nur kurz nach Verbüßung einer Freiheitsstrafe wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexueller Nötigung, Körperverletzung und räuberischer Erpressung begangen hatte, eine "deviante Sexualität mit sadistischen Zügen" festgestellt.

Am 24. September 2005 beantragte er die Gewährung der unüberwachten Langzeitsprechstunde für seine Lebenspartnerin J... H..., die er im Oktober 2002 in der Justizvollzugsanstalt Tegel kennengelernt hatte, als sie einen anderen Inhaftierten besuchte. Mit schriftlichem Bescheid vom 22. November 2005 lehnte der Anstaltsleiter diesen Antrag ab. Mit der angefochtenen Entscheidung wies die Strafvollstreckungskammer den Antrag des Gefangenen auf gerichtliche Entscheidung ab. Auf die dort wiedergegebenen Rechtsansichten des Antragstellers und der Vollzugsbehörde verweist der Senat. Mit der Rechtsbeschwerde erhebt der Gefangene die Sachrüge. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist unzulässig, weil sie die Voraussetzungen des § 116 Abs. 1 StVollzG für ihre Zulassung nicht erfüllt. Es ist nicht geboten, das Rechtsmittel zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen. Auch die Einheitlichkeit der Rechtsprechung ist nicht gefährdet. Die Strafvollstreckungskammer hat die zum Langzeitbesuch vorhandene Rechtsprechung zutreffend wiedergegeben und angewendet.

1. Zur Fortbildung des Rechts ist die Zulassung allein dann geboten, wenn der Einzelfall Anlaß gibt, bei der Auslegung von Rechtssätzen und der rechtsschöpferischen Ausfüllung von Gesetzeslücken Leitsätze aufzustellen und zu festigen (vgl. BGHSt 24, 15, 21; Calliess/Müller-Dietz, StVollzG 10. Aufl., § 116 Rdn. 2 mit weit. Nachw.). Derartige klärungsbedürftige Rechtsfragen deckt die Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung nicht auf. Die zugrunde liegenden Rechtsfragen sind obergerichtlich geklärt. Der Gefangene hat keinen Rechtsanspruch auf Gewährung einer unüberwachten Langzeitsprechstunde. Sondern ihm steht nur ein Anspruch auf eine rechtsfehlerfreie - durch die Sollbestimmung des § 24 Abs. 2 StVollzG eingeschränkte - Ermessensentscheidung zu (vgl. BVerfG NStZ-RR 2001, 253; HansOLG Hamburg ZfStrVO 2005, 55; OLG Stuttgart ZfStrVO 2004, 51 = NStZ-RR 2004, 60 = StraFO 2004, 107; OLG Hamm ZfStrVO 1999, 308 und NStZ 1994, 308 bei Bungert; OLG Koblenz NStZ 1998, 398 bei Matzke; Senat, Beschlüsse vom 4. Oktober 2004 - 5 Ws 510/04 Vollz -; 21. Juni 2004 - 5 Ws 292 und 293/04 Vollz - und 30. März 2000 - 5 Ws 164/00 Vollz - Juris; Schwind in Schwind/Böhm/Jehle, StVollzG 4. Aufl., § 24 Rdn. 13; Arloth in Arloth/Lückemann, StVollzG, § 24 Rdn. 5; Calliess/Müller-Dietz, § 27 StVollzG Rdn. 8 mit weit. Nachw.; a.A. für den "Zweitbesuch" OLG München NStZ 1994, 560; Calliess/Müller-Dietz, § 24 StVollzG Rdn. 4).

a) Der Senat hat in seinem - seit kurzem in Juris veröffentlichten - Beschluß vom 30. März 2000 - 5 Ws 146/00 Vollz - ausgeführt:

Die Strafvollstreckungskammer ordnet die Langzeitsprechstunde ihrem sachlichen Inhalt nach zutreffend dem Besuchsrecht zu und berücksichtigt, daß das Besuchsrecht mehrere Abstufungen enthält.

aa) § 24 Abs. 1 Satz 2 StVollzG schreibt die Mindestbesuchsdauer von monatlich einer Stunde vor. Darüber hinaus sollen nach § 24 Abs. 2 StVollzG Besuche zugelassen werden, die dem Gefangenen förderlich oder für ihn zur Erledigung näher bestimmter Angelegenheiten unerläßlich sind. Dabei ist auch der Gesichtspunkt zu beachten, daß Ehe und Familie durch Art. 6 Abs. 1 GG besonderen verfassungsrechtlichen Schutz genießen (vgl. OLG Dresden ZfStrVo 1998, 116, 117). Die Frage, ob sich die Bedeutung des § 24 Abs. 2 StVollzG in einer Empfehlung an den Anstaltsleiter erschöpft (vgl. Schwind in Schwind/Böhm, StVollzG 3. Aufl., § 24 Rdn. 13) oder dem Gefangenen bei Vorliegen der Voraussetzungen einen Rechtsanspruch auf weitere Besuche über das gesetzliche Mindestmaß hinaus gibt (vgl. OLG München NStZ 1994, 560 = ZfStrVo 1994, 371; Calliess/Müller-Dietz, StVollzG 7. Aufl., § 24 Rdn. 4), bedarf keiner Entscheidung; denn um eine nach § 24 Abs. 2 StVollzG erweiterte Besuchsmöglichkeit geht es dem Beschwerdeführer nicht.

bb) Mit der im Strafvollzugsgesetz nicht ausdrücklich vorgesehene Langzeitsprechstunde geht die Anstalt über die Regelungen des § 24 Abs. 2 StVollzG hinaus. Mit ihr dehnt sie nicht nur die Dauer des Besuchs aus; sie hebt die Langzeitsprechstunde auch in der Durchführung von den sonstigen Sprechstunden ab. Die Langzeitsprechstunde findet nicht im Sprechzentrum mit zumindest optischer Überwachung statt, sondern gestattet dem Gefangenen, sich mit seinem Besucher in einen besonders bereitgestellten Raum zurückzuziehen. Da diese Besuche nicht überwacht werden, ermöglichen sie intime Kontakte. Das ist als der eigentliche Zweck der Langzeitsprechstunden anzusehen.

Der Gesetzgeber hat sich nicht dazu verstanden, die Justizvollzugsanstalten zu verpflichten, sexuelle Kontakte zwischen Eheleuten oder Lebenspartnern in der Anstalt zu ermöglichen. Er hat solche Kontakte aber auch nicht untersagt. Es ist vielmehr den Anstalten überlassen, nach Maßgabe ihrer räumlichen und personellen Möglichkeiten derartige Besuchsmöglichkeiten zu eröffnen (vgl. Schwind in Schwind/Böhm, § 24 StVollzG Rdn. 12; Joester in AK-StVollzG, 2. Aufl., § 24 Rdn. 21). Das hat zur Folge, daß ein Gefangener keinen Rechtsanspruch auf die Einrichtung von Langzeitsprechstunden hat (vgl. OLG Hamm ZfStrVo 1999, 308, 309; OLG Koblenz NStZ 1998, 398). Die angeführte Entscheidung des OLG Hamm besagt entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde nicht deshalb etwas anderes, weil sie die Langzeitsprechstunde als Sonderfall des § 24 Abs. 2 StVollzG behandelt. Damit ist nur der Sitz der Rechtmaterie für die Zulässigkeit der Einrichtung von Langzeitsprechstunden zum Ausdruck gebracht.

cc) Bei der Zulassung weiterer Besuche nach § 24 Abs. 2 StVollzG steht der Anstalt eine weitgehende Gestaltungsfreiheit zu (vgl. KG, Beschluß vom 23. Dezember 1985 - 5 Ws 437/85 Vollz -). Das gilt erst recht bei der Ausgestaltung der Langzeitsprechstunden, weil schon deren Einrichtung dem Ermessen der Anstalt vorbehalten ist. Dieses Ermessen ist gemäß § 115 Abs. 5 StVollzG gerichtlich nur auf Ermessensfehler überprüfbar (vgl. OLG Hamm ZfStrVo 1999, 308, 309).

Der Ermessensspielraum für die Ausgestaltung der Langzeitsprechstunden ist allerdings dadurch begrenzt, daß sich die Langzeitsprechstunde an den Grundsätzen des Strafvollzugsgesetzes ausrichten muß. Ebenso wie erweiterten Besuchsmöglichkeiten nach § 24 Abs. 2 StVollzG die Behandlung und Eingliederung des Gefangenen fördern sollen, dürfen Langzeitsprechstunden nicht etwa als Belohnung für Wohlverhalten des Gefangenen im Vollzug eingesetzt werden. Sie müssen, wie die Strafvollstreckungskammer zutreffend ausführt, eine Behandlungsmaßnahme bleiben und die Ziele des Strafvollzuges (§§ 2 bis 4 StVollzG) im Auge behalten. An diesen Zielen ist auch die Ermessensentscheidung der Vollzugsanstalt über die Zulassung eines Gefangenen zur Langzeitsprechstunde zu messen.

b) Diese Grundsätze gelten auch weiterhin. Der Senat fügt hinzu, daß die unüberwachte Langzeitsprechstunde erst Ende der achtziger Jahre in einigen Anstalten eingeführt wurde, um den besonderen Problemen verheirateter Strafgefangener und dem Zusammenhalt von deren Familien Rechnung zu tragen (vgl. Koepsel ZfStrVO 1989, 151; Meyer ZfStrVO 1991, 220). Ansprüche aus dem Schutz der Ehe nach Art. 6 Abs. 1 GG kann der Antragsteller indes nicht für sich in Anspruch nehmen (vgl. BVerfG NStZ-RR 2001, 253), weil er mit Frau H... nicht verheiratet ist. Auch aus der Ausdehnung dieses Schutzes auf unverheiratete Paare, wenn diese eine Familie bilden (vgl. OLG Koblenz NStZ 2002, 529 bei Matzke), kann der Gefangene nichts für sich herleiten, weil Kinder fehlen und seine in der Justizvollzugsanstalt geknüpfte Verbindung zu Frau H... bislang nicht zur Gründung einer Familie geführt hat.

c) Zu einer Vorlage der Sache an den Bundesgerichtshof nach § 121 Abs. 2 GVG besteht kein Anlaß. Die Entscheidung des OLG München NStZ 1994, 560 betrifft keinen unüberwachten Langzeitbesuch, und der Beschluß des Landgerichts Hamburg vom 29. Dezember 1999 (ZfStrVO 2000, 252) ist von einem Gericht verfaßt, das in § 121 Abs. 2 GVG nicht genannt ist.

d) Der Umstand, daß dem Gefangenen in der Vergangenheit Langzeitbesuche seiner damaligen, inzwischen verstorbenen Lebensgefährtin gewährt worden waren, führt nicht zu einem Bestandsschutz. Zwar ist ein Widerruf der Zulassung zur Langzeitsprechstunde nur in entsprechender Anwendung des § 14 Abs. 2 StVollzG möglich (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluß vom 20. Juni 2005 - 1 Ws 426/04 - Juris). Im Falle des Beschwerdeführers handelt es sich aber nicht um einen Widerruf. Ob die Gewährung einer Langzeitsprechstunde im Einzelfall dem Zusammenhalt der Familie und dem Vollzugsziel dient, ist nicht nur von der Person des Gefangenen, sondern auch von derjenigen der Besucherin abhängig. Es handelt sich demgemäß um eine vollständige Neubescheidung, die nicht lediglich den bisherigen Status festschreiben darf.

2. Da sich die Strafvollstreckungskammer an diese Grundsätze gehalten hat, erfordert die Sache auch nicht die Zulassung der Rechtsbeschwerde aus dem Gesichtspunkt der Einheitlichkeit der Rechtsprechung. Inwieweit das Ermessen der Anstalt durch die Sollbestimmung des § 24 Abs. 2 StVollzG eingeschränkt ist (vgl. HansOLG Hamburg ZfStrVO 2005, 55, 56; OLG Stuttgart ZfStrVO 2004, 51), braucht hier nicht entschieden zu werden; denn die Wertentscheidung des Gesetzgebers in Art. 6 GG, auf die beide Beschlüsse Bezug nehmen, betrifft nicht unverheiratete Paare, die keine Familie bilden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 4 StVollzG, § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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