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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 27.05.2004
Aktenzeichen: 5 Ws 217/04
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 400 Abs. 2
StPO § 305 Satz 1
1. Zur Beschwerdeberechtigung des Nebenklägers über die in § 400 Abs. 2 StPO genannten Fälle hinaus.

2. Der Ausschluss der Beschwerde in § 305 Satz 1 StPO bezieht sich nur auf solche der Urteilsfällung vorausgehende Entscheidungen, die ihrerseits im Rahmen des Rechtsmittels gegen das Urteil überprüft werden können.

3. Zur eingeschränkten Überprüfungsbefugnis des Beschwerdegerichts bei Abtrennungs- und Aussetzungsbeschlüssen, die im Verlauf einer Hauptverhandlung ergehen und auf ihren Ergebnissen beruhen.


5 Ws 217/04

In der Strafsache

wegen Mordes u. a.

hat der 5. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 27. Mai 2004 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerden der Nebenkläger A ... und B ... gegen den Abtrennungsbeschluß des Landgerichts Berlin vom 07. April 2004 werden verworfen.

Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

Gegen den Angeklagten findet seit dem 05. März 2003 vor dem Schwurgericht des Landgerichts Berlin die Hauptverhandlung statt. Die zugelassene Anklageschrift vom 01. Oktober 2001 legt ihm unter anderem vollendeten Mord in sechs Fällen und versuchten Mord in zahlreichen weiteren Fällen zur Last. Die Taten soll er in den Jahren zwischen 1975 und 1983 als führendes Mitglied einer terroristisch-kriminellen Bande bei fünf mit Sprengstoff und einem Raketenwerfer verübten Anschlägen begangen haben. Der Nebenkläger A ist bei einem Bombenanschlag auf das Sendegebäude des "Radio Freies Europa" in München am 21. Februar 1981 (Anklage zu II) schwer verletzt worden. Der Nebenkläger B hat bei einem am 13. April 1983 auf den saudiarabischen Botschafter in Athen verübten Sprengstoffattentat (Anklage zu IV) erhebliche Verletzungen davon getragen.

Am 07. April 2004, dem 65. Verhandlungstag, hat die Schwurgerichtskammer die Anklagevorwürfe zu II und IV sowie einen weiteren Anklagepunkt, der einen Anschlag aus dem Jahre 1975 betrifft (Anklage zu I), zur gesonderten Entscheidung abgetrennt. Zur Begründung hat die Kammer im wesentlichen ausgeführt, die Beweisaufnahme zu den verbleibenden Anklagevorwürfen zu III und V, die sie zur Zeit durchführe, gestalte sich umfangreich und zeitraubend. Ihr Ende sei nicht abzusehen. Im Hinblick auf die Anzahl der Opfer komme diesen Taten ein noch größeres Gewicht als den abgetrennten zu. Ohne eine Abtrennung müsse befürchtet werden, daß sich das Verfahren noch über Jahre hinaus hinziehen und dies zu einem Verstoß gegen das aus Art. 6 MRK folgende Gebot einer Verhandlung innerhalb angemessener Frist führen werde.

Die gegen den Abtrennungsbeschluß gerichteten Beschwerden der Nebenkläger haben keinen Erfolg.

1. Die Rechtsmittel sind zulässig.

a) Die Nebenkläger sind beschwerdeberechtigt. Die in § 400 Abs. 2 StPO bestimmte Einschränkung der Befugnis des Nebenklägers zur Einlegung von Beschwerden betrifft nur Beschlüsse, durch die die Eröffnung des Verfahrens abgelehnt oder das Verfahren eingestellt wird. Sonstige Beschlüsse kann der Nebenkläger anfechten, soweit ihre Anfechtung durch einen Verfahrensbeteiligten grundsätzlich zulässig, nicht für den Nebenkläger ausdrücklich ausgeschlossen und er durch die Entscheidung beschwert ist (vgl. Hilger in Löwe-Rosenberg, StPO 25. Aufl., § 400 Rdn. 2). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.

b) Die Beschwerden sind nicht durch § 305 Satz 1 StPO ausgeschlossen.

Unter § 305 Satz 1 StPO fallen Entscheidungen des erkennenden Gerichts, wenn sie einen inneren Zusammenhang mit dem Urteil aufweisen, ausschließlich seiner Vorbereitung dienen und keine weiteren Verfahrenswirkungen erzeugen. Das gilt nicht nur für Maßnahmen, die unmittelbar Grundlagen für die Entscheidung in der Sache selbst treffen. Auch Anordnungen, die darauf abzielen, die Abwicklung des Verfahrens in sonstiger Weise zu fördern und es der abschließenden Sachentscheidung näher zu bringen, weisen einen inneren Zusammenhang mit der Urteilsfällung auf, die zum Ausschluß der Anfechtbarkeit führt (std. Rspr. des KG, u.a. Beschluß vom 27. August 2003 - 3 Ws 391/03 Meyer-Goßner, StPO 47. Aufl., § 305 Rdn. 1 m. weit. Nachw.).

Einschränkend ist hierbei aber der mit § 305 Satz 1 StPO verfolgte Gesetzeszweck zu beachten. Die Unanfechtbarkeit dem Urteil vorausgehender Entscheidungen soll Verfahrensverzögerungen verhindern. Sie ist nur dann gerechtfertigt, wenn die Entscheidungen bei der Urteilsfällung selbst der nochmaligen gerichtlichen Prüfung unterliegen. Deshalb setzt der Ausschluß der Beschwerde voraus, daß zum einen die von dem erkennenden Gericht getroffene Entscheidung bei der Urteilsfällung überhaupt überprüft werden kann und daß zum anderen der von ihr Betroffene zur Einlegung eines Rechtsmittels gegen das Urteil befugt ist (vgl. Matt in Löwe-Rosenberg, StPO 25. Aufl., § 305 Rdn. 18, 19; Meyer-Goßner, § 305 Rdn. 1 m. Nachw.). Besteht eine Überprüfungsmöglichkeit nach der Urteilsfällung nicht mehr, so ist die Beschwerde zulässig, auch wenn sie sich gegen eine verfahrensfördernde Entscheidung richtet. Einen untragbaren Eingriff in den Verantwortungsbereich des erkennenden Gerichts stellt die Beschwerdemöglichkeit in diesen Fällen dann nicht dar, wenn man die Nachprüfungsbefugnis des Beschwerdegerichts sachgerecht beschränkt (vgl. Engelhardt in KK, StPO 5. Aufl., § 305 Rdn. 1).

Nach diesen Grundsätzen greift der Beschwerdeausschluß des § 305 Satz 1 StPO hier nicht ein. Die von der Schwurgerichtskammer beschlossene Abtrennung und die damit verbundene Aussetzung des Verfahrens hinsichtlich der Tatvorwürfe, die die Beschwerdeführer als Verletzte betreffen und die zu ihrer Zulassung als Nebenkläger geführt haben, ist für die Beschwerdeführer im Zusammenhang mit einem gegen den Angeklagten ergehenden Urteil nicht anfechtbar. Da die abgetrennten Vorwürfe wahrscheinlich überhaupt nicht mehr verhandelt werden, bedeutet der Abtrennungsbeschluß faktisch das Ende ihrer Nebenklägerfunktion. Diese Maßnahme unterliegt der Beschwerde.

2. Die Beschwerden sind jedoch unbegründet. Bei Abtrennungs- und Aussetzungsbeschlüssen, die im Verlauf einer Hauptverhandlung ergehen und auf ihren Ergebnissen beruhen, ist die Überprüfungsbefugnis des Beschwerdegerichts stark eingeschränkt. Das Beschwerdegericht ist regelmäßig weder rechtlich befugt noch tatsächlich dazu in der Lage, die der Abtrennung und Aussetzung zugrunde liegenden Erkenntnisse und Erwägungen des Tatrichters durch eine eigene Einschätzung der Situation zu ersetzen. Der in der Beschwerdebegründung erwähnte Beschluß des OLG Düsseldorf in NStZ 1991, 145 besagt nichts anderes. Er betrifft eine vor der Eröffnung des Hauptverfahrens angeordnete Abtrennung. Eine Beschwerde kann deshalb in der Sache nur Erfolg haben, wenn Abtrennung und Aussetzung nicht ausschließlich dazu bestimmt und geeignet sind, die Urteilsfällung vorzubereiten, sondern andere Zwecke verfolgen oder das Verfahren unnötig verzögern (vgl. Engelhardt aaO., § 305 Rdn. 9).

Das ist hier nicht der Fall. Die Schwurgerichtskammer hat nicht verkannt, daß der Abtrennungsbeschluß die Beschwerdeführer in starkem Maße belastet, da er zur Folge hat, daß die Verbrechen, deren Opfer sie geworden sind, voraussichtlich ungesühnt bleiben. Sie hat die Abtrennung gleichwohl für erforderlich gehalten, weil nach ihrer auf den bisherigen Verlauf der Hauptverhandlung gestützten Auffassung eine Beschränkung des Verfahrens auf die beiden verbleibenden, besonders schwerwiegenden Tatkomplexe die einzige Möglichkeit darstellt, um die Verfahrensdauer auf ein den Beteiligten noch zumutbares Maß zurückzuführen. Diese Beurteilung der Lage, in der sich das Verfahren befindet, ist überzeugend, zumindest aber vertretbar. Der Senat vermag sie auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens nicht zu beanstanden.

Ein Ermessensmißbrauch der Schwurgerichtskammer kann nicht daraus hergeleitet werden, daß sie im ersten Jahr der Hauptverhandlung zunächst versucht hat, alle von der Anklage umfaßten Vorwürfe aufzuklären. Aus welchen Gründen die Kammer die abgetrennten Anklagepunkte nicht nach § 154 StPO eingestellt hat, ist ohne Belang, zumal den Nebenklägern gegen einen Einstellungsbeschluß überhaupt kein Rechtsmittel zur Verfügung gestanden hätte (§ 400 Abs. 2 Satz 2 StPO). Ob der letzte Absatz des Abtrennungsbeschlusses die Entscheidung trägt, kann offenbleiben, da die in ihm angestellten Überlegungen für die Abtrennung offensichtlich nicht ausschlaggebend gewesen sind.

Die Rüge des Vertreters des Nebenklägers A, die Abtrennung sei ohne Gewährung rechtlichen Gehörs beschlossen worden, verhilft seinem Rechtsmittel ebenfalls nicht zum Erfolg. Nach dem Verhandlungsprotokoll hat die Schwurgerichtskammer den Verfahrensbeteiligten in der Hauptverhandlung vom 07. April 2004 Gelegenheit zur Stellungnahme zu der beabsichtigten Abtrennung gegeben. Der Vertreter des Nebenklägers hat von dieser Möglichkeit nur deshalb nicht Gebrauch machen können, weil er sich kurz zuvor aus der Verhandlung entfernt hatte. Im übrigen hat er im Beschwerdeverfahren Gelegenheit zur Äußerung gehabt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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