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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 13.06.2006
Aktenzeichen: 5 Ws 229/06 Vollz
Rechtsgebiete: StVollzG


Vorschriften:

StVollzG § 10 Abs. 1
1. Die Zuweisung eines Gefangenen zum offenen Vollzug kann nur entsprechend § 14 Abs. 2 StVollzG widerrufen bzw. zurückgenommen werden. Mit der Erstellung des Vollzugsplans erwirbt der Gefangene eine auf Vertrauensschutz beruhende Rechtsstellung, die es fortan verbietet, ihn bei der Bestimmung der Vollzugsform und der Gewährung von Lockerungen so zu behandeln, als würde darüber erstmals befunden.

2. Erst bei der auf neuen Tatsachen aufbauenden Einschätzung, ob der Gefangene weiterhin für den offenen Vollzug geeignet oder ob die Eignung aufgrund Flucht- oder Missbrauchsgefahr entfallen ist, steht der Vollzugsbehörde ein Beurteilungsspielraum zu. Die gerichtliche Überprüfung solcher Entscheidungen ist darauf beschränkt, ob der Anstaltsleiter von einem zutreffenden und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist.


Geschäftsnummer: 5 Ws 229/06 Vollz

In der Strafvollzugssache

des Strafgefangenen

wegen Verlegung in den geschlossenen Vollzug

hat der 5. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 13. Juni 2006 beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde des Strafgefangenen werden der Beschluß des Landgerichts Berlin - Strafvollstreckungskammer - vom 22. März 2006 - mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung - und der Bescheid des Leiters der Justizvollzugsanstalt Plötzensee vom 12. Oktober 2005 aufgehoben.

Der Leiter der Justizvollzugsanstalt Plötzensee wird verpflichtet, den Beschwerdeführer unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu bescheiden.

Die Kosten des gerichtlichen Verfahrens in beiden Rechtszügen und die dem Beschwerdeführer entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Landeskasse Berlin zur Last.

Gründe:

Der Gefangene verbüßt zur Zeit in der Justizvollzugsanstalt Plötzensee eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten, zu der ihn das Landgericht Cottbus wegen Vorenthaltens von Arbeitsentgelt in 17 Fällen, Betruges in zwei Fällen und Subventionsbetruges unter Einbeziehung der Strafen aus vier weiteren Verurteilungen - die unter anderem Betrugsdelikte, Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt in 34 Fällen, Vorenthalten von Arbeitsentgelt in zwölf Fällen, vorsätzliche Konkursverschleppung in zwei Fällen und vorsätzlichen Bankrott zum Gegenstand hatten - am 2. September 2003 verurteilt hatte.

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen seine Verlegung aus dem offenen in den geschlossenen Vollzug. Den hiergegen gerichteten Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat das Landgericht - Strafvollstreckungskammer - mit dem angefochtenen Beschluß zurückgewiesen. Mit seiner Rechtsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I. Dem Verfahren liegt folgendes Geschehen zugrunde:

Nach seiner Selbststellung in der Justizvollzugsanstalt Hakenfelde am 14. April 2004 wurde der Gefangene mangels dortiger Haftplatzkapazitäten in die Justizvollzugsanstalt Plötzensee verlegt, wo er sich noch immer befindet. Aufgrund der am 15. April 2004 durchgeführten Behandlungsuntersuchung stellte die Vollzugsplankonferenz am 22. April 2004 die Eignung des Gefangenen für den offenen Vollzug fest; er wurde zu vollzugslockernden Maßnahmen gemäß §§ 35, 36 StVollzG, Regelurlaub und Freigangsvorbereitung mit dem Ziel der freien Tätigkeit zugelassen.

Der Beschwerdeführer beantragte bereits im April 2004 seine Zulassung zum Freigang und zu einem freien Beschäftigungsverhältnis als Angestellter der M... M... Verkehrstechnik GmbH (Berlin), deren ehemaliger Geschäftsführer sein Sohn war. Dieser Antrag wurde durch Bescheid der Justizvollzugsanstalt Plötzensee vom 24. Mai 2004 abgelehnt, da aufgrund der Gesamtumstände davon auszugehen war, daß der Beschwerdeführer ein abhängiges Arbeitsverhältnis nur vortäuschte, tatsächlich aber als Inhaber des Unternehmens agierte und hierfür die Zulassung zum Freigang begehrte. Die Justizvollzugsanstalt bescheinigte dem Beschwerdeführer aufgrund des Täuschungsversuchs mangelnde Eignung für den Freigang und verlegte ihn am 25. Mai 2004 aus dem Freigangsbereich (Haus 4) in einen Bereich des offenen Vollzuges für Inhaftierte mit Anstaltsarbeit (Haus 5).

Am 20. September 2004 beantragte der Beschwerdeführer wiederum seine Zulassung zum Freigang und die Zustimmung zur Aufnahme eines neuen Beschäftigungsverhältnisses mit der M... M... Verkehrstechnik GmbH (Berlin). Gegen den ablehnenden Bescheid der Justizvollzugsanstalt Plötzensee vom 26. Januar 2005 wandte sich der Beschwerdeführer mit einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 10. Februar 2005. Das daraufhin von der Strafvollstreckungskammer geführte Verfahren wurde durch übereinstimmende Erledigungserklärungen des Beschwerdeführers und der Justizvollzugsanstalt Plötzensee im Juni 2005 beendet.

Der Beschwerdeführer war bereits zu Beginn seiner Inhaftierung - wie auch schon zuvor - als Liquidator eines weiteren, ehemals von ihm als Geschäftsführer geleiteten Unternehmens, der mit dem Berliner Unternehmen gleichnamigen M... Verkehrstechnik GmbH i.L. (Eberswalde, früherer Sitz in Schlieben) bestellt. Eine Genehmigung dieser Tätigkeit beantragte der Beschwerdeführer nicht. Er beantragte jedoch in der Zeit zwischen Juni 2004 und März 2005 wiederholt - teilweise unter ausdrücklicher Erwähnung des Zusatzes "Liquidator" - Ausgänge, um in dieser Funktion Termine wahrzunehmen oder sonstige Angelegenheiten zu erledigen. Die Ausgänge wurden regelmäßig ohne Beanstandung der Liquidatorentätigkeit genehmigt.

Am 21. August 2005 beantragte der Beschwerdeführer erneut seine Verlegung in Haus 4 zwecks Aufnahme einer freien Beschäftigung. Im Rahmen der daraufhin erforderlichen Vollzugsplanfortschreibung wurde dem Anstaltsleiter bekannt, daß das Hauptzollamt Frankfurt (Oder) im Auftrag der Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) Vorermittlungen wegen Betruges gegen den Beschwerdeführer eingeleitet hatte. Ferner teilte ihm das Hauptzollamt Frankfurt (Oder) mit Schreiben vom 9. September 2005 mit, daß der Beschwerdeführer auch nach dem Haftantritt am 14. April 2004 noch "Geschäftsführertätigkeiten bzw. Tätigkeiten als Liquidator" ausgeübt habe. Als Beleg waren fünf Anlagen beigefügt, nämlich jeweils an die Agentur für Arbeit Eberswalde gerichtete Schreiben

a) des Beschwerdeführers (als Liquidator) vom 28. Januar 2005, in dem dieser die Agentur über die von der M... Verkehrstechnik GmbH i.L. im Rahmen der Weiterführung (nach Abweisung des Insolvenzantrages am 10. März 2000) erbrachten Leistungen, die offenen Verbindlichkeiten und die durch die finanzielle Situation erzwungene Schließung des Geschäftsbetriebes durch Eigenantrag informierte;

b) des Beschwerdeführers (als Liquidator) vom 28. Februar 2005 betreffend die Situation der bei der M... Verkehrstechnik GmbH i.L. beschäftigten Arbeitnehmer;

c) des Beschwerdeführers (als Liquidator) vom 12. März 2005, das eine Übersicht über zehn bei der M... Verkehrstechnik GmbH i.L. angestellte Arbeitnehmer und den Zeitraum ihrer Beschäftigung enthielt; sämtliche Arbeitsverhältnisse waren auf drei Monate befristet, sechs von ihnen begannen nach Haftantritt des Beschwerdeführers, nämlich in der Zeit zwischen dem 19. April 2004 und dem 1. September 2004;

d) zweier Arbeitnehmer, die im Zeitraum Juli bis September 2004 bzw. August bis Oktober 2004 bei der M... Verkehrstechnik GmbH i.L. angestellt waren; sie teilten im Zusammenhang mit einem Insolvenzgeldantrag unter anderem mit, daß der Beschwerdeführer ihr Arbeitgeber und direkter Vorgesetzter gewesen sei, ihnen Arbeitsanweisungen erteilt, das Bewerbungs- bzw. Einstellungsgespräch geführt und die Einstellung veranlaßt habe.

Daraufhin wurde der Beschwerdeführer am 10. Oktober 2005 vom offenen Vollzug abgelöst und in den geschlossenen Vollzug verlegt. Diese zunächst mündlich angeordnete Maßnahme wurde durch Bescheid der Justizvollzugsanstalt Plötzensee vom 12. Oktober 2005 bestätigt, in dem diese auch die Zulassung zu Jahresurlaub und Vollzugslockerungen widerrief; zur Begründung berief sich die Justizvollzugsanstalt auf die gegen den Beschwerdeführer geführten Vorermittlungen und - maßgeblich - auf den Umstand, daß der Beschwerdeführer während seiner Inhaftierung ein Unternehmen fortgeführt und Arbeitnehmer eingestellt habe.

II. Die form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde (§ 118 StVollzG) erfüllt die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 116 Abs. 1 StVollzG. Es ist geboten, das Rechtsmittel zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen. Die Sachrüge führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses.

1. In der Rechtsprechung ist anerkannt, daß die Zuweisung eines Gefangenen zum offenen Vollzug nur unter den Voraussetzungen des entsprechend anzuwendenden § 14 Abs. 2 StVollzG widerrufen bzw. zurückgenommen werden kann, wenn dieser die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 StVollzG nicht (mehr) erfüllt (vgl. OLG Celle ZfStrVo 1989, 116; Senat NStZ 1997, 207; 1993, 100, 102; Beschlüsse vom 13. April 2006 - 5 Ws 70/06 Vollz -, 21. März 2006 - 5 Ws 90/06 Vollz -, 21. Februar 2002 - 5 Ws 1/02 Vollz - und 26. November 1996 - 5 Ws 607/96 -; a.A. OLG Dresden StV 2005, 567 und OLG Schleswig, Beschluß vom 25. Oktober 2005 - 2 Vollz Ws 398/05 (266/05) - bei JURIS: Ablösung vom offenen Vollzug richte sich nur nach § 10 StVollzG, nicht nach § 14 StVollzG). Mit der Erstellung des Vollzugsplans, der als Programm und Konzept für die Behandlung des Gefangenen und die Gestaltung seiner Lebensverhältnisse während des Strafvollzuges dienen soll, geht die Vollzugsbehörde eine Bindung ein und erwirbt der Gefangene eine auf Vertrauensschutz beruhende Rechtsstellung, die es fortan verbietet, ihn bei der Bestimmung der Vollzugsform und der Gewährung von Lockerungen so zu behandeln, als würde darüber erstmals befunden. Demgemäß darf die Behörde die Ablehnung in dem Plan vorgesehener Maßnahmen grundsätzlich nicht nur auf Umstände stützen, die im Zeitpunkt der Erstellung des Plans schon vorgelegen haben und ihr bekannt gewesen sind (vgl. Senat, Beschluß vom 13. April 2006 - 5 Ws 70/06 Vollz -). Die veränderte Wertung dieser Umstände allein gibt ihr ebenfalls nicht das Recht, zum Nachteil des Gefangenen vom Plan abzuweichen, es sei denn, es gilt eine offensichtliche Fehlentscheidung zu korrigieren, welche die berechtigten Sicherheitsbedürfnisse der Allgemeinheit mißachtet (vgl. OLG Hamm NStZ 1989, 390; Senat, Beschlüsse vom 13. April 2006 - 5 Ws 70/06 Vollz - und 21. Februar 2002 - 5 Ws 1/02 Vollz -).

Erst bei der auf neuen Tatsachen aufbauenden Einschätzung, ob der Gefangene weiterhin für den offenen Vollzug geeignet ist oder ob die Eignung aufgrund Flucht- oder Mißbrauchsgefahr entfallen ist, steht der Vollzugsbehörde ein Beurteilungsspielraum zu, dessen Einhaltung gerichtlich nur nach den Maßstäben des § 115 Abs. 5 StVollzG überprüfbar ist (vgl. BGHSt 30, 320, 324, 327; OLG Frankfurt am Main ZfStrVo 2003, 243; ZfStrVo 2001, 52, 53; NStZ-RR 1998, 91; OLG Zweibrücken ZfStrVo 1998, 179, 180; OLG Karlsruhe ZfStrVo 1985, 245; Justiz 1984, 437; OLG Celle ZfStrVo 1983, 301; Senat NStZ 1993, 100, 102; Beschlüsse vom 13. April 2006 - 5 Ws 70/06 Vollz -, 21. Februar 2002 - 5 Ws 1/02 Vollz - und 26. November 1996 - 5 Ws 607/96 Vollz -; Arloth in Arloth/Lückemann § 10 StVollzG Rdn. 7). Hiernach haben sich die Gerichte auf die Prüfung zu beschränken, ob der Anstaltsleiter von einem zutreffenden und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist (vgl. BGHSt 30, 320, 327; Senat, Beschlüsse vom 13. April 2006 - 5 Ws 70/06 Vollz -, 21. Februar 2002 - 5 Ws 1/02 Vollz -, 10. Februar 1999 - 5 Ws 52/99 Vollz - und 26. November 1996 - 5 Ws 607/96 -), ob er seiner Entscheidung den richtigen Be-griff der Versagungsgründe zugrunde gelegt hat und ob seine Beurteilung des Gefangenen vertretbar ist.

Es ist weiterhin in der Rechtsprechung anerkannt, daß der gegen einen Gefangenen bestehende konkrete Verdacht einer strafbaren Handlung belastende Maßnahmen gegen ihn auch dann rechtfertigt, wenn der Nachweis der Straftat nicht zu führen und das Ermittlungsverfahren deswegen nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden ist (vgl. KG ZfStrVO 1989, 116 (L); NStZ 1986, 479; Senat, Beschlüsse vom 14. Juni 2002 - 5 Ws 312/02 Vollz - und 26. November 1996 - 5 Ws 607/96 Vollz -), der zugrundeliegende konkrete Sachverhalt aber die Ungeeignetheit des Gefangenen für den offenen Vollzug nunmehr belegt (vgl. Senat, Beschlüsse vom 21. März 2006 - 5 Ws 90/06 Vollz - und 23. April 2003 - 5 Ws 200/03 Vollz -). Dabei muß es sich im Hinblick auf das verfassungsrechtliche Übermaßverbot um eine Tat von einigem Gewicht handeln (vgl. KG NStZ 2003, 391, 392). Der Verdacht muß sich zudem auf ein ausreichendes Maß an konkreten Tatsachen stützen, die genügend substantiiert und belegt sind und über den für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens erforderlichen Anfangsverdacht hinausgehen (vgl. OLG Stuttgart NStZ 1986, 45; OLG Frankfurt am Main ZfStrVo 1984, 168; Senat ZfStrVo 1989, 116 (L); Beschlüsse vom 21. März 2006 - 5 Ws 90/06 Vollz - und 26. November 1996 - 5 Ws 607/96 Vollz -). Ob er vorliegt, haben die Vollzugsbehörde und im gerichtlichen Verfahren die Strafvollstreckungskammer eigenständig zu prüfen und darzulegen (vgl. Senat, Beschluß vom 14. Juni 2002 - 5 Ws 312/02 Vollz - ), wobei die Vollzugsanstalt nicht verpflichtet ist, Zeugen zu vernehmen, die nicht in der Haftanstalt erreichbar sind (vgl. Senat NStZ 2003, 391, 392; Beschluß vom 21. März 2006 - 5 Ws 90/06 Vollz -).

2. An diese Rechtsgrundsätze hat sich die Strafvollstreckungskammer in dem angefochtenen Beschluß nur teilweise gehalten.

a) Vorermittlungen

Die Kammer hat zwar zutreffend ausgeführt, daß der Anstaltsleiter die Begründetheit des gegen den Gefangenen entstandenen Verdachts einer Straftat nur dann zu prüfen hat, wenn keine schwierige tatsächliche oder rechtliche Würdigung (zu ergänzen: und keine aufwendige eigene Ermittlungstätigkeit außerhalb der Anstalt) erforderlich ist (vgl. KG NStZ 2003, 391). Soweit die Strafvollstreckungskammer jedoch die Auffassung vertritt, allein die Einleitung eines - nicht näher beschriebenen - Ermittlungsverfahrens lasse Mißbrauchsbefürchtungen aufkommen, ist dies rechtsfehlerhaft (vgl. KG NStZ 2003, 391, 392). Die Kammer hat verkannt, daß die Einschränkung der Verpflichtung zur Durchführung eigener Ermittlungen den Anstaltsleiter nicht davon entbindet, bei seiner Entscheidung, ob der Gefangene weiterhin für den offenen Vollzug geeignet ist, von einem zutreffenden, vollständig ermittelten und auch nachvollziehbaren Sachverhalt auszugehen, und daß es ihr - der Strafvollstreckungskammer - oblag, dies zu überprüfen (vgl. BVerfG StV 1998, 436, 437). Denn auf dem Gebiet der Tatsachenfeststellung steht der Anstalt ebenso wie der Strafvollstreckungskammer kein Beurteilungsspielraum zu (vgl. Senat, Beschluß vom 26. November 1996 - 5 Ws 607/96 Vollz -); ein solcher ist dem Anstaltsleiter vielmehr erst dann - hinsichtlich der Frage der fortbestehenden Eignung für den offenen Vollzug - eröffnet, wenn die erforderlichen Tatsachengrundlagen feststehen. Hierzu gehört neben Erkenntnissen zum Verfahrensstand ein Mindestmaß an Informationen über den Gegenstand des Verfahrens, nämlich der Sachverhalt im groben, Tatzeit, Tatort und Tatfolgen (vgl. OLG Stuttgart NStZ 1986, 45). Diese Informationen kann der Anstaltsleiter - soweit eigene Ermittlungen unzumutbar sind - insbesondere durch Einholung einer dienstlichen Äußerung der Ermittlungsbehörde beschaffen (vgl. OLG Stuttgart NStZ 1986, 45; Senat NStZ 2003, 391, 392; Beschluß vom 26. November 1996 - 5 Ws 607/96 Vollz -).

Die dargelegten Erfordernisse aber sind vorliegend nicht einmal ansatzweise erfüllt. Der Anstaltsleiter beschränkt sich in dem angefochtenen Bescheid vom 12. Oktober 2005 wie auch in seinem gesamten sonstigen Vorbringen auf die Feststellung, das Hauptzollamt Frankfurt (Oder) habe im Auftrag der Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) Vorermittlungen - entgegen den Darlegungen der Strafvollstreckungskammer also noch kein Ermittlungsverfahren (§ 152 Abs. 2 StPO) - wegen Betruges gegen den Beschwerdeführer eingeleitet. Konkrete Tatsachen fehlen. Es ist daher in keiner Weise nachvollziehbar, welches Verhalten dem Beschwerdeführer zur Last gelegt wird, und demzufolge auch nicht nachprüfbar, ob dieses - als zutreffend unterstellt - den Tatbestand des Betruges erfüllt, ob die Tat von einigem Gewicht ist und ob sie die Ungeeignetheit des Beschwerdeführers für den offenen Vollzug belegt. Mangels Tatsachengrundlage läßt sich selbst die - logisch vorrangige - Frage nicht prüfen, ob es sich bei dem Vorwurf, der Gegenstand der Vorermittlungen ist, um einen neuen - das heißt bei Erstellung des Vollzugsplans nicht vorhandenen oder der Justizvollzugsanstalt nicht bekannten - Umstand handelt (§ 14 Abs. 2 StVollzG). Da es schon an den erforderlichen Sachverhaltsdarlegungen fehlt, bedarf die Frage, ob im Stadium von Vorermittlungen überhaupt ein Verdachtsgrad erreicht ist, auf den belastende Maßnahmen gestützt werden können, keiner Erörterung mehr.

b) Liquidatorentätigkeit

Ähnlich verhält es sich hinsichtlich der vom Anstaltsleiter maßgeblich als Widerrufsgrund herangezogenen Liquidatorentätigkeit des Beschwerdeführers. Die Strafvollstreckungskammer hat auch hier dem Rechtsgrundsatz, daß die Vollzugsbehörde bei ihrer Entscheidung über die weitere Eignung des Gefangenen für den offenen Vollzug von einem zutreffenden, vollständig ermittelten und nachvollziehbaren Sachverhalt auszugehen hat, unzureichend Rechnung getragen.

aa) Der Anstaltsleiter stützt den Widerruf der Zulassung zum offenen Vollzug entscheidend darauf, daß der Beschwerdeführer während seiner Haftzeit Arbeitnehmer eingestellt habe. Ob dies indes zutrifft, läßt sich den beigefügten Unterlagen - auf die die Strafvollstreckungskammer vollinhaltlich Bezug nimmt - nicht entnehmen. Die Übersicht über die zehn bei der M... Verkehrstechnik GmbH i.L. angestellten Arbeitnehmer und den Zeitraum ihrer Beschäftigung enthält keine Angaben dazu, wann die jeweiligen Arbeitsverträge abgeschlossen wurden. Allein der Umstand, daß die Beschäftigungszeiträume bei sechs Arbeitnehmern in der Zeit nach Haftantritt des Beschwerdeführers beginnen, erlaubt nicht den Rückschluß, die entsprechenden Arbeitsverträge seien von dem Beschwerdeführer aus der Haft heraus abgeschlossen worden. Auch aus den Schreiben der beiden Arbeitnehmer an die Agentur für Arbeit geht dies nicht hervor. Der Beschwerdeführer bestreitet das ihm zur Last gelegte Verhalten; er behauptet, die Mitarbeiter bereits vor seiner Inhaftierung angestellt und die entsprechenden Arbeitsverträge - was (anders als die Rückdatierung auf einen bereits abgelaufenen Tag) nicht unzulässig ist - jeweils auf den Tag vor dem Beginn der Beschäftigungszeit vordatiert zu haben. Danach ist der Sachverhalt, auf den der Anstaltsleiter die Ablösung vom offenen Vollzug stützt, in einem zentralen Punkt unaufgeklärt; der Widerruf basiert insoweit auf bloßen Mutmaßungen. Dies hat die Strafvollstreckungskammer übersehen. Zwar war der Anstaltsleiter nicht verpflichtet, externe Zeugen - die in der Zeit ab April 2004 bei der M... Verkehrstechnik GmbH i.L. angestellten Arbeitnehmer - selbst zu vernehmen. Es hätte ihm jedoch oblegen, die erforderlichen Informationen auf anderem Wege zu beschaffen, etwa durch Anfrage bei der Agentur für Arbeit Eberswalde oder dem Hauptzollamt Frankfurt (Oder).

bb) Soweit der Anstaltsleiter die Ablösung vom offenen Vollzug darauf stützt, daß der Beschwerdeführer - neben der Einstellung von Arbeitnehmern - durch sonstige Tätigkeiten, etwa durch die aktive Wahrnehmung der Arbeitgeberfunktion mittels Erteilung von Arbeitsanweisungen und durch die Stellung eines Insolvenzantrages, nach seiner Inhaftierung ein Unternehmen fortgeführt (anstatt lediglich liquidiert) habe, läßt sich dem mitgeteilten Sachverhalt nicht entnehmen, ob es sich insoweit um neue Umstände handelt, die einen Widerruf nach § 14 StVollzG rechtfertigen. Denn unklar ist insbesondere, worauf genau sich Kenntnis und Einverständnis der Anstalt erstreckten. Sollte die Justizvollzugsanstalt von der Tätigkeit des Beschwerdeführers als Liquidator bereits seit der Erstellung des Vollzugsplans Kenntnis gehabt und diese gebilligt haben - worauf die wiederholte Genehmigung von Ausgängen zur Wahrnehmung von Angelegenheiten in dieser Funktion hindeutet -, so könnte der Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes einem nunmehr auf die "Ausübung von Geschäftsführertätigkeiten" gestützten Widerruf entgegenstehen. Zwar ließ die Begründung der ablehnenden Bescheide vom 24. Mai 2004 und 26. Januar 2005 auch für den Beschwerdeführer klar erkennen, daß der Anstaltsleiter mit einer Tätigkeit des Beschwerdeführers als Geschäftsführer oder Unternehmer nicht einverstanden war. Jedoch ist die von dem Anstaltsleiter vorgenommene Unterscheidung zwischen der (für zulässig erachteten) Funktion eines Liquidators einerseits und der (als Widerrufsgrund herangezogenen) Tätigkeit eines Geschäftsführers andererseits bei einer - wie hier - in Liquidation befindlichen GmbH nicht möglich. Liquidatoren treten bei Auflösung der GmbH an die Stelle der Geschäftsführer der werbenden Gesellschaft; sie sind die gesetzlichen organschaftlichen Vertreter der aufgelösten GmbH und haben als deren Geschäftsführungsorgane die ordnungsgemäße Abwicklung der Gesellschaft zu besorgen (vgl. Schulze-Osterloh/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG 18. Aufl., § 70 Rdn. 1).

Soweit der Anstaltsleiter den Widerruf letztlich darauf zu stützen scheint, daß der Beschwerdeführer die Befugnisse eines Liquidators überschritten habe, so wird diese Annahme durch den bisher ermittelten Sachverhalt nicht belegt. Gesetzliche Aufgaben des Liquidators sind insbesondere die Beendigung der laufenden Geschäfte, die Erfüllung von Gesellschaftsverbindlichkeiten und die Einziehung von Gesellschaftsforderungen (§ 70 Satz 1 GmbHG). Der Liquidator darf nach § 70 Satz 2 GmbHG ausdrücklich auch neue Rechtsgeschäfte abschließen, solange dies zu der "Beendigung schwebender Geschäfte" führt; zulässig sind danach alle Geschäfte, die der Abwicklung dienen - sich also im Rahmen des Liquidationszwecks bewegen - und die Gesellschaft nicht faktisch in eine werbende zurückverwandeln (vgl. Rasner in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 70 GmbHG Rdn. 8; K. Schmidt in Scholz, GmbHG 9. Aufl., § 70 Rdn. 16). Innerhalb dieser Grenzen ist insbesondere auch der Abschluß von Arbeitsverträgen zulässig (vgl. Rasner in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 70 GmbHG Rdn. 9; K. Schmidt a.a.O.). Auf ebendiese gesetzlichen Befugnisse des Liquidators aber beruft sich der Beschwerdeführer und macht geltend, die befristeten Arbeitsverhältnisse allein zu Abwicklungszwecken abgeschlossen zu haben; die im Jahre 2004 bei der M... Verkehrstechnik GmbH i.L. beschäftigten Arbeitnehmer seien zur Erledigung von Restarbeiten - Beseitigung von Baumängeln - eingestellt worden, um Gesellschaftsguthaben auslösen und Verbindlichkeiten begleichen zu können. Dieser plausible Vortrag ist bislang nicht widerlegt.

cc) Ein vollzugsrelevantes Fehlverhalten des Beschwerdeführers könnte nach bisherigem Sachstand allenfalls - sofern die Arbeitsverträge während der Haftzeit abgeschlossen wurden - daraus herzuleiten sein, daß der Beschwerdeführer den Arbeitnehmern gegenüber offenbar bei Vertragsschluß angab, in der ...straße ... in Berlin-Blankenburg wohnhaft zu sein, obwohl er eine mehrjährige Haftstrafe zu verbüßen hatte, mithin nicht tatsächlich dort wohnte und auch nicht zu erreichen war.

Der Aufklärung bedarf schließlich und naheliegend auch die Frage, ob der Beschwerdeführer überhaupt wirksam zum Liquidator bestellt worden ist und wie die näheren Umstände seiner Bestellung waren. Das Amtsgericht Dresden hat den Beschwerdeführer am 6. August 2001, rechtskräftig seit dem 14. August 2001, unter anderem wegen vorsätzlichen Bankrotts gemäß § 283 Abs. 1 Nr. 7 b StGB verurteilt. Danach kann der Beschwerdeführer gemäß §§ 66 Abs. 4, 6 Abs. 2 Satz 3 Halbsatz 1 GmbHG für die Dauer von fünf Jahren seit Rechtskraft des Urteils nicht Liquidator sein, wobei die Zeit seiner Inhaftierung in die Frist nicht einzurechnen ist (§ 6 Abs. 2 Satz 3 Halbsatz 2 GmbHG). Eine gleichwohl erfolgte Bestellung wäre nichtig (vgl. Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG 18. Aufl., § 6 Rdn. 13).

3. Da es die Vollzugsbehörde versäumt hat, alle für die Entscheidung wesentlichen Umstände zu ermitteln und in ihre Abwägung einzubeziehen, hebt der Senat sowohl den angefochtenen Beschluß als auch den Bescheid der Justizvollzugsanstalt Plötzensee auf und verpflichtet diese, den Beschwerdeführer unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu bescheiden. Eine sofortige Rückverlegung des Gefangenen in den offenen Vollzug ist nicht angezeigt. Denn der Vollzugsbehörde muß Gelegenheit gegeben werden, die ihre Ansicht stützenden Tatsachen zu ermitteln und ihren Beurteilungsspielraum auf einer rechtsbeständigen Grundlage auszuüben. Ferner ist die Justizvollzugsanstalt bei einer Neubescheidung nicht gehindert, zwischenzeitlich eingetretene andere Gründe zu berücksichtigen, die der Eignung des Beschwerdeführers zum offenen Vollzug entgegenstehen könnten (vgl. Senat, Beschluß vom 26. November 1996 - 5 Ws 607/96 Vollz -).

4. Die Kosten- und Auslagenentscheidung folgt aus § 121 Abs. 4 StVollzG, § 467 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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