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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 22.08.2005
Aktenzeichen: 5 Ws 283/05 Vollz
Rechtsgebiete: StVollzG


Vorschriften:

StVollzG § 19
StVollzG § 69
StVollzG § 70
StVollzG § 83
StVollzG § 115 Abs. 4 Satz 2
StVollzG § 119 Abs. 4 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
KAMMERGERICHT Beschluß

5 Ws 283/05 Vollz

In der Strafvollzugssache

wegen Genehmigung eines Fernsehgerätes mit integriertem DVD-Spieler

hat der 5. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 22. August 2005 beschlossen:

Tenor:

1. Dem Strafgefangenen wird für das Rechtsbeschwerdeverfahren Prozeßkostenhilfe unter Beiordnung seiner Verfahrensbevollmächtigten Rechtsanwältin U----- G----, in B------, H---straße ---, bewilligt.

2. Auf die Rechtsbeschwerde des Leiters der Justizvollzugsanstalt Tegel wird der Beschluß des Landgerichts Berlin - Strafvollstreckungskammer - vom 29. April 2005 - mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung - aufgehoben.

3. Der dem Gefangenen mündlich erteilte Bescheid des Anstaltsleiters, mit dem dieser den Antrag des Gefangenen auf Einbringung und Nutzung eines kombinierten Fernseh- und DVD-Abspielgerätes abgelehnt hat, wird aufgehoben.

4. Der Leiter der Justizvollzugsanstalt Tegel wird verpflichtet, über den vorbezeichneten Antrag des Gefangenen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu entscheiden.

5. Die Kosten des Verfahrens und die dem Gefangenen in beiden Rechtszügen entstandenen notwendigen Auslagen tragen die Landeskasse Berlin und der Gefangene jeweils zur Hälfte.

Gründe:

I. Der Strafgefangene verbüßt in der Justizvollzugsanstalt Tegel bis voraussichtlich 2016 mehrere Freiheitsstrafen.

Seinen im Juni 2004 gestellten Antrag, ihm die Einbringung und Nutzung eines Fernsehgerätes mit eingebautem DVD-Spieler zu genehmigen, lehnte der zuständige Gruppenbetreuer unter Hinweis auf die "Hausverfügung Nr. 1/2004 - Genehmigung von Elektrogeräten bzw. elektrischen Geräten gemäß §§ 19, 69, 70, 83 StVollzG" vom 15. Januar 2004 mündlich ab. Gemäß Nr. 3.6 dieser Verfügung werden Geräte, die DVD-Medien abspielen können, nicht genehmigt.

Auf den gleichlautenden Verpflichtungsantrag des Gefangenen vom 9. Juli 2004 hat die Strafvollstreckungskammer mit dem angefochtenen Beschluß vom 29. April 2005 den Leiter der Anstalt verpflichtet, dem Gefangenen - im Austausch gegen das gegenwärtig von ihm betriebene Fernsehgerät - die Einbringung und Benutzung eines kombinierten Fernseh- und DVD-Abspielgerätes in seinem Haftraum mit der Maßgabe zu gestatten, daß die Hohlräume des Gerätes vor Aushändigung an den Gefangenen auf dessen Kosten versiegelt bzw. verplombt werden und daß die Anzahl von vier elektrischen Geräten im Haftraum des Gefangenen nicht überschritten wird. Davon, den Bescheid des Anstaltsleiters auch ausdrücklich aufzuheben, hat sie abgesehen. In den Beschlußgründen hat die Strafvollstreckungskammer ausgeführt, daß der Besitz und die mißbräuchliche Nutzung des beantragten Gerätes zwar abstrakt-generell geeignet sei, die Sicherheit und Ordnung der Anstalt zu gefährden. Jedoch könne dieser Gefahr mit den im Rahmen einer ordnungsgemäßen Aufsicht anzuwendenden Kontrollmitteln der Vollzugsbehörde effektiv begegnet werden, wobei zu berücksichtigen sei, daß das beantragte Gerät neben seiner Funktion als Fernsehapparat nur über die Möglichkeit verfüge, DVDs abzuspielen, jedoch keine Speicherungs-, Kopier- oder Aufzeichnungsfunktionen habe. Die gegenüber einer CD erheblich höhere Speicherkapazität einer DVD stehe einer effektiven Kontrolle nicht entgegen. Letztere könnten in gleicher Weise wie CDs stichprobenartig auf ihren Inhalt überprüft werden, ohne daß dies einen wesentlich höheren Kontrollaufwand erfordere.

II. Mit seiner gegen diesen Beschluß erhobenen Rechtsbeschwerde rügt der Leiter der Justizvollzugsanstalt Tegel die Verletzung sachlichen Rechts.

1. Das Rechtsmittel ist zulässig, da die Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung zur Fortbildung des Rechts erforderlich ist (§ 116 Abs. 1 StVollzG). Es gibt Anlaß zur Klärung der Frage, ob ein DVD-Spieler ohne Aufzeichnungs- und Speicherfunktion allein wegen seiner technischen Beschaffenheit und funktionalen Möglichkeiten geeignet ist, die Sicherheit und Ordnung der Anstalt zu gefährden (§ 70 Abs. 2 Nr. 2, 2. Alt. StVollzG). Das Rechtsmittel erzielt nur einen Teilerfolg.

2. Der Senat schließt sich der Rechtsprechung des OLG Frankfurt am Main (Beschluß vom 16. März 2005 - 3 Ws 1224-1225/04 StVollz - NStZ-RR 2005, 191) und des OLG Koblenz (Beschluß vom 21. Januar 2002 - 2 Ws 1156/01 - insoweit in NStZ 2003, 592 bei Matzke nicht abgedruckt) an und verneint die von der Rechtsbeschwerde aufgeworfene Frage. Von einem DVD-Spieler, der nicht über eine Aufzeichnungs- und Speicherfunktion verfügt, und den für solche Geräte verwendbaren DVDs geht nicht schon generell-abstrakt eine Gefahr für die Sicherheit und Ordnung der Anstalt aus, der mit den im Rahmen einer ordnungsgemäßen Aufsicht anzuwendenden Kontrollmitteln der Anstalt nicht wirksam begegnet werden könnte. Daher läßt sich unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit eine Versagung der Nutzung allein unter Hinweis auf die dem Gerät als solchem innewohnende Gefährlichkeit nicht rechtfertigen.

Daß dem begehrten Gerät als möglichem Versteck für verbotene Gegenstände kein höherer Gefährdungsgrad als anderen technischen Geräten, namentlich - in der JVA Tegel genehmigungsfähigen - CD-Abspielgeräten, zukommt, hat die Strafvollstreckungskammer zutreffend ausgeführt; dies wird von der Rechtsbeschwerde auch nicht in Abrede gestellt. Zutreffend weist die Kammer zudem auf die technische Ausführung des begehrten DVD-Spielers als schlichtes Wiedergabegerät hin. Im Gegensatz zu der Spielekonsole "Sony Playstation 2" verfügt ein solcher DVD-Spieler demzufolge gerade nicht über Speichermöglichkeiten oder einem Datentransfer dienende Funktionen, die weitreichende Mißbrauchsmöglichkeiten eröffneten, die der Senat in seinem (ebenfalls den Rechtsbeschwerdegegner betreffenden) Beschluß vom 22. Juli 2005 - 5 Ws 178/05 Vollz - ausführlich dargelegt hat. Der Kontrollaufwand, der infolge der Nutzung derartiger Spielekonsolen entstünde, wäre dementsprechend weitaus höher als derjenige, der sich aus dem Gebrauch von einfachen DVD-Abspielgeräten ergibt. Letzterer ist im wesentlichen vergleichbar mit dem Kontrollaufwand, der der Anstalt durch den von ihr allgemein genehmigten Betrieb von CD-Spielern entsteht. Daß die gebräuchlichen DVD-Formate über eine im Vergleich zu CD-Medien erheblich höhere Speicherkapazität verfügen, rechtfertigt im vorliegenden Zusammenhang keine andere Bewertung. Ohne Erfolg beruft sich die Rechtsbeschwerde insoweit auf die Beschlüsse des Senats vom 16. März 2004 - 5 Ws 113/04 Vollz - (veröffentlicht in ZfStrVo 2004, 310) und vom 8. Januar 2004 - 5 Ws 641/04 Vollz - (veröffentlicht in NStZ-RR 2004, 157). Zwar hat der Senat dort auf die erhöhte Speicherkapazität von DVDs im Verhältnis zu CDs hingewiesen; dies bezog sich aber auf die Gefahr mißbräuchlicher Verwendung von DVDs bei der Nutzung von Telespielgeräten des Typs "Sony Playstation 2" (vgl. zu den Einzelheiten der Mißbrauchsgefahren den oben bezeichneten Beschluß des Senats vom 22. Juli 2004). Sollte sich der Beschluß des Senats vom 8. Januar 2004 so verstehen lassen, daß allein die höhere Datenmenge einer DVD die Gefahr für die Sicherheit und die Ordnung der Anstalt heraufbeschwört, hält der Senat daran nicht fest.

Das höhere Speichervolumen steht einer effektiven Kontrolle des DVD-Inhalts nicht entgegen. Ebenso wie im Falle der in der Anstalt von Gefangenen genutzten CD-Formate und vergleichbar dem Vorgehen bei MP 3-Datenträgern ist auch bei DVDs eine stichprobenartige Kontrolle möglich, die keinen gravierend höheren Zeitaufwand erfordert (Schnellwiedergabe) und keine vertieften technischen Kenntnisse bei den damit befaßten Bediensteten voraussetzt. Ohnehin sind DVD-Abspielgeräte außerhalb des Strafvollzuges bereits so weit verbreitet, daß die Beherrschung einiger grundlegender, für die nötige Kontrolle ausreichender Gerätefunktionen bei den weitaus meisten Vollzugsbediensteten vorausgesetzt werden kann. Einem für die Anstalt gleichwohl nicht mehr zumutbaren Kontrollaufwand kann im übrigen dadurch begegnet werden, daß Gefangene, die bereits ein CD-Abspielgerät besitzen, einen DVD-Spieler nur im Austausch gegen dieses erhalten. Eine Benachteiligung des betreffenden Gefangenen wäre damit nicht verbunden, da mit den gegenwärtig im Handel erhältlichen DVD-Abspielgeräten auch herkömmliche CDs wiedergegeben werden können.

3. Soweit die Vollzugsbehörde nunmehr geltend macht, daß vorliegend nicht nur von dem begehrten Gerät eine abstrakte Gefahr für die Sicherheit und Ordnung der Anstalt ausgehe, sondern darüber hinaus auch in der Person des Antragstellers eine solche Gefahr begründet sei, weil er - unter anderem - unerlaubt DVDs mit pornographischem Inhalt besessen und den ihm an seinem Arbeitsplatz zur Verfügung stehenden PC eigenmächtig durch Änderung des Kennwortes für die Bediensteten unzugänglich gemacht habe, kann sie damit in dem revisionsähnlich ausgestalteten Rechtsbeschwerdeverfahren nicht gehört werden, da es sich um nachgeschobenes tatsächliches Vorbringen handelt, das einer Sachentscheidung des Senats, der als Rechtsbeschwerdegericht nur über Rechtsfragen zu befinden hat, nicht zugänglich ist.

4. Der Beschluß der Strafvollstreckungskammer kann gleichwohl nicht aufrechterhalten bleiben, weil der dem Antragsteller zugesprochene Anspruch derzeit noch nicht in jeder Hinsicht begründet ist. Die Sache ist noch nicht spruchreif im Sinne von §§ 115 Abs. 4 Satz 2, 119 Abs. 4 Satz 2 StVollzG.

Es ist anerkannt, daß unabhängig von einer abstrakten Gefahr eine konkrete, individuell aus der Person des Gefangenen folgende Gefahr die Besitzversagung rechtfertigen kann (vgl. OLG Zweibrücken ZfStrVo 1981, 124; Lückemann in Arloth/Lückemann, StVollzG § 70 Rdn. 4 und 5 a. E.). Dies gilt etwa im Falle von Manipulationen an elektrischen Geräten oder des Besitzes nicht genehmigter Gegenstände und auch dann, wenn das Vollzugsziel dem Besitz des Gegenstandes entgegenstehen kann. Mit der Frage, ob in der Person des Antragstellers Versagungsgründe vorliegen, hatte sich die Anstalt - auf der Grundlage ihrer Rechtsansicht zu Recht - nicht befaßt, was allein daran erkennbar wird, daß die Behörde ihre ablehnende Entscheidung ausschließlich auf das in der erwähnten Hausverfügung enthaltene Besitzverbot, das unter anderem DVD-Abspielgeräte umfaßt, gestützt hat.

Der Senat hebt daher sowohl die von der Strafvollstreckungskammer ausgesprochene Verpflichtung als auch den ablehnenden Bescheid der Vollzugsbehörde auf, um es der Justizvollzugsanstalt zu ermöglichen, den Antrag des Gefangenen - unter Beachtung der oben zu II. 2. dargelegten Rechtsauffassung - erneut zu bescheiden und dabei zu prüfen, ob in der Person des Gefangenen konkrete Gründe vorliegen, die eine Versagung des Besitzes des begehrten Gegenstandes rechtfertigen.

Von der Einholung einer schriftlichen Stellungnahme des für den Rechtsbeschwerdegegner zuständigen Gruppenleiters zur Frage einer etwaigen Zugehörigkeit des Gefangenen zur "rechten Szene" und der Beiziehung seiner Gefangenenpersonalakte, wie dies von der Verfahrensbevollmächtigten des Gefangenen mit Schriftsatz vom 5. August 2005 beantragt worden ist, hat der Senat dementsprechend in diesem Rechtszug abgesehen, weil es darauf nicht ankam. Der Senat ist im übrigen nicht als Tatrichter zur Entscheidung berufen. Die Vollzugsbehörde mag insoweit bei der neuerlichen Befassung mit dem Antrag prüfen, ob sich daraus verwertbare Erkenntnisse für die Beurteilung der Zuverlässigkeit des Gefangenen ergeben können.

III. Dem Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe war stattzugeben, weil der Rechtsbeschwerdegegner bedürftig ist und es auf die Erfolgsaussicht seiner Rechtsverteidigung im Beschwerderechtszug nicht ankommt (§ 120 Abs. 2 StVollzG, § 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Die Beiordnung eines Rechtsanwalts war erforderlich; denn der Gefangene benötigt rechtskundigen Beistand, nachdem die Vollzugsbehörde die Rechtsbeschwerde gegen den für ihn günstigen Beschluß der Strafvollstreckungskammer eingelegt hat.

Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 4 StVollzG, § 473 Abs. 4 StPO. Eine Kosten- und Auslagenteilung war sachgerecht. Zwar hat das Rechtsmittel der Vollzugsbehörde zu der von ihr erstrebten Aufhebung der von der Strafvollstreckungskammer ausgesprochenen Verpflichtung geführt; die Bestätigung der von der Anstalt vertretenen Rechtsansicht - allein mit dieser hatte sie die Versagung der Genehmigung begründet - hat es jedoch nicht erbracht (vgl. zu diesem Rechtsgedanken Kopp/Schenke, VwGO 14. Aufl., § 155 Rdn 2).



Ende der Entscheidung

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