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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 22.07.2005
Aktenzeichen: 5 Ws 365/05 Vollz
Rechtsgebiete: StVollzG, VwVfG


Vorschriften:

StVollzG § 112 Abs. 1 Satz 1
StVollzG § 114 Abs. 2 Satz 2
VwVfG § 37 Abs. 3
VwVfG § 37 Abs. 3 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
KAMMERGERICHT Beschluß

5 Ws 365/05 Vollz

In der Strafvollzugssache

des Strafgefangenen ... geboren am ... in ..., zur Zeit in der Justizvollzugsanstalt Tegel, Gef.-Buch-Nr.: ...,

wegen Anfechtung der Vollzugsplanfortschreibung

hat der 5. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 22. Juli 2005 beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde des Gefangenen wird der Beschluß des Landgerichts Berlin - Strafvollstreckungskammer - vom 16. Juni 2005 - mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung - aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an die Strafvollstreckungskammer zurückverwiesen.

Gründe:

Der Gefangene verbüßt zur Zeit eine Gesamtfreiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt Tegel. Auf der Grundlage der Vollzugsplanfortschreibung vom 22. Oktober 2004 fand am 14. Dezember 2004 eine Vollzugsplankonferenz statt, deren Inhalt und Ergebnis mit Datum vom selben Tage schriftlich niedergelegt wurde. Eine Abschrift der dreiseitigen Verfügung, deren erster Teil der Konferenzbericht, inhaltlich zwei Seiten, einnahm, erhielt der Gefangene am 14. Januar 2005 ausgehändigt. Allerdings fehlte die Seite 3, auf der sich die Verteilerverfügung des Bearbeiters und dessen Unterschrift befindet. Nachdem der Gefangene beanstandet hatte, den Bericht nicht vollständig erhalten zu haben, wurde ihm am 15. Februar 2005 die erwähnte Seite 3 des Berichts ausgehändigt. Am 1. März 2005 beantragte der Gefangene zu Protokoll des Urkundsbeamten des Amtsgerichts Wedding in der JVA Tegel die gerichtliche Entscheidung, den Vollzugsplan vom 14. Dezember 2004 aufzuheben und die Anstalt zu verpflichten, eine neue Vollzugsplanfortschreibung vorzunehmen, da die Behörde in der angefochtenen Fortschreibung den gesetzlichen Mindestanforderungen nicht genügt habe. Die Strafvollstreckungskammer verwarf den Antrag mit dem angefochtenen Beschluß vom 16. Juni 2005 mit der Begründung als unzulässig, der Antrag auf gerichtliche Entscheidung sei verspätet eingelegt worden, da der Lauf der zweiwöchigen Frist des § 112 Abs. 1 Satz 1 StVollzG bereits am 14. Januar 2005 und nicht erst mit Aushändigung der Seite 3 des Berichts begonnen habe und daher am 1. März 2005 bereits verstrichen gewesen sei. Mit seiner form- und fristgemäß erhobenen Rechtsbeschwerde rügt der Gefangene die Behandlung seines Antrages auf gerichtliche Entscheidung als unzulässig.

Das Rechtsmittel hat einen vorläufigen Erfolg.

1. Die Rechtsbeschwerde ist nicht nur gegen Sach-, sondern auch gegen Prozeßentscheidungen der Strafvollstreckungskammer - eine solche liegt hier vor - statthaft (vgl. Calliess/Müller-Dietz, StVollzG 10. Aufl., § 116 Rdn. 5 mit weit. Nachw.).

2. Sie ist zulässig, weil mit der angefochtenen Entscheidung dem Beschwerdeführer das rechtliche Gehör versagt wurde (vgl. Senat NStZ-RR 2002, 383; Beschlüsse vom 8. Juli 2005 - 5 Ws 309/05 Vollz -, 25. Februar 2005 - 5 Ws 85/05 Vollz - und vom 31. August 2001 - 5 Ws 543/01 Vollz -; Arloth in Arloth/Lücke-mann, StVollzG § 116 Rdn. 3). Die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs scheitert ausnahmsweise nicht daran, daß der Gefangene nicht ausdrücklich mitgeteilt hat, was er vorgetragen hätte, wenn ihm Gelegenheit dazu gegeben worden wäre (vgl. KG, Beschluß vom 19. Oktober 2000 - 5 Ws 644/00 Vollz -). Denn aus dem Vorbringen wird noch hinreichend deutlich erkennbar, daß er sein Vorbringen in seinem Antrag vom 1. März 2005 auch zum Inhalt der Rechtsbeschwerde machen wollte.

Die Auffassung der Strafvollstreckungskammer, der Antrag des Gefangenen auf gerichtliche Entscheidung sei verspätet angebracht worden, hält rechtlicher Prüfung nicht Stand. Nach § 112 Abs. 1 Satz 1 StVollzG ist Voraussetzung für die Ingangsetzung des Laufs der Zweiwochenfrist die Zustellung oder schriftliche Bekanntmachung der Entscheidung. Für die Frage, wann bzw. unter welchen Voraussetzungen die schriftliche Bekanntgabe erfolgt ist, sind - mangels spezieller Regelung im Strafvollzugsgesetz - die sachnahen verwaltungsverfahrensrechtlichen Vorschriften entsprechend anzuwenden (vgl. allgemein zu der über die ausdrückliche Verweisung in § 114 Abs. 2 Satz 2 StVollzG hinausgehenden Notwendigkeit, im Strafvollzugsrecht ergänzend verwaltungsrechtliche Normen und Grundsätze heranzuziehen (vgl. Senat NStZ-RR 2002, 383; Schuler in Schwind/Böhm, StVollzG 3. Aufl., § 120 Rdn. 1; Volckart in AK-StVollzG 4. Aufl., § 120 Rdn. 2, 3; Calliess/Müller-Dietz, StVollzG 10. Aufl., § 120 Rdn. 1; Arloth in Arloth/Lückemann, StVollzG § 120 Rdn. 1, 2). Gemäß § 37 Abs. 3 Satz 1 VwVfG muß ein schriftlicher Verwaltungsakt unter anderem die Unterschrift oder die Namenswiedergabe des Behördenleiters, seines Vertreters oder seines Beauftragten enthalten. Das Erfordernis der Unterschrift soll vor allem im Interesse der Rechtssicherheit grundsätzlich gewährleisten, daß nicht unfertige Schreiben, insbesondere Entwürfe, als offizielle Entscheidung ergehen (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG 8. Aufl., § 37 Rdn. 31). Daraus folgt, daß die schriftliche Bekanntmachung nicht vollständig ist, wenn das Schriftstück eine Unterschrift oder Namenswiedergabe nicht enthält. Eine solche unvollständige, mithin fehlerhafte Bekanntgabe vermag die Rechtsbehelfsfrist grundsätzlich nicht in Lauf zu setzen (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG 8. Aufl., § 41 Rdn. 27 mit weit. Nachw.).

Das Fehlen der Unterschrift kann allerdings ausnahmsweise als unbeachtlich anzusehen sein, wenn aus den gesamten Umständen, etwa aus einem Begleitschreiben, das den Anforderungen des § 37 Abs. 3 VwVfG genügt, zweifelsfrei hervorgeht, daß es sich um eine abschließende Entscheidung und nicht lediglich um einen Entwurf handelt (vgl. Kopp/Ramsauer aaO. § 41 Rdn. 32). So liegt der Fall hier aber nicht. Denn weder aus dem Vorbringen des Gefangenen, noch aus dem der Vollzugsbehörde, noch aus sonstigen Umständen ergibt sich, daß die Anstalt bereits vor der Aushändigung der dritten Seite des Vermerks dem Gefangenen mitgeteilt hätte, daß es sich insoweit nur um einen inhaltlich irrelevanten Teil des Berichts handelt. Indes hatte der Gefangene mit seiner Beanstandung zu erkennen gegeben, daß er Zweifel an der Vollständigkeit der ihm ausgehändigten Abschrift hegte. Daß diese Zweifel nicht lediglich überzogenen Anschauungen und Erwartungen des Gefangenen entsprachen, wird an dem in der Akte befindlichen Schriftstück deutlich. Zwar lautet der letzte Satz auf Seite 2 des Vermerks: "Das Konferenzergebnis wurde Hr. ... im Anschluss eröffnet". Dies läßt aber nicht zwingend allein den Schluß zu, damit ende der Bericht; vielmehr bleibt, da graphische oder sonstige Merkmale, die auf ein Textende hindeuten, fehlen, offen, ob auf einer weiteren Seite noch inhaltlich Ausführungen folgen.

Bei der Bewertung der Frage des Zeitpunktes des Fristbeginns hätte die Strafvollstreckungskammer angesichts der konkreten Fallgestaltung im übrigen dem verfassungsrechtlich verankerten (Art. 2 Abs. 1 in Verb. mit Art. 20 Abs. 3 GG) Fairneßgebot (vgl. allgemein dazu Jarass in Jarass/Pieroth, GG 7. Aufl., Art. 20 Rdn. 94 mit weit. Nachw. insbesondere zur Rspr. des BVerfG) verstärkt Rechnung tragen müssen. Der Anspruch auf ein faires Verfahren schließt nämlich die Verpflichtung der Gerichte ein, das Verfahrensrecht so anzuwenden, daß die eigentlichen materiellen Rechtsfragen entschieden werden und ihnen nicht durch übertriebene Anforderungen an das formelle Recht ausgewichen wird (vgl. zuletzt BVerfG NJW 2005, 814). Dieser Anforderung ist die Kammer vorliegend nicht gerecht geworden.

Der Senat verweist die Sache daher nach § 119 Abs. 4 Satz 3 StVollzG an die Strafvollstreckungskammer zurück, damit diese eine Sachentscheidung treffen kann.

Ende der Entscheidung

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