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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 17.08.2006
Aktenzeichen: 5 Ws 40/06
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO §§ 94 ff
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
5 Ws 40/06 1 AR 73/06

In der Strafsache

wegen Hehlerei

hat der 5. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 17. August 2006 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Angeklagten wird der Beschluß des Landgerichts Berlin vom 13. Oktober 2005 aufgehoben.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Landeskasse zur Last.

Gründe:

Im Rahmen von Durchsuchungsmaßnahmen am 1. Februar 1999 bei dem Mitangeklagten wurde - unter anderem - der PKW des Angeklagten, ein BMW 320i Cabrio mit der Fahrzeugidentitätsnummer WBABJ41040ER25179, gefunden und beschlagnahmt. Am 10. Oktober 2005 ist er nach Aufhebung der Beschlagnahme wieder an ihn herausgegeben worden. Mit dem angefochtenen Beschluß hat der Vorsitzende der Strafkammer 33 die erneute Beschlagnahme des Fahrzeugs sowie dessen Notveräußerung angeordnet, weil dessen Freigabe "nicht zu Gunsten des Angeklagten" erfolgen sollte. Die hiergegen gerichtete, gemäß § 304 Abs. 1 zulässige Beschwerde des Angeklagten hat Erfolg.

I.

Der Beschwerde liegt folgendes prozessuale - der Beschlagnahme vom 1. Februar 1999 nachfolgende - Geschehen zugrunde:

Auf den Widerspruch des seinerzeitigen Beschuldigten vom 13. April 1999 bestätigte das Amtsgericht Tiergarten in Berlin die Beschlagnahme (§ 98 Abs. 2 StPO) durch Beschluß vom 18. Juni 1999, weil das Fahrzeug als Beweismittel für die Untersuchung von Bedeutung sein könne (§ 94 Abs. 1 StPO). Seine Beschwerde vom 11. Oktober 1999 verwarf das Landgericht Berlin - 504 Qs 104/99 - am 21. Dezember 1999. Am 23. Januar 2001 beantragte der Beschuldigte in dem zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossenen Ermittlungsverfahren erneut die Aufhebung der Beschlagnahme. Während die Strafkammer 33 des Landgerichts einen gleichgerichteten Antrag des Mitbeschuldigten F... als Beschwerde ansah und mit Beschluß vom 19. April 2002 - 533 Qs 31/01 und 53/02 - die Beschlagnahme aufhob, behandelte die Strafkammer 4 - 504 Qs 31/02 - die Eingabe des Beschuldigten mit Verfügung ihres stellvertretenden Vorsitzenden vom 27. Mai 2002 als einen an die Staatsanwaltschaft gerichteten Antrag auf Aufhebung der Beschlagnahme, zu dessen Bescheidung sie nicht befugt sei. Die Staatsanwaltschaft beschied die Eingabe alsdann nicht.

Unter dem 18. Juli 2002 erhob sie gegen den Beschwerdeführer und den Mitangeschuldigten Anklage wegen bandenmäßiger Hehlerei in neun Fällen vor dem Schöffengericht Tiergarten, die sie am 10. September 2002 um den Antrag gemäß § 29 Abs. 2 GVG ergänzte. § 73 StGB ist dort nicht erwähnt. Die Vorsitzende des erweiterten Schöffengerichts vermerkte in einer Zuschrift an die Staatsanwaltschaft am 24. September 2002, daß der PKW - nach Ausbau des Tachometers - an den Angeschuldigten herausgegeben werden solle. Außerdem mahnte sie die Berichtigung mehrerer - die Tatzeiten betreffender - Schreibfehler an. Diese Verfügung erledigte die Staatsanwaltschaft erst etwa acht Monate später, indem sie eine korrigierte Anklageschrift einreichte, die das Amtsgericht sodann gemäß § 201 Abs. 1 StPO den Angeschuldigten mitteilte. Hinsichtlich der Beschlagnahme geschah weiterhin nichts. Am 29. Januar 2004 eröffnete das Amtsgericht das Hauptverfahren gegen den Angeklagten S... nur in einem Punkt der Anklage - den Tachometer des verfahrensgegenständlichen PKW betreffend. (Die von der Staatsanwaltschaft mit der sofortigen Beschwerde angegriffene Ablehnung der Eröffnung ist seit dem 31. August 2004 bestandskräftig, § 34 a StPO). Am 10. März 2004 begann die Hauptverhandlung. Unter dem 11. März 2004 erhob die Staatsanwaltschaft am 15. März 2004 eine - ordnungsgemäß zugelassene und zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemachte - Nachtragsanklage, mit der sie dem Angeklagten Hehlerei an einem in Leipzig gestohlenen Fahrzeug vorwarf, aus dem er einzelne Bauteile in seinen PKW eingebaut habe. In dieser Anklageschrift wird das Fahrzeug des Angeklagten erstmals als "Einziehungsgegenstand" bezeichnet. Am 24. März 2004 verurteilte das Amtsgericht Tiergarten den Angeklagten wegen Hehlerei in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr, setzte deren Vollstreckung zur Bewährung aus und ordnete den Verfall des Fahrzeugs an. Gegen das Urteil haben sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft Berlin Berufung eingelegt, über die noch nicht entschieden worden ist. Nachdem der Polizeipräsident in Berlin - nach zahlreichen, jeweils die bisher angefallenen Aufbewahrungskosten benennenden Anfragen - erneut mit Schreiben vom 4. Juli 2005 mitteilte, daß mittlerweile für den PKW Kosten in Höhe von 15.913,79 Euro angefallen seien, das Fahrzeug aber lediglich einen Versteigerungserlös von etwa 7.000,-- Euro erwarten lasse, hat der Vorsitzende der Strafkammer 33 des Landgerichts mit Beschluß vom 31. August 2005 die Beschlagnahme aus Gründen der Verhältnismäßigkeit aufgehoben. Daraufhin ist der PKW dem Angeklagten am 10. Oktober 2005 ausgehändigt worden. Inzwischen waren die Aufbewahrungskosten auf 16.971,73 Euro angewachsen.

Am 13. Oktober 2005 hat der Vorsitzende der Strafkammer 33 zunächst die eingangs erwähnte "Klarstellung" vorgenommen. Ferner hat er die erneute Beschlagnahme des PKW, nunmehr auf der Grundlage der §§ 111b, 111c und 111e StPO angeordnet. Eine Fassung dieses Beschlusses (Bl. IX/191 ff.) enthält gleichzeitig die Anordnung von dessen Notveräußerung nach § 111 l StPO. In einer anderen Fassung - einer "Leseabschrift" (Bl. IX/194 ff.) - fehlt dieser Passus. In deren Gründen wird dem Angeklagten lediglich Gelegenheit gegeben, zur geplanten Notveräußerung Stellung zu nehmen. Welche dieser Varianten mit Außenwirkung beschlossen worden ist, kann offen bleiben, weil der Beschluß ohnehin der Aufhebung unterliegt.

II.

Die - erneute - Beschlagnahme kann unter keinem Rechtsgrund aufrechterhalten bleiben.

1. Die Aufhebung der Beschlagnahme führt grundsätzlich dazu, daß die beschlagnahmten Gegenstände an den letzten Gewahrsamsinhaber herauszugeben sind (vgl. OLG Düsseldorf, NStZ 1990, 202; Meyer-Goßner, StPO 49. Auflage, § 111 k Rdn. 1). Durch die Aufhebung der Beschlagnahme und die Herausgabe des betroffenen Gegenstands soll der ursprüngliche oder rechtmäßige Zustand, in den durch die Beschlagnahme eingegriffen wurde, wiederhergestellt werden.

Aufgrund der Aufhebung der Beschlagnahme durch den Beschluß des Landgerichts vom 31. August 2005 ist daher das Fahrzeug zu Recht an den Angeklagten herausgegeben worden. Das Landgericht ist in seinem Beschluß auch zutreffend davon ausgegangen, daß aus Gründen der Verhältnismäßigkeit die Aufhebung der Beschlagnahme zu erfolgen hatte. Damit hätte es sein Bewenden haben müssen.

a) Die letzte Ermittlungshandlung hinsichtlich des beschlagnahmten Fahrzeugs fand am 14. Januar 2000 durch den Antrag auf kriminaltechnische Untersuchung statt. Das entsprechende Gutachten wurde am 28. Februar 2000 erstattet. Der Antrag des Beschwerdeführers auf Aufhebung der Beschlagnahme vom 23. Januar 2001 wurde nicht beschieden. Die Anklageerhebung erfolgte erst am 18. Juli 2002. Zwischen dem 24. September 2002 und dem 16. Mai 2003 lagerten die Akten wiederum ohne einen erkennbaren Grund unbearbeitet bei der Staatsanwaltschaft, nachdem das Verfahren schon zuvor zögerlich geführt worden war. Erstinstanzlich verurteilt wurde der Angeklagte am 24. März 2004. Über die Berufungen ist noch nicht entschieden.

Vor diesem Hintergrund konnte die Beschlagnahme des Fahrzeugs nicht mehr aufrecht erhalten bleiben. Bei einer Beschlagnahme ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten. Zu berücksichtigen sind die Schwere der Tat und die Erforderlichkeit für die Ermittlungen (vgl. Meyer-Goßner, § 94 StPO Rdn. 18 m. w. Nachw.). Zu Recht hatte das Landgericht bereits in seinem - den Beschuldigten F... betreffenden - Beschluß vom 19. April 2002 - 533 Qs 31/01 und 53/02 - die Unverhältnismäßigkeit der Fortdauer der Beschlagnahme eines bei derselben Durchsuchung sichergestellten PKW als Beweismittel abgelehnt. In demselben Beschluß hat das Gericht es auch zutreffend abgelehnt, den dort verfahrensgegenständlichen PKW zum Zwecke der Vorbereitung des Verfalls zu beschlagnahmen.

b) Inzwischen sind - bis zu dem angefochtenen Beschluß - weitere zweieinhalb Jahre verstrichen. Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit ist zu beachten, daß die - nicht rechtskräftige - Verurteilung wegen Hehlerei zwar nicht unerheblich ist, Hehlerei jedoch als Vergehen nicht zur schweren Kriminalität zählt. Nach mittlerweile bis dahin über 6 1/2 jähriger Verfahrensdauer ist die Zumutbarkeitsgrenze überschritten. Dem Angeklagten ist die Nutzungsmöglichkeit seines Fahrzeugs jahrelang entzogen worden. Dessen Wert hat sich seither drastisch vermindert. Es sind enorme Aufbewahrungskosten entstanden, die den Wert des Fahrzeugs inzwischen deutlich übersteigen. Eine Beweisfunktion kommt dem beschlagnahmten Fahrzeug nicht mehr zu.

Der Verfall scheitert inzwischen an § 73 c StGB. Die Strafverfolgungsbehörden und Gerichte haben in einem Verfahren, das dem Anspruch des Angeklagten auf die Verhandlung seiner Sache innerhalb einer angemessenen Frist gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK - wie oben dargestellt - in mehrfacher Hinsicht nicht Rechnung trug, fast 17.000 Euro Kosten angehäuft, die im Falle der Verurteilung gegen den Angeklagten festgesetzt werden können (wenn auch nur in das Verschulden staatlicher Stellen berücksichtigender geringerer Höhe, vgl. KG, Beschluß vom 24. Juli 2003 - 4 Ws 115/03 -).

2. Hinzu kommt hinsichtlich des "klarstellenden" Teils des angefochtenen Beschlusses vom 13. Oktober 2005, daß es sich bei dieser Entscheidung gewissermaßen um einen "Berichtigungsbeschluß" hinsichtlich der ursprünglichen Entscheidung vom 31. August 2005 handelt. Die Berichtigung eines Beschlusses ist jedoch lediglich unter eng begrenzten Voraussetzungen bei offenbaren Unrichtigkeiten zulässig (vgl. Thomas/Putzo, ZPO 27. Auflage, § 319 Rdn. 1 f). Eine sachliche Abänderung der Entscheidung - wie vorliegend - ist ohne entsprechendes Rechtsmittel nicht vorgesehen. Im übrigen bestand hierfür - wie unter 1. dargelegt - keine Veranlassung.

3. Die Kosten des Rechtsmittels fallen der Landeskasse Berlin zur Last, weil kein anderer dafür haftet. Die Auslagenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 467 Abs. 1 Satz 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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