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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 12.10.2005
Aktenzeichen: 5 Ws 479/05
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 456a
Die Beweggründe eines Verurteilten für die "Rückkehr" im Sinne des § 456 a Abs. 2 StPO sind unerheblich. Insoweit ist allein erforderlich, dass er mit natürlichem Willen über die Wiedereinreise selbst entscheidet, sie als solche erkennt und betreibt. Es genügt dabei der Wiedereintritt des Verurteilten in den Geltungsbereich der Strafprozessordnung; unerheblich ist,bzw. nicht notwendig ist, dass er eine auf deutschem Hoheitsgebiet gelegene gemeinsame Grenzübergangsstelle erreicht.
Geschäftsnummer: 5 Ws 479/05

In der Strafsache gegen

wegen Verstoßes gegen das BtMG u.a.

hat der 5. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 12. Oktober 2005 beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluß des Landgerichts Berlin - Strafvollstreckungskammer - vom 6. September 2005 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

I.

Das Landgericht Berlin hat den Beschwerdeführer am 4. Februar 1997 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Geldfälschung sowie wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Der Beschwerdeführer, ein polnischer Staatsangehöriger, hat zunächst vom 16. Februar 1996 bis 24. April 2003 in Untersuchungs- und Strafhaft eingesessen; am 24. April 2003 wurde er aus der Strafhaft entlassen und am gleichen Tage abgeschoben, nachdem die Staatsanwaltschaft mit Verfügung vom 7. April 2003 gemäß § 456 a StPO von der weiteren Vollstreckung der Freiheitsstrafe abgesehen und deren Nachholung für den Fall der Rückkehr in die Bundesrepublik Deutschland angeordnet hatte.

Am 17. Januar 2005 wurde der Verurteilte aufgrund eines Vollstreckungshaftbefehls durch den Bundesgrenzschutz im Bereich des Grenzübergangs Ludwigsdorf an der deutsch-polnischen Grenze festgenommen. Seit diesem Tag wird die Restfreiheitsstrafe vollstreckt.

Der Verurteilte meint, die Voraussetzungen einer Nachholung der Vollstreckung nach § 456 a Abs. 2 StPO lägen nicht vor, da er sich am 17. Januar 2005 bei seiner Festnahme noch auf polnischem Staatsgebiet befunden habe. Er habe sich auf dem Weg zu einem Freund von W nach Z befunden und habe dann eine Abfahrt verpaßt, wodurch er versehentlich auf den Zubringer zur Grenze gekommen sei. Vor dem Grenzübergang habe es keine Wendemöglichkeit gegeben, so daß er bis dorthin fahren mußte. Er habe gehofft, dort wenden zu können, sei jedoch sofort festgenommen worden. Mit Beschluß vom 6. September 2005 hat die Strafvollstreckungskammer die Einwendungen des Verurteilten gegen die Zulässigkeit der Strafvollstreckung zurückgewiesen.

II.

Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde (§ 462 Abs. 3 Satz 1 StPO) des Verurteilten hat keinen Erfolg.

Zu Recht hat die Strafvollstreckungskammer die Vollstreckbarkeit der Reststrafe von 965 Tagen aus dem Urteil des Landgerichts Berlin vom 4. Februar 1997 bejaht. Sie war für die Entscheidung über die Einwendungen des Verurteilten gegen die Anordnung der Vollstreckungsbehörde nach § 456 a Abs. 2 StPO, die Freiheitsstrafe weiter zu vollstrecken, gemäß § 458 Abs. 2 in Verbindung mit § 462 Abs. 1, 462 a Abs. 1 StPO zuständig.

1. Die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen liegen vor. Die mit dem seit dem 4. Februar 1998 rechtskräftigen Urteil gegen den Beschwerdeführer verhängte Gesamtfreiheitsstrafe ist noch nicht voll verbüßt. Sie ist weder ausgesetzt noch erlassen; Gnade und Amnestie sind nicht gewährt worden. Vollstreckungsverjährung ist nicht eingetreten.

2. Der weiteren Vollstreckung steht auch kein Vollstreckungshindernis in Form eines fortdauernden Absehens von der Vollstreckung nach § 456 a Abs. 1 StPO entgegen. Der Verurteilte ist nämlich am 17. Januar 2005 nach Deutschland zurückgekehrt und die Staatsanwaltschaft hat ermessensfehlerfrei die Nachholung der Strafvollstreckung angeordnet.

a) Der Verurteilte ist im Sinne des § 456 a Abs. 2 StPO zurückgekehrt, als er von Polen kommend die Grenze zur Bundesrepublik Deutschland überquerte und sich auf deutschem Staatsgebiet aufhielt. Nach dem Bericht der Bundesgrenzschutzinspektion Ludwigsdorf vom 25. Juni 2005 befindet sich die gemeinsame Grenzkontrolle mit deutschem Bundesgrenzschutz und polnischem Grenzschutz ca. 1,5 Kilometer hinter dem Grenzverlauf auf deutschem Hoheitsgebiet. Um dorthin zu gelangen muß man in Polen zunächst auf eine, kurz vor der Grenze beginnende Autobahn, welche in Richtung Dresden - also auch für den Verurteilten zweifelsfrei nach Deutschland - ausgeschildert ist, auffahren. Auf der ca. 2,5 Kilometer langen Strecke bis zur Grenzkontrolle befinden sich zwei Wendemöglichkeiten. Soweit der Beschwerdeführer vorträgt, es sei nicht erkennbar gewesen, daß er sich auf deutschem Hoheitsgebiet befunden habe, so kann als allgemein bekannt gelten, daß der Grenzverlauf zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen durch die Neiße markiert wird. Spätestens beim Überfahren der Brücke über die Neiße mußte dem Beschwerdeführer somit klar sein, daß er sich auf deutschem Hoheitsgebiet befand. Auch sein Einwand, er habe vorher nicht wenden können, muß angesichts des genannten Berichts des Bundesgrenzschutzes als Schutzbehauptung bewertet werden. Selbst wenn der Beschwerdeführer geglaubt haben mag, daß er sich verkehrsordnungswidrig verhalte, wenn er auf einer Autobahn wende, so war ihm doch angesichts der Belehrung im Zusammenhang mit seiner Abschiebung klar, daß ihm beim Überqueren der deutsch-polnischen Grenze nach Deutschland die Festnahme drohe. Daß der Beschwerdeführer in Kenntnis dieses Umstandes eine Verkehrsordnungswidrigkeit habe vermeiden wollen, ist wenig glaubhaft. Auch der pauschale Hinweis darauf, er habe einen Bekannten in Zgorzelec besuchen wollen und habe eine Abfahrt verpaßt, ist wenig glaubhaft, da der Beschwerdeführer weder Namen, Anschrift, noch den Grund seiner Reise bzw. seine Reiseroute genau mitgeteilt und keine Abfahrt verpaßt hat, sondern auf die Autobahn nach Deutschland abgebogen ist.

b) Für das Merkmal der Rückkehr ist es unerheblich, daß er die auf deutschem Hoheitsgebiet gelegene gemeinsame Grenzübergangsstelle noch nicht passiert hatte. Maßgeblich ist der Wiedereintritt eines Verurteilten in den Geltungsbereich der Strafprozeßordnung.

In Übereinstimmung mit § 456 a Abs. 2 S. 1 StPO ("kehrt der Ausgewiesene zurück") hat die Staatsanwaltschaft den Beschwerdeführer in ihrem Schreiben vom 7. April 2003 darüber belehrt, daß die Vollstreckung nachgeholt wird, wenn dieser nach seiner Abschiebung "erneut im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland angetroffen" wird.

Der Wortlaut der genannten Vorschrift deckt bereits das Überschreiten der Grenze nach Deutschland ab und erfordert es nicht, erst auf das Passieren der hinter der Grenze liegenden Grenzübergangsstelle abzustellen.

c) Die Beweggründe für die Rückkehr sind dabei unerheblich. Erforderlich ist jedoch, daß der Verurteilte mit natürlichem Willen über die Wiedereinreise selbst entscheidet, sie als solche erkennt und betreibt (vgl. Kammergericht, NStZ-RR 2004, 312 m.w.Nachw.). Diese Voraussetzungen sind gegeben. Nach den obigen Ausführungen kann kein Zweifel daran bestehen, daß dem Verurteilten klar war, daß er die deutsche Staatsgrenze passiert hatte und dies auch freiwillig tat. Der Senat ist davon überzeugt, daß der Verurteilte - aus welchen Gründen auch immer - in die Bundesrepublik Deutschland einreisen wollte. Um, von Wroclaw kommend, nach Zgorzelec zu gelangen, mußte er lediglich weiter geradeaus fahren. Nach Deutschland hingegen mußte er seine Fahrtrichtung ändern. Einen überzeugenden Grund, warum er dies getan hat, hat er nicht vorgetragen. Nach Rückfrage des Senats bei der zuständigen Bundesgrenzschutzinspektion in Ludwigsdorf ist die Strecke gut ausgeschildert und sofort erkennbar, daß diese Autobahn lediglich nach Deutschland führt, so daß die Angaben des Beschwerdeführers auch hier wenig glaubhaft sind.

d) Die Vollstreckung darf nicht nachgeholt werden, wenn ein Verurteilter nicht gemäß § 456 a Abs. 2 S. 4 StPO über die Folgen einer Rückkehr belehrt worden ist (vgl. OLG Hamburg, NStZ-RR 1999, 123, 124) Eine solche Belehrung ist hier erfolgt mit dem genannten Schreiben (in polnischer Sprache) vom 7. April 2003, das dem Verurteilten ausweislich der Entlassungsmitteilung spätestens am Tage seiner Entlassung aus der Strafhaft am 24. April 2003 bekannt gemacht worden ist. Es ist deshalb unschädlich, daß die Urkunde über die Zustellung der Belehrung versehentlich unausgefüllt zurückgelangt ist. Die Belehrung wird auch dadurch belegt, daß der Beschwerdeführer am 15. April 2005 erklärte, ihm sei selbstverständlich bewußt gewesen, daß er nicht nach Deutschland einreisen durfte. Er macht auch nicht geltend, über die Folgen einer Zuwiderhandlung nicht belehrt worden zu sein.

Daß der Verurteilte sein Verhalten nicht als Rückkehr im Sinne des § 456 a Abs. 2 S. 1 StPO bewertet haben könnte, ist ohne Belang. Selbst wenn man trotz des Rechtscharakters der Rückkehr als einer tatsächlichen Bedingung der Vollstreckungsnachholung ein entsprechendes Bewußtsein verlangen wollte, bliebe ein solcher Irrtum des Verurteilten, durch sein ihm bewußtes und von ihm gewolltes Verhalten das Merkmal der Rückkehr im Sinne des § 456 a Abs. 2 S. 1 StPO zu erfüllen, ein unbeachtlicher weil vermeidbarer Subsumtionsirrtum (vgl. OLG Hamburg, NStZ-RR 1999 123, 125). Jedenfalls kommt ein "Verbotsirrtum" wie der Beschwerdeführer offenbar meint, nicht in Betracht.

e) Weitere Voraussetzung zur Nachholung der Vollstreckung ist eine Ermessensentscheidung der Staatsanwaltschaft (§ 456 a Abs. 2 S. 1 StPO: "so kann die Vollstreckung nachgeholt werden"; vgl. OLG Hamburg a.a.O.).

Es ist nicht zu beanstanden, daß die Vorweganordnung nach § 456 a Abs. 2 Satz 3 StPO der Staatsanwaltschaft vom 7. April 2003, anders als andere Ermessensentscheidungen keine Begründung enthält. Grundsätzlich sind Ermessensentscheidungen zwar zu begründen, um dem Gericht eine Überprüfung auf Ermessensfehlgebrauch zu ermöglichen (vgl. OLG Hamburg a.a.O. m.weit.Nachw.). Hier war die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung aber eindeutig und es waren keine Umstände bekannt, die angesichts der Art und Schwere der Tat und anderer berücksichtigungsfähiger Tatsachen eine Begründung der regelmäßig zu treffenden Vorweganordnung erfordert hätten (OLG Hamburg a.a.O.).

Eine Abweichung von der Regelfolge kam hier offenkundig nicht in Betracht. Für die Ausübung des Ermessens sind namentlich die Höhe des Strafrestes, Deliktsart und konkrete Umstände der Tat, Gefährlichkeit des Verurteilten, Wahrscheinlichkeit seiner Rückkehr, das öffentliche Interesse an nachhaltiger Strafvollstreckung sowie die soziale und familiäre Situation maßgeblich (OLG Hamburg a.a.O. m.weit.Nachw.). Angesichts der Schwere der hier abgeurteilten Taten sowie der Höhe des Strafrestes von mehr als zwei Jahren bestand bei Erlaß der Verfügung am 7. April 2003 keinerlei Anlaß, sich mit einer Abweichung von der Regelfolge nach § 456 a Abs. 2 S. 1, S. 3 StPO auseinanderzusetzen, so daß das Fehlen einer Begründung in der Verfügung hier unschädlich ist.

Auch sind keine besonderen Umstände bei der Rückkehr des verurteilten erkennbar, die bei der Ermessensausübung zu berücksichtigen gewesen wären, so daß ebenfalls nicht zu beanstanden ist, daß die Staatsanwaltschaft in ihrem Antrag vom 2. September 2005 an die Strafvollstreckungskammer keine vertieften Ausführungen hierzu gemacht hat. Die Formulierung in dem genannten Antrag "Gründe, die gegen die Zulässigkeit der Strafvollstreckung in dem vorliegenden Verfahren sprechen, sind nicht ersichtlich" machen deutlich, daß sich die Staatsanwaltschaft ihres Ermessensspielraums bewußt war und sich mit den oben geschilderten Umständen in ausreichender Weise auseinandergesetzt hat.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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