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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 20.04.2006
Aktenzeichen: 5 Ws 598/05 Vollz
Rechtsgebiete: StVollzG


Vorschriften:

StVollzG § 14 Abs. 2
Der Vertrauensschutz gebietet es, dass die zum Widerruf von Vergünstigungen nach § 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StVollzG berechtigenden Umstände so bedeutsam sein müssen, dass sie der ursprünglichen, dem Gefangenen günstigen Entscheidung die Grundlage entziehen. Die Beachtung dieser gesetzlichen Vorgaben ist gerichtlich in vollem Umfang überprüfbar.
Beschluß

Geschäftsnummer: 5 Ws 598/05 Vollz

In der Strafvollzugssache

des Strafgefangenen

wegen Fahr- und Zehrgeld und Wiedererlangung der Lockerungsmaßnahmen

hat der 5. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 20. April 2006 beschlossen:

Tenor:

1. Der Gefangene wird in die Frist zur rechtzeitigen Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluß des Landgerichts Berlin - Strafvollstreckungskammer - vom 3. November 2005 wiedereingesetzt.

2. Die Rechtsbeschwerde wird als unzulässig verworfen, soweit der Gefangene die Gewährung von Fahr- und Zehrgeld beantragt hat.

3. Auf die Rechtsbeschwerde wird der vorbezeichnete Beschluß aufgehoben, soweit er den Bescheid des Leiters der Justizvollzugsanstalt Plötzensee vom 1. Juli 2005 bestätigt, mit dem die Zulassung des Gefangenen zur gemeinnützigen Tätigkeit in der ARGE-Gruppe außerhalb der Anstalt zurückgenommen worden ist. Dieser Bescheid wird aufgehoben. Im Wege der Folgenbeseitigung ist der Gefangene unverzüglich zu der Maßnahme wieder zuzulassen.

4. Die Landeskasse Berlin hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen und die notwendigen Auslagen des Gefangenen jeweils zur Hälfte zu tragen. Im übrigen werden die Verfahrenskosten dem Gefangenen auferlegt.

Gründe:

Der Gefangene verbüßt zur Zeit eine Freiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt Plötzensee. Seit dem 4. September 2003 erhält er Vollzugslockerungen und Regelurlaube. Er war zu der Lockerungsmaßnahme zugelassen, außerhalb der Anstalt an der "ARGE-Gruppe" teilzunehmen, um dort gemeinnützige Arbeit zu leisten.

Am 1. Juni 2005 beantragte er für diese Maßnahme die Gewährung eines Essenszuschusses und des erforderlichen Fahrgeldes für die Hin- und Rückfahrt. Daraufhin setzten sich Anstaltsbedienstete mit Mitarbeitern der ARGE in Verbindung und ermittelten, daß er zwischen Januar und Mai 2005 mehrfach das Anstaltsgelände verspätet verlassen und zwangsläufig verspätet die Arbeit aufgenommen hatte. Und zwar hatte er statt um 7.30 Uhr die Anstalt zwölfmal zwischen 7.55 Uhr und 8.30 Uhr, zweimal zwischen 8.30 Uhr und 9.30 Uhr, viermal zwischen 9.30 Uhr und 10.30 Uhr und einmal um 10.35 Uhr verlassen. "Zwei- bis dreimal" hat die Anstalt dies durch den Einsatz des Gefangenen im Winterdienst auf dem Anstaltsgelände für entschuldigt angesehen. Auf welche der vorgenannten Verspätungsgruppen diese Ausnahmen zutreffen, hat die Strafvollstreckungskammer nicht festgestellt.

Am 21. Juni 2005 fand eine Vollzugsplankonferenz statt. Die Vollzugsbehörde nahm die Verspätungen und die Forderungen des Gefangenen nach Fahr- und Zehrgeld zum Anlaß, eine sinkende Arbeitsmotivation festzustellen und seine Vereinbarungsfähigkeit in Zweifel zu ziehen. Durch seinen auf Geldleistungen gerichteten Antrag habe er gezeigt, daß er den Leitgedanken, der Arbeit bei der ARGE - die Wiedergutmachung - nicht "verinnerlicht" habe.

Mit dem Bescheid vom 1. Juli 2005 lehnte die Anstalt daher nicht nur den Zahlungsantrag mangels gesetzlicher Grundlage ab, sondern löste den Antragsteller auch von der Lockerungsmaßnahme ab.

Mit dem Antrag vom 8. Juli 2005 hat der Gefangene beantragt, ihm die Lockerungen wieder zu gewähren. Ferner hat er sein auf die Geldleistung gerichtetes Begehren weiterverfolgt.

Mit dem angefochtenen Beschluß vom 3. November 2005 hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Berlin diese Anträge als unbegründet zurückgewiesen. Die Rechtsbeschwerde des Gefangenen hat der Senat zunächst mit Beschluß vom 4. Januar 2006 als unzulässig zurückgewiesen, weil sie die Form des § 118 Abs. 3 StVollzG nur scheinbar wahrte.

Am 6. Februar 2006 hat der Antragsteller die Rechtsbeschwerde erneut eingelegt und begründet und die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Mit dem Rechtsmittel rügt der Gefangene die Verletzung formellen und sachlichen Rechts.

Das Rechtsmittel hat hinsichtlich der Ablösung von der Lockerungsmaßnahme Erfolg. Im übrigen ist es unzulässig.

I. Der Senat gewährt dem Antragsteller die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, weil der Formverstoß auf dem Verschulden eines Angehörigen der Justiz - des Urkundsbeamten - beruht (vgl. BVerfG NStZ-RR 2005, 238), und der Gefangene die Rechtsbeschwerde nunmehr am 6. Februar 2006 ordnungsgemäß zu Protokoll des Urkundsbeamten eingelegt und begründet hat.

II. Die Rechtsbeschwerde erfaßt den gesamten Inhalt des angefochtenen Beschlusses, obgleich sie sich zu der Frage des Fahr- und Zehrgeldes nicht mehr verhält. Eine nur teilweise Anfechtung ist darin aber nicht zu sehen; denn diese Beschränkung des Anfechtungsumfanges müßte ausdrücklich erklärt sein, woran es hier fehlt.

1. Das Rechtsmittel ist unzulässig, soweit es sich gegen die Ablehnung des Fahr- und Zehrgeldes richtet. Der Senat verwirft es insoweit einstimmig nach § 119 Abs. 3 StVollzG. Denn es erfüllt zu diesem Anfechtungspunkt nicht die Voraussetzungen des § 116 Abs. 1 StVollzG. Die Rechtslage ist obergerichtlich geklärt. Die Gewährung einer Beihilfe zu den Kosten einer Lockerungsmaßnahme - im Vollzugsalltag üblicherweise zu den Kosten des Urlaubs - liegt als soziale Leistung im Ermessen der Anstalt; einen Rechtsanspruch darauf hat der Gefangene nicht (vgl. OLG Nürnberg, Beschluß vom 16. April 1980 - Ws 231/80 - = ZfStrVO 1981, 57 Ls; Arloth/ Lückemann, StVollzG, § 13 Rdnrn. 28, 37). Von einer weiteren Begründung sieht der Senat insoweit nach § 119 Abs. 3 StVollzG ab.

2. Hinsichtlich der Ablösung von der Lockerungsmaßnahme erfüllt die Rechtsbeschwerde die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 116 Abs. 1 StVollzG, da es geboten ist, die Nachprüfung des angefochtenen Beschlusses zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen.

Die Aufklärungsrüge kann unerörtert bleiben, da die Sachrüge durchgreift. Die Vollzugslockerung hätte nicht widerrufen werden dürfen.

a) Die Lockerungsmaßnahme war im Vollzugsplan des Antragstellers vorgesehen. Die Vollzugsbehörde geht mit der Erstellung des Vollzugsplans, der als Programm und Konzept für die Behandlung des Gefangenen und die Gestaltung seiner Lebensverhältnisse während des Strafvollzuges dienen soll, eine Bindung ein, die zur Folge hat, daß sie eine in den Plan aufgenommene konkrete, den Gefangenen begünstigende Maßnahme nur unter den Voraussetzungen des § 14 Abs. 2 StVollzG widerrufen darf (vgl. OLG Celle ZfStrVo 1989, 116; Senat NStZ 1997, 207; 1993, 100, 102; Beschluß vom 21. Februar 2002 - 5 Ws 1/02 Vollz -). Diese Regelung ist abschließend (vgl. Senat, Beschluß vom 12. Februar 2003 - 5 Ws 57/03 Vollz -; Calliess/ Müller-Dietz, StVollzG 10. Aufl., § 14 Rdn. 2).

§ 14 Abs. 2 Satz 1 StVollzG verlangt in allen drei Erscheinungsformen der Widerrufsgründe nachträglich eingetretene Umstände. In seiner Nr. 1 ist das ausdrücklich erwähnt. In den Nrn. 2 und 3 folgt das aus der Natur der Widerrufsgründe. Maßnahmen mißbrauchen und Weisungen nicht nachkommen kann ein Gefangener nur, nachdem die Lockerung bereits bewilligt ist und von ihm wahrgenommen wird. Demgemäß darf die Behörde den Entzug einer in dem Plan vorgesehenen Lockerung grundsätzlich nicht ausschließlich auf Umstände stützen, die im Zeitpunkt der Erstellung des Plans schon vorgelegen haben und ihr bekannt gewesen sind. Auch die bloß veränderte Wertung dieser Umstände allein gibt ihr nicht das Recht, zum Nachteil des Gefangenen vom Plan abzuweichen. Gilt es, eine offensichtliche Fehlentscheidung zu korrigieren, welche die berechtigten Sicherheitsbedürfnisse der Allgemeinheit mißachtet (vgl. OLG Hamm NStZ 1989, 390; Senat, Beschluß vom 21. Februar 2002 - 5 Ws 1/02 Vollz -), so kann die Bewilligung nach § 14 Abs. 2 Satz 2 StVollzG zurückgenommen werden.

Der Gefangene erwirbt damit eine auf Vertrauensschutz beruhende Rechtsstellung, die es fortan verbietet, ihn bei der Gewährung von Lockerungen so zu behandeln, als würde darüber erstmals befunden (vgl. BVerfG NStZ 1993, 300; Arloth/ Lückemann, § 14 StVollzG Rdn. 6). An diesen Grundlagen hat sich das weitere Vorgehen auszurichten. Das führt dazu, daß die nachträglich eingetretenen Umstände (§ 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StVollzG) so bedeutsam sein müssen, daß sie der ursprünglichen, dem Gefangenen günstigen Entscheidung die Grundlage entziehen. Die Beachtung dieser gesetzlichen Vorgaben ist gerichtlich in vollem Umfang überprüfbar.

Erst bei der auf unter Berücksichtigung dieses Vertrauensschutzes auf neuen Tatsachen aufbauenden Einschätzung, ob der Gefangene weiterhin für die Lockerungen geeignet ist oder ob die Eignung entfallen ist, eröffnet sich der Vollzugsbehörde ein Beurteilungsspielraum, dessen Einhaltung gerichtlich nur nach den Maßstäben des § 115 Abs. 5 StVollzG überprüfbar ist (vgl. BGHSt 30, 320, 324, 327; OLG Frankfurt a.M. ZfStrVo 2003, 243; ZfStrVo 2001, 52, 53; NStZ-RR 1998, 91; OLG Zweibrücken ZfStrVo 1998, 179, 180; OLG Karlsruhe ZfStrVo 1985, 245; Justiz 1984, 437; OLG Celle ZfStrVo 1983, 301; KG NStZ 1993, 100, 102; Senat, Beschlüsse vom 21. Februar 2002 - 5 Ws 1/02 Vollz -, 26. November 1996 - 5 Ws 607/96 Vollz - und 15. Dezember 1994 - 5 Ws 468/94 Vollz -; Arloth/Lückemann, § 10 StVollzG Rdn. 7). Demgemäß haben sich die Gerichte auch erst in diesem Stadium auf die Prüfung zu beschränken, ob der Anstaltsleiter von einem zutreffenden und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist (vgl. BGHSt 30, 320, 327; Senat, Beschlüsse vom 10. Februar 1999 - 5 Ws 52/99 Vollz - und vom 21. Februar 2002 - 5 Ws 1/02 Vollz -), ob er seiner Entscheidung den richtigen Begriff der Versagungsgründe zugrunde gelegt hat und ob seine Beurteilung des Gefangenen vertretbar ist.

b) Diese Rechtsgrundsätze hat die Strafvollstreckungskammer in dem angefochtenen Beschluß nicht beachtet. Die Ergebnisse der Vollzugsplankonferenz vom 21. Juni 2005 und der darauf aufbauende Bescheid sind nämlich in keiner Weise geeignet, der Anstalt ein Entscheidungsermessen einzuräumen, da die gesetzlichen Voraussetzungen des § 14 Abs. 2 StVollzG nicht vorliegen.

aa) In dem Bescheid ist schon keine der drei Alternativen des § 14 Abs. 2 Satz 1 StVollzG ausdrücklich benannt; auf Satz 2 ist er ersichtlich nicht gestützt. Lediglich am Ende des Protokolls der Vollzugsplankonferenz ist kurz davon die Rede, "die mißbräuchliche Nutzung weiterer und umfangreicherer Vollzugslockerungen könne nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden", so daß sich erahnen läßt, daß der Bescheid auf § 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StVollzG gegründet werden sollte.

bb) Ausgangspunkt für das Vorgehen der Vollzugsbehörde war der Antrag des Gefangenen, ihm Fahr- und Zehrgeld zu zahlen. Da einerseits der Gefangene darauf keinen Anspruch hat, andererseits die Gewährung sozialer Leistungen für Lockerungsmaßnahmen nicht ausgeschlossen ist (vgl. oben II. 1), hatte sie darüber nach ihrem pflichtgemäßen Ermessen zu befinden. Das hat sie auf der ersten Seite und den beiden ersten Absätzen des angefochtenen Bescheides auch ordnungsgemäß getan. Rechtlich verwehrt war ihr es dann allerdings, in dem darauf folgenden Absatz die Antragstellung an sich dem Gefangenen zum Vorwurf zu machen. Nach der Darstellung des Gedankens der Wiedergutmachung des Straftäters an der Gesellschaft als "Leit-Idee" der Lockerungsmaßnahme begründete die Anstalt die Rücknahme der Lockerung mit den Worten: "Mit Ihrem Antrag versuchen Sie, zusätzlich zu finanziellen Mitteln zu gelangen, ohne sich mit dem Grundgedanken dieser Maßnahme zu beschäftigen." Dieser gedankliche Ansatz ist rechtlich unhaltbar.

aaa) Der Gefangene hat mit seiner Antragstellung nichts weiter getan, als einen vermeintlichen Anspruch geltend zu machen oder auch nur die Möglichkeit wahrzunehmen, einen geldlichen Zuschuß zu seinen Kosten der Lockerung im Wege der Ermessensentscheidung zu erhalten. Seine tatsächlichen Angaben trafen zu; seine - wenn auch sprachlich ausufernd dargestellten - rechtlichen Vorstellungen waren nicht gänzlich abwegig. Damit hat er sich so verhalten, wie es unter den allgemeinen Lebensverhältnissen (§ 3 Abs. 1 StVollzG) von einem wachen Bürger erwartet wird. Im täglichen Leben ist er verpflichtet, die Gesetze zu beachten. Sach- und Geldmittel darf er sich nicht illegal verschaffen. Vielmehr ist er gehalten, sie durch Arbeit, legalen Handel oder andere gesetzlich erlaubte Verdienstmöglichkeiten zu erwerben. Ergänzend stehen ihm staatliche Gewährleistungen zur Verfügung. Für den Vermögenden wird hier eher die gesetzlich günstige Gestaltung seiner steuerlichen Verhältnisse im Vordergrund stehen, für den weniger Vermögenden - wie den Gefangenen - die Nutzung von Erstattungen und Sozialleistungen. Zu diesem Zweck bedarf es in der Regel eines an eine Behörde gerichteten Antrages. Das mit der beantragten Leistung bezweckte gesetzgeberische Ziel - hier auch das der Lockerungsmaßnahme - muß der Antragsteller dabei weder kennen noch beachten und schon gar nicht "verinnerlichen". Entspricht sein - wahrheitsgemäßer - Antrag nicht den gesetzlichen Voraussetzungen, so wird er von der Behörde abgelehnt. Ein solches, völlig übliches und erforderliches Verhalten zu sanktionieren, widerspricht dem Vollzugsziel, den Gefangenen zu befähigen, sich in das Leben in Freiheit einzugliedern (§ 3 Abs. 3 StVollzG).

bbb) Die Anstalt hat die belastende Wirkung der mit dieser Begründung nicht haltbaren Sanktion auf die Fähigkeit des Gefangenen, sich im Rechtsleben angemessen zu verhalten und erfolgreich zu behaupten, dadurch noch vertieft, daß sie ihn zuvor nicht angehört und mit der Ablösungsentscheidung überrascht hat. Zwar kann der Gefangene im Rechtsbeschwerdeverfahren die Verletzung des rechtlichen Gehörs nur hinsichtlich des gerichtlichen Verfahrens rügen. Ferner besteht auch keine ausdrückliche gesetzliche Verpflichtung der Anstalt, den Gefangenen vor der Änderung des Vollzugsplans anzuhören. Die Anhörung ist aber vor der Rücknahme von Lockerungen in Nr. 2 Abs. 2 Satz 2 VV zu § 14 StVollzG vorgeschrieben. Ihre Notwendigkeit gründet sich sowohl auf den Vertrauensgrundsatz als auch auf den Grundsatz des rechtlichen Gehörs. Die Anhörung war schließlich weder unmöglich noch untunlich (vgl. Nr. 2 Abs. 2 Satz 3 VV zu § 14 StVollzG).

cc) Auch auf die Feststellung, die Arbeitsmotivation des Gefangenen sei gesunken und er habe mehrfach verspätet die Arbeit aufgenommen, weil er die Anstalt verspätet verlassen habe, durfte die Ablösung nicht gegründet werden.

aaa) Der Gefangene wird im Protokoll der Vollzugskonferenz als eher übermotiviert geschildert. Er halte sich für unabkömmlich und wolle durch seine Aktivitäten stets allen helfen. Dadurch überfordere er sich und bringe sich in Zeitdruck. Zudem belasteten ihn die Krankheiten seiner Partnerin und seiner Schwester sowie seit März 2005 der plötzliche Tod seines Zwillingsbruders. Allgemein sei danach das Sinken der Arbeitsmotivation festzustellen. Die Anstalt habe er überwiegend deswegen mehrfach verspätet verlassen, weil er zunächst dort anstehende Arbeiten für wichtiger erachtete als sein - freilich mit der Pflicht, die Arbeit anzutreten, verbundenes - Recht auf den Genuß der Lockerungsmaßnahme. Auch seine vielen Hilfeleistungen gegenüber den beiden kranken Frauen überforderten ihn, weil er alles selbst zu machen versuche, anstatt von ihnen die selbständige Regelung von deren Angelegenheiten einzufordern. Er "tanze auf 100 Hochzeiten".

Das alles weist auf eine grundsätzlich große Arbeitsbereitschaft des Gefangenen hin, die allerdings nicht mit einem hohen Grad an Talent gepaart ist, sich selbst zu organisieren und Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden. Gründe, welche die Voraussetzungen des § 14 Abs. 2 StVollzG erfüllten, decken diese Schilderungen der Persönlichkeit des Gefangenen nicht auf. Das Sinken der Arbeitsmoral ist nur pauschal festgestellt und zudem mit dem einschneidenden Erlebnis des Todes seines Zwillingsbruders verknüpft. Zudem war sein Arbeitseinsatz zuvor besonders hoch.

bbb) Die Verspätungen bei der Arbeitsaufnahme, von denen im übrigen in dem angefochtenen Bescheid keine Rede ist, bieten keinen rechtlich tragfähigen Grund, die Lockerung zu widerrufen. Ein Mißbrauch (§ 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StVollzG) oder ein Verstoß gegen eine konkrete Weisung (Nr. 3) liegt darin nicht. Der Gefangene ist nicht zu lange außerhalb der Anstalt verblieben, sondern in ihr. Er hat sich, wie aus dem Protokoll der Vollzugsplankonferenz hervorgeht, zudem ganz überwiegend dort nützlich gemacht.

Die Vollzugsbehörde hat das Verhalten des Gefangenen auch monatelang geduldet. Obwohl die ARGE der Anstalt nur ein einziges Mal (das Wochenende 28./29. Mai 2005 betreffend) von einer Verspätung berichtet hatte, waren diese Tatsachen zum Zeitpunkt des Widerrufs altbekannt. Da sämtliche Verspätungen ihre Ursache darin hatten, daß der Gefangene die Justizvollzugsanstalt verspätet verließ (und nicht etwa auf dem Weg zur Arbeit bummelte) und dies bereits im Januar 2005 begonnen hatte, bleibt es unerfindlich, warum die Vollzugsbehörde ihn nicht schon bei der ersten Verspätung darauf aufmerksam gemacht hat, daß sie dieses Verhalten mißbillige, als mißbräuchlich ansehe und er es abzustellen habe, um Sanktionen zu vermeiden. Wann ein Gefangener die Anstalt verläßt, wird aufgezeichnet. Dort war also jede - zwangsläufige - Verspätung auf dem auswärtigen Arbeitsplatz von vornherein wohlbekannt. Nachdem der Anstaltsleiter das Verhalten des Gefangenen monatelang unbeanstandet geduldet hatte, widerspricht es eklatant dem Vertrauensgrundsatz, wenn er es wegen seiner Häufung anschließend ohne vorherige Abmahnung als einen nachträglich eingetretenen Umstand im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StVollzG ansieht oder für mißbräuchlich erklärt und daran für den Gefangenen ungünstige Rechtsfolgen daran knüpft.

dd) Vielmehr weist der Zusammenhang des Widerrufs mit dem Antrag des Gefangenen auf Fahr- und Zehrgeld aus, daß der bislang unbeanstandet gebliebene Mangel, seine Zeit richtig einzuteilen, nachträglich zum Anlaß genommen worden ist, ihn wegen der ethisch mißbilligten Antragstellung zu sanktionieren und im übrigen eine verspätete deshalb überraschende und folglich unangemessene sozialpädagogische Maßnahme mit dem Ziel, den Gefangenen zu veranlassen, seine Überforderung zu überwinden, zum Widerruf führten. Beides entspricht nicht dem Gesetz.

3. Da schon die gesetzlichen Voraussetzungen des § 14 Abs. 2 StVollzG gänzlich fehlen und auch keine Ermittlungen mehr denkbar sind, die Tatsachen zu seiner rechtlich tragfähigen Begründung zutage fördern könnten, war die Sache spruchreif (§ 119 Abs. 4 Satz 2 StVollzG).

Dem Gefangenen ist im Wege der Folgenbeseitigung die Lockerung wieder in dem Umfang zu gewähren, den sie hatte, als sie zu Unrecht widerrufen wurde.

Die Kostenentscheidung zulasten des Antragstellers folgt aus § 121 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, Abs. 4 StVollzG, § 473 Abs. 1 StPO, diejenige zu seinen Gunsten aus § 121 Abs. 1, 4 StVollzG in Verbindung mit einer entsprechenden Anwendung von §§ 467 Abs. 1, 473 Abs. 3 StPO.



Ende der Entscheidung

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