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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 11.11.2005
Aktenzeichen: 6 U 79/05
Rechtsgebiete: VVG


Vorschriften:

VVG § 178 h Abs. 2 S. 1
VVG § 178 h Abs. 2 S. 3
Der Versicherungsnehmer hat gemäß § 178 h Abs. 2 S. 1 VVG das Recht zu einer rückwirkenden Kündigung des privaten Krankenversicherungsvertrages innerhalb von zwei Monaten nach dem tatsächlichen Eintritt der gesetzlichen Versicherungspflicht; die Frist beginnt auch dann zu laufen, wenn er erst später von der Versicherungspflicht erfährt. Er kann den Versicherungsvertrag dann nur noch zum Ende des Monats kündigen, in dem er den Eintritt der Versicherungspflicht nachweist, § 178 h Abs. 2 S. 3 VVG.
Kammergericht Im Namen des Volkes

Geschäftsnummer: 6 U 79/05

verkündet am: 11. November 2005

In dem Rechtsstreit

hat der 6. Zivilsenat des Kammergerichts Elßholzstr. 30-33, 10781 Berlin, auf die mündliche Verhandlung vom 11.11.2005 durch die Vorsitzende Richterin am Kammergericht Reinhard, den Richter am Kammergericht Ninnemann und den Richter am Landgericht Markfort

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der Zivilkammer 7 des Landgerichts Berlin vom 12. Mai 2005 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Wert der Beschwer beträgt für die Klägerin 5.530,40 EUR.

Gründe:

Die Klägerin war seit dem 1.12.1993 bei der Beklagten krankenversichert. Der Versicherung lagen die Allgemeinen Vertragsbedingungen zugrunde, die die Musterbedingungen 1976 des Verbandes der privaten Krankenversicherung (MB/KK 76) umfassten.

Die Klägerin ist seit dem 1.5.2003 arbeitslos. Aufgrund Bescheides des Arbeitsamtes Bnnn Südwest vom 27.6.2003 wurde ihr Arbeitslosengeld zuerkannt mit dem Hinweis, sie sei - was die Kranken- und Pflegeversicherung anbelangt - nicht pflichtversichert.

Mit Schreiben vom 21.3.2004 erklärte die Klägerin gegenüber der Beklagten die rückwirkende Kündigung des Vertrages zum 1.5.2003 und forderte die Rückzahlung der seit dem 1.5.2003 für Kranken- und Pflegeversicherung geleisteten Beiträge in Höhe von insgesamt 5.530,40 Euro. Sie teilte mit, die Agentur für Arbeit habe es versäumt, sie von der gesetzlichen Pflichtversicherung befreien zu lassen, so dass sie jetzt pflichtversichert worden sei. Da eine Doppelmitgliedschaft in zwei Krankenversicherungen nach § 5 Abs. 9 SGB V nicht zulässig sei und der Pflichtversicherung der Vorrang gegeben werde, sei ihre Mitgliedschaft seit dem 1.5.2003 gegenstandslos. Eine Bescheinigung der Tnnnnn Knnnnnn (Tn ) vom 18.3.2004 über ihre Versicherungspflicht in der Kranken- und Pflegeversicherung fügte sie bei.

Die Beklagte nahm die Kündigung mit Schreiben vom 29.3.2004 zum 31.3.2004 an und erteilte der Klägerin am 1.4.2004 einen Kontoauszug, wonach sie in dem Rückforderungszeitraum nur 5.070,40 Euro an Prämien für die Kranken- und Pflegeversicherung schuldete. Den Differenzbetrag von 460 Euro zahlte sie an die Klägerin zurück.

Die Klägerin hat mit ihrer Klage den Betrag von 5.530,40 Euro nebst Zinsen geltend gemacht und die Auffassung vertreten, die Vorschrift des § 178 h Abs. 2 S. 1 VVG, die vorsehe, dass die private Krankenversicherung nur binnen einer Frist von zwei Monaten seit Eintritt der gesetzlichen Versicherungspflicht gekündigt werden könne, sei unwirksam. Jedenfalls sei die Vorschrift dahin auszulegen, dass die zweimonatige Kündigungsfrist erst mit der Kenntnis des Versicherungsnehmers von dem Eintritt der gesetzlichen Versicherungspflicht zu laufen beginne. Dies ergebe sich aus der Regelung des § 5 Abs. 9 SGB V, die bestimme, dass der Versicherungsvertrag mit Wirkung vom Eintritt der Versicherungspflicht an kündigen könne, und aus deren Schutzzweck, eine Doppelversicherung zu verhindern und der gesetzlichen Versicherung den Vorrang zu geben.

Die Klägerin hat behauptet, erst durch ein Schreiben der Agentur für Arbeit vom 10.3.2004 habe sie erfahren, dass sie gesetzlich pflichtversichert sei. In dem Schreiben heißt es, die Klägerin habe in ihrem Antrag angegeben, dass sie privat krankenversichert war und mit Beginn der Leistungszahlungen weiterhin bei dieser Krankenversicherung versichert werden wolle. Bevor über die Übernahme der Beiträge zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung entschieden werden könne, müsse die Klägerin u. a. eine Bestätigung der Befreiung von der gesetzlichen Versicherungspflicht gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB V nachreichen; die Aufforderung zur Vorlage dieser Bestätigung erfolge aufgrund der erst jetzt von der Agentur durchgeführten Prüfung zur Übernahme der Beiträge zur privaten Krankenversicherung.

Die Klägerin hat ergänzend vorgetragen, sie habe am 10.3.2004 bei der Agentur für Arbeit persönlich vorgesprochen, um zu erfahren, ob die Agentur für sie Beiträge zur Krankenversicherung zahle; denn ihr sei ihre eigene Beitragsleistung zur privaten Krankenversicherung sehr hoch erschienen. Bei diesem Gespräch habe sie erstmals erfahren, dass es für die Befreiung von der Versicherungspflicht eines Antrages bedarf. Diesen Befreiungsantrag habe sie am 11.3.2004 bei der Tnn gestellt und bei der persönlichen Vorsprache dort am 11.3.2004 zugleich erfahren, dass eine Befreiung wegen Fristüberschreitung nicht mehr erfolgen könne. Einen Bescheid hierüber habe sie nicht erhalten, sondern die Mitgliedsbescheinigung vom 18.3.2004.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht haben die Parteien in Höhe eines auf die Pflegeversicherung entfallenden Anteils der Klageforderung von 224,84 Euro nebst Zinsen wegen des insoweit in Betracht kommenden Rechtsweges zu den Sozialgerichten einen Teilvergleich des Inhalts geschlossen, dass die Regelung bei der Pflichtversicherung der rechtskräftigen Entscheidung im Übrigen folgen soll.

Im Anschluss hieran hat die Klägerin in vollem Umfang den Antrag aus der Klageschrift gestellt und die Beklagte dessen Abweisung beantragt.

Das Landgericht hat die Klage durch Urteil vom 12. Mai 2005 abgewiesen mit der Begründung, auf die streitige Kenntniserlangung von der Versicherungspflicht komme es nicht an. Für eine ergänzende Gesetzesauslegung im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung, nach der die Kündigungsmöglichkeit ausnahmsweise erhalten bleibe, wenn der Versicherungspflichtige erst nach Ablauf von zwei Monaten nach Eintritt der Versicherungspflicht hiervon Kenntnis erlangt, sei im Hinblick auf das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel, klare Verhältnisse und für den Versicherer eine sichere Kalkulationsgrundlage zu schaffen, kein Raum. Auch Billigkeitserwägungen ermöglichten eine solche Auslegung nicht, unabhängig davon, dass die Klägerin vorliegend in dem Rückforderungszeitraum keine Leistungen der Beklagten in Anspruch genommen habe. Auf die Unwirksamkeit der in § 13 Abs. 3 MBKK 76 nur für die Zukunft vorgesehenen Kündigungsmöglichkeit komme es nicht an, weil die gesetzliche Bestimmung des § 178 h VVG auch für Altverträge gelte und an die Stelle der unwirksamen Versicherungsbedingung trete. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf das angefochtene Urteil verwiesen.

Die Klägerin verfolgt mit ihrer Berufung ihr Klagebegehren weiter und macht weiterhin geltend, im Falle der Kenntniserlangung von der Versicherungspflicht erst nach Ablauf der Zweimonatsfrist müsse noch eine rückwirkende Kündigung möglich sein, weil dem Versicherungspflichtigen mit der Zweimonatsfrist eine Prüfungs- und Bedenkzeit hinsichtlich seiner Wahlmöglichkeit zwischen privater und gesetzlicher Versicherung habe eingeräumt werden sollen und der Verbraucherschutz verkürzt werde, wenn die Frist unabhängig von der Kenntnis zu laufen beginne. Auch die Abwägung mit dem Beitragsinteresse der Beklagten führe zu dem Ergebnis einer Rückwirkung ihrer Kündigung, da sie keine Leistungen in Anspruch genommen und die späte Kündigung nicht verschuldet habe. Im Hinblick auf die Verlautbarung des früheren Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungswesen vom September 1992, wonach die Kündigungsfrist erst zu laufen beginne, wenn der Versicherungsnehmer von dem Eintritt der Versicherungspflicht Kenntnis hat, müsse bei einer abweichenden Entscheidung jedenfalls die Revision zugelassen werden.

Nachdem die Klägerin in der mündlichen Verhandlung ihre Berufung wegen eines Teilbetrags von insgesamt 684,84 Euro (460 Euro zuzüglich 224,84 Euro) nebst anteiligen Zinsen zurückgenommen hat, beantragt sie nunmehr noch,

die Beklagte unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Berlin vom 12.05.2005 - 7 O 565 /04 - zu verurteilen, an sie 4.845,56 Euro nebst Zinsen von 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 22.3.2004 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der Berufungsbegründung im Einzelnen und der Erwiderung der Beklagten wird auf die Schriftsätze vom 8.8.2005.und 12.9.2005 verwiesen.

II. Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

Die Klägerin hat keinen - vertraglichen oder bereicherungsrechtlichen - Anspruch auf Rückerstattung der Krankenversicherungsbeiträge für die Zeit vom 1.Mai 2003 bis 31.März 2004. Denn die nach Ablauf von zwei Monaten seit Eintritt der Versicherungspflicht ausgesprochene Kündigung der Klägerin wirkt aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Urteils nicht auf den 1.5.2003 zurück.

Es trifft zwar zu, dass der in § 5 Abs. 9 SGB V bezweckte Schutz des Versicherungsnehmers vor einer Doppelversicherung und der damit verbundenen doppelten Prämien-/Beitragspflicht bei einer Begrenzung der rückwirkenden Kündigungsmöglichkeit auf einen Zeitraum von zwei Monaten seit Beginn der Versicherungspflicht dann ins Leere geht, wenn der Versicherungsnehmer - wie hier von der Klägerin behauptet - erst nach Ablauf dieser Frist von der Versicherungspflicht erfährt. Dem Schutzzweck des § 5 Abs. 9 SGB V stehen jedoch die Belange des Versicherers gegenüber, dem Ansprüche aus einem wirksamen privaten Versicherungsvertrag zustehen und der unabhängig von dem Bestehen einer gesetzlichen Versicherung in dem gesamten Zeitraum bis zur Kündigung das Risiko der Kosten einer medizinisch notwendigen Heilbehandlung getragen hat. Die in dieser Zeit gezahlten Prämien sind die Gegenleistung dafür, dass der Versicherer dieses Risiko getragen hat. Eine Kündigung mit Rückwirkung widerspricht daher nicht nur dem Wesen eines Dauerschuldverhältnisses, sondern gerade auch dem Inhalt des Versicherungsvertrages. Wenn der Gesetzgeber ausnahmsweise in § 178 h Abs. 2 S. 1 und 2 VVG die Rückwirkung und die damit verbundene notwendige Rückabwicklung des Versicherungsverhältnisses für einen begrenzten Zeitraum von bis zu zwei Monaten aus Gründen des Schutzes des Versicherungsnehmers vor den Nachteilen einer Doppelversicherung - also aus Gründen, die nicht in den Risikobereich des privaten Versicherers fallen - zugelassen hat, so bedeutet dies nicht, dass der Schutz des Versicherungsnehmers uneingeschränkt Vorrang hätte und deshalb aufgrund richterlicher Rechtsfortbildung einen noch weitergehenden Eingriff in die Rechtsposition des Privatversicherers rechtfertigen könnte.

In der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 3.11.2004 (VersR 2005, 66) ist zur Entstehungsgeschichte der Vorschrift im Einzelnen ausgeführt, sie sei das Ergebnis der juristischen Auseinandersetzung um die im Jahre 1988 mit dem Gesundheitsreform-Gesetz eingeführte Regelung des § 5 Abs. 9 SGB V einerseits und die schärferen Regelungen in § 13 Abs. 3 MB/KK 76 andererseits, die nur eine nicht rückwirkende, an die Zweimonatsfrist gebundene Kündigung kannten. Die im Jahre 1994 erlassene Vorschrift des § 178 h VVG stelle eine Kombination aus diesen Regelungen dar, wobei die Kündigungsmöglichkeit gemäß Satz 1 die Rückwirkung der Vorschrift des § 5 Abs. 9 SGB V und die Fristgebundenheit den MB/KK entnehme, während sich die spätere Kündigungsmöglichkeit gemäß S. 3 an die Bestimmungen der MB/KK anlehne und den Nachweis der Versicherungspflicht voraussetze, jedoch auf die Fristgebundenheit verzichte. Die Regelung des § 178 h Abs. 2 VVG stellt demnach einen abgewogenen Ausgleich der gegensätzlichen Interessen des Versicherungsnehmers und des Versicherers zur Beendigung des nach Einführung des § 5 Abs. 9 SGB V entbrannten Streits in Rechtsprechung und Literatur über die Frage dar, inwieweit die vertragliche Regelung der Kündigungsvoraussetzungen in § 13 Abs. 3 MB/KK 76 angesichts der neuen gesetzlichen Regelung in § 5 Abs. 9 SGB V noch Geltung beanspruchen konnte.

Auch angesichts der konkreten Umstände des vorliegenden Falles und unter Zugrundelegung des Vorbringens der Klägerin stellt die Beschränkung der Kündigungswirkung auf die Zukunft keine Unbilligkeit dar, die im Verhältnis zwischen den Parteien des hiesigen Rechtsstreits einer Korrektur bedürfte. Denn die Klägerin hat sich nach Eintritt der Arbeitslosigkeit zunächst dahin entschieden, dass sie die private Krankenversicherung beibehalten wollte. Wenn die Klägerin diese Entscheidung auf der Grundlage mangelnder oder fehlerhafter Informationen durch das Arbeitsamt bzw. die Agentur für Arbeit getroffen haben sollte, sie insbesondere nicht darüber aufgeklärt worden sein sollte, dass es in diesem Fall zwecks Vermeidung einer Doppelversicherung eines Antrags auf Befreiung von der gesetzlichen Versicherungspflicht bedarf, der gemäß § 8 Abs. 2 S. 1 SGB V nur binnen einer Frist von drei Monaten nach Eintritt der Versicherungspflicht gestellt werden kann, so fällt dieses Risiko unter keinem denkbaren Gesichtspunkt in den Bereich des Vertrages mit der Beklagten. Die Klägerin wünschte in dem streitgegenständlichen Zeitraum vielmehr eine Versicherung durch die Beklagte, die sie auch erhalten hat. Dass sie etwa bei der Beklagten um Rechtsrat nachgefragt und sich nach Kündigungsmöglichkeiten erkundigt hätte, trägt sie nicht vor. Auch nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) erscheint daher eine Rückzahlung der Prämien nicht geboten.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 269 Abs. 3 S. 2, 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen. Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung, weil die Rechtslage in den gesetzlichen Vorschriften eindeutig geregelt ist. Auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs nicht. Es ist nicht ersichtlich, dass seit der Geltung des § 178 h Abs. 2 VVG ein Obergericht entschieden hätte, dass eine rückwirkende Kündigung auch noch nach Ablauf der Zweimonatsfrist möglich ist, wenn der Versicherungsnehmer erst nach Fristablauf von der Versicherungspflicht erfährt. Auch die Verlautbarung des vormaligen Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungswesen vom September 1992, wonach die Kündigungsfrist erst zu laufen beginne, wenn der Versicherungsnehmer von dem Eintritt der Versicherungspflicht Kenntnis hat, gibt keinen Anlass für die Revisionszulassung, da diese aus der Zeit vor Inkrafttreten des § 178 h Abs. 2 VVG stammt.

Ende der Entscheidung

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