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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 03.03.2006
Aktenzeichen: 7 U 28/05
Rechtsgebiete: GKG, ZPO, BGB


Vorschriften:

GKG § 21
ZPO § 139 Abs. 2
BGB § 648 a
BGB § 648 a Abs. 1 S. 1
Das Gericht darf nicht durch Teilurteil entscheiden, wenn es dabei auf mangelnde Substanz des Vortrages abstellt, obwohl der Rechtsstreit wegen einer weitergehenden Klageforderung fortzusetzen ist. Solange der Rechtsstreit nicht für die Instanz im Ganzen entschieden ist und das Urteil nicht auch im Ganzen Rechtsfrieden stiften kann, gibt es keinen Grund, der Beklagten die Möglichkeit abzuschneiden, weiter vorzutragen.
Kammergericht Im Namen des Volkes

Geschäftsnummer: 7 U 28/05

verkündet am : 3. März 2006

In dem Rechtsstreit

hat der 7. Zivilsenat des Kammergerichts in Berlin-Schöneberg, Elßholzstr. 30-33, 10781 Berlin auf die mündliche Verhandlung vom 17. Januar 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Stummeyer und die Richter am Kammergericht Renner und Steinecke

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 3. Februar 2005 verkündete Teilurteil der Kammer für Handelssachen 104 des Landgerichtes Berlin - 104 O 51/04 - aufgehoben und der Rechtsstreit, soweit das Landgericht ihn durch Teilurteil entschieden hat, zur erneuten Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten des Berufungsverfahrens an das Landgericht Berlin zurückverwiesen. Die Gerichtskosten des Berufungsverfahrens werden gemäß § 21 GKG niedergeschlagen.

Gründe:

I.

Wegen der Einzelheiten des Vortrags der Parteien in der ersten Instanz, der dort gestellten Anträge, des Urteilstenors und der Entscheidungsgründe wird auf das angefochtene Urteil der Kammer für Handelssachen 104 des Landgerichts Berlin Bezug genommen, das der Beklagten am 7. Februar 2005 zugestellt worden ist. Die Beklagte hat gegen dieses Urteil am 8. Februar 2005 Berufung eingelegt und diese nach (zweifacher) Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 3. Juni 2005 am 27. Mai 2005 begründet.

Die Beklagte rügt insbesondere, dass der Erlaß des Teilurteils deshalb unzulässig gewesen sei, weil ihr die Möglichkeit zu weiterem Vortrag - zumal ohne vorherigen Hinweis - abgeschnitten worden sei. Auch bestehe hinsichtlich mehrerer Vorfragen die Gefahr widerstreitender Entscheidungen. Im Übrigen wiederholt und vertieft die Beklagte ihren erstinstanzlichen Vortrag. Insbesondere sei der Gemeinschuldnerin aufgrund der gemeinsamen Verhandlungen und Besichtigungen des Geländes sowie der gestellten Bodenanalysen und sonstigen Vorkorrespondenz bekannt gewesen, dass mit dem Anfall stark kontaminierter Böden in großen Mengen zu rechnen gewesen sei.

Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil und verweist unter Vertiefung auf seinen erstinstanzlichen Vortrag.

Wegen des Vorbringens der Parteien im Einzelnen wird ansonsten auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und wegen der in der Berufungsinstanz gestellten Anträge auf die Sitzungsniederschrift vom 3. Februar 2006 Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten hat insoweit Erfolg, als das angefochtene Teilurteil aufzuheben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten des Berufungsverfahrens an das Landgericht zurückzuverweisen war.

Das Verfahren des Landgerichtes leidet unter wesentlichen Mängeln (§ 538 Abs. 3 S. 1 ZPO).

Das Landgericht hätte nicht durch Teilurteil entscheiden dürfen (§ 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 7 ZPO). Das Landgericht hat unbeachtet gelassen, dass die Beklagte zu den Nachträgen die abgerechneten Mengen und die Ortsüblichkeit der angesetzten Preise bestritten hat (Seite 9 UU.). Es hat dabei auf mangelnde Substanz des Vortrages abgestellt, obwohl der Rechtsstreit wegen der weitergehenden Klageforderung aus dem (Grund-) Vertrag fortzusetzen war.

Solange der Rechtsstreit nicht für die Instanz im Ganzen entschieden ist und das Urteil nicht auch im Ganzen Rechtsfrieden stiften kann, gibt es keinen Grund, der Beklagten die Möglichkeit abzuschneiden, weiter vorzutragen (OLG Celle OLGR 2004, 433 unter Hinweis auf BGHZ 77, 306).

Hinzu tritt, dass das Landgericht gegen § 139 Abs. 2 ZPO verstoßen hat, indem es hier in einem Rechtsstreit von ungewöhnlich großem tatsächlichen Umfang (Abrechnung der Erdarbeiten bei einem Großbauvorhaben) und erheblichem rechtlichen Schwierigkeitsgrad durch Teilurteil entschieden hat, ohne die Beklagte zuvor auf seine Bedenken hinzuweisen und ihr Gelegenheit zu geben, ihren Sachvortrag insoweit zu ergänzen. Weder das Protokoll der (ersten) mündlichen Verhandlung vom 18. November 2004, auf die das Teilurteil erging, noch die Gründe des Urteils lassen erkennen, ob überhaupt und ggf. welche Hinweise ergangen sind (vgl. hierzu BGH Urteil vom 22. September 2005 - VII ZR 34/04). Jedenfalls ist in keiner Weise ersichtlich, dass das Landgericht der Beklagten angemessen Gelegenheit gegeben hat, ihren Sachvortrag insoweit zu ergänzen.

Dieser Mangel des Verfahrens erfaßt auch den gesamten Streitstoff des Teilurteils. Zunächst ist das Nichtbeachten des bestreitenden Vortrages der Beklagten unmittelbare Grundlage der Verurteilung zur Zahlung von 635.501,74 Euro aus den Nachtragsaufträgen.

Dabei ist anzumerken, dass die angefochtene Entscheidung noch nicht einmal klar erkennen läßt, aufgrund welcher Anspruchsgrundlage die angeblichen Nachtragsaufträge zugesprochen worden sind (unmittelbarer Anspruch aus dem Grundvertrag, § 2 Nr. 6 oder § 2 Nr. 8 VOB/B). Insgesamt läßt sich insoweit auch keine Auseinandersetzung mit dem umfangreichen Tatsachenvortrag der Parteien zu den einzelnen Nachträgen erkennen.

Des Weiteren hat das Landgericht die im Teilurteil festgestellte angeblich offene Forderung von zumindest 671.337,31 Euro (635.501,74 Euro zuzüglich 35.835,57 Euro aus der Schlussrechnungsprüfung der Beklagten) zum Ausgangspunkt seiner Prüfung gemacht, ob die Insolvenzschuldnerin am 7. Juli 2003 berechtigt war, ihre Arbeit einzustellen. Die Arbeit durfte die Insolvenzschuldnerin aber nur nach Maßgabe des § 648 a BGB einstellen. Das setzt voraus, dass überhaupt eine Forderung in der geltend gemachten Höhe bestand, zumal der Schuldner bei einer unverhältnismäßig hohen Zuvielforderung nicht in Verzug gerät (vgl. BGH ZIP 2003, 110, 114). Das Landgericht hätte mithin vorab klären müssen, ob der Insolvenzschuldnerin ein Anspruch auf den Werklohn aus den Nachträgen dem Grund nach und in der geltend gemachten Höhe zustand, bevor es die Frage nach dem Recht zur Arbeitseinstellung beantwortet.

Hinzu tritt, dass die Formulierung des Schreibens der Insolvenzschuldnerin vom 27. Juni 2003 (Anlage B 11), "sind wir gezwungen unsere vertraglichen und gesetzlichen Rechte auszuschöpfen" kaum der Warnfunktion des nach § 648 a Abs. 1 S. 1 BGB erforderlichen Hinweises auf die beabsichtigte Leistungsverweigerung genügen dürfte. Die Ankündigung der Leistungsverweigerung muss unmissverständlich zum Ausdruck kommen (Palandt/Prau, BGB, 65. Aufl., § 648 a Rdnr. 6).

Zugleich läßt sich die Frage, ob die Beklagte ihrerseits am 9. Juli 2003 (Anlage K6) zur Kündigung des Vertrages aus wichtigem Grund berechtigt war, abschließend nur aus einer Gesamtschau der festzustellenden Vertragssituation unter Beachtung der wechselseitigen Ansprüche und deren Erfüllung beantworten, sodass auch insoweit die Höhe der zu diesem Zeitpunkt bestehenden Forderungen der Insolvenzschuldnerin Vorfrage ist. Denn sollte die Beklagte zur außerordentlichen Kündigung berechtigt gewesen sein, könnten auch ihre mit einem Betrag von insgesamt 945.997,54 Euro inzwischen bezifferten Gegenforderungen, die hilfsweise zur Aufrechnung gestellt worden sind und die das Landgericht der Beklagten mit dem Teilurteil aberkannt hat, zumindest zum Teil begründet sein. Dies hätte ggf. zur Folge, dass die zunächst eigentlich unstreitige Teilforderung aus der Schlussrechnungsprüfung in Höhe von 35.835,57 Euro infolge der Aufrechnung erloschen wäre.

Nur vorsorglich ist darauf hinzuweisen, dass das Schreiben der Beklagten vom 9. Juli 2003 (Anlage K 6) an sich keine Kündigung des Vertrages ausspricht, sondern diese nur androht. Offenbar sind aber beide Vertragsparteien davon ausgegangen, dass die Beklagte der Insolvenzschuldnerin den Vertrag entzogen hat, was als einverständliche Vertragsauflösung zu verstehen wäre. In einer solchen Situation richten sich die wechselseitigen Ansprüche nach der materiellen Rechtslage, die zum Zeitpunkt der Vertragsauflösung tatsächlich bestand (BGH BauR 1976, 139 f.). Auch wird der Kläger klarzustellen haben, ob die der Klage zugrunde gelegte Schlussrechnung vom 15. Oktober 2003 noch unter dem in der Klage gemachten Vorbehalt der Geltendmachung weiterer Ansprüche steht. Sollte dies der Fall sein, wäre die Schlussrechnung in der Tat als Abschlagsrechnung anzusehen, was die Klage unbegründet machte, da der Vertrag nun endgültig abzurechnen wäre (BGH BauR 1987, 453).

Demnach war das gesamte Teilurteil und das seinen Erlaß betreffende Verfahren aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen, denn eine eigene Sachentscheidung des Senats kommt in der gegebenen Prozesslage zur Verhinderung sich widersprechender Entscheidungen nicht in Betracht (vgl. hierzu Zöller/Gummer/Heßler, ZPO, 25. Aufl., § 538 Rdnr. 55).

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und weder die Fortbildung des Rechtes noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichtes erfordert (§ 543 Abs. 2 ZPO).

Ende der Entscheidung

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