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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 23.11.2004
Aktenzeichen: 7 U 73/04
Rechtsgebiete: ZPO, InsO


Vorschriften:

ZPO § 256 Abs. 1
InsO § 21 Abs. 2 Nr. 1
InsO § 60 Abs. 1
InsO § 129 ff
InsO § 130 Abs. 1 Nr. 2
InsO § 140 Abs. 1
InsO § 130 Abs. 2
InsO § 142
Der vorläufige Insolvenzverwalter hat nur das Vermögen des Schuldners zu Gunsten aller Gläubiger zu sichern und nicht einzelne Gläubiger vorab zu befriedigen.
Kammergericht

Im Namen des Volkes

Geschäftsnummer: 7 U 73/04

Verkündet am: 23.11.2004

In dem Rechtsstreit

hat der 7. Zivilsenat des Kammergerichts Elßholzstraße 30 - 33, 10781 Berlin, auf die mündliche Verhandlung vom 23. November 2004

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 27. Januar 2004 verkündete Urteil der Zivilkammer 19 des Landgerichts Berlin - 19 O 398/03 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Zwangsvollstreckung der Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit Höhe des beizutreibenden Betrages leistet.

Gründe:

A.

Wegen der Einzelheiten des Vortrags der Parteien in der ersten Instanz, der dort gestellten Anträge, des Urteilstenors und der Entscheidungsgründe wird auf das angefochtene Urteil der Zivilkammer 19 des Landgerichts Berlin Bezug genommen, das der Klägerin am 26. Februar 2004 zugestellt worden ist. Die Klägerin hat dagegen am 24. März 2004 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 26. Mai 2004 an diesem Tag begründet.

Die Klägerin hält an ihrem erstinstanzlichen Vortrag zu der allein streitigen Rechtsfrage fest, dass der Beklagte als vorläufiger Insolvenzverwalter nicht berechtigt war Lastschriften auf dem Konto der Insolvenzschuldnerin ohne weitere Prüfung zu widerrufen. Sie ist der Ansicht, der Beklagte habe keinen anerkennenswerten Grund gehabt, am 2. Mai 2003 die Lastschriften, die in der Zeit vom 10. Februar bis zum 6. April 2003 zu ihren Gunsten erfolgt waren, zu widerrufen. Ein anerkennenswerter Grund ergebe sich nicht aus der Insolvenzordnung. Der vorläufige Insolvenzverwalter sei zur Durchsetzung von Anfechtungsansprüchen im Vorfeld der Insolvenzeröffnung nicht befugt. Außerdem liege den Lastschriften ein unanfechtbares Bargeschäft zugrunde.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten unter Abänderung des angefochtenen Urteils zu verurteilen, an sie 108.862,69 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

hilfsweise,

festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihr den Schaden zu ersetzen, der ihr durch den vollständigen oder teilweisen Ausfall mit der Forderung in Höhe von 108.862,69 Euro in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der Lnn n GmbH mit dem Sitz in nnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnn entstehen wird.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung - auch hinsichtlich des Hilfsantrags - zurückzuweisen.

Der Beklagte wiederholt und vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag und vertritt weiterhin die Ansicht, dass er weder objektiv noch subjektiv gegen seine Pflichten als vorläufiger Insolvenzverwalter verstoßen habe.

Wegen des Vorbringens der Parteien im Einzelnen wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

B.

Die Berufung form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist unbegründet.

I.

Ein mit dem Hauptantrag geltend gemachter Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 108.862,69 EUR gegen den Beklagten steht der Klägerin nicht zu. Es steht noch nicht fest, in welcher Höhe der Klägerin ein Schaden entstanden ist. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass sie ihren - unstreitig bestehenden - Anspruch gegen die Lnnnnnnn GmbH (nachfolgend: Insolvenzschuldnerin) aus der Insolvenzmasse jedenfalls teilweise befriedigen wird.

II.

1. Der Hilfsantrag der Klägerin ist gemäß §§ 531 Abs. 2 Nr. 1, 525 S. 1, 260, 264 Nr. 2 ZPO zulässig. Im Übrigen kann dahin gestellt bleiben, ob die Beklagte ein rechtliches Interesse im Sinne von § 256 Abs. 1 ZPO an der baldigen Feststellung hat, dass der gegen den Beklagten geltend gemachte Anspruch dem Grunde nach besteht. Auf das besondere Feststellungsinteresse kommt es dann nicht an, wenn sich der geltend gemachte Anspruch materiell-rechtlich als unbegründet erweist (Zöller/Greger, ZPO, 23. Aufl., § 256 Rdnr. 7).

2. Der Hilfsantrag ist unbegründet, denn die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihr den Schaden zu ersetzen, der ihr durch den vollständigen oder teilweisen Ausfall der Forderung in Höhe von 108.862,69 Euro gegen die Insolvenzschuldnerin in dem Insolvenzverfahren über deren Vermögen entstehen wird.

Ein Anspruch auf Schadensersatz steht der Klägerin dem Grunde nach aus §§ 21 Abs. 2 Nr. 1, 60 Abs. 1 InsO nicht zu. Danach ist der vorläufige Insolvenzverwalter allen Beteiligten nur dann zum Schadensersatz verpflichtet, wenn er schuldhaft die Pflichten verletzt, die ihm nach der Insolvenzordnung obliegen. Das ist hier nicht der Fall. Der Beklagte hat als vorläufiger Insolvenzverwalter seine gegenüber der Klägerin bestehenden Sorgfaltspflichten nicht verletzt, indem er den von der Klägerin im Einzugsermächtigungsverfahren eingereichten und auf dem Konto der Insolvenzschuldnerin bei der Cnnnnnnnnnn eingelösten Lastschriften wirksam widersprochen hat.

a) Ein Recht zum Widerruf einer Lastschrift im Einzugsermächtigungsverfahren besteht immer dann, wenn dafür ein anerkennenswerter Grund vorliegt. Dies gilt nach ständiger Rechtsprechung im Verhältnis des Kontoinhabers zum Empfänger der Lastschrift (vgl. BGH WM 1979, 689, 690; 1985, 82, 83; 1987, 895, 896). Das Vorliegen eines anerkennenswerten Grundes bestimmt sich dabei nach dem Zweck, dem ein Widerspruch im Einzugsermächtigungsverfahren zukommt. Das Widerspruchsrecht dient in erster Linie dem Schutz des Kontoinhabers, dessen Konto von seiner Bank wegen der Lastschrift belastet wurde, vor einem Missbrauch des Verfahrens durch den Auftraggeber (BGH WM 1985, 82, 83). Durch sein Widerspruchsrecht ist es dem Schuldner möglich, die Einziehung zu verhindern, sofern diese unberechtigt ist. Das ist dann der Fall, wenn er überhaupt keine Ermächtigung erteilt hat, den Lastschriftbetrag gar nicht schuldet oder sonstige anerkennenswerte Gründe hat, insbesondere ein Leistungsverweigerungs-, Zurückbehaltungs- oder Aufrechnungsrecht gegenüber dem an sich begründeten Anspruch des Gläubigers (BGH WM 1987, 895, 896). Kann sich der Schuldner hingegen auf einen solchen anerkennenswerten Grund nicht stützen, so übt er den Widerspruch zweckfremd aus und macht sich gegenüber seinem Gläubiger schadenersatzpflichtig.

b) Vorliegend stand zwar der Insolvenzschuldnerin kein anerkennenswerter Grund zu. Die von der Klägerin geltend gemachten Zahlungsansprüche sind von der Insolvenzschuldnerin und dem Beklagten nicht bestritten. Unerheblich ist, dass der Klägerin ausdrücklich keine Einziehungsermächtigung erteilt worden ist; denn die Insolvenzschuldnerin hat ihrer Bank einen Abbuchungsauftrag für Lastschriften der Klägerin gegeben und die Klägerin davon gleichzeitig in Kenntnis gesetzt. Wenn die Insolvenzschuldnerin also Lastschriften im Abbuchungsverfahren zuließ, in dessen Rahmen dem Kontoinhaber überhaupt kein Widerspruchsrecht zusteht, so schließt der Abbuchungsauftrag eine Einziehungsermächtigung mit ein.

c) Das bedeutet jedoch noch nicht, dass dem Beklagten als vorläufigem Insolvenzverwalter ein solcher anerkennenswerter Grund zur Ausübung des Widerspruchsrechts nicht beiseite stand. Der Senat schließt sich den insoweit zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung an. Er folgt der gegenteiligen Auffassung nicht, die einem (vorläufigen) Insolvenzverwalter die Widerspruchsmöglichkeit nur in dem Maße einräumt, wie sie auch dem Insolvenzschuldner zusteht (vgl. OLG Hamm, NJW 1985, 865, 866 und Urteil vom 11. Dezember 2003 - Aktenzeichen 27 U 130/03; LG Erfurt, NJW-RR 2003, 49; Canaris, Bankvertragsrecht, 2. Aufl., Rn. 661, 666; Rottnauer, WM 1995, 272, 279; Schimansky/Bunte/Lwowski-van Gelder, Bankrechts-Handbuch, Bd. 1, 2. Aufl., Rn. 11; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, 6. Aufl., Rn. 3.452f.; Brandes in Münchener Kommentar , InsO, 2001, §§ 60, 61 Rn. 41 m.w.N.; Bork, Zahlungsverkehr in der Insolvenz, 2002, Rn. 247 m.w.N. A.A. Rattunde/Berner, DZWIR 2003, 185ff.).

Der vorläufige Insolvenzverwalter hat das Vermögen des Insolvenzschuldners zu sichern und zu erhalten (§ 22 Abs. 1 Nr. 1 InsO). Es ist daher nicht seine Sache, eine vor dem Insolvenzantrag unvollständig erfüllte Verbindlichkeit endgültig zu vollziehen oder einer schwebend unwirksamen Erfüllungshandlung des Schuldners durch Genehmigung zur Wirksamkeit zu verhelfen. Aufgabe des vorläufigen Insolvenzverwalter ist es, das Vermögen des Schuldners zu Gunsten aller Gläubiger zu sichern und nicht einzelne Gläubiger vorab zu befriedigen (BGH, Urteil vom 4. November 2004 - IX ZR 22/03 - ).

d) Daran ändert nichts der Umstand, dass die Insolvenzschuldnerin ihrer Bank den Abbuchungsauftrag zu Gunsten der Klägerin erteilt hat. Die Klägerin hat davon unstreitig keinen Gebrauch gemacht, sondern das Einziehungsermächtigungsverfahren gewählt, das dem Schuldner grundsätzlich ein Widerrufsrecht gewährt. Eine infolge des Abbuchungsauftrags denkbare Ausnahme von diesem Grundsatz kommt im vorliegenden Fall deshalb nicht in Betracht, weil der Beklagte mit seinem Widerspruch dem Insolvenzzweck, das Vermögen der Schuldnerin für alle Gläubiger zu erhalten, entsprochen hat; denn der Beklagte musste den Verdacht haben, dass die Klägerin die streitgegenständlichen Gutschriften in anfechtbarer Weise erlangt hat.

aa) Dem vorläufigen Insolvenzverwalter steht zwar kein Anfechtungsrecht nach Maßgabe der § 129 ff InsO zu. Das schließt aber nicht aus, dass sich aus diesen Vorschriften auch ein anerkennenswerter Grund für die Ausübung des Widerrufsrechts ergeben kann. Drängt sich der Verdacht auf, dass der spätere (endgültige) Insolvenzverwalter vom Anfechtungsrecht Gebrauch machen könnte, besteht für den vorläufigen Insolvenzverwalter unter dem Gesichtspunkt der Vermögenssicherung sogar die Pflicht, dafür zu sorgen, dass die möglicherweise anfechtbar erlangte Rechtsposition eines Gläubigers nicht durch Übertragung von Vermögenswerten aus der Insolvenzmasse zum Nachteil der übrigen Gläubiger gestärkt wird. Im Anfechtungsprozess trägt der Insolvenzverwalter stets das Risiko, dass der anfechtbar erlangte Vermögenswert der Masse im Wege der Zwangsvollstreckung gegen den Gläubiger nicht wieder zugeführt werden kann, weil dieser inzwischen selbst zahlungsunfähig geworden ist oder Vollstreckungsschutz genießt.

bb) Vorliegend bestand ein Anfechtungsgrund aus § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO. Die Klägerin hat die Rechtshandlung nach dem Eröffnungsantrag und in Kenntnis des Antrags vorgenommen.

Maßgeblich für die Anfechtung ist gemäß § 140 Abs. 1 InsO nicht der Tag, an dem die Klägerin die jeweilige Forderung eingezogen hat, sondern der Zeitpunkt, in dem die rechtliche Wirkung der Forderungseinziehung eingetreten wäre. Das gilt auch für die privatrechtliche Genehmigung (vgl. Uhlenbruck/Hirte, InsO, 12. Aufl., § 140 Rdnr. 3). Wirksam werden konnte die Lastschrift erst mit Ablauf der Widerrufsfrist; bis dahin war die Belastung des Kontos der Insolvenzschuldnerin schwebend unwirksam und demzufolge noch nicht endgültig vollzogen, weil keine Erfüllung der der Lastschrift zugrunde liegenden Forderung eingetreten war. Vor Ablauf der Widerrufsfrist und vor dem Widerruf am 2. Mai 2003 ist die Klägerin aber schon vom Beklagten mit Schreiben vom 30. April 2003 über die Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung und damit über einen Umstand im Sinne des § 130 Abs. 2 InsO informiert worden, der zwingend auf den Eröffnungsantrag schließen lässt. Hätte der Beklagte die Lastschrift daher nicht rückgängig gemacht, müsste sich die Klägerin die Kenntnis vom Insolvenzantrag mithin vorhalten lassen, der nach Maßgabe des § 140 Abs. 1 InsO vor Vornahme der Rechtshandlung lag, was dem (endgültigen) Insolvenzverwalter einen Anfechtungsgrund nach § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO gegeben hätte.

cc) Ob die Anfechtung durch § 142 InsO ausgeschlossen ist, weil ein unanfechtbares Bargeschäft vorliegt, musste der Beklagte jedenfalls im vorliegenden Fall nicht prüfen. Die Klägerin hat dazu keine konkreten Tatsachen vorgetragen, die ohne weiteres den Schluss auf einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen den Lastschriften und der Gegenleistung zulassen. Solange sich der Bargeschäftscharakter nicht aufdrängt, muss der vorläufig Insolvenzverwalter dazu auch keine Recherchen anstellen, die nicht zu seinem Aufgabenbereich gehören. Es geht hier nicht um die Ausübung und Durchsetzung des Anfechtungsrechts, das erst dem endgültigen Insolvenzverwalter zusteht, sondern allein um die Frage, ob der Beklagte als vorläufiger Insolvenzverwalter sich einer Pflichtverletzung schuldig gemacht hat, die seinen Aufgabenbereich betrifft. Da auf die Pflicht zur Sicherung des Vermögens der Insolvenzschuldnerin abzustellen ist, kann dem Beklagten jedenfalls kein Vorwurf des pflichtwidrigen Handelns gemacht werden, wenn er trotz des bestehenden Abbuchungsauftrags, von dem die Klägerin keinen Gebrauch gemacht hat, die Lastschriften rückgängig machen lässt, weil der Anfechtungsgrund aus § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO vorliegt. Schon darin liegt ein anerkennenswerter Grund für den Widerspruch gegen die Lastschriften, der stets die Belange aller Gläubiger im Auge behalten muss und nicht einzelne Gläubiger bevorzugt behandeln darf.

III.

Nach alledem konnte die Berufung keinen Erfolg haben.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision hat der Senat nicht zugelassen, weil die Sache angesichts des bereits zitierten Urteils des Bundesgerichtshofs vom 4. November 2004 weder eine grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 S. 1 ZPO).



Ende der Entscheidung

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