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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 21.10.2008
Aktenzeichen: 7 W 59/08
Rechtsgebiete: GKG


Vorschriften:

GKG § 63
Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit richtet sich auch dann nach demjenigen der gerichtlichen Tätigkeit, wenn die Streithelferin der Beklagten mit einer Gegenforderung gegen die Klageforderung aufrechnet und sich die Prozessparteien später über die Klageforderung vergleichen, ohne dass die zur Aufrechnung gestellte Forderung hierbei Berücksichtigung gefunden hätte oder hierüber sonst eine gerichtliche Entscheidung ergangen wäre.
Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 7 W 59/08

21. Oktober 2008

In dem Rechtsstreit

hat der 7. Zivilsenat des Kammergerichts durch den Richter am Kammergericht Sellin, den Richter am Kammergericht Renner und den Richter am Amtsgericht Dr. Menne am 21. Oktober 2008 beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten vom 22. Juli 2008 wird der Beschluss des Landgerichts Berlin vom 17. Juli 2008 - 21 O 351/02 - dahingehend abgeändert, dass der Gegenstandswert für die Rechtsanwaltsgebühren auf bis zu 440.000 EUR festgesetzt wird.

Das Verfahren über die Beschwerde ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

I.

Die Beklagte wendet sich mit der sofortigen Beschwerde vom 22. Juli 2008, beim Landgericht am gleichen Tag eingegangen, gegen den Beschluss des Landgerichts vom 17. Juli 2008. Auf den Antrag des Klägers hat das Landgericht mit diesem Beschluss den Wert für die Rechtsanwaltsgebühren auf bis zu 700.000 EUR festgesetzt. Die Beklagte rügt, dass das Landgericht den Wert für die Anwaltsgebühren bereits mit Beschluss vom 5. Juni 2008 festgesetzt habe; eine erneute, anderweitige Festsetzung komme deshalb nicht in Betracht. Auch in der Sache sei der Beschluss unzutreffend; der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit decke sich mit dem Wert des gerichtlichen Verfahrens.

II.

1. Die sofortige Beschwerde ist zulässig. Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Festsetzung der Rechtsanwaltsgebühren. Gegen eine derartige Gebührenfestsetzung ist die sofortige Beschwerde statthaft (§ 33 Abs. 3 RVG); die Beschwerdeführerin als die erstattungspflichtige Gegnerin ist insoweit auch beschwerdebefugt (§ 33 Abs. 2, 3 RVG). Die sofortige Beschwerde wurde innerhalb der Zwei-Wochen-Frist (§ 33 Abs. 3 Satz 3 RVG) eingelegt. Zwar ist der landgerichtliche Beschluss entgegen §§ 329 Abs. 2 Satz 2, 569 Abs. 1 Satz 2 ZPO den Parteien nicht förmlich zugestellt (vgl. Hartmann, Kostengesetzte [38. Aufl. 2008], § 33 RVG Rn. 18), sondern nur formlos übersandt worden. Aber die sofortige Beschwerde ist bereits fünf Tage nach Erlass des angegriffenen Beschlusses beim Landgericht (§ 33 Abs. 7 Satz 3 RVG) eingegangen, so dass die Beschwerdefrist damit in jedem Fall gewahrt ist.

2. Die Beschwerde ist auch begründet.

(a) Mit der Rüge, über den Antrag auf Festsetzung des Werts der Rechtsanwaltsgebühren habe das Landgericht bereits mit Beschluss vom 5. Juni 2008 endgültig entschieden, dringt die Beschwerdeführerin allerdings nicht durch. Das Landgericht hat in der Nichtabhilfeentscheidung vom 21. August 2008 ausführlich dargelegt, dass der Antrag der Beklagten vom 15. August 2008, den Streitwert für die anwaltliche Gebührenabrechnung festzusetzen, missverstanden worden sei; der Antrag wurde nicht als Antrag nach § 33 RVG, sondern als Antrag nach § 63 GKG, also auf Festsetzung des Werts der Gerichtsgebühren, aufgefasst. Das ergibt sich auch aus dem Festsetzungsbeschluss vom 5. Juni 2008, dem Nichtabhilfebeschluss vom 16. Juni 2008 und der Beschwerdeentscheidung des Kammergerichts vom 27. Juni 2008 (7 W 44/08). In allen Entscheidungen kommt deutlich zum Ausdruck, dass jeweils nur eine Wertfestsetzung nach dem GKG, nicht jedoch nach dem RVG gewollt war. Erst nach Erlass der Beschwerdeentscheidung vom 27. Juni 2008 hat sich das Missverständnis aufgeklärt. Mit dem angegriffenen Beschluss vom 17. Juni 2008 ist deshalb die (ursprünglich begehrte) Festsetzung erstmalig erfolgt. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin liegt also keine zweimalige Wertfestsetzung nach dem RVG vor, sondern auf den entsprechenden Antrag wurde irrtümlich zunächst der Wert der Gerichtsgebühren und sodann in einem weiteren Beschluss antragsgemäß der Wert der anwaltlichen Tätigkeit festgesetzt.

(b) Indessen verhilft die weitere Rüge, der Wert der anwaltlichen Tätigkeit sei nicht gesondert festzusetzen, weil sich der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit mit dem Wert des gerichtlichen Verfahrens decke, der Beschwerde zum Erfolg.

(aa) In der Sache geht es um eine Forderung in Höhe von 234.958,20 EUR, die von der Streithelferin der Beklagten in das Verfahren eingeführt wurde; die Streithelferin hat diese Forderung gegen die Klageansprüche aufgerechnet. Im Teil- und Grundurteil vom 4. Januar 2007 wurde über diese Forderung nicht entschieden. Nachdem sich die Parteien am 10. April 2008 verglichen hatten, hat das Landgericht den Streitwert für das gerichtliche Verfahren auf bis zu 440.000 EUR festgesetzt. Die Aufrechnung durch die Streithelferin in Höhe von 234.958,20 EUR wurde dabei nicht werterhöhend berücksichtigt.

(bb) Nach § 33 Abs. 1 RVG - gleichlautend auch schon § 10 Abs. 1 BRAGO - ist der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit vom Gericht des ersten Rechtszugs selbständig festzusetzen, wenn sich die anwaltlichen Gebühren in einem gerichtlichen Verfahren nicht nach dem für die Gerichtsgebühren maßgebenden Wert berechnen oder wenn es an einem solchen Wert fehlt. Beides ist hier nicht der Fall. Die Anwaltsgebühren richten sich nach den Gerichtsgebühren und es fehlt auch nicht an einem Wert, an dem sich die anwaltliche Gebührenberechnung ausrichten könnte; das Landgericht hat diesen mit Beschluss vom 5. Juni 2008 bereits auf bis zu 440.000 EUR festgesetzt.

(cc) Die Frage, wie im Hinblick auf die Festsetzung der anwaltlichen Gebühren zu verfahren ist, wenn über eine unbedingt oder hilfsweise erklärte Aufrechnung nicht mehr entschieden wird, ist allerdings umstritten:

Teilweise wird hier eine Wertaddition bejaht. Zur Begründung wird dabei darauf verwiesen, dass der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit sich von demjenigen der gerichtlichen Tätigkeit unterscheide; schon aus anwaltlicher Vorsicht müsse sich der Rechtsanwalt mit der hilfsweise zur Aufrechnung gestellten Forderung befassen und diese Tätigkeit sei, abweichend von den für die gerichtliche Tätigkeit maßgeblichen Bestimmungen, gesondert zu honorieren (vgl. Schneider/Wolf-E. Schneider, RVG [3. Aufl. 2006], § 33 Rn. 17ff.; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG [18. Aufl. 2008], VV Nr. 3100 Rn. 132f.; Hartmann, Kostengesetze [38. Aufl. 2008], § 33 RVG Rn. 5; Riedel/Sußbauer-Fraunholz, RVG [9. Aufl. 2005], § 33 Rn. 5). Auch in der (älteren) Rechtsprechung wird diese Auffassung teilweise bejaht (vgl. LAG Düsseldorf, JurBüro 1994, 359; LAG Hamm, MDR 1989, 852).

Die Gegenmeinung lehnt eine Wertaddition und eine sich daran anschließende gesonderte Festsetzung des anwaltlichen Gebührenwerts ab. Zur Begründung wird auf § 23 Abs. 1 RVG verwiesen, wonach sich die anwaltlichen Gebühren im Gerichtsverfahren nach den gerichtlichen Gebührenansätzen bestimmen. Dieser Grundsatz wird in § 32 Abs. 1 RVG dahingehend präzisiert, dass ein gerichtlich festgesetzter Gegenstandswert auch der anwaltlichen Gebührenbemessung zugrunde zulegen ist. Konkret heißt das, dass die anwaltliche Gebührenbemessung grundsätzlich an die Gerichtsgebühren gekoppelt ist. Die Anwaltsvergütung im gerichtlichen Verfahren folgt damit dem System einer Mischkalkulation. Genauso wenig wie ein Rechtsanwalt, der sich in einem Verfahren mit geringen Streitwert mit schwierigen Rechtsfragen auseinanderzusetzen hat, einen "Zuschlag" auf die gesetzlichen Gebühren erhält, kann der Rechtsanwalt, der sich mit einer (Hilfs-) Aufrechnung beschäftigt, ohne dass über diese eine Entscheidung ergeht, seinen Mehraufwand abrechnen; auch in diesem Fall richtet sich der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit nach dem für das gerichtliche Verfahren festgesetzten Wert (vgl. Kammergericht, KG-Report Berlin 2007, 800; OLG Hamm, JurBüro 2007, 254; OLG Brandenburg, Beschluss vom 14. August 2006, Az. 13 W 31/06 [veröffentlicht in juris]; OLG Köln, JurBüro 1995, 144 [zur BRAGO] sowie Göttlich/Mümmler, RVG [2. Aufl. 2006], Stichwort "Hilfsantrag"; Kanzlsperger, MDR 1995, 883 [887]; Mümmler, JurBüro 1994, 359f.).

Der Senat schließt sich dieser Auffassung an. Das System des RVG sieht für die anwaltliche Tätigkeit im gerichtlichen Verfahren gerade keine aufwandsbezogene Vergütung vor, sondern folgt der gerichtlichen Wertfestsetzung. Dass die anwaltliche Tätigkeit mit der Einführung einer Gegenforderung in das Verfahren schwieriger und komplexer wird, rechtfertigt daher für sich allein noch keine Mehrvergütung. Dazu kommt es vielmehr nur unter den in § 45 Abs. 3 GKG iVm. §§ 23 Abs. 1, 32 Abs. 1 RVG umschriebenen Voraussetzungen. Im vorliegenden Fall kommt ergänzend hinzu, dass die Aufrechnung, worauf bereits das Landgericht im Beschluss vom 5. Juni 2008 hingewiesen hat, gerade nicht hilfsweise erklärt wurde und deshalb bei der gerichtlichen Wertfestsetzung auch nicht weiter berücksichtigt wurde. Das gilt nach §§ 23 Abs. 1, 32 Abs. 1 RVG dann aber auch für die Festsetzung des Werts der anwaltlichen Gebühren. Deshalb war die Wertfestsetzung auf die Beschwerde abzuändern.

Der Kostenausspruch beruht auf § 33 Abs. 9 RVG.

Ende der Entscheidung

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