Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 22.11.2004
Aktenzeichen: 8 U 109/04
Rechtsgebiete: BGB, VOB/B


Vorschriften:

BGB § 280
BGB § 281
BGB § 535 Abs. 1 Satz 2
BGB § 536 Abs. 1 Satz 1
BGB § 543 Abs. 1
BGB § 640 Abs. 1
VOB/B § 12 Abs. 1
Wenn in einem Mietvertrag als Beginn der Mietzinszahlungspflicht des Mieters die "Fertigstellung" der vom Vermieter übernommenen Sanierungsarbeiten vereinbart worden ist, besteht für den Mieter keine Übernahmeverpflichtung des Mietobjekts, wenn noch zahlreiche - auch kleinere - Mängel vorhanden sind; auf die Abnahmefähigkeit nach § 640 Abs. 1 BGB kommt es dabei nicht an. Der Mieter ist zur Erbringung der vereinbarten Sicherheit nicht verpflichtet, solange der Vermieter Mietzins nicht verlangen kann.
Kammergericht Im Namen des Volkes

Geschäftsnummer: 8 U 109/04

verkündet am: 22.11.2004

In dem Rechtsstreit

hat der 8. Zivilsenat des Kammergerichts in Berlin, auf die mündliche Verhandlung vom 22.11.2004 durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Bieber als Einzelrichter

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Klägerin gegen das am 16. März 2004 verkündete Teil- und Grundurteil der Zivilkammer 29 des Landgerichts Berlin - 29 O 472/03 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

2. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin darf die Zwangsvollstreckung der Beklagten wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 7.300,00 EUR abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

3. Die Revision wird zugelassen.

Gründe:

I.

Die Berufung der Klägerin richtet sich gegen das am 16. März 2004 verkündete Teil- und Grundurteil der Zivilkammer 29 des Landgerichts Berlin - 29 O 427/03 -, auf dessen Tatbestand und Entscheidungsgründe Bezug genommen wird.

Die Klägerin hält das Urteil für unzutreffend. Die Mieträume seien jedenfalls Ende Februar 2003 in vertragsgemäßem Zustand gewesen, so dass die Beklagte ab März 2003 zur Mietzinszahlung verpflichtet gewesen sei. Da die Beklagte die vertraglich vorgesehene Bürgschaft trotz Mahnung nicht erbracht habe, sei sie - die Klägerin - sodann zur Kündigung des Mietvertrages aus wichtigem Grund berechtigt gewesen. Die von der Beklagten hingegen ausgesprochene Kündigung sei unwirksam gewesen, weil der Beklagten ein Kündigungsrecht wegen nicht erfolgter Fertigstellung der Mieträume nicht zur Seite gestanden habe. Deshalb sei auch der mit der Widerklage geltend gemachte Schadensersatzanspruch wegen entgangenen Gewinns unbegründet.

Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Klägerin in der Berufungsinstanz wird auf ihre Schriftsätze vom 5. Juli, 10. und 18. November 2004 verwiesen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des angefochtenen Urteils zu verurteilen, an sie 89.004,48 EUR nebst Zinsen in Höhe von 8 % über dem Basiszins aus je 44.502,24 EUR seit 1.4. und 1.5.2003 zu zahlen und die Widerklage abzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des Landgerichts für zutreffend.

Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Beklagten in der Berufungsinstanz wird auf ihre Schriftsätze vom 14. Oktober und 12. November 2004 verwiesen.

II.

Die Berufung ist unbegründet, weil das Landgericht zu Recht die Klage abgewiesen und der Widerklage stattgegeben hat.

1.

Soweit es den geltend gemachten Mietzinsanspruch der Klägerin für den Zeitraum vom 1. bis zum 28. März 2003 angeht, liegen die Voraussetzungen zur Mietzinszahlung nach § 5 Abs. 1 Satz 2 des - insoweit unverändert gebliebenen - Mietvertrages vom 27. September 1999 nicht vor. Die Beklagte war zur Übernahme der Mieträume nicht verpflichtet, weil die Voraussetzungen für eine Übergabe nach § 4 Abs. 2 des Vertrages weder zu diesem Zeitpunkt noch später vorlagen.

a)

Soweit das Landgericht dies damit begründet hat, dass eine Fertigstellung der Häuser im Sinne des Mietvertrages bereits deshalb nicht anzunehmen sei, weil - unstreitig - jegliche Grundausstattung hinsichtlich der aus Titel III (gebäudetechnische Ausrüstung), Seite 20 der Baubeschreibung, vorgesehenen Grundinstallation für die Telekommunikationsanlagen gefehlt habe, wird zunächst auf die Ausführungen im landgerichtlichen Urteil unter I.1.b) der Entscheidungsgründe Bezug genommen, denen sich der Senat in vollem Umfang anschließt. Soweit der Geschäftsführer der Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat darauf hingewiesen hat, dass insoweit die vertraglichen Regelungen nicht mehr gegolten haben und durch eine andere Verfahrensweise der Parteien ersetzt worden seien, dürfte dem zunächst die - qualifizierte - Schriftformklausel in § 21 Abs. 3 des Vertrages bzw. §§ 4, 5 der nachfolgenden Änderungsverträge entgegenstehen. Es kann keinem vernünftigen Zweifel unterliegen, dass diese Klausel von den Parteien als so wirksam angesehen worden ist, dass ihre Aufnahme in sämtiche notariellen Verträge trotz Änderung anderer Teile des ursprünglichen Mietvertrages erfolgt ist. Deshalb kann nicht ohne Weiteres die Rechtsprechung des BGH zur auch stillschweigend möglichen Abänderung sogenannter einfacher Schriftformklauseln übernommen werden. Erforderlich ist hier vielmehr, dass sich die Parteien über eine Änderung der qualifizierten Schriftformklausel geeinigt hben (vgl. schon BGH, Urteil vom 17.4.1991 - XII ZR 15/90 - NJW-RR 1991, 1289; Juris Nr. KORE 553429100). Hierzu hat die Klägerin allerdings auch in der Berufungsinstanz Konkretes nicht vorgetragen.

Aber selbst wenn man auch hier eine konkludente Abänderung der Schriftformklausel für zulässig hielte, kann die Klägerin hieraus zu ihren Gunsten nichts herleiten. Es fehlt an Vortrag dazu, wann/wo/wer mit wem unter Änderung der Vertragslage eine Übernahme der Grundinstallation für die Telekommunikationsanlagen durch die Beklagte vereinbart hat. Der Hinweis der Klägerin auf Seite 13, letzter Absatz, der Berufungsbegründung beinhaltet keine konkreten Tatsachen, aus denen sich die Abänderung ableiten ließe, sondern nur eine Wertung, die einer Beweisaufnahme nicht zugänglich ist. Gleiches gilt für den Beweisantrag auf Seite 17 der Berufungsbegründung, dass sich eben auch hier aus dem Vortrag der Klägerin nicht ergibt, wann und wie "ein Wechsel der Verantwortlichkeiten betr. die Lieferpflichten dieser Ausstattung" vereinbart worden ist.

b)

Das Landgericht hat weiter zu Recht ausgeführt, dass der übrige Zustand der Häuser zur Übergabe nicht berechtigt hat und die Beklagte auch insoweit nicht zur Übernahme verpflichtet war.

Auszugehen ist davon, dass die Parteien den Beginn der Mietzinszahlungspflicht durch die Beklagte von dem Zeitpunkt abhängig gemacht haben, zu dem eine Übernahmeverpflichtung durch die Beklagte bestand, wobei diese nach "Fertigstellung" entstehen sollte. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut des § 4 Abs. 2 des Mietvertrages, der insoweit durch die Nachträge und die Mietbestätigungsvereinbarung nicht verändert worden ist. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist unter "Fertigstellung" in diesem Sinne nicht die Abnahmefähigkeit im Rahmen des Werkvertragsrechts nach § 640 Abs. 1 BGB bzw. § 12 Abs. 1 VOB/B zu verstehen, wonach lediglich unwesentliche Mängel oder noch auszuführende geringfügige Arbeiten der Fertigstellung entgegenstehen, (so aber für die Vereinbarung einer "Bezugsfertigkeit" OLG Düsseldorf, Urteil vom 12.1.1995 - 10 U 36/94 -; OLGR Düsseldorf 1995, 167). Es ist nichts dafür ersichtlich, was es in Fällen der vorliegenden Art rechtfertigen könnte, den Mieter vor dem eigentlichen Beginn des Mietverhältnisses zur "Übernahme" einer - unfertigen - Mietsache zu zwingen unter Hinweis etwa darauf, dass ihm ein Erfüllungsanspruch nach § 535 Abs. 1 Satz 2 BGB verbleibt und eine Mietminderung nach § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB die fehlende Fertigstellung ausgleichen werde. Hierdurch würde sich ohne ersichtliche Rechtfertigung das den Vermieter bei Abschluss solcher Verträge an sich treffende Fertigstellungsrisiko verlagern und auf den Mieter übergehen, der nunmehr mit der Darlegungs- und Beweislast für den von ihm behaupteten vertragswidrigen Zustand belastet wäre. Im Hinblick auch auf die von vornherein beabsichtigte und in § 13 des Ausgangsvertrages vorgesehene Untervermietung der Räumlichkeiten an andere Unternehmen durch die Beklagte kann eine Fertigstellung in diesem Sinne daher nur angenommen werden, wenn der Zustand der Mieträume eine sofortige Benutzung entweder durch die Beklagte oder Untermieter zugelassen hätte. Dies war jedoch zu dem zuletzt vereinbarten Fertigstellungstermin am 1.2.2003 nicht der Fall.

Ausweislich der von der Beklagten der Klägerin mit Schreiben vom 18.2.2003 übersandten "Mängelliste" lagen in nahezu allen Räumen und Bereichen der Häuser 1 und 2 so viele Mängel vor, dass jedenfalls deren Gesamtheit die Annahme einer erheblichen Gebrauchsbeeinträchtigung im Sinne des § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB oder des § 6 Abs. 4 des Ausgangsmietvertrages rechtfertigt. Demgegenüber kann sich die Klägerin nicht auf das anlässlich der Besichtigungen vom 24. und 28.2.2003 erstellte Gutachten des Prof. Schmitt vom 28.2.2003 berufen, das - mangels Beauftragung des Sachverständigen durch beide Parteien oder im Rahmen eines Beweissicherungsverfahrens - nur als Parteivortrag gewertet werden kann. Wenn in diesem Gutachten auf Seite 4 zunächst festgestellt wird, dass "verschiedene Mängel gefunden" worden seien, wobei es sich "im Wesentlichen" um "Schönheitsmängel" handele, wird schon nicht klar, auf welche konkreten Einzelheiten sich diese Feststellungen beziehen. Gleiches gilt für den Hinweis auf die von der Beklagten eingereichte Mängelliste, wenn der Sachverständige hierzu ausführt:

"Diese deutet ausschließlich auf Schönheitsmängel hin". Diese Bewertung kann doch schon wegen der unterschiedlichen Beanstandungen der Beklagten nicht gelten, wobei beispielsweise auf die fehlerhaft anstelle von Aluminiumtüren eingebauten weißen Holztüren verwiesen wird. Weder die Ausführungen im Gutachten zur "Abnahme" (die in keinem der Verträge irgendwo vereinbart ist) noch zur "Nutzung gem. § 3 Abs. 1 des Mietvertrages" gehen auf die Besonderheiten der mietvertraglichen Regelungen ein und sind in sich kaum verständlich und nachvollziehbar. Der Satz auf Seite 5 des Gutachtens: "Ein Mangel zur Abnahme der Gesamtleistung muss zwingend die Funktionstüchtigkeit der Gesamtheit im Bezug auf Einzelleistungen verhindern." ist nicht nachvollziehbar, der Hinweis im darauffolgenden Satz auf "Mangel im Sinne der VOB" geht an der Sache vorbei, weil hier kein Werkvertrag und erst recht keiner, der der VOB/B unterliegt, vorhanden ist.

Liegt somit keine hinreichende Auseinandersetzung mit der "Mängelliste Chausseehof" vor, ist vom Vorliegen der darin bzw. der weiteren Mängelliste vom 21.2.2003 (Anlage B 4) enthaltenen Beanstandungen bis zum Ausspruch der fristlosen Kündigung durch die Beklagte wegen Nichtgewährung des Gebrauchs nach § 543 Abs. 1 BGB am 7.4.2003 auszugehen. Die Klägerin trägt insoweit nur pauschal vor, dass hier jedenfalls spätestens am 1.3.2003 "Bezugsfertigkeit" vorgelegen habe und "die Schönheitsreparaturen weitgehend von der Klägerin erbracht waren". Den Vortrag der Klägerin, die für das Vorliegen der "Fertigstellung" darlegungspflichtig ist, lässt sich aber nicht entnehmen, was denn nun im Einzelnen bis zu diesem Zeitpunkt getan worden sein soll, um die Übernahmeverpflichtung durch die Beklagte und damit deren Annahmeverzug auszulösen.

2.

Die Klägerin kann für die Zeit nach Ausspruch ihrer wegen Nichterbringung der vereinbarten Bürgschaft über 900.000,00 EUR ausgesprochenen fristlosen Kündigung vom 28. März 2003 auch keinen sogenannten Kündigungsfolgeschaden in Höhe des genannten - entgangenen - Mietzinses geltend machen. Zwar wird die Auffassung vertreten, dass eine Kündigung aus wichtigem Grund wegen Nichtleistung der vereinbarten Sicherheit auch schon vor Übergabe der Miet- oder Pachtsache möglich ist (Blank/Börstinghaus, Miete, 2. Aufl., § 543 Rdn. 14; OLG Celle, Urteil vom 20.2.2002 - 2 U 183/01 -; OLGR Celle 2002, 91; OLG Düsseldorf, a.a.O.). Dies soll dann der Fall sein, wenn das Sicherungsbedürfnis des Vermieters durch das Verhalten des Mieters berührt wird, mit anderen Worten, wenn vertragswidriges Verhalten des Mieters den Zugriff auf die zu leistende Sicherheit rechtfertigen würde. So liegt der Fall hier aber gerade nicht: Da die Klägerin noch keinen Anspruch auf Zahlung des Mietzinses hatte, bestand insoweit überhaupt kein Sicherungsbedürfnis, so dass allein die Nichtbeibringung der Bürgschaft zum vorgesehenen Zeitpunkt bzw. nach Mahnung durch die Klägerin einen wichtigen Grund zur Kündigung nach § 543 Abs. 1 BGB nicht ergeben konnte.

Selbst wenn aber insoweit ein Recht zur Kündigung vorgelegen hätte, hätte dieses nicht zu dem von der Klägerin geltend gemachten Schadensersatzanspruch geführt. Da eine Mietzinsverpflichtung der Beklagten nicht bestand, konnte auch kein Schadensersatzanspruch in Höhe des Mietzinses entstehen.

Soweit die Klägerin geltend macht, dass die Konzernmutter der Beklagten vermögenslos und die von ihr entsprechend den vertraglichen Regelungen gestellte Sicherheit wertlos sei, kann das einen wichtigen Grund im Verhältnis zur Beklagten nicht begründen: Die Beibringung dieser Sicherheit entsprach genau den vertraglichen Regelungen; das Risiko der Wertlosigkeit einer etwaigen Sicherheit lag daher von Anfang an bei der Klägerin.

3.

Die Berufung der Klägerin ist auch insoweit unbegründet, als sie sich gegen die auf die Widerklage hin erfolgte Verurteilung zur Zahlung von Schadensersatz dem Grunde nach wendet.

Da die Klägerin bis zum Ablauf der von der Beklagten gesetzten Frist nicht in der Lage war, den vertragsgemäßen Zustand herzustellen, war die Beklagte zur Kündigung des Vertrages berechtigt (s.o.). Aus diesem Grund steht ihr auch ein Schadensersatzanspruch nach §§ 280, 281 BGB jedenfalls dem Grunde nach zu.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, die über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Ziff. 10, 711 ZPO.

Der Senat hat die Revision zugelassen, weil er im Interesse der Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Frage der vertraglich vereinbarten Fertigstellung im Rahmen von Mietverträgen bzw. zur Nichterbringung einer vertraglich vorgesehenen Sicherheit vor Übergabe des Mietgegenstandes für notwendig erachtet.

Ende der Entscheidung

Zurück