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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 29.08.2002
Aktenzeichen: 8 U 128/01
Rechtsgebiete: AGBG, BGB, ZPO


Vorschriften:

AGBG § 1 Abs. 2 a.F.
AGBG § 5
BGB § 558 d
BGB § 558 d Abs. 3
BGB § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 711 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
KAMMERGERICHT Im Namen des Volkes

Geschäftsnummer: 8 U 128/01

Verkündet am: 29. August 2002

In dem Rechtsstreit

hat der 8. Zivilsenat des Kammergerichts in Berlin auf die mündliche Verhandlung vom 29. August 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Bieber, den Richter am Kammergericht Markgraf und den Richter am Amtsgericht Dr. Müther für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 29. Januar 2001 verkündete Urteil des Landgerichts Berlin - 12 O 623/00 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 8.800 EUR abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin nutzt aufgrund eines schriftlichen Mietvertrages vom 23. September 1992, der von den jeweiligen Rechtsvorgängern der Parteien abgeschlossen worden ist, Gewerberäume in der in G. Die Klägerin ist der Auffassung, dass sich aus dem Mietvertrag die Möglichkeit ergibt, dass die zu zahlende Miete durch die Einholung eines von der IHK benannten Sachverständigen festgelegt wird. Nach dem von ihr dementsprechend eingeholten Gutachten beträgt die Nettokaltmiete nicht mehr - wie ursprünglich vereinbart - 27.560 DM, sondern 15.584,70 DM.

Die Klägerin hat in erster Instanz die Rückzahlung der von ihr unter Vorbehalt gezahlten Mietzinsdifferenzen von 11.975,30 DM monatlich für die Zeit von Oktober 1999 bis Oktober 2000 sowie die Hälfte der Gutachterkosten in Höhe von 5.754,53 DM nebst Zinsen verlangte.

Das Landgericht Berlin, Zivilkammer 12, hat die Klage mit einem 29. Januar 2001 verkündeten Urteil abgewiesen, weil sich das von der Klägerin in Anspruch genommene Recht auf eine Anpassung des Mietzinses auf die ortsübliche Vergleichsmiete nicht aus dem Mietvertrag ergebe. Wegen der genauen Einzelheiten des Sachverhalts, wegen des Vertrags der Parteien in erster Instanz und die Entscheidungsgründe des Landgerichts wird auf das Urteil des Landgerichts Bezug genommen.

Gegen dieses ihr am 19. März 2001 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit einem am gleichen Tag beim Gericht eingegangenen Schriftsatz vom 17. April 2001 Berufung eingelegt, die sie nach einer Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 18. Juni 2001 mit einem Schriftsatz von diesem Tag, der am gleichen Tag beim Gericht eingegangen ist, begründet hat.

Die Klägerin verfolgt ihr erstinstanzliches Klagebegehren auf Zahlung von 161.433,43 DM nebst 4% Zinsen aus 83.827,10 DM seit dem 16. Juni 2000 sowie aus je 11.975,30 DM seit dem 5. Juli und 5. August 2000 und nebst 9,26% Zinsen aus je 11.975,30 DM seit dem 5. September und 6. Oktober 2000 mit der Berufung weiter. Sie ist der Auffassung, dass die beiden Regelungsmöglichkeiten über die Mietzinsanpassung entgegen der Auffassung des Landgerichts neben einander bestehen könnten. Der Wortlaut schließe es jedenfalls nicht aus, dass zunächst eine Anpassung an die ortsübliche Vergleichsmiete und sodann eine automatische Mietzinsänderung nach § 5 Ziffer 3 des Vertrages eintritt.

Es sei auch nicht zutreffend, dass nicht erkennbar wäre, unter welchen Voraussetzungen eine Partei die Anpassung nach § 5 Ziffern 2 und 4 des Vertrages verlangen könnte. Denn jedenfalls durch ergänzende Auslegung sei festgelegt, dass die Erheblichkeit der Änderung der ortsüblichen Mieten eine Anpassung rechtfertige.

Überdies ist auch die Regelung in § 5 Ziffer 3 nicht widerspruchsfrei, weil nicht erkennbar sei, auf welchen Zeitpunkt sich der Index bezieht, auf den des Vertragsschlusses oder den des Endes der festen Mietzinszeit.

Unrichtig sei jedenfalls die Annahme des Landgerichts die Regelung in Ziffer 2 enthalte den Obersatz für die nachfolgenden Regelungen. Die ortsübliche Miete habe mit der Entwicklung der Lebenshaltungskosten nichts zu tun.

Zu beanstanden sei auch die Annahme des Landgerichts, dass eine unterschiedliche Entwicklung der Mietpreise und des Lebenshaltungskostenindexes nicht absehbar gewesen sei. Ein Jahr nach dem Hauptstadtbeschluss des Bundestages seien alle Beteiligten von stark steigenden Mietpreisen ausgegangen. Dies müsste auch als gerichtsbekannt gelten.

Die fehlenden Streichungen in § 5 Ziffer 3 sagten schließlich nichts über den Geltungswillen hinsichtlich § 5 Ziffer 4 aus. Denn die Streichungen zeigten an, dass diese gezielt erfolgt sind, so dass § 5 Ziffer 4 nach der Vorstellung der Parteien in jedem Fall gelten sollte.

Schließlich greife aber § 5 AGBG ein, so dass die Herabsetzung wirksam sei.

Sie beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils nach den zuletzt im erstinstanzlichen Rechtszug gestellten diesseitigen Anträgen zu erkennen.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie sind der Auffassung, das landgerichtliche Urteil sei nicht zu beanstanden. Die in § 5 Ziffer 3 und 4 genannten Mietanpassungsmöglichkeiten seien nicht miteinander zu vereinbaren. Eine praktisch durchführbare Auslegung - auch im Wege der Ergänzung - sei nicht möglich. § 5 Ziffer 2 lege auch lediglich fest, ab welchem Zeitpunkt eine Anpassung erfolgen solle. Dem stehe nicht die Verwendung des Begriffs ortsübliche Miete entgegen, weil die verschiedene Entwicklung der Mieten und Lebenshaltungskosten nicht absehbar war. Auch die Tatsache einer fehlenden Streichung in § 5 Ziffer 3 habe das Landgericht zutreffend gewürdigt. Die Auslegung ergebe ein eindeutiges Ergebnis. Bei dieser Sachlage greife auch § 5 AGBG nicht ein.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg.

A. Der Klägerin steht ein Rückforderungsanspruch der unter Vorbehalt gezahlten Miete nach § 812 Absatz 1 Satz 1 Alt. 1 BGB nicht zu. Das Landgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass das Fehlen einer Leistung ohne Rechtsgrund nicht ausreichend vorgetragen ist. Dies geht zu Lasten der Klägerin, die für das Fehlen des Rechtsgrundes die Darlegungs- und Beweislast trägt (vgl. BGHZ 128, 167 O NJW 1995, 662; NJW-RR 1992, 1214; NJW 1995, 727; Palandt/Sprau, BGB, 61. Aufl., § 812 Rn. 106).

Der Rechtsgrund ihrer Leistung fehlt nicht etwa deshalb, weil die Nettokaltmiete nunmehr seit dem 1. Oktober 1999 lediglich noch 15.584,70 DM betragen hätte. Denn dies ist nicht der Fall.

Da die Parteien sich auf eine entsprechende Mietzinsreduzierung nicht geeinigt haben und die Klägerin auch nicht behauptet, dass sich der Mietzins aufgrund der Veränderung des Lebenshaltungskostenindexes entsprechend der Regelung in § 5 Ziffer 3 des Vertrages vom 23. September 1992, in den die Parteien jeweils eingetreten sind, automatisch in dieser Weise verändert hat, kommt eine Mietzinsreduzierung allein dann in Betracht, wenn die Klägerin unter Heranziehung des Sachverständigengutachtens einseitig eine Mietzinsreduzierung durchsetzen konnte.

Dies ist aber nicht der Fall. Sie schließt dieses Recht aus § 5 Ziffer 2 in Verbindung mit § 5 Ziffer 4 Satz 4 bis 6 des Vertrages. Aus diesen Regelungen ergibt sich dies nicht.

Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass es sich bei dem Vertragswerk um von der Rechtsvorgängerin der Beklagten als Vermieter gestellte Allgemeine Geschäftsbedingungen handelt. Die vorgenommenen Streichungen sprechen zwar dafür, dass die Regelung des § 5 Gegenstand von Erörterungen, möglicherweise auch eines Verhandelns im Sinne des § 1 Absatz 2 AGBG a.F. gewesen ist. Dafür spricht letztlich auch, dass die Klägerin behauptet, zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses sei man allgemein davon ausgegangen, dass sich der ortsübliche Vergleichsmietzins und der Lebenshaltungskostenindex in Bezug auf Geschäftsräume in Berlin erheblich auseinander entwickeln würden. Denn dann bestand auch auf Seiten der Klägerin, die in erheblichem Maße selbst oder über ihre Tochtergesellschaften auf dem Immobilienmarkt aktiv war, ein besonderes Interesse daran, eine für sie günstige Regelung zu treffen. Die insoweit darlegungs- und beweispflichtigen Beklagten (vgl. BGHZ 83, 56, 58 = NJW 1982,1035; NJW 1998, 2600) tragen aber keine konkreten Tatsachen vor, die den Schluss zuließen, dass das gedruckte Klauselwerk inhaltlich an dieser Stelle zur Disposition stand. Allein die Streichungen führen nicht dazu, dass individuell ausgehandelte Regelungen vorliegen (BGHZ 98, 24, 28 = NJW 1986, 2428; NJW 1987, 2011), so dass weiterhin von Allgemeinen Geschäftsbedingungen ausgegangen werden muss.

Allgemeine Geschäftsbedingungen sind dabei objektiv, d.h. unter Verzicht auf Berücksichtigung aller individuell-konkreten Momente (vgl. Ulmer/Brandner/Hensen, AGBG, 9. Aufl., § 5 Rn. 13; Palandt/Heinrichs, BGB, 61. Aufl., § 5 AGBG Rn. 7; Dauner-Lieb/Hennrichs, Schuldrecht, § 306 Rn. 5), insbesondere unter Berücksichtigung ihres Wortlautes auszulegen (vgl. Ulmer/Brandner/Hensen, AGBG, 9. Aufl., § 5 Rn. 13). Für das Verständnis des Wortlauts ist auf die Sicht redlicher Vertragspartner unter Abwägung der Interessen der typischerweise an derartigen Rechtsgeschäften beteiligten Verkehrskreise abzustellen (vgl. BGHZ 84, 268, 272 = NJW 1982, 2776; 96, 182, 191 = NJW 1986, 424; 102, 384, 389f. = NJW 1988, 1261).

Unter Berücksichtigung dieses Maßstabs führt das von der Klägerin gewählte Vorgehen nicht zu einer Anpassung des Mietzinses. Bei der Auslegung der vorliegenden Klausel ist zwar von dem Wortlaut auszugehen. Dabei sind aber auch die gestrichenen Teile heranzuziehen, weil auch diese das Verständnis der verbliebenen Regelungen prägen. Danach stellt sich die Regelung in § 5 Ziffer 2 des Vertrages tatsächlich als Obersatz für die folgenden Regelungen in § 5 Ziffer 3 und Ziffer 4 dar. Denn diese Absätze behandeln sich ausschließende Vertragssituationen, die von der Laufzeit des Vertrages abhängig sind. Für eine dritte Regelung ist dann aber kein Platz. Dass die Regelung in § 5 Ziffer 2 des Vertrages eine zusätzliche Erhöhungsmöglichkeit eröffnen sollte, ist nicht ersichtlich. Insoweit fehlt es schon an einer Regelung, wie sich diese Erhöhungsmöglichkeit gegenüber den Erhöhungsmöglichkeiten nach § 5 Ziffer 3 und 4 verhalten sollte. Dann aber reduziert sich der beibehaltene Teil der Ziffer 4 auf eine einfache Schiedsklausel, weil sie selbst den Vorgang der Mietanpassung nicht regelt. Dieser Auslegung steht auch nicht der Hinweis der Klägerin entgegen, die Mietanpassung nach § 5 Ziffer 3 des Vertrages führe nicht zu einer ortsüblichen Miete. Nach dem Wortlaut soll die Anpassung gar nicht zu einer ortsüblichen Miete führen, sondern nur an diese heranführen, so dass auch ein Zurückbleiben hinter dem Marktzins von ihr als Anpassung angesehen wird. Ein zwingend anderes Verständnis dieser Klausel hat die Klägerin nicht aufgezeigt. Dass die Anpassung der Mieten mit Hilfe eines Indexes über die Lebenshaltungskosten durchaus zu üblichen Mieten führen kann, hat auch der Gesetzgeber angenommen. Denn nach § 558 d BGB kann ein sog. qualifizierter Mietspiegel, dem besondere Beweiswirkungen zukommen, vgl. § 558 d Absatz 3 BGB, mit Hilfe des Preisindexes für die Lebenshaltung der privaten Haushalte in Deutschland fortgeschrieben werden. Diese entspricht der Regelung in § 5 Ziffer 3 des Vertrages, so dass auch bei einer objektiven Auslegung davon ausgegangen werden muss, dass die Regelung in § 5 Ziffer 2 des Vertrages nicht selbst die Anpassung der Vertragsmiete regelt.

Entgegen der Auffassung der Klägerin sind die Regelungen in § 5 des Vertrages auch nicht aufgrund des § 5 AGBG a.F. in der von ihr aufgezeigten Weise zu verstehen. Die Unklarheitenregelung nach § 5 AGBG a.F. findet zwar auch unter Unternehmen Anwendung (vgl. Ulmer/Brandner/Hensen, AGBG, 9. Aufl., § 5 Rn. 44). Die Anwendung der Vorschrift setzt aber mehrere mögliche Auslegungen voraus (vgl. Ulmer/Brandner/Hensen, AGBG, 9. Aufl., § 5 Rn. 82), wobei nach vernünftiger Auslegung aus der Sicht der typischer Weise beteiligten Verkehrskreise relevante Zweifel am Aussagegehalt der Klausel verbleiben müssen (vgl. BGHZ 93, 252, 261 = NJW 1984, 2161; 112, 65, 68 = NJW-RR 1991, 179; Ulmer/Brandner/Hensen, AGBG, 9. Aufl., § 5 Rn. 26). Dies ist hier aber - wie sich aus dem Vorstehenden ergibt - nicht der Fall.

B. Die Klägerin kann auch nicht die Erstattung der hälftigen Gutachterkosten verlangen. Eine entsprechende Kostenerstattung ist zwar in § 5 Absatz 4 S. 6 des Vertrages vorgesehen. Die Voraussetzungen der Regelung liegen aber nicht vor. Die Klägerin hat das Gutachten nicht zur Ermittlung der nach § 5 Absatz 3 des Vertrages geltenden Miete eingesetzt.

C. Mit der Hauptforderungen entfällt der Anspruch auf die Zinsen.

D. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Absatz 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 10, 711 Satz 1 ZPO.

E. Revisionszulassungsgründe sind von den Parteien nicht aufgezeigt worden und auch sonst nicht ersichtlich. Dass das verwandte Vertragsformular überhaupt in anderen Bundesländern eingesetzt wird, ist ebenso wenig ersichtlich, wie erkennbar ist, dass die entsprechenden Streichungen in mehr als einem Fall vorgenommen worden sind.

Ende der Entscheidung

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