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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 07.06.2007
Aktenzeichen: 8 U 179/06
Rechtsgebiete: Berl. StrReinG


Vorschriften:

Berl. StrReinG § 1 Abs. 1
Berl. StrReinG § 5 Abs. 1
Berl. StrReinG § 5 Abs. 1 Satz 3
Berl. StrReinG § 5 Abs. 1 Satz 2
Bei den gemäß § 1 Abs. 1 Berl. StrReinG der Straßenreinigungspflicht unterliegenden Privatstraßen des öffentlichen Verkehrs handelt es sich nicht um Zufahrten im Sinne von § 5 Abs. 1 Berl. StrReinG. Eigentümer oder sonstige im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 3 Berl. StrReinG Berechtigte von Grundstücken, die an eine Privatstraße des öffentlichen Verkehrs, nicht aber an eine öffentliche Straße angrenzen, sind keine Hinterlieger im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 2 Berl. StrReinG.
Kammergericht

Im Namen des Volkes

Geschäftsnummer: 8 U 179/06

verkündet am: 07.06.2007

In dem Rechtsstreit

hat der 8. Zivilsenat des Kammergerichts auf die mündliche Verhandlung vom 7. Juni 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Bieber, die Richterin am Kammergericht Dr. Henkel und die Richterin am Kammergericht Spiegel

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Kläger wird das am 19. September 2006 verkündete Urteil der Zivilkammer 13 des Landgerichts Berlin abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an den

Kläger zu 1. 110,76 €, Kläger zu 2. 135,48 €, Kläger zu 3. 106,64 €, Kläger zu 4. 100,56 €, Kläger zu 5. 100,08 €, Kläger zu 6. 97,76 €, Kläger zu 7. 97,88 €, Kläger zu 8. 101,04 €, Kläger zu 9. 100,32 €, Kläger zu 10. 100,20 €, Kläger zu 11. 97,76 €, Kläger zu 12. 100,32 €, Kläger zu 13. 97,88 €, Kläger zu 14. 100,68 €, Kläger zu 15. 101,16 €, Kläger zu 16. 103,48 €, Kläger zu 17. 100,20 €, Kläger zu 18. 100,44 €, Kläger zu 19. 100,20 €, Kläger zu 20. 109,56 €, Kläger zu 21. 102,16 €, Kläger zu 22. 100,80 €, Kläger zu 23. 103,00 €, Kläger zu 24. 100,08 €, Kläger zu 25. 103,48 €, Kläger zu 26. 99,24 €, Kläger zu 27. 101,76 €, Kläger zu 28. 99,48 €, Kläger zu 29. 98,88 €, Kläger zu 30. 99,36 €, Kläger zu 31. 125,60 €, Kläger zu 32. 99,48 €, Kläger zu 33. 99,24 €, Kläger zu 34. 99,00 €, Kläger zu 35. 112,84 €, Kläger zu 36. 98,12 €, Kläger zu 37. 98,72 €, Kläger zu 38. 101,78 €, Kläger zu 39. 98,00 €, Kläger zu 40. 104,32 €, Kläger zu 41. 98,36 €, Kläger zu 42. 107,48 €, Kläger zu 43. 99,00 €, Kläger zu 44. 103,40 €, Kläger zu 45. 99,12 €, Kläger zu 46. 110,40 €, Kläger zu 47. 100,68 €, Kläger zu 48. 123,20 €, Kläger zu 49. 134,24 €, Kläger zu 50. 97,88 €, Kläger zu 51. 106,64 €, Kläger zu 52. 97,76 €, Kläger zu 53. 105,44 €, Kläger zu 54. 98,12 €, Kläger zu 55. 98,88 €, Kläger zu 56. 109,32 €, Kläger zu 57. 98,12 €, Kläger zu 58. 109,44 €, Kläger zu 59. 98,12 €, Kläger zu 60. 110,64 €, Kläger zu 61. 98,48 €, Kläger zu 62. 117,60 €, Kläger zu 63. 98,60 €, Kläger zu 64. 99,24 €, Kläger zu 65. 124,40 €, Kläger zu 66. 100,68 €, Kläger zu 67. 103,72 €, Kläger zu 68. 101,16 €, Kläger zu 69. 102,88 €, Kläger zu 70. 101,16 €, Kläger zu 71. 100,56 €, Kläger zu 72. 100,32 €, Kläger zu 73. 100,56 €, Kläger zu 74. 100,56 €, Kläger zu 75. 100,56 €, Kläger zu 76. 99,96 €, Kläger zu 77. 110,16 €, Kläger zu 78. 134,36 €, Kläger zu 79. 127,44 €, Kläger zu 80. 119,52 €, Kläger zu 81. 112,00 €, Kläger zu 82. 101,92 €, Kläger zu 83. 99,48 €, Kläger zu 84. 101,16 €. Kläger zu 85. 98,48 €, Kläger zu 86. 99,84 €, Kläger zu 87. 98,24 €, Kläger zu 88. 102,52 €, Kläger zu 89. 98,72 €, Kläger zu 90. 98,12 €, Kläger zu 91. 105,20 €, Kläger zu 92. 104,32 €, Kläger zu 93. 99,72 €, Kläger zu 94. 100,92 €, Kläger zu 95. 102,76 €, Kläger zu 96. 121,60 €, Kläger zu 97. 98,00 €, Kläger zu 98. 98,00 €, Kläger zu 99. 98,00 €, Kläger zu 100. 110,88 €, Kläger zu 101. 104,96 €, Kläger zu 102. 98,00 €, Kläger zu 103. 97,76 €, Kläger zu 104. 98,00 €, Kläger zu 105. 97,88 €, Kläger zu 106. 97,28 €, Kläger zu 107. 101,28 €, Kläger zu 108. 102,04 €, Kläger zu 109. 102,16 €, Kläger zu 110. 102,40 €, Kläger zu 111. 101,64 €, Kläger zu 112. 102,16 €, Kläger zu 113. 106,40 €, Kläger zu 114. 101,76 €, Kläger zu 115. 101,04 €, Kläger zu 116. 98,60 €, Kläger zu 117. 98,36 €, Kläger zu 118. 100,56 €, Kläger zu 119. 98,36 €, Kläger zu 120. 100,20 €, Kläger zu 121. 98,24 €, Kläger zu 122. 98,60 €, Kläger zu 123. 97,76 €, Kläger zu 124. 99,00 €, Kläger zu 125. 97,76 €, Kläger zu 126. 99,12 €, Kläger zu 127. 99,96 €, Kläger zu 128. 97,76 €, Kläger zu 129. 97,76 €, Kläger zu 130. 97,76 €, Kläger zu 131. 99,00 €, Kläger zu 132. 97,76 €, Kläger zu 133. 98,48 €, Kläger zu 134. 98,72 €, Kläger zu 135. 97,64 €, Kläger zu 136. 97,76 €, Kläger zu 137. 99,24 €, Kläger zu 138. 99,72 €, Kläger zu 139. 97,64 €, Kläger zu 140. 100,20 €, Kläger zu 141. 97,76 €, Kläger zu 142. 97,76 €, Kläger zu 143. 99,60 €, Kläger zu 144. 97,76 €, Kläger zu 145. 100,56 €, Kläger zu 146. 97,76 €, Kläger zu 147. 99,96 €, Kläger zu 148. 103,12 €

jeweils nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz jährlich seit dem 17. Januar 2006 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

I.

Die Berufung der Kläger richtet sich gegen das am 19. September 2006 verkündete Urteil der Zivilkammer 13 des Landgerichts Berlin, auf dessen Tatbestand und Entscheidungsgründe Bezug genommen wird.

Die Kläger tragen zur Begründung der Berufung vor:

Sie, die Kläger, seien nicht Hinterlieger einer im Straßenverzeichnis A oder B aufgeführten Straße, da sie an einer Privatstraße mit dem Charakter einer selbständigen Erschließungsanlage angrenzten.

Die Kläger beantragen,

das am 19. September 2006 verkündete Urteil der Zivilkammer 13 des Landgerichts Berlin abzuändern und die Beklagte, wie in erster Instanz beantragt, zu verurteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend und trägt ergänzend vor:

Auch eine Privatstraße des öffentlichen Verkehrs komme als Zufahrt i.S. von § 7 Abs. 2 StrReinG in Betracht.

II.

Die Berufung der Kläger ist zulässig. Insbesondere übersteigt der Wert des Beschwerdegegenstandes sechshundert Euro (§ 511 Abs. 2 Ziffer 1 ZPO), da bei Streitgenossen die Beschwer gemäß § 5 ZPO zusammengerechnet wird, soweit - wie hier keine wirtschaftliche Identität der Ansprüche (Gesamtschuldnerschaft) vorliegt (Zöller ZPO, 25. Auflage, § 511, Rdnr. 25; LG Köln, VersR 1989, 1160; RGZ 161, 350).

Die Berufung der Kläger ist auch begründet.

Die Kläger haben gegen die Beklagte gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1, 1. Variante BGB einen Anspruch auf Rückzahlung der für das Jahr 2005 unter Vorbehalt gezahlten Straßenreinigungsentgelte.

Die Beklagte hat die für das Jahr 2005 den Klägern jeweils in Rechnung gestellten Entgelte ohne Rechtsgrund erlangt. Die Kläger sind nicht gemäß § 7 Abs. 2 StrReinG zur Zahlung des von der Beklagten in Rechnung gestellten Entgelts verpflichtet, da sie weder Anlieger noch Hinterlieger einer im Straßenreinigungsverzeichnis A oder B aufgeführten öffentlichen Straße sind.

Anlieger sind gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 StrReinG die Eigentümer der an eine öffentliche Straße angrenzenden Grundstücke.

Die Kläger sind Anlieger von im privaten Eigentum des Landes Berlin befindlichen Privatstraßen des öffentlichen Verkehrs im Sinne von § 1 Abs. 1 StrReinG und damit nicht Anlieger einer öffentlichen Straße.

Der Begriff der öffentlichen Straße ist zum Zwecke der Definition des Anliegers sowie des Hinterliegers in § 5 Abs. 1 StrReinG durch Art. I Nr. 4 Buchstabe b des Gesetzes vom 30. Juni 1988, GVBl. S. 977 neu eingeführt worden. Vor der Änderung waren Anlieger gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 StrReinG als die Eigentümer der an eine Straße angrenzenden Grundstücke definiert. Gemäß § 5 Abs. 2 StReinG a.F. grenzte ein Grundstück an eine Straße, wenn es an Bestandteile einer Straße im Sinne des § 2 Nr. 1 des Berliner Straßengesetzes heranreicht. Gemäß § 2 Abs. 1 des StReinG sind öffentliche Straßen im Sinne dieses Gesetzes alle Straßen, Wege und Plätze, die dem öffentlichen Verkehr gewidmet sind.

Wie aus der Vorlage zur Beschlussfassung über das dritte Gesetz zur Änderung des Straßenreinigungsgesetzes - Drucksache 10/1742 - unter A b) zu § 5 ersichtlich, wurde der bisherige Hinweis in Absatz 2 auf das BerlStrG gestrichen, denn "was zu einer öffentlichen Straße gehört, wird bereits in § 2 Abs. 2 des Berliner Straßengesetzes (BerlStrG) geregelt. Hiernach gehören zu einer öffentlichen Straße u.a. Brücken, Tunnel, Durchlässe, Dämme, Gräben, Fahrbahnen, Gehwege, Radwege, Parkflächen einschließlich Parkhäuser und Schutzstreifen....".

Der Gesetzgeber hat zwar mit Einführung des neuen § 5 Abs. 1 StrReinG auf einen ausdrücklichen Verweis auf § 2 Abs. 1 StrG verzichtet. Gleichwohl wird davon auszugehen sein, dass der im StrReinG verwandte Begriff der öffentlichen Straße entsprechend der in § 2 Abs. 1 StrG enthaltenen Definition solche Straßen, Wege und Plätze umfasst, die dem öffentlichen Verkehr gewidmet sind.

Der Begriff der Privatstraße des öffentlichen Verkehrs ist bis zur Änderung durch Art. I Nr. 1 des Gesetzes vom 14. Dezember 2005, GVBl S. 754 in § 1 Abs. 2 StrG definiert worden. Danach sind Privatstraßen des öffentlichen Verkehrs Privatstraßen, auf denen öffentlicher Verkehr stattfindet oder zu erwarten ist, dass auf ihnen öffentlicher Verkehr stattfinden wird.

Mit der Neufassung des StrG ist § 1 Abs. 2 StrG gestrichen worden, d.h. das StrG enthält keine Definition der Privatstraße des öffentlichen Verkehrs mehr. Der Meinung von Thärichen (Anlieger von Privatstraßen sollen Straßenreinigungsentgelte zahlen, GE 2005, 112), der Begriff der "Privatstraßen des öffentlichen Verkehrs" sei überholt, kann gleichwohl nicht gefolgt werden. Der Gesetzgeber hat die Streichung von § 1 Abs.2 StrG damit begründet, dass es an Privatstraßen lediglich Aufgaben der Straßenverkehrs- und Ordnungsbehörden, nicht aber der Straßenbaubehörden gebe und es deshalb vollkommen ausreiche, wenn das Straßenrecht Regelungen über die öffentlichen Straße enthalte (Abg.Drs. 13/3641, S.9). Das heißt, die Unterscheidung zwischen Privatstraßen und Privatstraßen des öffentlichen Verkehrs ist nicht - wie Thärichen meint - generell für die Praxis bedeutungslos, sondern lediglich im Bereich des - hier nicht interessierenden - Straßenbaurechts. Dabei ist der Gesetzgeber bei der Neuregelung des StrG aber selbst nicht ganz konsequent geblieben, denn jedenfalls in § 17 StrG n.F. findet der Begriff der privaten Straße, die dem öffentlichen Verkehr dient, nach wie vor Verwendung. Gemäß § 17 Abs.1 StrG n.F. sind bei vorübergehenden Verkehrsbeschränkungen öffentlicher Straßen die Eigentümer und Verfügungsberechtigten privater Straßen, Wege und Plätze, die dem öffentlichen Verkehr dienen, auf schriftliche Anordnung der Straßenbaubehörde zur Duldung der Umleitung verpflichtet, soweit eine andere Verkehrsführung nicht zweckmäßig ist.

Dass der Begriff der "Privatstraßen des öffentlichen Verkehrs" entgegen Thärichen nicht überholt ist, zeigt sich insbesondere auch an den im StrReinG enthaltenen Regelungen.

Gemäß § 1 Abs.1 StrReinG sind nicht nur die Oberflächen und Einflussöffnungen der Entwässerung von öffentlichen Straßen in der Baulast des Landes Berlin sondern auch Privatstraßen des öffentlichen Verkehrs, soweit sie sich innerhalb einer geschlossenen Ortslage befinden oder überwiegend dem inneren Verkehr dienen, nach den Erfordernissen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu reinigen. Privatstraßen des öffentlichen Verkehrs, oder auch "tatsächlich-öffentliche Straßen" (Kodal/Krämer, Straßenrecht, 6. Auflage, Rdnr.15 ff), unterscheiden sich in der Nutzung nicht von den öffentlichen Straßen in der Baulast des Landes Berlin. Sie unterliegen ebenso wie diese der öffentlichen Nutzung. Die tatsächliche Öffentlichkeit hat u.a. auch die Unterwerfung des Verkehrs auf dieser "tatsächlich-öffentlichen Straße" unter das Straßenverkehrsrecht (StVZO, StVO) zur Folge (Kodal/Krämer, a.a.O., 16 ff). Zwangsläufig unterliegen diese "tatsächlich-öffentlichen Straßen" ebenso wie die öffentlichen Straßen in der Baulast des Landes Berlin der Verschmutzung wegen der Nutzung durch die Öffentlichkeit. Dementsprechend hat der Gesetzgeber die Notwendigkeit gesehen, die ordnungsgemäße Reinigung dieser tatsächlich-öffentlichen Straßen zu regeln und in § 4 Abs.2 StReinG festgelegt, dass zur ordnungsgemäßen Reinigung der Privatstraßen des öffentlichen Verkehrs deren Eigentümer verpflichtet sind. Hierbei handelt es sich entgegen der Auffassung von Thärichen (a.a.O.) nicht nur um eine deklaratorische Regelung, denn die Verpflichtung, die tatsächlich-öffentlichen Straßen nach den Erfordernissen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu reinigen, geht weit über das hinaus, was den Eigentümern derartiger Straßen entsprechend ihrer privatrechtlichen Verkehrssicherungspflicht obliegt. Die Verkehrssicherungspflicht beruht auf dem aus § 823 BGB und § 836 BGB abzuleitenden Rechtsgrundsatz, dass der derjenige, der in seinem Verantwortungsbereich eine Gefahrenlage schafft oder andauern lässt, auch verpflichtet ist, die ihm zumutbaren Maßnahmen zu treffen, um Gefahren, die Dritten daraus drohen, abzuwenden (Wiesinger/Markuske, Straßenrecht, 2003, 259). Demgegenüber folgt die in dem StrReinG normierte Pflicht zur Straßenreinigung aus dem Gesichtspunkt der allgemeinen Sicherheit und Ordnung. Die Verpflichtung zur Straßenreinigung hat nicht nur den Zweck der Gefahrenabwehr, sondern soll auch der Daseinsvorsorge, der Wirtschaftsförderung sowie Sicherheit und Bequemlichkeit der Bürger dienen (Wichmann, Straßenreinigung und Winterdienst in der kommunalen Praxis, 5. Auflage, S.40).

Die Kläger sind auch nicht Hinterlieger einer öffentlichen Straße.

Gemäß § 5 Abs.1 Satz 2 StrReinG sind Hinterlieger die Eigentümer solcher Grundstücke, die nicht an eine öffentliche Straße angrenzen, jedoch von einer öffentlichen Straße aus eine Zufahrt oder einen Zugang haben.

Was unter einer Zufahrt zu verstehen ist, wird weder in § 8 a Abs.1 FStrG, noch in den Straßengesetzen der Länder näher definiert (Wiesinger/Markuske, a.a.O., S. 251). Nach Wahrig (Brockhaus Wahrig, Deutsches Wörterbuch, 1984) ist unter Zufahrt eine "Straße, Weg, der zu etwas hinführt, auf dem man mit einem Fahrzeug bis zu einem Ort fahren kann" zu verstehen.

Fraglich ist, ob wie die Beklagte meint, auch eine Privatstraße des öffentlichen Verkehrs eine Zufahrt zu einer öffentlichen Straße i.S. von § 5 Abs.1 Satz 2 StReinG sein kann.

Bei der Auslegung eines Gesetzes ist nach dem Rechtsgedanken des § 133 BGB nicht am buchstäblichen Ausdruck zu haften, sondern auf den Sinn der Norm abzustellen. Es ist davon auszugehen, dass das Gesetz eine zweckmäßige, vernünftige und gerechte Regelung treffen will (Palandt/Heinrichs, BGB, 66. Auflage, Einleitung, Rdnr.40).

§§ 5 Abs.1, 7 Abs.1, Abs.2 StrReinG sind durch das vierte Gesetz zur Änderung des Straßenreinigungsgesetz vom 30. Juni 1988 (GVBl , S.977) neu gefasst worden. Ziel dieser Änderung war es, die Last der Straßenreinigung gerechter zu verteilen. Bis zur Neufassung waren lediglich Anlieger von öffentlichen Straßen zur Zahlung eines Straßenreinigungsentgeltes verpflichtet. Durch die Neufassung des StrReinG sollte erreicht werden, dass die Kosten die durch die Reinigung öffentlicher Straßen entstehen, nicht nur von den unmittelbaren Anliegern zu tragen sind, sondern auch von den Hinterliegern, die -ebenso wie die Anlieger - unmittelbar von der Reinigung der öffentlichen Straße profitieren, weil ihnen durch die öffentliche Straße überhaupt erst die Teilnahme am öffentlichen Verkehr ermöglicht wird. Der Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin hat in seiner Entscheidung vom 13. Juni 2003 (GE 2003, 1076) ausgeführt, dass es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei, dass nach § 7 Abs.2 Satz 1 StrReinG die Straßenreinigungsentgelte sowohl von den Eigentümern anliegender als auch den Eigentümern hinterliegender Grundstücke in gleicher Höhe zu entrichten seien. Es verstoße nicht gegen den Gleichheitssatz, neben den Eigentümern anliegender Grundstücke auch die Eigentümer hinterliegender, im Sinne des Straßenreinigungsrechts erschlossener Grundstücke heranzuziehen, also anliegende und sonstige erschlossene Grundstücke dem Grunde nach gleich zu behandeln.

Berücksichtigt man den Willen des Gesetzgebers, durch die Änderung des Straßenreinigungsgesetzes für mehr Gerechtigkeit bei der Verteilung der Kosten der gemäß § 1 StrReinG erforderlichen ordnungsgemäße Reinigung zu sorgen, kann § 5 Abs.1 StrReinG nur dahin gehend ausgelegt werden, dass Anlieger von Privatstraßen des öffentlichen Verkehrs weder Anlieger noch Hinterlieger einer öffentlichen Straße sind. Sie liegen an einer Straße, die tatsächlich-öffentlich genutzt wird. Bei dieser tatsächlich öffentlichen Straße handelt es sich nicht um eine Zufahrt i.S.v. § 5 Abs.1 StrReinG, denn den Anliegern von Privatstraßen des öffentlichen Verkehrs wird die Teilnahme am öffentlichen Verkehr nicht erst durch die öffentliche Straße, sondern bereits durch die tatsächlich-öffentliche Straße, an der sie direkt anliegen, ermöglicht. Aufgrund dieser tatsächlich-öffentlichen Nutzung sind die Anlieger von privaten Straßen des öffentlichen Verkehrs auch seit jeher, nämlich seit Bestehen des Straßenreinigungsgesetzes vom 19. Dezember 1978 gemäß § 4 Abs.2 StrReinG zur ordnungsgemäßen Reinigung dieser Straße verpflichtet. Diese Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Reinigung geht - wie bereits dargelegt - über die Verpflichtungen hinaus, die den Eigentümern der Privatstraßen des öffentlichen Verkehrs aufgrund ihrer privaten Verkehrssicherungspflicht obliegen.

Hätten die Eigentümer von Privatstraßen des öffentlichen Verkehrs über die ihnen auferlegte öffentlichrechtliche Verpflichtung zur Reinigung der tatsächlich-öffentlichen Straße hinaus die Verpflichtung zur Zahlung eines Entgelts für die Reinigung einer öffentlichen Straße, würde dies darüber hinaus gegen das in Art 3 GG verankerte Gleichheitsgebot verstoßen, da sie zum einen willkürlich doppelt belastet werden würden (vgl. hierzu OVG NW, NWVBL 5/1991, 156) und zudem im Verhältnis zu den Anliegern solcher Straßen, die im Straßenverzeichnis C aufgeführt sind, in nicht zu rechtfertigender Weise mehr belastet werden würden. Nach dem Grundsatz der verfassungskonformen Auslegung (Palandt/Heinrichs, a.a.O., Einleitung, Rdnr.42) hat von mehreren Auslegungsmöglichkeiten diejenige den Vorrang, bei der die Rechtsnorm mit der Verfassung im Einklang steht.

Legte man §§ 5 Abs.1, 7 Abs.2 StrReinG dahingehend aus, dass die Eigentümer von Privatstraßen des öffentlichen Verkehrs als Hinterlieger öffentlicher Straßen zur Zahlung eines Straßenreinigungsentgelts verpflichtet sind, würden diese in einer gegen das Gleichheitsgebot verstoßenden Weise willkürlich doppelt belastet, da sie nicht nur aufgrund öffentlich-rechtlicher Verpflichtung für die Beseitigung des auf der "tatsächlich-öffentlichen Straße" durch öffentlichen Verkehr entstehenden Schmutzes zu sorgen hätten, sondern darüber hinaus auch die Kosten für die Reinigung der nächstgelegenen öffentlichen Straße in der Baulast des Landes Berlin zu tragen hätten (OVG NW a.a.O.).

Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der Eigentümer im vorliegenden Fall die Verpflichtung zur Straßenreinigung vertraglich auf die Kläger als die Erbbauberechtigten übertragen hat. Das Argument des Landgerichts in der angefochtenen Entscheidung, die Kläger hätten ihre Doppelbelastung letztlich selbst verschuldet, greift nicht. Dass der Eigentümer sich seiner Verpflichtung zur Straßenreinigung vorliegend durch individualvertragliche Regelung entledigt hat, hat bei der verfassungskonformen Auslegung des Gesetzes unberücksichtigt zu bleiben. Entscheidend ist letztlich, dass dem Eigentümer des Grundstückes gemäß § 4 Abs.2 StrReinG die ordnungsgemäße Reinigung der Privatstraße des öffentlichen Verkehrs obliegt und dass er, sofern die Privatstraße des öffentlichen Verkehrs zugleich als Zufahrt zu einer öffentlichen Straße gewertet werden würde, zugleich auch für die Kosten der Reinigung der öffentlichen Straße durch Zahlung eines Entgelts aufkommen müsste und damit in unzulässiger Weise doppelt belastet werden würde. Ob er sich durch geschicktes Vertragsverhalten dieser doppelten Belastung wieder entledigt, hat auf die Frage, ob das der Doppelbelastung zugrunde liegende Gesetz verfassungsgemäß ist, keine Auswirkung.

Legte man §§ 5 Abs.1, 7 Abs.2 StrReinG dahingehend aus, dass die Eigentümer von Privatstraßen des öffentlichen Verkehrs als Hinterlieger öffentlicher Straßen zur Zahlung eines Straßenreinigungsentgelts verpflichtet sind, würden diese im Verhältnis zu den Anliegern solcher Straßen, die im Straßenverzeichnis C aufgeführt sind, in nicht zu rechtfertigender Weise mehr belastet werden.

Die Eigentümer der "tatsächlich-öffentlichen Straßen" sind Anliegern solcher öffentlichen Straßen, die im Straßenverzeichnis C aufgeführt sind, insofern gleichgestellt, als beide, nämlich sowohl die tatsächlich-öffentliche Straße, als auch die im Straßenverzeichnis C aufgeführte öffentliche Straße nicht von der Beklagten gereinigt werden. Die Reinigung der der tatsächlich öffentlichen Straße obliegt gemäß § 4 Abs.2 StrReinG deren Eigentümer und die Reinigung der im Straßenverzeichnis C aufgeführten Straße bis zur Straßenmitte obliegt gemäß § 4 Abs.1 Satz 2 StrReinG den Anliegern dieser Straßen.

Zur Zahlung eines Straßenreinigungsentgeltes sind gemäß § 7 Abs.2 nur die Anlieger und Hinterlieger von Straßen, die in den Straßenreinigungsverzeichnissen A und B aufgeführt sind, nicht aber die Anlieger und Hinterlieger von Straßen, die im Straßenreinigungsverzeichnis C aufgeführt sind, verpflichtet. Es sind keine vernünftigen Gründe dafür ersichtlich, weshalb die Eigentümer von Privatstraßen des öffentlichen Verkehrs anders als die Anlieger von Straßen, die im Straßenreinigungsverzeichnis C aufgeführt sind, über die ihnen öffentlich-rechtlich auferlegte Verpflichtung zur Straßenreinigung hinaus, zudem auch noch zur Zahlung eines Entgelts für die Reinigung einer öffentlichen Straße herangezogen werden sollen. Die Grenze, die der Gestaltung von Abgabentatbeständen durch den Gleichheitssatz des Artikel 3 Abs.1 GG gesetzt ist, wird dort überschritten, "wo die gleiche oder ungleiche Behandlung von Sachverhalten nicht mehr mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise vereinbar ist, wo also ein einleuchtender Grund für die Gleichbehandlung oder Ungleichbehandlung fehlt und diese daher willkürlich wäre (BVerwG, NJW 1981, 2314). Die Ungleichbehandlung wird auch nicht dadurch gerechtfertigt, dass die Zulassung des öffentlichen Verkehrs auf der Privatstraße des öffentlichen Verkehrs auf dem Willen des Eigentümers beruht (Kodal/Krämer, a.a.O., 15.2), der Eigentümer sich seiner Verpflichtung zur Straßenreinigung also dadurch entledigen könnte, dass er den öffentlichen Verkehr auf der Privatstraße unterbindet. Der letztlich dahinter stehende Gedanke, dass der Eigentümer einer Privatstraße selbst Schuld hat, wenn er seine Privatstraße dem öffentlichen Verkehr eröffnet und dadurch der Straßenreinigungspflicht unterliegt, trägt nicht. Jedenfalls so lange der Eigentümer einer Privatstraße diese für den öffentlichen Verkehr freigibt und diese tatsächlich auch öffentlich genutzt wird, steht diese Straße in ihrer Funktion und Nutzung einer öffentlichen Straße, die im Straßenverzeichnis der Klasse C verzeichnet ist, gleich. Es sind keine vernünftigen Gründe ersichtlich, weshalb Gleiches ungleich behandelt werden sollte.

An den Ausführungen in dem Einzelrichterurteil des Senats vom 23. Oktober 2003 - 8 U 76/03 - hält der Senat nicht fest.

Die Zinsentscheidung beruht auf §§ 288 Abs.1, 291 BGB.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Absatz 1 ZPO. Die weiteren prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision wird zugelassen. Gegen die Zulassung der Revision spricht zwar der eindeutige Wortlaut des § 545 Abs. 1ZPO, wonach die Revision nur darauf gestützt werden kann, dass die Entscheidung auf der Verletzung des Bundesrechts oder einer Vorschrift beruht, deren Geltungsbereich sich über den Bezirk eines Oberlandesgerichts hinaus erstreckt. Der Geltungsbereich des Berliner Straßenreinigungsgesetzes erstreckt sich, was die hier streitige Definition der Hinterliegereigenschaft betrifft, nicht über den Bezirk des Kammergerichts hinaus. Da aber nicht ausgeschlossen ist, dass der Begriff des Oberlandesgerichts seit der Eröffnung der Revision auch die Urteile des Landgerichts durch die Zivilprozessnovelle 2002 als Synonym für den Begriff des Berufungsgerichts zu verstehen ist (vgl. zu diesem Gedanken BGHZ 163, 321) war die Revision im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der im Land Berlin mit Berufungsverfahren befassten Gerichte zuzulassen.



Ende der Entscheidung

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