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Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 05.12.2005
Aktenzeichen: 8 U 207/05
Rechtsgebiete: ZPO, GVG
Vorschriften:
ZPO § 522 Abs. 1 | |
ZPO § 233 | |
GVG § 119 Abs. 1 Ziff. 1 b) |
Entscheidung wurde am 31.01.2006 korrigiert: ein amtlicher Leitsatz wurde hinzugefügt
Kammergericht Beschluss
Geschäftsnummer: 8 U 207/05
05.12.2005
In dem Rechtsstreit
Tenor:
1. Der Antrag der Beklagten vom 31. Oktober 2005 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
2. Die Berufung der Beklagten gegen das am 25.8.2005 verkündete Urteil der Abteilung 9 des Amtsgerichts Charlottenburg - 9 C 480/03 - wird auf ihre Kosten als unzulässig verworfen.
3. Der Gebührenstreitwert für das Berufungsverfahren wird auf 1.015,92 EUR festgesetzt.
Gründe:
Die Berufung war nach § 522 Abs. 1 ZPO als unzulässig zu verwerfen, da sie nicht innerhalb der Berufungsfrist beim Kammergericht eingelegt worden ist. Die Berufungsfrist endete am 30. 9. 2005; die Berufung ist beim Kammergericht erst am 31. 10. 2005 und damit verspätet eingegangen.
Die Voraussetzungen für die Bewilligung der Wiedereinsetzung gegen die versäumte Berufungsfrist nach § 233 ZPO liegen nicht vor, da die Versäumung der Frist allein auf dem Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Beklagten beruht, der die Bestimmung des § 119 Abs. 1 Ziff. 1 b) GVG übersehen hat. Die Beklagten können sich auch nicht darauf berufen, dass die Berufung bereits am 16. 9. 2005 und damit zwei Wochen vor Ablauf der Berufungsfrist beim - unzuständigen - Landgericht eingegangen ist. Zwar kann das - unzuständige - Gericht unter dem Gesichtspunkt des Anspruchs der Partei auf ein faires Verfahren verpflichtet sein, von sich aus fristgebundene Schriftsätze an das zuständige Gericht weiterzuleiten (BVerfG, Beschl. v. 3. 1. 2001 - 1 BvR 2147/00, NJW 2001, 1343). Dies kann aber nur dann gelten, wenn das zunächst angegangene Gericht seine Unzuständigkeit auch erkennen musste. Der Senat bezieht sich insoweit auf die Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 7. 2. 2003 - 14 U 216/02, ProzRB 2003, 215, in der es zu einem gleichgelagerten Fall u. a. wie folgt heißt:
"Der Kläger kann sich nicht darauf berufen, dass das Landgericht eine Berufung innerhalb der Berufungsfrist an das zuständige Oberlandesgericht hätte weiterleiten müssen und daher die Fristversäumung nicht in seinen Verantwortungsbereich falle. Zwar kann es die aus dem Gebot eines fairen Verfahrens folgende Fürsorgepflicht gegenüber den Prozessparteien gebieten, Schriftsätze an das zuständige Gericht weiterzuleiten. In diesem Sinne hat das Bundesverfassungsgericht das Gericht, das im vorangegangenen Rechtszug mit der Sache befasst war, zur Weiterleitung fehlerhaft bei ihm eingereichter Rechtsmittelschriften für verpflichtet erachtet, weil diesem Gericht die Zuständigkeit für das Rechtsmittel gegen seine eigene Entscheidung bekannt sei und daher die Ermittlung des richtigen Adressaten keinen besonderen Aufwand verursache ( BVerfGE 93, 99 , 114 f.).
Vorliegend ist die Berufung indessen nicht bei dem erstinstanzlichen Gericht, sondern bei dem bislang mit der Sache nicht befassten Landgericht eingelegt worden. Schon aus diesem Grund kann sich der Kläger für seine Auffassung nicht auf die von ihm zitierte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts stützen. Ein jedes Gericht für verpflichtet zu halten, bei ihm eingegangene Rechtsmittelschriftsätze umgehend darauf hin zu prüfen, ob möglicherweise die Zuständigkeit eines anderen Gerichts gegeben ist, und sodann alsbald Maßnahmen zur Weiterleitung zu ergreifen, würde eine Überspannung der Fürsorgepflicht bedeuten (vgl. auch BGH, NJW 1972, 684 ; VersR 1987, 48 , 49; NJW 1987, 440 , 441).
Eine Partei kann zudem allenfalls dann auf eine Weiterleitung ihres Schriftsatzes innerhalb der jeweiligen Frist vertrauen, wenn die fristgerechte Weiterleitung im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden kann (vgl. BVerfGE 93, 99 , 115).
Auch dies ist vorliegend nicht der Fall. Die Berufungsschrift ist am 18.9.2002 (Bl. 65) bei dem Landgericht eingegangen. Wie es dem normalen Geschäftsgang entspricht, sind daraufhin am 20.9.2002 (einem Freitag) zunächst durch die Geschäftsstelle die Akten bei dem Amtsgericht angefordert worden. Vor diesem Hintergrund konnte der Klägervertreter nicht erwarten, dass die Berufungsschrift nebst Akten innerhalb der Berufungsfrist, die am 26.9.2002 ablief, einem Richter zur Zuständigkeitsprüfung vorgelegt werden würden. Hinzu kommt, dass sich allein aus der Berufungsschrift sowie dem angefochtenen Urteil die Unzuständigkeit des Landgerichts nicht entnehmen ließ, da entscheidend hierfür der Wohnsitz des Klägers zur Zeit der Rechtshängigkeit war."
Für das Landgericht bestand vor Eingang der Sachakten am 6. 10. 2005 keine Möglichkeit, seine Unzuständigkeit festzustellen. Darauf, dass das angefochtenen Urteil beigefügt war und sich aus dessen Tenor und dem Berufungsschriftsatz für den Kläger zu 4) eine Anschrift in der Schweiz ergab, kommt es nicht an. § 119 Abs. 1 Ziff. 1 b) GVG stellt auf den Wohnsitz zum Zeitpunkt der Rechtshängigkeit der Klage ab; diese Prüfung war hier erst nach Vorlage der Sachakten möglich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 I ZPO.
Ende der Entscheidung
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