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Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 09.06.2008
Aktenzeichen: 8 U 217/07
Rechtsgebiete: ZPO, BGB, EGZPO
Vorschriften:
ZPO § 8 | |
ZPO § 9 | |
ZPO § 313 a Abs. 1 Satz 1 | |
ZPO § 511 Abs. 2 Nr. 1 | |
ZPO § 531 Abs. 2 | |
ZPO § 540 Abs. 2 | |
ZPO § 544 | |
BGB § 269 Abs. 1 | |
BGB § 270 Abs. 4 | |
BGB § 535 Abs. 2 | |
BGB § 549 Abs. 2 Nr. 1 | |
BGB § 566 Abs. 1 | |
BGB § 573 | |
BGB § 573 Abs. 2 Nr. 1 | |
BGB § 986 Abs. 1 Satz 1 | |
BGB § 985 | |
EGZPO § 26 Nr. 8 |
Kammergericht Im Namen des Volkes
Geschäftsnummer: 8 U 217/07
verkündet am: 9. Juni 2008
In dem Rechtsstreit
hat der 8. Zivilsenat des Kammergerichts in 10781 Berlin, Elßholzstraße 30-33, durch die Richterin am Landgericht Fleischer als Einzelrichterin auf die mündliche Verhandlung vom 9. Juni 2008
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung des Beklagten wird das am 12. Dezember 2007 verkündete Urteil des Amtsgerichts Charlottenburg, 221 C 360/07, geändert. Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten der ersten und zweiten Instanz zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
I.
Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen, da ein Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Senats unzweifelhaft nicht zulässig ist. Die Revision ist nicht zugelassen worden und gemäß §§ 544 ZPO, 26 Nr. 8 EGZPO ist die Nichtzulassungsbeschwerde nicht gegeben, da die Beschwer der Klägerin nicht über Euro 20.000,00 liegt. Bei Räumungsklagen wird der Wert des Beschwerdegegenstandes nach § 8 ZPO ermittelt (vgl. BGH, Urteil vom 17. März 2005, III ZR 342/04, in GE 2005, 611), wobei die Nettokaltmiete zuzüglich einer etwaigen Nebenkostenpauschale zugrunde zu legen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 8. April 2008, VIII ZR 50/06, zitiert nach juris, Rn. 2 und 3). Danach beträgt die Beschwer der Klägerin höchstens Euro 13.107,00 (= Miete von Euro 43,69 x 12 Monate x 25 Jahre).
II.
A. Die Berufung des Beklagten ist zulässig, insbesondere ist der Wert des Beschwerdegegenstandes von über Euro 600,00 gemäß § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO erreicht. Der Wert der Beschwer eines zur Räumung einer Mietwohnung Verurteilten bestimmt sich nach §§ 8, 9 ZPO; lässt sich, wie hier, nicht festmachen, wann das Mietverhältnis unstreitig geendet hätte, bemisst sich die Beschwer nach dem dreieinhalbfachen Wert des einjährigen Entgeltes (vgl. BGH, Beschluss vom 13. März 2007, VIII ZR 189/06, in GE 2007, 780). Somit beläuft sich die durch das Urteil des Amtsgerichts vom 12. Dezember 2007 verursachte Beschwer auf Euro 1.834,98 (= Miete von Euro 43,69 x 12 Monate x 3,5 Jahre).
B. Die Berufung des Beklagten ist begründet. Jedenfalls aufgrund neuen Vortrages in der Berufungsinstanz, welcher zu berücksichtigen war, war die Klage abzuweisen. Der Klägerin steht gegen den Beklagten kein Anspruch auf Räumung und Herausgabe der von ihm ab Juli 1996 gemieteten Wohnung zu, weil der Mietvertrag nicht beendet ist (§§ 566 Abs. 1, 546 Abs. 1 BGB). Infolgedessen scheidet wegen des Besitzrechts des Beklagten nach § 986 Abs. 1 Satz 1 BGB auch ein Herausgabeanspruch aus Eigentum gemäß § 985 BGB aus:
Ausweislich Seite 6 der Klageschrift bilden den Gegenstand dieses Verfahrens die Kündigungserklärungen der Klägerin in den Schreiben vom 26. und 29. September 2006, soweit sie hilfsweise ordentlich gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB ausgesprochen wurden. Die Kündigungserklärungen sind unwirksam, weil das Erfordernis einer schuldhaften erheblichen Pflichtverletzung des Beklagten nicht erfüllt ist. Dies ist das Ergebnis folgender Abwägung:
Zwar ist eine fristgemäße Kündigung wegen Zahlungsrückständen über mehrere Monate, hier in den Monaten Mai 2006 bis September 2006, grundsätzlich zulässig, weil der Mieter damit in nicht unerheblicher Weise gegen eine vertragliche Hauptleistungspflicht nach § 535 Abs. 2 BGB verstößt; die einmal eingetretene Pflichtverletzung kann - anders als bei einer außerordentlichen Kündigung - nicht durch die nachträgliche Begleichung der Mietschuld geheilt werden (vgl. BGH, Urteil vom 28. November 2007, VIII ZR 145/07, in NJW 2008, 508 ff.; Urteil vom 25. Oktober 2006, VIII ZR 102/06, in NJW 2007, 428 ff.; Urteil vom 16. Februar 2005, VIII ZR 6/04, in BGH Report 2005, 687 ff.).
Jedoch ist der Ausgleich der Rückstände bei der Bewertung des Verschuldens des Mieters heranzuziehen (vgl. BGH, Urteil vom 16. Februar 2005, VIII ZR 6/04, in BGH Report 2005, 687 ff.; OLG Karlsruhe, Rechtsentscheid vom 19. August 1992, 3 REMiet 1/92, in NJW-RR 1993, 79 f.; OLG Stuttgart, Rechtsentscheid vom 28. August 1991, 8 REMiet 2/91, in GE 1991, 927 ff.).
Insoweit ist festzuhalten, dass der Beklagte die rückständigen Mieten von Mai 2006 bis September 2006 alsbald nach Erhalt der Kündigungsschreiben beglich. Selbst wenn - mit dem Amtsgericht - der vollständige Ausgleich der Rückstände angesichts der Dauer des Unterbleibens der Mieteingänge nicht ausreichend sein sollte, um das Verschulden des Beklagten wesentlich abzumildern, so kommt doch nach dem unstreitigen Vorbringen der Parteien in der zweiten Instanz ein entscheidender Gesichtspunkt hinzu: Der Beklagte hatte die Mieten nicht vorsätzlich zurückgehalten (§ 276 Abs. 1 BGB). Die Mietrückstände erklären sich damit, dass der Beklagte davon ausgegangen war, die bisherige Eigentümerin und Vermieterin, die W W (künftig: W GmbH), werde, wie die Jahre zuvor, von der gemäß Nr. 2 (2) der Allgemeinen Vertragsbestimmungen zum Mietvertrag erteilten Einzugsermächtigung Gebrauch machen. Eine im Einvernehmen mit dem Gläubiger erteilte Einzugsermächtigung führt dazu, dass die Geldschuld, die nach §§ 269 Abs. 1, 270 Abs. 4 BGB eigentlich eine Schickschuld ist, in eine Holschuld umgewandelt wird, was zur Folge hat, dass fortan der Vermieter für den rechtzeitigen Einzug der Mieten Sorge zu tragen hat (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 30. Januar 1985, IVa ZR 91/83, in MDR 1985, 472 f.; OLG Nürnberg, Urteil vom 4. April 1995, 3 U 4115/94, in NJW-RR 1995, 1144 ff.). Da der Beklagte seine Arbeitsstelle in Süddeutschland hat, hatte er von der Mitteilung der W GmbH vom 5. April 2006 über die "Stornierung" der Einzugsermächtigung keine Kenntnis genommen. Dies gilt genauso für die Schreiben der Hausverwalterin der Klägerin, der G G mbH (künftig: G GmbH), vom 27. Juli 2006 (- sofern dieses zugegangen sein sollte -) und 24. August 2006.
Da der erstmals in der zweiten Instanz erfolgte Vortrag des Beklagten über die Erteilung einer Einzugsermächtigung unstreitig geblieben ist, ist er nicht präkludiert. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist über die Fälle des § 531 Abs. 2 ZPO hinaus neuer unstreitiger Tatsachenvortrag in der Berufungsinstanz zu beachten (vgl. Urteil vom 13. Juli 2005, IV ZR 47/07, in FamRZ 2005, 1555 ff.; Urteil vom 18. November 2004, IX ZR 229/03, in NJW 2005, 291 ff.).
Summa summarum muss sich der Beklagte zwar den Vorwurf gefallen lassen, dass er ca. sechs Monate lang (von April 2006 bis September 2006) seine Post nicht ausreichend kontrollierte bzw. keinen mit der Kontrolle beauftragte, um sicherzustellen, dass er auf wichtige Schriftstücke rechtzeitig reagieren kann. Hierbei handelt es sich um einen sehr langen Zeitraum. Jedoch gab es keine Anzeichen für einen Vermieterwechsel und für einen vorzeitigen Übergang der Mietzinsempfangszuständigkeit, weshalb das Vertrauen des Beklagten, die Bezahlung der Mieten sei trotz seiner Abwesenheit aufgrund der Einzugsermächtigung geregelt, nicht unverständlich ist. Da bei einem Eigentümerwechsel der Erwerber nach § 566 Abs. 1 BGB in alle das Mietverhältnis betreffenden Vereinbarungen eintritt, kann dem Beklagten außerdem zu Gute gehalten werden, dass die Mieten selbst für den Fall eines Eigentümerwechsels gesichert erschienen. Die verspätete Zahlung der Mieten von Mai 2006 bis September 2006 stellt sich letztlich als ein durch den Eigentümerwechsel bedingter Sonderfall dar, dessen Wiederholung die Klägerin nicht fürchten muss.
Die von der Klägerin zunächst angeführten weiteren Pflichtverletzungen des Beklagten in Form einer verspäteten Zahlung der Oktobermiete 2006 und einer Zahlung auf das falsche Konto haben sich als unzutreffend herausgestellt. Den Vortrag über die Zahlung auf ein falsches Konto musste die Klägerin zurücknehmen, während die Miete für Oktober 2006 rechtzeitig geleistet wurde. Für die Rechtzeitigkeit einer Geldleistung kommt es mangels anders lautender Bestimmungen gemäß §§ 269 Abs. 1, 270 Abs. 4 BGB auf den Zeitpunkt der Leistungshandlung an, nicht auf den des Leistungserfolges (vgl. BGH, Urteil vom 7. Oktober 1965, II ZR 120/63, in NJW 1966, 46 ff.; Palandt-Heinrichs, BGB, 67. Auflage, 2008, § 270 BGB, Rn. 6). In Nr. 2 (1) der Allgemeinen Vertragsbestimmungen zum Mietvertrag heißt es lediglich, dass die Miete spätestens bis zum dritten Werktag eines jeden Monats zu zahlen ist. Dagegen wird nicht bestimmt, dass der Eingang des Geldes maßgebend sein soll. Der Beklagte hat alle erforderlichen Handlungen zur Überweisung der Oktobermiete 2006 am 5. Oktober 2006 vollendet, da die beauftragte Bank zu diesem Zeitpunkt die Überweisung ausführen konnte. Der 5. Oktober 2006 war ein Donnerstag; der 3. Oktober 2006 ein Feiertag. Damit wurde die Zahlung der Miete für Oktober 2006 fristgerecht vorgenommen.
Die Klägerin ihrerseits muss sich vorhalten lassen, dass der Übergang der Vermieterpflichten und -rechte zwischen ihr und der W GmbH auch nicht reibungslos verlief. Während die W GmbH im Schreiben vom 5. April 2006 angekündigt hatte, die G GmbH werde ab dem 1. April 2006 tätig, fühlte sich diese laut ihrem Schreiben vom 27. Juli 2006 erst ab dem 14. Juli 2006 für das Mietobjekt zuständig. Zu diesem Zeitpunkt hatte die G GmbH noch nicht einmal bemerkt, dass die vom Beklagten zu zahlenden Mieten für Mai 2006 bis Juli 2006 ausgeblieben waren. Nachdem sie es im August 2006 festgestellt hatte, setzte sie im Schreiben vom 24. August 2006 eine Frist bis zum 24. September 2006 für den Ausgleich des Rückstandes. Dabei ging sie davon aus, dass schon die Miete für September 2006 fällig sei. Trotz dieses fünfmonatigen Mietrückstandes sah die Klägerin seinerzeit noch keinen Anlass für eine Kündigung. Wenige Tage nach dem Fristablauf wurde der Rückstand bezahlt.
Nach allem lässt sich bei besonnener Betrachtung eine Beendigung des Mietverhältnisses nicht rechtfertigen, da der Beklagte seine Mietzinszahlungspflichten nicht verletzen und das Vermögen der Klägerin nicht gefährden wollte. Insoweit unterscheidet sich der hiesige Fall von den vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fällen, in denen die ordentliche Kündigung jeweils für wirksam gehalten wurde (vgl. Urteil vom 28. November 2007, VIII ZR 145/07, in NJW 2008, 508 ff.: Verzug mit der Miete wegen Einwänden gegen die Miete, nachträglicher Ausgleich nur unter Vorbehalt der Rückforderung, weitere Rückstände; Urteil vom 25. Oktober 2006, VIII ZR 102/06, in NJW 2007, 428 ff.: Verzug mit der Miete wegen Einwänden gegen die Miete und fehlender sofortiger Ausgleich des Rückstandes).
Der in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat von der Klägerseite hervorgehobenen Tatsache, dass der Beklagte die Wohnung nicht ständig bewohnt, kann der Senat keine andere Beurteilung der Rechtslage abgewinnen. Der Kündigungsschutz des § 573 BGB umfasst auch Zweitwohnungen (vgl. Schmidt-Futterer-Blank, Mietrecht, 9. Auflage, 2007, § 573 BGB, Rn. 5 mit weiteren Nachweisen). Für die Anwendung der Mieterschutzbestimmungen genügt es, wenn unabhängig von der konkreten Nutzungsgestaltung der Mietvertrag darauf ausgerichtet ist, dass sich der Mieter dauerhaft wohnlich einrichtet (vgl. OLG Hamburg, Urteil vom 30. September 1992, 4 U 94/92, in GE 1992, 1211 ff.). So liegt es hier. Der Mietvertrag wurde unbefristet abgeschlossen. Nach § 6 des Mietvertrages ist Gegenstand des Vertrages u.a. die Hausordnung, die Vorgaben für das Zusammenleben der Mieter macht. Des weiteren fallen nach dem Vortrag der Klägerin für die Wohnung Betriebskosten an; in der mündlichen Verhandlung wurde von Seiten der Klägerin der Wasserverbrauch angeführt. Ferner hat der Beklagte die Wohnungsanschrift als die Adresse angegeben, unter der er zu erreichen ist. Es spricht somit alles dafür, dass der Beklagte die Wohnung dauerhaft nutzen will, wenngleich beruflich bedingt nicht ständig. Für einen vorübergehenden Gebrauch im Sinne von § 549 Abs. 2 Nr. 1 BGB fehlt jeder Anhaltspunkt. Ein solcher ist anzunehmen, wenn eine Wohnung absehbar vorübergehend genutzt werden soll (vgl. Kinne/Schach/Bieber-Schach, Miet- und Mietprozessrecht, 5. Auflage, 2008, § 549 BGB, Rn. 3 a).
Soweit die Klägerin in das Verfahren Vortrag zur "Haussituation" eingeführt hat, ist dieser - abgesehen von seiner Allgemeinheit - unerheblich, da die Kündigungen darauf nicht beruhen (§ 573 Abs. 3 BGB).
C. Rechtsgrundlage der Kostenentscheidung ist § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
D. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ist gemäß §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO ergangen.
E. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe gemäß § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorhanden sind.
Ende der Entscheidung
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