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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 26.05.2005
Aktenzeichen: 8 U 30/05
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 178
ZPO § 180
Eine wirksame Ersatzzustellung nach §§ 178, 180 ZPO setzt voraus, dass die Zustellperson zuvor eine unmittelbare Zustellung versucht hat.
Kammergericht Im Namen des Volkes

Geschäftsnummer: 8 U 30/05

verkündet am: 26.05.2005

In dem Rechtsstreit

hat der 8. Zivilsenat des Kammergerichts Elßholzstr. 30 - 33, 10781 Berlin, auf die mündliche Verhandlung vom 26.05.2005 durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Bieber und die Richterinnen am Kammergericht Spiegel und Dr. Henkel

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung des Beklagten zu 1) gegen das am 4. Januar 2005 verkündete Urteil der Abteilung 2 des Amtsgerichts Tiergarten wird als unzulässig verworfen.

2. Der Beklagte zu 1) hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

Die Berufung des Beklagten zu 1) gegen das am 04.Januar 2005 verkündete Urteil der Abteilung 2 des Amtsgerichts Tiergarten ist nach § 522 Abs. 1 Satz 1 ZPO als unzulässig zu verwerfen. Die Berufung ist nicht innerhalb der einmonatigen Berufungsfrist gemäß § 517 ZPO eingelegt worden.

1.

Das Urteil ist dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten zu 1) nach der Zustellungsurkunde der PIN Intelligente Dienstleistungen - AG am 15. Januar 2005, einem Samstag, als Ersatzzustellung gemäß § 180 ZPO in Verbindung mit § 178 Abs. 1 Ziff. 2 ZPO zugestellt worden. Der Umstand, dass das Urteil an einem Samstag zugestellt worden ist und die Möglichkeit besteht, dass der Beklagte zu 1) bzw. sein Prozessbevollmächtigter die Sendung erst am darauf folgenden Montag zur Kenntnis genommen haben, lässt die Wirksamkeit der Zustellung unberührt (BFH Beschluss vom 02. August 2004 - AZ: V B 75/04 - veröffentlicht bei JURIS). Auf der Zustellungsurkunde ist durch Kennzeichnung der dafür vorgesehenen Felder vermerkt, dass der Postbedienstete zunächst versucht hat, die Sendung direkt zu übergeben und, weil die Übergabe in dem Geschäftsraum nicht möglich war, das Schriftstück in den zum Geschäftsraum gehörenden Briefkasten eingelegt hat. Die Postzustellungsurkunde begründet als öffentliche Urkunde im Sinne von § 418 Abs. 1 ZPO den vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen. Die Beweiskraft erstreckt sich bei der Ersatzzustellung auch darauf, dass der Zusteller unter der angegebenen Anschrift weder den Adressaten persönlich noch eine zur Entgegennahme der Ersatzzustellung in Betracht kommende Person angetroffen hat und, dass er die Sendung in den Briefkasten eingelegt hat (Zöller/Stöber, ZPO, 25. Auflage, § 182 ZPO, Rdnr. 14). Allerdings kann nach § 418 Abs. 2 ZPO derjenige, zu dessen Nachteil sich die gesetzliche Beweisregel auswirkt, den Beweis für die Unrichtigkeit der beurkundeten Tatsache antreten. Ein derartiger Beweisantritt verlangt seinerseits den vollen Nachweis eines anderen Geschehensablaufs (vgl. BVerwG NJW 1984, 2962). Es müssen Umstände dargelegt und bewiesen werden, die ein Fehlverhalten des Postzustellers bei der Zustellung und damit eine Falschbeurkundung in der Postzustellungsurkunde belegen (BVerwG NJW 1986, 2117 mit den weiteren dort angeführten Rechtsprechungsnachweisen; BGH NJW 1997, 3264). Nach dem Ergebnis der vor dem Senat durchgeführten Beweisaufnahme ist dem Beklagten zu 1) der Beweis der Unrichtigkeit der in der Urkunde beurkundeten Tatsachen nicht gelungen. Der Beklagte zu 1) konnte nicht beweisen, dass der Postzusteller nicht versucht hat, die Sendung zunächst persönlich an den Prozessbevollmächtigten bzw. einen in der Kanzlei Anwesenden zur Entgegennahme Berechtigten zu übergeben. Der zuständige Postzusteller Wnn hat glaubhaft bekundet, dass er sicher ist, dass er auch an diesem Samstag zunächst die Klingel zur Rechtsanwaltspraxis betätigt hat und erst dann, als ihm niemand geöffnet hat, die Sendung in den Briefkasten eingeworfen hat. So hat der Zeuge weiter ausgesagt, dass ihm von einem Mitarbeiter der Kanzlei irgendwann einmal mitgeteilt worden sei, dass auch samstags gearbeitet werde, so dass die Samstagspost nicht erst am Montag zugestellt werden solle. Zwar konnte er sich an den genauen Zustellvorgang am 15. Januar 2005 nicht mehr erinnern. Dies ist im Hinblick darauf, dass es sich um einen zu den täglichen Aufgaben eines Postzustellers gewöhnlichen und damit sich häufig wiederholenden Vorgang handelt, durchaus nachvollziehbar. Der Zeuge hat aber glaubhaft geschildert, dass er von seinem Arbeitgeber darauf hingewiesen worden ist, wie förmliche Zustellungen auszuführen sind und er auch weiß, dass er vor Einwurf der Sendung an der Wohnungs- oder Praxistür zu klingeln habe. Auf ausdrückliche Nachfrage des Prozessbevollmächtigten des Beklagten zu 1) sagte der Zeuge : "Ich bleibe dabei, dass ein Fehler bei der Zustellung nicht aufgetreten sein kann. Ich klingele in solchen Fällen immer." Der Senat hat keine Veranlassung an der Glaubwürdigkeit des Zeugen zu zweifeln. Er hat seine Aussage ruhig und sachlich gemacht ohne sich in Widersprüche zu verwickeln. Demgegenüber hat zwar die Zeugin En , die sich an diesem Samstag gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten zu 1), in den Kanzleiräumen aufgehalten hat, glaubhaft bestätigt, dass sie die Türklingel nicht gehört hat. Sie schilderte dem Senat, dass sie ihren Ehemann in die Kanzlei begleitet habe, um ein Aquarium zu entsorgen. So hat sie den Inhalt des Aquariums in dem im hinteren Bereich der Kanzlei gelegenen Bad entleert, Steine in der Badewanne ausgewaschen und auch die Toilettenspülung betätigt. Sie sagte wörtlich: "Ich denke, dass man die Büroklingel auch im Badezimmer hören kann". Sie war sich aber offenbar nicht ganz sicher. Im Hinblick auf die Art der ausgeführten Tätigkeiten, die naturgemäß Geräusche verursachen, hält es der Senat daher für denkbar, dass die Zeugin das Türklingelgeräusch nicht gehört haben könnte. Der Senat konnte sich aufgrund der Aussage der Zeugin En nicht die hinreichende Gewissheit verschaffen, dass in dem fraglichen Zeitraum die Türklingel tatsächlich nicht betätigt worden ist. Der erforderliche Gegenbeweis ist grundsätzlich aber erst dann erbracht, wenn das Gericht vom Gegenteil der vom Beweisführer zu erbringenden Tatsache überzeugt ist (BVerfG NJW 1993, 255; BGH NJW-RR 2001, 280; BSG NJW-RR 2002, 1652), also nicht schon dann, wenn durch ihn die Überzeugung des Gerichts von der zu beweisenden Tatsache lediglich erschüttert wird (BVerfG NJW 1992, 225; BGH NJW 1990, 2125; OLG Köln NJW-RR 2003, 308; Baumbach/Hartmann, ZPO, 62. Auflage, Einf. § 284 ZPO, Rdnr. 12 und § 418 ZPO, Rdnr. 8). Der Senat hat keine Veranlassung gesehen, den Prozessbevollmächtigten des Beklagten zu 1) zu der Behauptung, dass die im Flur der Praxis vorhandene Klingel bei Betätigung in jedem Raum der Praxis und zwar auch im Badezimmer und auch in den dahinter liegenden Räumen und auch beim Säubern eines Aquariums gehört werden könne, zu vernehmen. Denn insoweit kommt es nur auf die eigene subjektive Wahrnehmung der Zeugin En und nicht auf die Möglichkeit an, ob ganz allgemein die Türklingel in allen Räumen wahrgenommen werden kann. Die Zeugin En war sich aber in diesem Punkte gerade nicht sicher. Nach alledem ist davon auszugehen, dass die Zustellung am 15. Januar 2005 entsprechend der gesetzlichen Vorschriften der §§ 180, 178 ZPO erfolgt ist und damit das Urteil wirksam zugestellt worden ist.

2.

Dem Beklagten zu 1) ist auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist zu gewähren. Der Antrag vom 23. März 2004 war zulässig, insbesondere ist die 2-Wochenfrist nach § 234 Abs. 2 ZPO eingehalten. Dem Beklagten ist mit richterlicher Verfügung vom 14. März 2005 mitgeteilt worden, dass die Berufung verspätet eingelegt worden ist. Nach dem Abvermerk vom gleichen Tage ist von einem Zugang der Verfügung nach ein bis zwei Tagen auszugehen, so dass der unter dem 23. März 2005 gestellte Antrag rechtzeitig ist. Soweit die Kläger geltend machen, dass sie bereits mit ihrem Schriftsatz vom 22. Februar 2005 auf die Verfristung der Berufung hingewiesen haben, hat der Prozessbevollmächtigte des Beklagten zu 1) den Zugang eines solchen Schriftsatzes bestritten. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob der Hinweis des Gegners auf die Verfristung die Frist im Sinne von § 234 Abs. 1 ZPO hätte in Gang setzen können.

Der Antrag ist aber unbegründet. Der Beklagte zu 1) war nicht ohne sein Verschulden gehindert, die Frist zur Einlegung der Berufung einzuhalten (§ 233 ZPO). Denn die Fristversäumnis beruht auf einem Organisationsverschulden seines Prozessbevollmächtigten, das der Beklagte zu 1) sich gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss. Zwar fällt das Versehen der Mitarbeiter des bevollmächtigten Rechtsanwaltes der Partei selbst nicht gemäß § 85 ZPO zur Last, wenn eigenes Verschulden des Rechtsanwaltes ausscheidet; es scheidet dann aus, wenn er seinen Weisungs- und Überwachungspflichten nachgekommen ist (Zöller/Greger, a.a.O., § 233 ZPO, Rdnr. 33 "Juristische Hilfskräfte", "Fristenbehandlung" mit den dort angeführten Rechtsprechungsnachweisen). Hier scheitert die Wiedereinsetzung aber daran, dass eigenes Verschulden des Prozessbevollmächtigten des Beklagten zu 1) vorliegt. Der Rechtsanwalt muss im Rahmen seiner Büroorganisation sicherstellen, dass die für die Fristenberechnung maßgeblichen Umstände zutreffend ermittelt und festgehalten werden. Dazu gehören Anweisungen darüber, aufgrund welcher Unterlagen Fristen im Falle der Zustellung gleich auf welche Art und Weise berechnet und notiert werden (vgl. BGH NJW 1969, 1297 für Zustellung nach § 174 ZPO). Der Beklagte zu 1) hat nichts dazu vorgetragen, wie im Rahmen der Büroorganisation seines Prozessbevollmächtigten sichergestellt wird, dass bei einer (auch am Samstag) mit einem Zustellvermerk eingehenden Sendung das zutreffende Eingangsdatum auf der Sendung vermerkt und der Fristenberechnung zugrunde gelegt wird. Es fehlt Vortrag dazu, wie in der Büroorganisation seines Prozessbevollmächtigten gewährleistet wird, dass die auf unterschiedliche Weise vorgenommenen Zustellungen differenziert behandelt werden. Die förmliche Zustellung wird überwiegend dadurch vollzogen, dass der Prozessbevollmächtigte durch Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses das Zustellungsdatum, welches Grundlage der Fristenberechnung und Fristenkontrolle ist, selbst bestimmt. In den Fällen, in denen Schriftstücke mit Postzustellungsurkunde förmlich zugestellt werden, ergibt sich das Zustelldatum hingegen aus dem Zustellvermerk auf dem Briefumschlag. Die Büroorganisation des Rechtsanwaltes hat sicherzustellen, dass diese Besonderheit bei der Feststellung des Zustellungszeitpunktes, der außerhalb der Einflusssphäre des Prozessbevollmächtigten liegt, berücksichtigt wird. Dazu hat der Beklagte zu 1) nichts vorgetragen. Der pauschale Hinweis auf ein Versehen des Rechtsanwaltsassistenten Hnn reicht hier nicht aus. Mangels konkreten Vortrags, wie die Büroorganisation auf die differenzierten Zustellmöglichkeiten abstellt, kann nicht bewertet werden, ob tatsächlich ein Versehen des Angestellten vorliegt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO. Die Revision wird nicht zugelassen, da weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 Nr. 1 und 2 ZPO).



Ende der Entscheidung

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