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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 23.11.2009
Aktenzeichen: 8 U 49/09
Rechtsgebiete: GKG


Vorschriften:

GKG § 45 Abs. 3
1. Ob eine den Gebührenstreitwert erhöhende Hilfsaufrechnung vorliegt, ist für jede Instanz gesondert zu prüfen.

2. Der Streitwert für das Berufungsverfahren erhöht sich nicht, wenn der Beklagte und Berufungskläger im Berufungsverfahren erklärt, an der in erster Instanz erfolglos geltend gemachten Hilfsaufrechnung nicht festzuhalten."


Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 8 U 49/09

23.11.2009

In dem Rechtsstreit

hat der 8. Zivilsenat des Kammergerichts in Berlin-Schöneberg, Elßholzstr. 30-33, 10781 Berlin, durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Bulling, die Richterin am Kammergericht Dr. Henkel und den Richter am Landgericht Niebisch am 23. November 2009

beschlossen:

Tenor:

Die Gegenvorstellung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin und Berufungsbeklagten gegen den Streitwertbeschluss des Senats vom 12. November 2009 wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Die Klägerin hat die Beklagte auf Mietzahlung in Anspruch genommen. Die Beklagte hat sich erstinstanzlich u.a. damit verteidigt, dass ihr gegen die Klägerin ein Anspruch auf Rückzahlung der Kaution zustehe, mit dem sie zum Teil unbedingt und zum Teil hilfsweise die Aufrechnung gegen die Klageforderung erklärt hat. Das Landgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 12.318,13 € (davon 11,00 € Nebenforderungen) nebst Zinsen verurteilt und ausgeführt, der Anspruch auf Rückzahlung der Kaution richte sich nicht gegen die Klägerin, sondern ausschließlich gegen die zwischenzeitliche Erwerberin der Liegenschaft. Es hat den Streitwert unter Berücksichtigung der Hilfsaufrechnungsforderung auf 17.571,75 € festgesetzt.

Die Beklagte hat gegen das Urteil Berufung eingelegt. In der Berufungsbegründung vom 6. Mai 2009 hat sie einen Antrag auf Abänderung des Urteils und Abweisung der Klage angekündigt und ausgeführt, das Urteil in vollem Umfang in die Überprüfung durch das Kammergericht zu stellen. Sie hat sich u.a. pauschal auf ihren gesamten erstinstanzlichen Vortrag berufen. Zur Aufrechnungsforderung hat sie nichts weiter ausgeführt. Auf den Hinweis des Senats vom 22. Juni 2009, dass die Berufung mangels konkreter Angriffe in der Berufungsbegründung unzulässig sei, soweit das Landgericht die Hauptaufrechnung nicht durchgreifen ließ, hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 8. Oktober 2009 erklärt, sie erhalte die Hauptaufrechnung mit der Kaution gegen den Mietzinsanspruch der Klägerin nicht aufrecht, weil sie hinsichtlich der Mietkaution eine Einigung mit der neuen Eigentümerin des Objekts gefunden habe. In der mündlichen Verhandlung am 12. November 2009 hat die Beklagte die Berufung deswegen teilweise zurückgenommen. Der Senat hat die Berufung der Beklagten durch Urteil vom 12. November 2009 zurückgewiesen. Er ist in dem Urteil auf die Aufrechnungsforderung nicht eingegangen.

Durch Beschluss vom 12. November 2009 hat der Senat den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 12.307,13 € festgesetzt. Hiergegen haben die Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 17. November 2009 "Beschwerde/Erinnerung/Gegenvorstellung" eingelegt mit dem Ziel, den "Beschwerdewert" auf 17.571,75 € festzusetzen. Sie führen aus, dass die Beklagte das Urteil umfassend angegriffen und die teilweise Antragsrücknahme erst nach Erörterung der Frage der Aufrechnung im Termin erklärt habe, so dass in voller Höhe eine Terminsgebühr entstanden sei.

II.

1.

Der Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 17. November 2009 ist trotz der Mehrfachbezeichnung nur als Gegenvorstellung auszulegen, da die Beschwerde gemäß § 32 Abs. 2 RVG i.V.m. §§ 68 Abs. 1 S. 5, 66 Abs. 3 S. 3 GKG unzweifelhaft nicht statthaft ist und sich aus dem Schriftsatz nicht ergibt, dass sie eine für sie nutzlose Verwerfung durch den BGH wünschen.

2.

Die Gegenvorstellung ist unbegründet. Der Senat hat den Streitwert für die zweite Instanz zutreffend festgesetzt.

a)

Der Vorwurf der Prozessbevollmächtigten der Klägerin, der Senat habe nicht berücksichtigt, dass die Berufung erst in der mündlichen Verhandlung teilweise zurückgenommen worden ist, trifft nicht zu. Der Senat hat den Wert auf den vollen Betrag der erstinstanzlichen Verurteilung in der Hauptsache festgesetzt und die teilweise Rücknahme der Berufung dabei nicht berücksichtigt.

b)

Ob die Hilfsaufrechnung zu berücksichtigen ist, ist keine Frage der Berufungsrücknahme, sondern der Anwendung von § 45 Abs. 3 GKG, die umstritten ist.

aa)

Nach der überwiegend vertretenen Auffassung führt § 45 Abs. 3 GKG (§ 19 Abs. 3 GKG a.F.) nur zur Werterhöhung, sofern in der jeweiligen Instanz eine der Rechtskraft fähige Entscheidung über die Hilfsaufrechnungsforderung ergeht (vgl. BGH, Urteil vom 10. Juni 1986 zu I ZR 102/84, JurBüro 1987, 853; Meyer, Gerichtskosten, 11. Aufl. 2009, § 45 GKG Rn. 38; Hartmann, Kostengesetze, 39. Aufl. 2009, § 45 GKG Rn. 48 f.; Dörndorfer, in: Binz/Dörndorfer/Petzold/Zimmermann, GKG FamGKG JVEG, 2. Aufl. 2009, § 45 GKG Rn. 28, 33; Madert/von Seltmann, Gegenstandswert in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, 5. Aufl. 2008, Rn. 102; Schneider/Herget, Streitwertkommentar für den Zivilprozess, 12. Aufl. 2007, Rn. 595 ff.; Anders/Gehle/Kunze, Streitwertlexikon, 4. Aufl. 2002, "Aufrechnung" Rn. 11; Oestreich/Winter/Hellstab, Streitwerthandbuch, 2. Aufl. 1998, "Aufrechnung"; Sonnenfeld/Steder, Rpfleger 1995, 60; Mümmler, JurBüro 1979, 843).

Gestützt auf diese Auffassung ist in der Rechtsprechung für den Gebührenstreitwert der Berufung eine Zusammenrechnung abgelehnt worden in Fällen, in denen die Berufung des Beklagten - nach für ihn negativer Sachentscheidung über die Hilfsaufrechnungsforderung in erster Instanz - zurückgenommen (vgl. KG, Beschluss vom 19. Oktober 1984 zu 1 W 5058/83, JurBüro 1985, 913; OLG Brandenburg, Beschluss vom 7. Februar 2006 zu 13 U 135/05, juris; OLG Celle, Beschluss vom 29. November 1984 zu 9 U 127/84, JurBüro 1985, 911; OLG Düsseldorf, Urteil vom 20. November 1997 zu 10 U 38/97, OLGR 1998, 142; OLG Jena, Beschluss vom 5. November 2001 zu 5 U 667/00, MDR 2002, 480; OLG Köln, Beschluss vom 8. August 1994 zu 18 U 234/93, JurBüro 1995, 144; OLG Köln, Beschluss vom 22. August 1994 zu 13 U 32/94, VersR 1996, 125; OLG München, Beschluss vom 18. September 1989 zu 25 U 5725/88, JurBüro 1990, 1337; OLG Schleswig, Beschluss vom 10. August 1982 zu 9 U 21/82, JurBüro 1982, 1863; OLG Stuttgart, Beschluss vom 4. November 2004 zu 13 U 93/04, NJW-RR 2005, 507), als unzulässig verworfen (vgl. KG, Beschluss vom 31. Oktober 1989 zu 1 W 3230/89, MDR 1990, 259; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 4. September 1996 zu 16 U 181/93, OLGR 1996, 236) oder durch Versäumnisurteil zurückgewiesen (vgl. KG, Beschluss vom 30. Juli 2008 zu 2 U 110/04, KGR 2008, 1008) worden ist oder die Klage in zweiter Instanz unabhängig von der Hilfsaufrechnung abgewiesen worden ist (vgl. OLG Saarbrücken, Beschluss vom 20. Dezember 1979 zu 4 W 16/79, JurBüro 1980, 897).

bb)

Nach anderer Auffassung (vgl. BGH, Urteil vom 26. November 1984 zu VIII ZR 217/83, WM 1985, 264, 267 f.; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 1. September 2000 zu 9 W 69/00, OLGR 2000, 477, 479; OLG Frankfurt, Beschluss vom 21. Juli 1980 zu 17 W 18/80, JurBüro 1981, 248; Lappe, Rpfleger 1995, 401) ist der Streitwert für die Vorinstanz, in der über Hilfsaufrechnungsforderungen sachlich entschieden wurde, auf den Wert der Rechtsmittelinstanz herabzusetzen, wenn in der Rechtsmittelinstanz nicht in der Sache über die Hilfsaufrechnungsforderung entschieden wurde.

cc)

Nach einer weiteren Auffassung (vgl. BGH, Beschluss vom 28. September 1978 zu VII ZR 52/78, JurBüro 1979, 41; Beschluss vom 30. Juni 1978 zu I ZR 72/77, JurBüro 1979, 358; OLG Frankfurt, Beschluss vom 7. Januar 1999 zu 25 U 40/98, OLGR 1999, 121; Gehle, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, 2010, § 5 Rn. 12) soll es für die Zusammenrechnung in der Rechtsmittelinstanz grundsätzlich darauf ankommen, ob in der Vorinstanz eine der Rechtskraft fähige Entscheidung über die Hilfsaufrechnungsforderung ergangen ist. Es müsse daher beispielsweise zusammengerechnet werden, wenn die Vorinstanz die hilfsweise zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung für unbegründet erachtet hat und der Beklagte sein Rechtsmittel zurücknimmt.

dd)

Der Senat folgt der erstgenannten Auffassung. Auf die Anträge oder die Beschwer des Rechtsmittelführers kommt es insoweit nicht maßgeblich an, weil § 45 Abs. 3 GKG eine für alle Instanzen geltende Sonderregelung gegenüber § 47 GKG ist. Entscheidend ist vielmehr, ob in der jeweiligen Instanz eine Sachprüfung der Gegenforderung durch das Gericht stattfindet. Dies entspricht sowohl dem Wortlaut als auch dem Sinn und Zweck des Gesetzes, der u.a. darin besteht, die mit einer Entscheidung über die Hilfsaufrechnung verbundene Mehrarbeit des Gerichts zu honorieren. Befasst sich das Rechtsmittelgericht dagegen nicht in der Sache mit der Hilfsaufrechnungsforderung, liegt keine der Rechtskraft fähige Entscheidung über diese Forderung in diesem Sinne vor; allenfalls wird die Rechtskraft der Entscheidung der Vorinstanz bewirkt oder gefördert.

ee)

Dies führt im Streitfall dazu, dass die Hilfsaufrechnungsforderung nicht werterhöhend anzusetzen ist.

Die Beklagte ist bereits in der Berufungsbegründung mit keinem Wort auf die Gegenforderung eingegangen und hat in der Folge ausdrücklich erklärt, an der Aufrechnung nicht festzuhalten. Zwar hat sie nur von der "Hauptaufrechnung" gesprochen. Dies ist aber dadurch erklärbar, dass sich der vorhergehende Hinweis des Senats nur auf die Hauptaufrechnung bezog. Sie hat ihr Verhalten mit einer Einigung mit der neuen Eigentümerin des Objekts begründet. Da bereits das Landgericht die Beklagte wegen der Kaution auf die neue Eigentümerin verwiesen hatte, zeigt das Vorgehen der Beklagten eindeutig, dass sie das Urteil des Landgerichts in diesem Punkt nicht mehr angreifen wollte. Der Senat musste die Gegenforderung deshalb nicht mehr in der Sache prüfen und hat dies im Urteil auch nicht getan. Deshalb kann das Berufungsurteil nicht als der Rechtskraft fähige Entscheidung über die Gegenforderung angesehen werden.

Wollte man dies anders sehen, hätte der Beklagte, der erstinstanzlich sowohl mit seiner primären Verteidigung gegen die Klageforderung als auch mit der Hilfsaufrechnung erfolglos geblieben ist, keine Möglichkeit, mit seinem Rechtsmittel kostensparend nur die Ausführungen des erstinstanzlichen Gerichts zur Klageforderung anzugreifen.

Ende der Entscheidung

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