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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 11.11.2005
Aktenzeichen: 9 U 116/05
Rechtsgebiete: BGB, DRiG, ZPO


Vorschriften:

BGB § 839
DRiG § 26 Abs. 3
ZPO § 531
Eine Amtshaftungsklage wegen Verzögerungen eines gerichtlichen Verfahrens kann nicht darauf gestützt werden, dass der Haushaltsgesetzgeber die Justiz unzureichend ausgestattet habe.
Kammergericht Im Namen des Volkes

Geschäftsnummer: 9 U 116/05

verkündet am: 11. November 2005

In dem Rechtsstreit

hat der 9. Zivilsenat des Kammergerichts auf die mündliche Verhandlung vom 11. November 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Nippe, den Richter am Landgericht Lenk und den Richter am Kammergericht Bulling für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das am 12. Mai 2005 verkündete Urteil des Landgerichts Berlin - 13 O 20/04 - geändert und die Klage abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Der Kläger verlangt Schadensersatz vom Beklagten, weil er einen am 1.11.2002 beantragten Kostenfestsetzungsbeschluss vom Amtsgericht Snnnnn erst am 16.4.2003 in vollstreckbarer Ausfertigung übersandt bekam und hieraus nicht mehr - wie noch aus dem voran gegangenen Versäumnisurteil - erfolgreich gegen seinen Schuldner vollstrecken konnte. Wegen der Anträge und der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes in erster Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen, mit dem das Landgericht der Klage stattgegeben hat (abgedruckt in NJW 2005, 1811).

In der Berufungsinstanz verfolgen die Parteien ihre erstinstanzlichen Anträge weiter. Der Beklagte macht mit der Berufung geltend, die hinreichende Personalausstattung von Behörden und Gerichten sei keine Amtspflicht gegenüber Dritten, und ergänzt seinen Vortrag zu Belastung und Zuteilung von Rechtspflegern und Schreibkräften bei den Bnnnn Gerichten und speziell beim Amtsgericht Snnnnn .

II.

Die gemäß § 511a Abs. 4 zugelassene Berufung hat Erfolg. Die Klage ist unbegründet. Es fehlt an der Verletzung einer Amtspflicht gegenüber dem Kläger im Sinne von § 839 BGB.

1.

Die Klage kann nicht darauf gestützt werden, der Haushalt des Landes Bnnn für die Jahre 2002 und 2003 habe zu niedrige Ansätze für die Bezüge der Beamten und Angestellten in der ordentlichen Gerichtsbarkeit vorgesehen. Bei der Verabschiedung des Haushaltes nimmt der Gesetzgeber - außer bei einem Maßnahme- oder Einzelfallgesetz, welches hier nicht vorliegt - ausschließlich Aufgaben gegenüber der Allgemeinheit wahr, denen die Richtung auf bestimmte Personen oder Personenkreise fehlt. An dieser ständigen Rechtsprechung des BGH (vgl. BGH NJW 1989, 101 zu I.2.a mit weiteren Nachweisen) ist festzuhalten. Es fällt - auch wenn der Bürger im Hinblick auf das staatliche Gewaltmonopol auf eine funktionsfähige Justiz angewiesen ist - unter das Budgetrecht des Abgeordnetenhauses zu entscheiden, in welchem Umfang die vorhandenen finanziellen Mittel des Landes Bnnn zur personellen und sachlichen Ausstattung der Gerichte oder zur Erfüllung anderer staatlicher Aufgaben eingesetzt werden. Die vom Grundgesetz garantierte Gewaltenteilung würde faktisch unterlaufen, wenn die (Haushalts-) Gesetzgebung von jedermann, der sich durch Verzögerungen eines gerichtlichen Verfahrens geschädigt sieht, durch eine Amtshaftungsklage zur gerichtlichen Überprüfung gestellt werden könnte. In ähnlichem Sinne hat der Bundesgerichtshof (NJW 2005, 905) ausgesprochen, dass eine unzureichende haushaltsmäßige Ausstattung der Justiz keine Maßnahme der Dienstaufsicht im Sinne von § 26 Abs. 3 DRiG darstellt.

Zwar verlangt das Rechtsstaatsprinzip eine funktionsfähige Rechtspflege, wozu auch eine angemessene Personalausstattung der Gerichte gehört (vgl. BVerfG NJW 2000, 797), an der hier gezweifelt werden kann (s. a. BGH NJW 2005, 905 zu I.2.aa). Daraus folgt aber keine drittbezogene Amtspflicht gegenüber allen (gegenwärtigen oder künftigen) Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens, entsprechende Etatmittel einzusetzen.

Eine Amtspflicht des Abgeordnetenhauses gegenüber dem Kläger ergibt sich auch nicht aus Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), wonach jedermann Anspruch darauf hat, dass seine Sache innerhalb einer angemessenen Frist gehört wird. Daraus hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zwar hergeleitet, die Vertragsstaaten hätten ihr gerichtliches System so einzurichten, dass die Gerichte die Rechtssachen innerhalb angemessener Frist entscheiden können (EGMR NJW 1999, 3545 und NJW 2002, 2856). Dabei bezog sich der EGMR aber jeweils auf Verzögerungen, die den staatlichen "Behörden" zuzurechnen seien, und nicht auf das Verhalten der Legislative. Auch steht die EMRK im Rang eines einfachen Bundesgesetzes (vgl. BVerfGE 111, 307 zu Tz. 31 mit weiteren Nachweisen) und ist von daher nicht geeignet, dem deutschen Gesetzgeber Pflichten aufzuerlegen.

2.

Ebenso wenig fällt der Snnnnnnnn fn Jnnn eine Verletzung von Rechten des Klägers zur Last.

Zum einen obliegt die Pflicht einer Zentralbehörde, die zur Sachentscheidung zuständige Stelle in Stand zu setzen, dass sie ihren Aufgaben gehörig nachkommen kann, den betreffenden Amtsträgern nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH NJW 1959, 574; BGH VersR 1963, 1080; BGH Z 111, 272) im Interesse der ordnungsmäßigen Staatsverwaltung, nicht aber schlechthin auch dem einzelnen Bürger gegenüber.

Zum anderen lässt sich nach dem vorliegenden Sach- und Streitstand ein Versäumnis der Snnnnnnnn bei der Vergabe der vorhandenen Haushaltsmittel nicht feststellen. Insbesondere hielt es sich im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens, wenn sie 70 Rechtspflegerstellen im Dezember 2002 mit Fachhochschulabsolventen besetzt hat, die in diesem Monat ihre - vom Beklagten finanzierte - Ausbildung abgeschlossen hatten. Die Snnnnnnnn musste sich nicht vorher um Bewerber von außerhalb Bnnn oder um Volljuristen bemühen, zumal bei solchen Bewerbern eine erhöhte Fluktuation nahe gelegen hätte. Auch lag die Belastungsquote der Bnnnn Rechtspfleger 2002 und 2003 noch unter dem Bundesdurchschnitt und diejenige des Schreibdienstes nur wenig darüber. Das entsprechende Vorbringen in der Berufungsbegründung ist vom Kläger nicht konkret bestritten worden und daher nicht gemäß § 531 ZPO ausgeschlossen (vgl. BGHZ 168, 131), auf die (bestrittenen) verminderten Personalbedarfszahlen nach dem Berechnungssystem "PEBB§Y" kommt es nicht an. Vorhandene Mittel mussten auch nicht, wie der Kläger meint, angesichts der Restbestände in der Schreibkanzlei zwingend gleichmäßig für die Einstellung von Rechtspflegern und Schreibkräften verwandt werden, nachdem die Unterdeckung im mittleren bzw. Schreibdienst (10 %) deutlich niedriger war als im gehobenen Dienst (21,5 %). Ebenso wenig musste die Snnnnnnnn , wie es der Kläger anregt, außen stehende Schreibbüros beauftragen. Abgesehen von der Datenschutzproblematik ist dafür eine Grundlage im Haushalt nicht ersichtlich.

3.

Zwar dient die Aufgabe unterer Behörden, ihre einzelnen Fachstellen durch Zuweisung von Dienstkräften und Sachmitteln zur Bearbeitung der von ihnen zu erledigenden Angelegenheiten instand zu setzen, auch dem Interesse des einzelnen Bürgers (vgl. BGH NJW 1959, 574, 575; BGH Z 111, 272 zu II.2.b). Diesbezügliche Versäumnisse sind hier aber nicht festzustellen:

a.

Die Pnnnnn dn Knnnnnnn und der Pnnnn dn Annnnnn haben die genannte Amtspflicht nicht verletzt. Insbesondere war es nicht ermessensfehlerhaft, die zur Verfügung stehenden Rechtspfleger den Bnnnn Amtsgerichten nach einem einheitlichen Schlüssel von 82 % des errechneten Bedarfs zuzuteilen, auch wenn sich beim Amtsgericht Snnnnn vorübergehend eine deutlich überdurchschnittliche Bearbeitungsdauer von Kostenfestsetzungsgesuchen ergab. Bedienstete und Angestellte mussten nicht laufend hin und her geschoben werden, zumal höhere Leistungen bei anderen Amtsgerichten verständlicherweise nicht durch Abzug von Personal bestraft werden sollten. Zwar standen dem Amtsgericht Snnnnn Ende 2002 von 56 zugeteilten Rechtspflegern infolge von Schwangerschaften, Elternzeiten etc. nur 51,89 tatsächlich zur Verfügung und ca. 43 von 45 zugeteilten Schreibkräften, Ähnliches galt aber für die Gesamtheit der Bnnnn Amtsgerichte. Auch diese Zahlenangaben aus der Berufungsbegründung sind schon deshalb zu berücksichtigen, weil der Kläger sie nicht bestritten hat.

b.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Dnnnn des Amtsgerichts Snnnnn die ihm zur Verfügung stehenden Mitarbeiter ermessensfehlerhaft eingesetzt hätte.

Entgegen der Auffassung des Klägers musste der Bearbeitung von Kostenfestsetzungsanträgen keine Priorität z. B. gegenüber - wirtschaftlich häufig bedeutsameren - Grundbuch- oder Nachlassangelegenheiten eingeräumt werden. Dass eine Umsetzung von Rechtspflegern aus anderen Bereichen geboten gewesen wäre, ergibt sich auch nicht aus dem Schreiben des Annnnnnnnnn vom 7.4.2003, wonach (nunmehr) vorübergehend zugewiesene Rechtspfleger vorrangig mit der Aufarbeitung von Arbeitsresten im Zivilprozessbereich betraut worden sind.

Es war allerdings sehr misslich, dass 197 Restakten - darunter der Kostenfestsetzungsantrag des Klägers - erst am 16.1.2003 einem Nachfolger übertragen wurden, nachdem die zunächst zuständige Rechtspflegerin am 8.11.2002 ein vakantes Nachlass-Dezernat erhalten hatte. Es muss aber berücksichtigt werden, dass dem Amtsgericht Snnnnn von insgesamt 57,87 nominell vorhandenen Rechtspflegern nur 51,89 tatsächlich zur Verfügung standen. Der Beklagte hat unbestritten vorgetragen, dass die Zahl der im Bürgerlichen Recht eingesetzten Rechtspfleger erst (von 6,3 auf 9,3) aufgestockt werden konnte, nachdem im Dezember 2002 nach Ablegung der Laufbahnprüfung dem AG Snnnnn 6 neue Rechtspfleger zugewiesen wurden bzw. davon 5 zur Verfügung standen. Der Rechtspfleger, der den Antrag des Klägers letztlich bearbeitet hat, wurde vom 6.1.2003 an im Zivilprozess eingearbeitet. Auch hob sich die zunächst zuständige Rechtspflegerin mit einem Bearbeitungsrückstand von 2 Monaten unstreitig nicht von den erheblichen Resten aller anderen Rechtspfleger dieses Amtsgerichts im Bereich des Zivilprozesses ab. Im Vergleich hierzu fällt der Zeitablauf, bis der Kostenfestsetzungsbeschluss zugunsten des Klägers am 24.1.2003 erlassen wurde, nicht gänzlich aus dem Rahmen. Unter diesen Umständen hat der Dnnnn dn Annnnnn die Grenzen des ihm zustehenden Ermessens nicht überschritten, als er die geschilderte Vakanz bis zu der (absehbaren) Verstärkung bei den Rechtspflegern andauern ließ.

Ihm kann auch kein Vorwurf daraus gemacht werden, dass der zugunsten des Klägers erlassene Kostenfestsetzungsbeschluss erst nach über 2 Monaten - am 3.4.2003 - von der Kanzlei gefertigt wurde. Der Annnnnnnnnn konnte mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln nicht vermeiden, dass der Schreibdienst infolge der Aufarbeitung von Resten durch zusätzliche Rechtspfleger vorübergehend besonders überlastet wurde.

4.

Dass die beiden zuständigen Rechtspfleger den Kostenfestsetzungsantrag des Klägers nicht zwischen dem 1. und 8.11.2002 bzw. ab dem 16. nicht vor dem 24.1.2003 bearbeitet haben, ist ihnen angesichts ihrer erheblichen, den vorgesetzten Stellen bekannten Arbeitsüberlastung nicht vorzuwerfen (vgl. BGH VersR 1963, 1080, 1082),

5.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 91 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO. Die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO für eine Zulassung der Revision sind nicht erfüllt. Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung, weil durch die zitierte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geklärt ist, dass drittschützende Pflichten der Zentralbehörden und erst recht des Haushaltsgesetzgebers hier nicht in Betracht kommen, und weil die Entscheidung im Übrigen auf einer Abwägung der Umstände des Einzelfalles beruht.

Ende der Entscheidung

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