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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 26.06.2007
Aktenzeichen: 9 U 220/06
Rechtsgebiete: BGB, KUG, ZPO


Vorschriften:

BGB § 823
BGB § 1004 Abs. 1 Satz 2
KUG § 22
KUG § 23
KUG § 23 Abs. 1
KUG § 23 Abs. 1 Nr. 1
KUG § 23 Abs. 2
ZPO § 529 Abs. 1 Nr. 2
ZPO § 531 Abs. 2
Das Ausscheiden eines hochrangigen Politikers aus einem Ministeramt, der Rückzug dieser Person aus der Politik und damit der Übergang von einem Politikerleben zum privaten Alltag kann ein Berichterstattungsinteresse auch an einzelnen Umständen des (neuen) alltäglichen Privatlebens begründen. Zum räumlichen Schutzbereich der Privatsphäre bei einem Balkon eines Mehrfamilienhauses über einem öffentlichen Gehweg einer Straße in zentraler Lage. Hier wurde Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt.
Kammergericht Im Namen des Volkes

Geschäftsnummer: 9 U 220/06

verkündet am : 26.06.2007

In dem Rechtsstreit

hat der 9. Zivilsenat des Kammergerichts auf die mündliche Verhandlung vom 01.06.2007 durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Nippe und die Richter am Kammergericht Bulling und Damaske für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 31. August 2006 (27 O 555/06) wird auf dessen Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 30.000,00 Euro vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Unterlassung der Verbreitung bzw. Veröffentlichung eines Fotos in der Ausgabe 43/2005 der von der Beklagten verlegten Zeitschrift "nnnn " vom nnnnnn 2005 sowie auf Erstattung von Rechtsanwaltskosten in Anspruch.

Der Kläger hat zunächst Klage mit dem Antrag erhoben, es der Beklagten zu untersagen, Bilder des Klägers "in seinem privaten Alltag, wie in der Anlage K1 geschehen, zu veröffentlichen ...". Nachdem er später den Hilfsantrag angekündigt hat, "Bildnisse des Klägers zu veröffentlichen ..., wie in "nnnn " Nr. n vom nnnnnn 2005 geschehen", hat er in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht als Klageantrag zu 1) den ursprünglichen Antrag aus der Klageschrift mit der Maßgabe gestellt, dass die Worte "in seinem privaten Alltag entfallen. Darüber hinaus hat er mit dem Klageantrag zu 2) Rechtsanwaltskosten für die außergerichtliche Abmahnung geltend gemacht.

Das Landgericht Berlin hat die Klage abgewiesen.

Im Übrigen wird wegen des Sachverhalts auf den Tatbestand des angegriffenen Urteils Bezug genommen.

Dem Kläger ist das Urteil des Landgerichts vom 31. August 2006 am 13. September 2006 zugestellt worden. Mit seiner am 10. Oktober 2006 eingelegten und am 10. November 2006 begründeten Berufung verfolgt der Kläger seine Klageanträge weiter.

Der Kläger meint, das angegriffene Foto sei kein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte. Ein zeitlicher Zusammenhang zu seinem Rücktritt von politischen Ämtern habe im Zeitpunkt der Berichterstattung nicht mehr bestanden. Zudem bilde ihn das Foto an einem Ort der Abgeschiedenheit ab. Insoweit sei sein privater Rückzugsbereich betroffen, in dem er mittels Teleobjektiv unbemerkt abgeschossen worden sei.

Er behauptet, das Foto gebe nicht eine "Passantensicht" wieder, sondern sei von einer Wohnung oder einem Büro in einem der gegenüberliegenden Häuser aus aufgenommen worden.

Der Kläger beantragt,

1. das Urteil des Landgerichts Berlin, Aktenzeichen 27 O 555/06, vom 31. August 2006 abzuändern und es der Beklagten bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 Euro, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, zu vollziehen an ihrem Komplementär, zu untersagen, Bildnisse des Klägers und Berufungsklägers, wie in "nnnn " Nr. n vom nnnnnn 2005 geschehen, zu veröffentlichen und/oder zu verbreiten und/oder veröffentlichen und/oder verbreiten zu lassen,

2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 540,64 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit Rechtshängigkeit (7. Juni 2006) zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Sie meint, der Kläger habe erstinstanzlich den Klageantrag zu 1) eingeschränkt, dem habe die Beklagte jedoch widersprochen, so dass der ursprüngliche Klageantrag nach wie vor zur Entscheidung stehe. Jedenfalls habe die Kostenentscheidung des Landgerichts die Antragsänderung nicht berücksichtigt.

Die Beklagte hält die Verbreitung des Fotos für zulässig. Bei dem Kläger handele es sich um eine absolute Person der Zeitgeschichte. Der Rückzug des Klägers vom Politikerleben in den privaten Alltag habe auch im Bild dargestellt werden dürfen. Zudem belege das Foto das Fehlen des Klägers beim seinerzeit stattfindenden außerordentlichen Parteitag der Grünen.

II.

Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

A:

1. Der in der Berufungsinstanz verfolgte Klageantrag auf Unterlassung der Veröffentlichung bzw. Verbreitung des beanstandeten Fotos ist zulässig.

Der Einwand der Beklagten, der Kläger habe erstinstanzlich den ursprünglich gestellten Klageantrag zu 1) eingeschränkt, dem habe die Beklagte widersprochen, so dass das Landgericht über den ursprünglichen Klageantrag hätte entscheiden müssen, steht dem nicht entgegen, weil der Kläger mit seiner Berufung lediglich eine Verurteilung der Beklagten in dem Umfang des eingeschränkten Antrages verfolgt, mithin lediglich eine eingeschränkte Berufung vorliegt.

2. Die Klage ist jedoch unbegründet.

Der Kläger hat keinen Unterlassungsanspruch aus §§ 823, analog 1004 Absatz 1 Satz 2 BGB, Artikel 1 und 2 Absatz 1 GG, §§ 22, 23 KUG.

a) Bei dem angegriffenen Foto handelt es sich um ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte im Sinne von § 23 Absatz 1 KUG.

aa) Maßgebend ist im Rahmen des § 23 Absatz 1 Nr. 1 KUG das Interesse der Öffentlichkeit an vollständiger Information über das Zeitgeschehen. Dabei ist der Begriff des Zeitgeschehens im Sinne dieser Vorschrift zugunsten der Pressefreiheit einerseits in einem weiten Sinn zu verstehen, andererseits ist das Informationsinteresse nicht schrankenlos. Vielmehr wird der Einbruch in die persönliche Sphäre des Abgebildeten durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begrenzt, so dass eine Berichterstattung nicht immer zulässig ist. Wo konkret die Grenze für das berechtigte Informationsinteresse der Öffentlichkeit an der aktuellen Berichterstattung zu ziehen ist, lässt sich nur unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls entscheiden. Eine Ausnahme vom Erfordernis der Einwilligung kommt in Betracht, wenn die Berichterstattung ein Ereignis von zeitgeschichtlicher Bedeutung betrifft, wovon allerdings nicht nur Vorgänge von historisch-politischer Bedeutung, sondern ganz allgemein das Zeitgeschehen, also alle Fragen von allgemeinem gesellschaftlichem Interesse erfasst sind, wozu grundsätzlich auch unterhaltende Beiträge gehören. Entscheidend für die Güterabwägung zwischen dem Interesse des Abgebildeten an dem Schutz seiner Privatsphäre einerseits und dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit andererseits ist in erster Linie der Informationswert. Je größer dieser für die Öffentlichkeit ist, desto mehr muss das Schutzinteresse des Betroffenen hinter den Informationsbelangen der Öffentlichkeit zurücktreten; umgekehrt wiegt der Schutz der Persönlichkeit des Betroffenen desto schwerer, je geringer der Informationswert für die Allgemeinheit ist. (BGH Urteile vom 6. März 2007 - VI ZR 13/06, VI ZR 14/06, VI ZR 50/06 - VI ZR 53/06)

bb) Das streitgegenständliche Foto hat ein außerordentlich starkes Informationsinteresse der Öffentlichkeit an den Lebensumständen des Klägers in der damaligen konkreten Situation befriedigt, nämlich daran, wie der Kläger sein Leben nach seinem abrupten Ausscheiden aus der Politik gestaltet. Diese Berichterstattung der Beklagten entsprach nicht lediglich einem oberflächlichen Unterhaltungsbedürfnis.

Zum einen war der Kläger seinerzeit, als die Berichterstattung erfolgte, als so genannte absolute Person der Zeitgeschichte im Sinne der herkömmlichen Rechtsprechung anzusehen, d. h. als Person, die unabhängig von einzelnen Ereignissen aufgrund ihres Status und ihrer Bedeutung allgemeine öffentliche Aufmerksamkeit findet (vgl. BVerfG NJW 2000, 1021, 1025). Der Kläger nahm als langjähriger Bundesaußenminister und Vizekanzler (darüber hinaus als Mitglied des Bundestages, als Fraktionsvorsitzender der Grünen sowie als Mitglied des Parteirates der Grünen) eine herausragende Stellung in der deutschen Politik ein und stellte - vor allem als über Jahre hinweg beliebtester deutscher Politiker - eine Leitfigur dar. Diese Stellung verlor der Kläger nicht bereits mit der Ankündigung seines Rückzugs aus der Politik Mitte bzw. Ende September 2005.

Zum anderen ist es von zeitgeschichtlicher Bedeutung, wie ein hochrangiger Politiker aus seinem Amt scheidet; nicht wenige Menschen werden erfahren wollen, wie der Betreffende mit einer solchen Veränderung umgeht (KGR Berlin 2006, 850 - Simonis). Von daher ist ein Berichterstattungsinteresse auch an konkreten Lebensumständen des alltäglichen Privatlebens anzuerkennen.

Dies thematisiert der Artikel der Beklagten mit dem angegriffenen Foto, indem der Kläger im Bild gezeigt wird, wie er auf dem Balkon seiner Berliner Wohnung Blumen gießt. Das verwendete Foto besitzt gerade im Hinblick auf das beträchtliche Berichterstattungsinteresse der Öffentlichkeit, wie sich beim Kläger der Übergang vom Politikerleben zum privaten Alltag oder - wie es der Kläger selbst öffentlich formuliert hat und in dem Text zum Foto zitiert wird - der Tausch von "Macht gegen Freiheit" konkret vollzieht, eine außerordentlich starke Symbolkraft. Gerade weil der Kläger hier in einem persönlichen Moment auf dem Balkon seiner Wohnung und bei der Verrichtung einer privaten Hausarbeit gezeigt wird, belegt das Foto eindrucksvoll und aussagekräftig dieses einschneidende Ereignis in der Biographie des Klägers als Person der Zeitgeschichte. Dass der Kläger auf dem Foto bei dieser Tätigkeit zufrieden lächelnd zu erkennen ist, kann hierbei als Metapher dafür verstanden werden, dass dem Kläger, einem (auch in den Augen der Öffentlichkeit) "Vollblutpolitiker", der Abschied von der Verantwortung in der Politik tatsächlich nicht schwer zu fallen scheint und er sich in seinem neuen Leben bereits eingerichtet hat.

Dass sich darüber hinaus ein Berichterstattungsinteresse aus dem Privatleben selbst ergeben und dieses einen Beitrag zu einer Debatte von allgemeinem Interesse leisten müsse, ist entgegen der Ansicht des Klägers dagegen nicht erforderlich.

Das Informationsinteresse der Öffentlichkeit war im Zeitpunkt der Veröffentlichung der Berichterstattung der Beklagten am nnnnnn 2005 aktuell. Unabhängig davon, ob das streitgegenständliche Foto tatsächlich am 15. Oktober 2005 entstanden ist, übte der Kläger seine Amtsgeschäfte noch bis zur Bildung der neuen Regierung am 23. November 2005 geschäftsführend aus. Demgegenüber ist es unerheblich, dass er als Bundesaußenminister und Vizekanzler formell bereits am 18. Oktober 2005 durch den Bundespräsidenten entlassen worden war. Der Rückzug aus der Politik in den privaten Alltag war seinerzeit noch nicht vollzogen. Auch der Umstand, dass seit der Ankündigung Mitte/Ende September 2005 bereits ein Monat vergangen war, ist deshalb unerheblich.

Dass - wie der Kläger meint - schlechthin nur Fotos unmittelbar vom Tag des Ausscheiden eines Politikers aus seinen Ämtern zulässig, dagegen alle später aufgenommenen Fotos unzulässig seien, ist unzutreffend. Dies lässt sich auch nicht der Entscheidung des Senates vom 13. Juni 2006 (KGR Berlin 2006, 850 - Simonis) entnehmen. Der Senat hatte in jenem Fall eine "Fortsetzung der Observation" an dem auf das Ausscheiden der dortigen Klägerin aus dem Amt der Ministerpräsidentin folgenden Tag für unzulässig erklärt, weil dort die Recherchemaßnahmen eine unerträgliche Dauerbelästigung und Verfolgung dargestellt hatten. Damit ist der vorliegende Fall nicht vergleichbar.

Die Beklagte kann sich zwar nicht im Zusammenhang mit der Abwesenheit des Klägers beim seinerzeit (als nach der Behauptung der Beklagten das Foto gefertigt worden sein soll) stattfindenden außerordentlichen Parteitag der Grünen auf ein zeitgeschichtliches Ereignis im Sinne von § 23 Absatz 1 KUG berufen kann, denn dies wird in dem Text zum Foto nicht thematisiert. Das spielt jedoch angesichts des oben erörterten, seinerzeit bestehenden starken öffentlichen Interesses am Ausscheiden des Klägers aus der Politik für die Zulässigkeit der Fotoberichterstattung keine ausschlaggebende Rolle.

cc) Der Einordnung des angegriffenen Fotos als Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte im Sinne von § 23 Absatz 1 KUG steht der Schutz der Privatsphäre des Klägers nicht entgegen.

Zwar hat auch eine der breiten Öffentlichkeit bekannte Person Anspruch auf Schutz und Achtung ihrer Privatsphäre. Die in diesem Zusammenhang bereits bei der Zuordnung zum Bereich der Zeitgeschichte vorzunehmende Abwägung der widerstreitenden Rechte des Klägers aus Artikel 1 Absatz 1, 2 Absatz 1 GG einerseits und der Presse aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 GG andererseits (vgl. BGH Urteile vom 6. März 2007 - VI ZR 13/06, VI ZR 14/06, VI ZR 50/06 - VI ZR 53/06) führt jedoch dazu, dass die Belange des Klägers hinter den Berichterstattungsinteressen der Beklagten zurückzutreten haben.

Die Privatsphäre des Klägers ist allenfalls in einem Randbereich nicht jedoch in ihrem absolut geschützten Kernbereich betroffen.

Der thematische Schutzbereich der Privatsphäre ist jedenfalls nicht berührt. Bei der in dem angegriffenen Foto dargestellten Situation handelt es sich nicht um eine Angelegenheit, die typischerweise als "privat" eingestuft werden, weil ihre öffentliche Erörterung oder Zurschaustellung als unschicklich gilt, das Bekanntwerden als peinlich empfunden wird oder nachteilige Reaktionen der Umwelt auslöst, wie es etwa bei Auseinandersetzungen mit sich selbst in Tagebüchern, bei vertraulicher Kommunikation unter Eheleuten, im Bereich der Sexualität, bei sozial abweichendem Verhalten oder bei Krankheiten der Fall ist (BVerfG NJW 2000, 1021).

Ob und in welchem Umfang der räumliche Schutzbereich tangiert ist, erscheint vorliegend allerdings zweifelhaft. Dieser erstreckt sich auf einen Bereich, in dem der Einzelne zu sich kommen, sich entspannen oder auch gehen lassen kann. Hierbei geht es um einen Raum, in dem der Betroffene die Möglichkeit hat, frei von öffentlicher Beobachtung und damit der von ihr erzwungenen Selbstkontrolle zu sein (BVerfG NJW 2000, 1021). Der häusliche Bereich stellt anerkanntermaßen eine solche geschützte Sphäre dar. Über diesen häuslichen Bereich hinaus gilt dies auch für Örtlichkeiten, die von der breiten Öffentlichkeit deutlich abgeschieden sind.

Ob Balkone eines Mehrfamilienhauses über einem öffentlichen Gehweg einer Straße in zentraler Lage hiernach zum räumlich geschützten Bereich der Privatsphäre gehören, lässt sich nicht generell beantworten.

Ein solcher Balkon kann jedenfalls nicht ohne Weiteres einem Raum im Inneren einer Wohnung gleichgestellt werden. Denn ein Balkon ist den Blicken der Öffentlichkeit nicht dem Inneren von Räumlichkeiten gleich entzogen, sondern - was auch einen deutlichen Unterschied zum Blick durch Fenster in eine Wohnung ausmacht - eher Teil des öffentlichen Raums. Ein nicht gesondert gegen Einblicke geschützter Balkon über einem öffentlichen Gehweg, der für jedermann von der Straße aus erkennbar und einsehbar ist, kann dem Nutzer auch nicht die Möglichkeit geben, frei von öffentlicher Beobachtung zu sein (vgl. BGH NJW 2004, 762 für ein umfriedetes Grundstück). Insoweit kann ein Balkon keine begrenzte Öffentlichkeit wie beispielsweise in einem nur unvollkommen beleuchteten Gartenlokal bilden (BGH NJW 1996, 1128). Andererseits werden Balkone durchaus in der Erwartung genutzt, ungestört auch gegenüber der Wahrnehmung durch andere zu sein. Dies kann vor allem dann gelten, wenn der Balkon durch einen Sichtschutz gegen Einblicke von außen besonders abgeschirmt ist.

Bei der Beantwortung der Frage, ob ein Balkon dem (außerräumlichen) Privatsphärenschutz unterfällt, ist daher auf die konkreten Umstände des Einzelfalles abzustellen. Anhand der vom Kläger mit dem Schriftsatz vom 22. Mai 2007 eingereichten Fotos von dessen Wohngebäude wird deutlich, dass sich der Balkon zwar im vierten Obergeschoss befindet, dass dieser allerdings von jedermann von der Straße aus wahrgenommen und zumindest derart eingesehen werden kann, dass eine auf dem Balkon stehende Person erkennbar ist. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass der Balkon nicht durch einen Sichtschutz gegen Einblicke geschützt war. Der Senat ist davon überzeugt, dass eine Person auf dem Balkon in der auf der Anlage BB2 zum oben genannten Schriftsatz des Klägers dargestellten Situation im vierten Obergeschoss vom Gehweg der gegenüberliegenden Straßenseite identifizierbar wahrgenommen werden kann. Damit wäre das, was auf dem angegriffenen Foto abgebildet ist, nämlich dass der Kläger Blumen gießt, auch für jeden Passanten, der an dem - zwar in einer Nebenstraße, aber dennoch in zentraler Lage in Berlin befindlichen - Wohnhaus vorbeigeht, mit bloßem Auge zu sehen gewesen. Hiernach konnte der Kläger auch nicht die Erwartung hegen, er könne von niemandem beim Blumengießen gesehen und beobachtet werden (BVerfG NJW 2006, 2836).

Unter Berücksichtigung all dieser Umstände kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger im absolut geschützten Kernbereich seiner Privatsphäre betroffen ist. Allenfalls ist die Privatsphäre des Klägers in ihrem Randbereich tangiert.

dd) Letztlich besagt allein die Zuordnung des Balkons zur Privatsphäre noch nichts über die Zulässigkeit des Fotos vom Kläger auf seinem Balkon, weil auch die Privatsphäre gerade in ihren Randbereichen nicht absolut geschützt ist.

Entgegen der Ansicht des Klägers lässt sich der Rechtsprechung des BVerfG nicht entnehmen, dass Veröffentlichungen aus der Privatsphäre allemal und unter allen Umständen unzulässig seien. Das BVerfG hat demgegenüber gerade in der vom Kläger herangezogenen Entscheidung BVerfG NJW 2000, 1021 (Caroline) ausdrücklich betont: "Bei überragenden öffentlichen Informationsinteresse kann die Pressefreiheit nach dieser Rechtsprechung sogar dem Schutz der Privatsphäre vorgehen." Auch der Entscheidung des EGMR (NJW 2004, 2647) lässt sich ein solcher absoluter Schutz der Privatsphäre nicht entnehmen. Vielmehr hat auch der EGMR klargestellt: "Ebenso gibt es zwar ein Recht der Öffentlichkeit auf Informationen, ein wesentliches Recht in einer demokratischen Gesellschaft, das unter besonderen Umständen auch Aspekte des Privatlebens von Personen des öffentlichen Lebens einbeziehen kann, insbesondere wenn es sich um Politiker handelt."

Die Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Klägers (Art. 1 Absatz 1, 2 Absatz 1 GG) und der Pressefreiheit der Beklagten (Art. 5 Absatz 1 GG) muss hier zu Gunsten der Beklagten ausfallen. Der Einbruch in die Privatsphäre des Klägers ist angesichts des seinerzeit bestehenden überaus starken Interesses der Öffentlichkeit am Ausscheiden des Klägers aus der Politik als lediglich gering und vom Kläger hinzunehmen einzuschätzen.

Dies gilt auch unter Berücksichtigung dessen, dass die Straße, in der sich das Wohnhaus des Klägers befindet, von Passanten nicht stark frequentiert sein mag und dass zudem Passanten nur selten Veranlassung haben dürften, den Blick nach oben schweifen zu lassen. Insoweit mag es auch gerechtfertigt sein, von einer nur eingeschränkten Öffentlichkeit zu sprechen. Unabhängig davon, dass es durchaus einen Unterschied macht, "ob jemand lediglich von den zufällig anwesenden Personen seiner Umgebung gesehen und beobachtet werden kann oder ob in einer solchen Situation Fotografien von ihm hergestellt werden zu dem Zweck, diese in der Öffentlichkeit zu verbreiten" (BGH NJW 1996, 1128), vermögen diese Umstände kein Überwiegen der Belange des Klägers gegenüber der Pressefreiheit der Beklagten zu begründen.

b) Dem Berichterstattungsinteresse der Beklagten stehen Belange des Klägers im Sinne von § 23 Absatz 2 KUG nicht entgegen.

aa) Der Kläger ist durch das Anfertigen des Bildes nicht unmittelbar beeinträchtigt oder belästigt worden. Den Fotos selbst ist kein eigenständiger Verletzungseffekt zu entnehmen. Das Foto ist dem Kläger nicht abträglich. Der Kläger ist nicht ungünstig dargestellt.

bb) Dass das Foto den Kläger bei der Ausführung einer alltäglichen und privaten Tätigkeiten zeigt und der Medienöffentlichkeit präsentiert, führt nicht dazu, dass das Berichterstattungsinteresse hinter dem Persönlichkeitsrecht des Klägers zurückstehen muss. Der Bericht sollte gerade den Übergang des Klägers vom Politikerleben zum Privatalltag dokumentieren. Insoweit wird mit der Berichterstattung der Beklagten gerade eine die Öffentlichkeit interessierende Frage erörtert..

Der Umstand, dass das Foto, welches den Kläger in seinem privaten Alltag zeigt, von diesem unbemerkt aufgenommen worden ist, ist zwar geeignet, die Unbefangenheit des Klägers im Alltag zu beeinträchtigen. Seine Befürchtung, in Zukunft bei derart alltäglichen und privaten Tätigkeiten stets und ständig fotografiert zu werden, erscheint nachvollziehbar. Auch dies hat jedoch hinter den auf die Pressefreiheit gestützten Belangen der Beklagten zurückzustehen. Hierbei war zu berücksichtigen, dass das Foto und das öffentliche Berichterstattungsinteresse in dem seinerzeit geltenden Kontext des Geschehens zu beurteilen war. Damit ist keine Aussage darüber verbunden, dass die Veröffentlichung vergleichbarer Fotos zu späterer Zeit ebenfalls zulässig wäre.

cc) Dass der Artikel der Klägerin mit dem beanstandeten Foto neben der Befriedigung eines starken und ernsthaften Informationsinteresses der Öffentlichkeit zugleich auch einem Bedürfnisses einer mehr oder minder breiten Leserschicht nach oberflächlicher Unterhaltung entspricht, was weniger schutzwürdig ist, steht dem Berichterstattungsinteresse der Beklagten ebenfalls nicht erheblich entgegen.

dd) Auch die Art und Weise des Zustandekommens des Fotos führt nicht dazu, dass das Berichterstattungsinteresse hinter dem Persönlichkeitsrecht des Klägers zurückstehen muss.

Das Foto ist nicht heimlich und versteckt sondern von öffentlichem Straßenland aus aufgenommen worden. Dass das Foto demgegenüber nicht eine "Passantensicht" wiedergebe, sondern von einer Wohnung oder einem Büro in einem der gegenüberliegenden Häuser aus aufgenommen worden sei, hat der Kläger - insoweit von der Beklagten zulässig bestritten - erstmals in zweiter Instanz behauptet (Seite 5 des Schriftsatzes vom 22. Mai 2007 - Bl. 163 d.A.). Mit diesem Vortrag ist der Kläger gemäß §§ 529 Absatz 1 Nr. 2 in Verbindung mit § 531 Absatz 2 ZPO ausgeschlossen.

Auch der Umstand, dass das Foto mit einem Teleobjektiv (nach dem Vortrag der Beklagten mit einem Objekt mit einer Brennweite von 300 mm) aufgenommen worden ist, begründet vorliegend kein Überwiegen der Belange des Klägers. Freilich ist zu berücksichtigen, dass durch den Fortschritt der Aufnahme- und Wiedergabetechnik sich die Formen der Öffentlichkeit ändern können, in denen der Einzelne erscheint. So kann eine überschaubare Öffentlichkeit, in der sich jemand bei normalem Auftreten bewegt, durch eine Medienöffentlichkeit ersetzt werden (BVerfG NJW 2000, 1021). Vorliegend ist jedoch insoweit maßgeblich, dass der Balkon des Klägers nach den obigen Ausführungen (anders als das bereits zitierte Gartenlokal in BGH NJW 1996, 1128) nicht als Raum örtlicher Abgeschiedenheit anerkannt werden kann. Mit der Verwendung eines Teleobjektivs wurden hier deshalb keine Hindernisse überwunden, die eine örtliche Abgeschiedenheit bestimmten. Das Foto hat damit keinen belauschenden Charakter und ist nicht im Ergebnis einer indiskreten Beobachtung entstanden. Dies gilt unabhängig davon, ob - dem Vortrag des Klägers folgend - ein Objektiv mit einer Brennweite von 300 mm nicht zur Standardausrüstung einer "Hobbykamera" gehört und die vom Fotografen verwendete Brennweite seiner Kamera sogar noch größer gewesen sein sollte, als von der Beklagten eingeräumt.

ee) Schließlich war auch zu berücksichtigen, dass der Kläger durch Stellungnahmen wie in dem von der Beklagten vorgelegten Interview in der "nnnnnn " vom 23. September nn selbst ein Interesse der Öffentlichkeit an seinem neuen Leben nach dem Abschied aus der Politik geweckt hat.

B:

Da eine Persönlichkeitsrechtsverletzung nicht vorliegt, hat der Kläger auch keinen Anspruch auf Erstattung der geltend gemachten Rechtsanwaltskosten.

C:

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Absatz 1 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 Satz 1 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen (§ 543 Absatz 2 ZPO).

Ende der Entscheidung

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