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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 08.05.2007
Aktenzeichen: 9 U 39/07
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 929 Abs. 2
Für die Entscheidung, ob die Vollziehungsfrist gemäß § 929 Abs. 2 ZPO gewahrt ist, kann (im Anschluss an BGHZ 120, 73) nicht auf eine einzelfallbezogene Abwägung nach Treu und Glauben abgestellt werden.
Kammergericht

Im Namen des Volkes

Geschäftsnummer: 9 U 39/07

verkündet am: 08.05.2007

In Sachen

hat der 9. Zivilsenat des Kammergerichts, auf die mündliche Verhandlung vom 24.04.2007 durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Nippe und die Richter am Kammergericht Damaske und Bulling

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung wird das am 15.3.2007 verkündete Urteil des Landgerichts Berlin - 27 O 190/07 - geändert, die einstweilige Verfügung des Landgerichts Berlin vom 1.3.2007 aufgehoben und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen.

Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe:

Die zulässige Berufung hat Erfolg. Die einstweilige Verfügung ist aufzuheben, denn ihre Vollziehung ist gemäß § 929 Abs. 2 ZPO unstatthaft.

Es reicht nicht aus, dass die Antragstellerin die durch Beschluss vom 1.3.2007 erlassene einstweilige Verfügung am 6.3.2007 im Parteiwege hat zustellen lassen. Wenn eine Beschlussverfügung durch Urteil im Widerspruchsverfahren wesentlich geändert wird, muss der Gläubiger durch Vollziehung dieses Urteils deutlich machen, dass er von dem modifizierten Titel Gebrauch machen will (vgl. OLG Hamburg NJW-RR 1995, 1053, 1055; OLG Hamm Rpfleger 1995, 21; OLGR Karlsruhe NJW-RR 2003, 410; Zöller/Vollkommer, ZPO, 26. Auflage, § 929 Rn. 17 mit weiteren Nachweisen). Die einstweilige Verfügung vom 1.3.2007 wurde durch das angefochtene Urteil wesentlich umgestaltet, denn der erste Teil der Gegendarstellung (betreffend eine Manipulation für höhere Pflegestufen) entfiel und der dritte Teil (betreffend die Akten der betroffenen Bewohnerin) wurde inhaltlich erheblich geändert.

Das am 15.3.2007 verkündete Urteil hätte daher innerhalb der Frist des § 929 Abs. 2 ZPO bis zum 16.4.2007 vollzogen werden müssen. Die am 3.4.2007 erfolgte Amtszustellung des Urteils wahrt die Frist nicht. Insoweit folgt der Senat der überwiegenden Ansicht in Rechtsprechung und Literatur (vgl. die Nachweise bei Vollkommer a.a.O. Rn. 12 und 16). Die Auffassung, eine fehlgeschlagene Parteizustellung könne durch die Amtszustellung ersetzt werden (vgl. OLG München WRP 1983, 47; dass. MDR 2005, 1244; OLG Hamburg WRP 1997, 55), überzeugt nicht, denn damit würde im Ergebnis von der Notwendigkeit der - auf dem Vollzugswillen der Vollziehungsgläubigerin beruhenden - Parteizustellung abgesehen (so zutreffend OLG München MDR 1998, 1243). Erst recht kann aus der Amtszustellung nicht auf den Vollzugswillen eines Gläubigers geschlossen werden, der - wie die Antragstellerin - eine Vollziehung nicht versucht hat.

Einen Zwangsgeldantrag (auf der Grundlage des Urteils vom 15.3.2007), der die Vollziehungsfrist gewahrt hätte (vgl. BGH NJW 1990, 122), hat die Antragstellerin nicht gestellt. Ob eine einstweilige Verfügung, die - wie hier - dem Schuldner eine Handlung gebietet, auch - wie bei der Unterlassungsverfügung anerkannt - durch Parteizustellung vollzogen werden kann, ist streitig (vgl. die Nachweise bei Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, Band II, 3. Auflage, § 929 Rn. 33), kann hier aber dahin stehen, denn die Antragstellerin hat das Urteil vom 15.3.2007 nicht im Parteiwege zustellen lassen.

Der Beschluss des Senats vom 30.3.2007 hat die Vollziehungsfrist nicht vor deren Ablauf gehemmt, weil mit ihm eine Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem Urteil vom 15.03.2007 nur gegen Sicherheitsleistung angeordnet wurde und daher erst mit deren Hinterlegung wirksam wurde. Die Antragstellerin, welche die Darlegungs- und Glaubhaftmachungslast für eine Hemmung der Vollziehungsfrist trägt, vermag nicht zu widerlegen, dass die Sicherheitsleistung - wie in der Anlage BK 4 ausgewiesen - erst am 18.4.2007, d. h. nach Ablauf der Vollziehungsfrist, an die Hinterlegungsstelle überwiesen worden ist.

Die Antragstellerin kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, sie sei durch den Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 5.4.2007, mit dem eine Kopie des Hinterlegungsantrages eingereicht und eine umgehende Einzahlung der Sicherheit nach Vorliegen der Annahmeanordnung angekündigt wurde, von einer Vollziehung des angefochtenen Urteils abgehalten worden. Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 22.10.1992 (BGHZ 120, 73 unter B.II.2) u. a. ausgeführt:

"Die Vollziehungsfrist ist der Disposition der Parteien wie auch des Gerichts entzogen. Sie kann weder abgekürzt noch verlängert werden. Gegen ihre Versäumung gibt es im Zivilprozeß - anders im Verwaltungsprozeß (...) - keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Die unterbliebene Vollziehung führt zur Aufhebung der einstweiligen Verfügung/Anordnung und zur Ablehnung des Verfügungs-/Anordnungsantrags im Rechtsmittelverfahren sowie zur Auferlegung der Verfahrenskosten. Wegen dieser Besonderheiten ist eine Ungewißheit oder Unklarheit darüber, ob eine (fristgerechte) Vollziehung stattgefunden hat, tunlichst zu vermeiden. Es geht nicht an, die Beantwortung dieser Frage von den Umständen des Einzelfalls, einer Interessenabwägung oder einer Ermessensentscheidung abhängig zu machen (...). Ebensowenig darf die Auslegung einer Willenserklärung den Ausschlag geben."

Für die Wahrung der Vollziehungsfrist kann hiernach nicht auf eine einzelfallbezogene Abwägung nach Treu und Glauben abgestellt werden (s. a. Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 9. Auflage, Kap. 55 Rz. 42; Mellulis, Handbuch des Wettbewerbsprozesses, 3. Auflage, Rz. 216). Das Urteil des OLG Celle (OLGZ 1986, 489), das einem Schuldner ganz ausnahmsweise versagt hatte, sich auf eine fehlende Parteizustellung eines Arrestbefehls zu berufen, ist durch das erstgenannte Urteil des BGH (NJW 1990, 122) überholt und auf den vorliegenden Fall ohnehin nicht übertragbar; dort hatte der Gläubiger dem Schuldner seinen Vollzugswillen durch (umfangreiche) Vollstreckungsmaßnahmen deutlich gemacht.

Aus der zitierten Entscheidung des BGH (Z 120, 73) folgt zugleich, dass die (am 3.4.2007 zugestellte) Berufungserwiderung nicht als Vollziehung ausreicht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.



Ende der Entscheidung

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