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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 20.06.2006
Aktenzeichen: 9 U 47/06
Rechtsgebiete: KUG, GG, BGB


Vorschriften:

KUG §§ 22 f.
KUG § 23 Abs. 2
GG Art. 5 Abs. 1 Satz 2
BGB § 823
BGB § 1004 Abs. 1 S. 2
Die Veröffentlichung von Fotos, die eine als Schauspieler und Moderator relativ bekannte Person nach seiner Verurteilung wegen Betrugs im offenen Vollzug zeigen, kann (jedenfalls) wegen der Art des Zustandekommens der Fotos unzulässig sein.
Kammergericht Im Namen des Volkes

Geschäftsnummer: 9 U 47/06

verkündet am : 20.06.2006

In dem Rechtsstreit

hat der 9. Zivilsenat des Kammergerichts auf die mündliche Verhandlung vom 30. Mai 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Nippe sowie die Richter am Kammergericht Langematz und Bulling für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Antragsgegnerin gegen das am 9. Februar 2006 verkündete Urteil des Landgerichts Berlin - 27 O 1152/05 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Der Antragsteller ist ein bekannter Schauspieler und Moderator, der im November 2004 wegen Betruges zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt worden ist. Er verbüßt die Strafe als Freigänger in der Justizvollzugsanstalt Hakenfelde. Er hat gegen die Antragsgegnerin am 3. Januar 2006 eine einstweilige Verfügung erwirkt, mit der ihr unter anderem die Veröffentlichung von Fotos, die ihn - wie in der "Bnnn " vom 24. November 2005 auf Seite 56 geschehen - beim Verlassen der Haftanstalt zeigen, untersagt worden ist.

Das Landgericht hat die einstweilige Verfügung auf den auf die Fotoveröffentlichung beschränkten Widerspruch der Klägerin durch Urteil vom 9. Februar 2006 betätigt.

Mit der dagegen gerichteten Berufung macht die Antragsgegnerin geltend, das Landgericht habe bei der Auslegung und Anwendung der §§ 22 f. KUG die von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG garantierte Pressefreiheit nicht hinreichend berücksichtigt. Der Antragsteller habe durch unzählige Interviews sein "Schicksal" Immobilienbetrug, Verurteilung und Strafe selbst in die Öffentlichkeit getragen. Er müsse es deshalb auch hinnehmen, dass die Öffentlichkeit sich auch für die Umstände des Haftalltages interessiere. Sie habe ein berechtigtes Interesse daran, sich von der Gesamtpersönlichkeit des Antragstellers ein Bild zu machen und dazu auch in den hier maßgeblichen Bereich vorzudringen. Die Veröffentlichung der streitgegenständlichen Bildnisse sei kontextgerecht im Zusammenhang mit einem Artikel über den Haftalltag des Antragstellers erfolgt. Die Aufnahmen seien darüber hinaus an einem jedermann zugänglichen Ort aufgenommen worden.

Die Antragsgegnerin beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Berlin vom 9. Februar 2006 - 27 O 1152/05 - die einstweilige Verfügung vom 3. Januar 2006 zu Ziffer 1a) aufzuheben und den Antrag auf ihren Erlass insoweit zurückzuweisen.

Der Antragsteller beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens das angefochtene Urteil.

II.

Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet.

Das Landgericht hat den sich aus §§ 823, analog 1004 Abs.1 S. 2 BGB i. V. m. §§ 22 f. KUG, Art. 1 Abs.1, 2 Abs. 1 GG ergebenden Anspruch auf Unterlassung der verfahrensgegenständlichen Fotoveröffentlichung zu Recht bejaht. Die Berufungsbegründung rechtfertigt kein anderes Ergebnis.

1. Nach § 22 KUG dürfen Bildnisse nur mit Einwilligung des Abgebildeten verbreitet oder öffentlich zur Schau gestellt werden. An einer solchen Einwilligung des Antragstellers fehlt es hier.

2. Bei den verfahrensgegenständlichen Fotos handelt es sich allerdings um Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte, die grundsätzlich auch ohne Einwilligung des Abgebildeten veröffentlicht werden dürfen (§ 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG).

a) Der Antragsteller ist zwar keine sog. absolute Person der Zeitgeschichte, d.h. eine Person, die unabhängig von einzelnen Ereignissen aufgrund ihres Status und ihrer Bedeutung allgemeine Aufmerksamkeit findet (vgl. zur Definition BVerfG NJW 2000, 1021/1025; Senat KGR 2005, 52; Wenzel/von Strobl-Albeg, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. Aufl., Kap. 8 Rn. 9 ff.). Er ist weder von herausragender Prominenz noch übt er eine Leitbildfunktion aus.

b) Angesichts seines relativen Bekanntheitsgrades als Schauspieler und Moderator war das gegen ihn geführte Strafverfahren, das im November 2004 zu seiner Verurteilung wegen Betruges zu einer Haftstrafe führte, jedoch ein zeitgeschichtliches Ereignis, über das berichtet werden durfte. Ebenso ist die Art und Weise der Strafvollstreckung - jedenfalls in den Grundzügen - ein Vorgang mit einem erheblichen Informationswert für die Öffentlichkeit. Daran ändert es nichts, dass die Strafvollstreckung entsprechend der gängigen Strafvollzugspraxis ablief und der Antragsteller keinen "Promi-Bonus" erhielt. Der Durchschnittsleser ist mit der Praxis des Strafvollzuges nicht vertraut und muss durch die Presse darüber informiert werden dürfen, dass und wann ein zu 2 Jahren und 10 Monaten Haft verurteilter prominenter Täter die Strafhaft erst nahezu ein Jahr nach der Verurteilung antreten muss und er die Haftanstalt bereits 2 Wochen nach seinem Haftantritt tagsüber wieder verlassen darf (Art. 5 Abs. 1 GG).

3. Der Verbreitung der verfahrensgegenständlichen Fotos, die den Artikel, der unter anderem die Information über den Ausgang bebildert, steht jedoch ein berechtigtes Interesse des Antragstellers, dass das der Antragsgegnerin an der Bildnisveröffentlichung überwiegt, entgegen (§ 23 Abs. 2 KUG).

Bei der gebotenen Abwägung der beiderseitigen Belange im Rahmen des § 23 Abs. 2 KUG ist dem Persönlichkeitsrecht des Antragstellers gegenüber der Meinungs- und Pressefreiheit der Antragsgegnerin der Vorrang einzuräumen. Die Fotos sind dem Antragsteller zwar für sich genommen nicht abträglich, da sie ihn in angemessener Kleidung in einer an sich unverfänglichen Alltagssituation zeigen. Sie sind jedoch das Resultat einer für den Antragsteller unerträglichen Dauerbelästigung und Verfolgung. Der Antragsteller sieht sich seit seinem Haftantritt einer Dauerbelagerung durch Fotografen ausgesetzt, denen er beim Verlassen der Haftanstalt nicht ausweichen kann. Er hat in der mündlichen Verhandlung glaubhaft versichert, dass ihm seit seinem Haftantritt permanent Fotografen vor dem Eingang der Anstalt aufgelauert hätten, um ihn "abschießen" zu können. Mitgefangenen hätten sie Geld für Fotos von ihm aus der Haftanstalt angeboten. Selbst als er aus der Haftanstalt heraus einen Arzt aufgesucht habe, sei er von Pressefotografen abgelichtet worden. In dieser Art und Weise verfolgt und belästigt zu werden, ist geeignet, dem Antragsteller seine ihm auch als Freigänger zustehende Unbefangenheit im Alltag zu nehmen und ihn damit empfindlich in der Wahrnehmung seiner sozialen Kontakte und der freien Entfaltung seiner Persönlichkeit zu stören. Dem gegenüber ist die Beeinträchtigung des Interesses der Antragsgegnerin an der Fotoberichterstattung über das zeitgeschichtliche Ereignis, mit dem sich der Artikel auch nur unter anderem befasst, durch die Unterlassungsverfügung weniger gravierend. Daran ändert es auch nichts, dass der Antragsteller sein "Schicksal" um Immobilienbetrug, Verurteilung und Strafe rund ein Jahr vorher in zeitnah zum Strafverfahren gegebenen Interviews an die Öffentlichkeit getragen hat. Auf die Frage, ob die Antragsgegnerin Kenntnis von der Art und Weise der Entstehung der Fotos hatte, kommt es - entgegen der von ihr in der mündlichen Verhandlung vertretenen Ansicht - für den streitgegenständlichen Unterlassungsanspruch nicht maßgeblich an.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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