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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 19.12.2000
Aktenzeichen: 9 U 7933/00
Rechtsgebiete: BGB, StGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 823
BGB § 1004
StGB § 259
ZPO § 91
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
KAMMERGERICHT Im Namen des Volkes

Geschäftsnummer: 9 U 7933/00 30 O 379/00 Landgericht Berlin

Verkündet am: 19. Dezember 2000

In dem Rechtsstreit

hat der 9. Zivilsenat des Kammergerichts auf die mündliche Verhandlung vom 19. Dezember 2000 durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Baumeister, die Richterin am Kammergericht Junck und den Richter am Kammergericht Ninnemann für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Antragsgegners wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 21. August 2000 geändert:

Der Antrag vom 2. August 2000 der Antragsteller auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung wird abgelehnt.

Die Antragsteller haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Antragsgegners hat in der Sache Erfolg, denn den Antragstellern steht der auf die §§ 823, 1004 BGB analog gestützte Unterlassungsanspruch nicht zu, weil eine Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts bei einer Abwägung aller Umstände nicht vorliegt.

Das Landgericht hat zutreffend erkannt, dass es sich bei den Äußerungen, deren Unterlassung begehrt wird, entgegen dem missverständlichen Tenor des angefochtenen Urteils um Meinungsäußerungen des Antragsgegners handelt. Bei einer Auslegung des Flugblatttextes sowie der Aufschrift auf den gezeigten Schildern ergibt sich nach dem Verständnis eines objektiven Betrachters, dass keine (falschen) Tatsachen über die Antragsteller behauptet werden, sondern dass lediglich ein unstreitiger Sachverhalt im Rahmen einer politischen Diskussion bewertet wird.

Bei der Auslegung ist eine objektive Betrachtungsweise geboten (vgl. BGH NJW 2000, 3421, 3422 m. w. Nachw.), das heißt es kommt darauf an, wie die Äußerungen von Dritten verstanden werden mussten, nicht dagegen darauf, wie sie die Antragsteller verstanden haben oder wie sie vom Antragsgegner gemeint waren. Bei Anlegung dieser Kriterien lässt sich der konkrete Vorwurf, die Antragsteller verwirklichten den Straftatbestand der Hehlerei und machten sich strafbar, nicht feststellen. Es ist lediglich die Ansicht des Antragsgegners zu entnehmen, den von den Enteignungen in der ehemals sowjetisch besetzten Zone zwischen 1945 und 1949 Betroffenen sei Unrecht zugefügt worden und dieses werde jetzt in einer Weise verfestigt, dass die Betroffenen in gleicher Weise wie bei einer Hehlerei ein zweites Mal zum Opfer gemacht würden. Dass der Prozessbevollmächtigte des Antragsgegners die Ansicht vertritt, die Veräußerung des in den Jahren 1945--1949 enteigneten Grundeigentums erfülle tatsächlich den objektiven Tatbestand der Hehlerei im Sinne des § 259 StGB, ist dabei ohne Belang. Der gesamte weitere Inhalt des Flugblattes, soweit nicht der Wortlaut des § 259 StGB wiederholt wird, lässt erkennen, dass die Empfänger des Flugblattes motiviert werden sollten, den Antragsgegnerin seinen Bemühungen zu unterstützen, die Bundesregierung davon abzuhalten, die ehemals enteigneten Grundstücke zu veräußern, und diese dazu zu bewegen, die noch nicht veräußerten Grundstücke an die Betroffenen zurückzuübertragen.

Das Landgericht hat zutreffend ausgeführt, dass die beanstandeten Äußerungen weder die Menschenwürde des Antragstellers zu 1) beeinträchtigen noch Schmähungen oder Formalbeleidigungen darstellen. Insoweit kann auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts verwiesen werden.

Lassen sich die Äußerungen weder als Angriff auf die Menschenwürde noch als Formalbeleidigung oder Schmähung einstufen, kommt es für die zur Feststellung einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts erforderliche Abwägung auf die Schwere der Beeinträchtigung der betroffenen Rechtsgüter an, wobei es aber, anderes als im Fall von Tatsachenbehauptungen, grundsätzlich keine Rolle spielt, ob die Kritik berechtigt oder dass Werturteil "richtig" ist. Da es der Sinn jeder zur Meinungsbildung beitragenden öffentlichen Äußerung ist, Aufmerksamkeit zu erregen, sind angesichts der heutigen Reizüberflutung aller Art einprägsame, auch starke Formulierungen hinzunehmen. Das gilt auch für Äußerungen, die in scharfer und abwertender Kritik bestehen, mit übersteigerter Polemik vorgetragen werden oder in ironischer Weise formuliert sind. Der Kritiker darf seine Meinung grundsätzlich auch dann äußern, wenn sie andere für "falsch" oder "ungerecht" halten. Auch die Form der Meinungsäußerung unterliegt der durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Selbstbestimmung des Äußernden. Verfolgt der Äußernde nicht eigennützige Ziele, sondern dient sein Beitrag dem geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage, spricht die Vermutung für die Zulässigkeit der Äußerung; eine Auslegung der die Meinungsfreiheit beschränkenden Gesetze, die an die Zulässigkeit öffentlicher Kritik überhöhte Anforderungen stellt, ist mit Art. 5 Abs. 1 GG nicht vereinbar (vgl. BGH NJW 2000, 3421, 3422 m.w.Nachw.).

Mit dem streitigen Flugblatt und der Äußerung auf dem Schild hat sich der Antragsgegner an einer politischen Diskussion in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage beteiligt. Hierbei hat er sich durch den Abdruck des Wortlauts von § 259 StGB und den Gebrauch des Wortes "Hehlerei" einer plakativen und provokanten Darstellung seiner Argumente bedient. Die Antragsteller bewegen sich auf Grund ihrer Tätigkeit im Randbereich, der von der Diskussion um die Verwertung ehemals enteigneter Grundstücke betroffen ist. Sie müssen als Reflex dieser Diskussion auch Äußerungen wie die hier streitigen hinnehmen. Denn der beabsichtigte Zweck der Äußerungen ist nicht gegen die Antragsteller gerichtet, sie sollen erkennbar nicht angegriffen und in ihrem sozialen Achtungsanspruch herabgewürdigt werden. Vielmehr soll der Blick auf die von den Enteignungen Betroffenen gerichtet werden, sie sollen in ihrem Bemühen um einen Rückerhalt des Eigentums dadurch unterstützt werden, dass mögliche Interessenten an einem Erwerb aus moralischen Gründen abgehalten werden, weil die Betroffenen -- aus Sicht des Antragsgegners -- durch einen solchen Erwerb zum zweiten Mal zum Opfer einer gegen ihre Vermögensinteressen gerichteten Handlungen gemacht werden würden. Zur Durchsetzung einer Rückgabe derartiger Grundstücke soll eine breite Öffentlichkeit gegen die Verkaufsaktionen der Bundesregierung mobilisiert werden. Dadurch werden zwar die Antragsteller als Versteigerer auch betroffen und kritisiert, aber nicht in einer Weise angegriffen, die eine nicht hinzunehmende Verletzung ihres Persönlichkeitsrechtes darstellt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Ende der Entscheidung

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