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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 25.02.2002
Aktenzeichen: 9 W 317/01
Rechtsgebiete: GVG, ZPO, SGG, SGB V


Vorschriften:

GVG § 17 Abs. 4 Satz 5
GVG § 17a Abs. 4 Satz 3
ZPO § 17 b Abs. 2
ZPO § 78 Abs. 1
ZPO § 91 Abs. 1
ZPO § 569 Abs. 2 Satz 1 a.F.
ZPO § 577 a.F
ZPO § 577 Abs. 2 Satz 1
ZPO § 924 Abs. 2
SGG § 51
SGG § 51 Abs. 2 Ziffer 1
SGB V § 63
SGB V § 64
SGB V § 69
SGB V § 69 Satz 3
SGB V § 70
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
KAMMERGERICHT Beschluss

Geschäftsnummer: 9 W 317/01

In Sachen

hat der 9. Zivilsenat des Kammergerichts" durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Nippe, die Richterin am Kammergericht Junck und den Richter am Kammergericht Bulling am 25. Februar 2002 beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluß des Landgerichts Berlin vom 18. Oktober 2001 - 27 O 556/01 - aufgehoben.

Das Verfahren wird an das Sozialgericht Berlin verwiesen.

Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens bei einem Beschwerdewert von 3.000 Euro zu tragen.

Die Beschwerde gegen diese Entscheidung wird zugelassen.

Gründe:

I.

Der als "Beschwerde" bezeichnete Rechtsbehelf der Antragsgegnerin gegen den angefochtenen Beschluß, mit dem das. Landgericht den Rechtsweg zum ordentlichen Gericht für zulässig erklärt hat, ist als sofortige Beschwerde gemäß § 17a Abs. 4 Satz 3 GVG, 577 ZPO a.F zulässig. Die sofortige Beschwerde ist am 7. November 2001 beim Landgericht Berlin fristgerecht gemäß § 577 Abs.2 Satz 1 ZPO eingegangen, da der angefochtene Beschluß nicht zugestellt worden ist; dessen Verkündung am 18. Oktober 2001 setzte die Frist nicht in Lauf. Für die Einlegung der sofortigen Beschwerde beim Landgericht genügte gemäß §§ 569 Abs.2 Satz 1 a.F., 924 Abs.2 ZPO, daß die Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin dort gemäß § 78 Abs.1 ZPO postulationsfähig sind (vgl. BGH NJW 2000, 3357, 3358).

II.

Die sofortige Beschwerde ist begründet, denn für das vorliegende Verfahren ist gemäß § 51 Abs.2 Ziffer 1 SGG der Rechtsweg zum Sozialgericht gegeben.

1.

Gegenstand des Verfahrens ist das Begehren der Antragstellerin, der Antragsgegnerin durch einstweilige Verfügung zu untersagen, im Zusammenhang mit "Bestechungsgeschenken" von Pharma-Konzernen, also der Abgabe von Incentives an Ärzte wörtlich oder sinngemäß zu verbreiten, auch die Antragstellerin sei aufgefordert, ... ihre bisherige stillschweigende Unterstützung ... dieser ärgsten Auswüchse agressiver Werbung der Pharmaindustrie aufzugeben.

2.

Hierbei handelt es sich im Sinne von § 51 Abs.2 Ziffer 1 SGG um eine Streitigkeit, die in einer Angelegenheit nach dem SGB V aufgrund der Beziehungen zwischen einer Ärztevereinigung (der Antragstellerin) und einer Krankenkasse (der Antragsgegnerin) entstanden ist.

Die Argumentation des Landgerichts, der ordentliche Rechtsweg sei gegeben, weil der streitgegenständliche Anspruch allenfalls auf privatrechtliche Normen gestützt werden könne und die Antragsgegnerin gegenüber der Antragstellerin nicht weisungsbefugt, sondern das Verhältnis der Parteien von bürgerlich-rechtlicher Gleichordnung geprägt sei, vermag den erkennenden Senat nicht zu überzeugen:

a.

Nach Wortlaut und Systematik des § 51 SGG sowie den Vorstellungen des Gesetzgebers bei dessen Novellierung durch das Gesundheitsreformgesetz vom 20. Dezember 1988 (vgl. BT-Drucks. 11/3480 S.77) kommt es für die Zuständigkeit der Sozialgerichte gemäß Absatz 2 - anders als für diejenige gemäß Absatz 1 - nicht darauf an, ob es sich um eine öffentlich-rechtliche oder um eine privatrechtliche Streitigkeit handelt (BGH NJW 1998, 825; BSGE 64, 260; Hennig/ Danckwerts, SGG, § 51 Rz. 20; Peters/Sautters/Wolff, SGG, 4. Auflage 60. Nachtrag Rz. 283; Meyer/Ladewig, SGG, 6. Auflage, § 51 Rz. 26, 36 und 36a). Demgemäß setzt die Zuständigkeit der Sozialgerichtsbarkeit nicht voraus, daß sich die Parteien des Rechtsstreits in einem Über-/Unterordnungsverhältnis gegenüberstehen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist vielmehr entscheidend, ob das Schwergewicht des Rechtsstreits bei dem Aufgabenbereich anzusiedeln ist, dessen Erfüllung den Krankenkassen unmittelbar aufgrund der öffentlich-rechtlichen Bestimmungen des SGB V obliegt (BGH a.a.O. S.826; BGH NJW 2000, 874).

b.

Dies ist hier zu bejahen. Die streitgegenständliche Kritik der Antragsgegnerin, die Antragstellerin würde "Bestechungsgeschenke" von Pharma-Unternehmen an Ärzte stillschweigend unterstützen und diese Aufwendungen würden zu Lasten der Krankenkasse über den Verkaufspreis für die Medikamente wieder hereingeholt, steht im Zusammenhang mit der Aufgabe der Krankenkassen (und der Leistungserbringer), die Versorgung der Versicherten wirtschaftlich zu erbringen (§ 70 Abs.1 Satz 2 SGB V), bzw. mit der Aufgabe der Krankenkassen, die Wirtschaftlichkeit der vertragsärztlichen Versorgung zu überwachen (§ 106 Abs.1 SGB V).

Das Hinwirken auf eine wirtschaftliche Verordnungsweise der Kassenärzte gehört damit, auch wenn es durch öffentliche Verlautbarungen geschieht, zu den hoheitlichen Aufgaben der Krankenkassen (vgl. BGH NJW 2000, 874, 875). Jener den Sozialgerichten zugewiesene Fall, in dem ein Arzneimittelhersteller sich gegen eine Ankündigung von Einschränkungen bei der Kostenerstattung wandte, erscheint mit dem vorliegenden vergleichbar. Insbesondere hat der Bundesgerichtshof seinerzeit nicht etwa darauf abgestellt, daß eine Weisung gegenüber Kassenärzten - geschweige denn durch die beklagte Krankenkasse - vorgelegen hätte.

In die gleiche Richtung weist das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 28. Februar 1978 (NJW 1978, 1860), wonach einer rufgefährdenden Erklärung einer Behörde auch über fiskalische Beziehungen zu einem Unternehmen hoheitlicher Charakter zukommt, wenn die Erklärung verwaltungspolitisch ausgerichtet ist.

c.

Darüberhinaus sind nach der Novellierung des § 69 SGB V zum 1. Januar 2000 die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen zu den Leistungserbringern und ihren Verbänden dem öffentlichen Recht zugeordnet (Jahn/Limpinsel, SGB V, § 69 Rz.6; Sabel, SGB V, Anmerkung zu § 69 Satz 1; Pexkert/Kroel MedR 2001, 14, 16 ff.; s.a. die Begründung des Gesetzesentwurfs BT-Drucks. 14/1265 S.67). Gemäß § 69 Satz 1 werden diese Rechtsbeziehungen nämlich abschliessend durch das 4. Kapitel und §§ 63, 64 des SGB V geregelt und gemäß § 69 Satz 3 gelten die Vorschriften des BGB nur entsprechend, soweit sie mit den Vorgaben des § 70 SGB V und den übrigen Aufgaben und Pflichten der Beteiligten nach diesem Kapitel vereinbar sind. Eine Angelegenheit nach dem SGB V - im Sinne von § 51 Abs.2 Ziffer 1 SGG - muß hiernach bejaht v/erden, wenn ein Bezug zu den Aufgaben und Pflichten aus §§ 69 ff SGB V besteht.

Die Äußerung der Antragsgegnerin wird damit von der öffentlichrechtlichen Beziehung der Parteien gemäß § 69 SGB V miterfaßt und hat die Qualität einer hoheitlichen Maßnahme, auch wenn ein Privatmann sich in gleicher Weise hätte äußern können.

III.

Die Entscheidung Über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt aus § 91 Abs.1 ZPO; § 17 b Abs.2 ZPO gilt insoweit nicht (BGH NJW 1993, 2542; Baumbach/Lauterbach/Albers, ZPO, 60. Auflage, § 17a GVG Rn.13).

Für den Beschwerdewert sind rund 20 % des Verfahrenswertes angesetzt worden (vgl. BGH NJW 1998, 910).

Die Beschwerde ist gemäß § 17 Abs.4 Satz 5 GVG zugelassen worden, weil die Auswirkung des neugefaßten § 69 SGB V für die Rechtswegzuweisung von grundsätzlicher Bedeutung und - soweit ersichtlich - noch nicht obergerichtlich entschieden ist.

Ende der Entscheidung

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