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Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 20.06.2008
Aktenzeichen: 9 W 72/08
Rechtsgebiete: LPG, ZPO, RFStV


Vorschriften:

LPG § 10
LPG § 10 Abs. 2 Satz 4
BGB § 121 Abs. 2 1 Satz 1
ZPO § 167
RFStV § 56
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 9 W 72/08

20.06.2008

In dem Rechtsstreit

hat der 9. Zivilsenat des Kammergerichts durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Nippe, den Richter am Kammergericht Dr. Vossler sowie den Richter am Kammergericht Damaske beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Antragstellers vom 6. Juni 2008 gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 5. Juni 2008 (27.O.571/08) wird auf dessen Kosten bei einem Beschwerdewert von 20.000,00 Euro zurückgewiesen.

Gründe:

Die zulässige sofortige Beschwerde ist unbegründet.

Zutreffend ist das Landgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass dem Antragsteller ein Anspruch auf Abdruck einer Gegendarstellung aus § 10 LPG nicht zusteht, weil das Abdruckverlangen des Antragstellers der Antragsgegnerin nicht mehr "unverzüglich" im Sinne des § 10 Absatz 2 Satz 4 LPG zugegangen ist.

1.

"Unverzüglich" bedeutet in Anwendung der Legaldefinition des § 121 Absatz 1 Satz 1 BGB, dass der Betroffene ohne schuldhaftes Zögern auf den Abdruck der Gegendarstellung hinzuwirken hat. Es muss ihm hinreichend Zeit bleiben, notwendige Informationen einzuholen, ggf. unter anwaltlicher Beratung zu einer Entscheidung zu kommen und die Gegendarstellung korrekt abzufassen. Dabei ist aber Beschleunigung geboten, weil das gesamte Gegendarstellungsrecht vom Aktualitätsinteresse geprägt wird (Senat AfP 1993, 749). Es kann der Pressefreiheit zuwider laufen, wenn eine Gegendarstellung so spät veröffentlicht wird, dass für den Leser der Bezug zu der zu korrigierenden Information nicht mehr erkennbar ist (vgl. BVerfG AfP 1983, 334, 336). Ob der Betroffene unverzüglich gehandelt hat, ist hiernach unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalles ohne Bindung an starre Fristen zu entscheiden (ständige Rechtsprechung des Senats zuletzt Beschluss vom 9. November 2007 - 9 W 156/07; ebenso Seitz/Schmidt/Schoener, Der Gegendarstellungsanspruch, 3. Auflage, Rn. 132). Freilich ist hierbei sowohl das Interesse des Betroffenen an einer angemessenen Überlegungsfrist als auch das Interesse der Medien an der Aktualität ihrer Berichterstattung zu berücksichtigen. Gerade im Falle einer täglich erscheinenden Zeitung - wie vorliegend - sind an eine unverzügliche Geltendmachung einer Gegendarstellung jedoch strenge Anforderungen zu stellen. Insoweit kann hier offen bleiben, ob in diesem Zusammenhang auch Berücksichtigung finden kann, in welchen Intervallen eine Zeitung bzw. Zeitschrift erscheint.

Die Annahme einer Regelfrist von 14 Tagen, innerhalb derer die Zuleitung einer Gegendarstellung stets "unverzüglich" im Sinne des § 10 Absatz 2 Satz 4 LPG sein soll, widerspricht diesen Grundsätzen und ist mit dem Gesetzeswortlaut nicht vereinbar (a. A. OLG Dresden ZUM-RD 2007, 117; OLG Stuttgart AfP 2006, 252; OLG Hamburg NJW-RR 2001, 186). Es mag im Sinne der Rechtssicherheit und aus Gründen der Praktikabilität wünschenswert sein, wenn - wie der Antragsteller meint - sämtliche mit Gegendarstellungsverfahren befasste Gerichte einheitlich davon ausgehen würden, regelmäßig eine 14-tägige Frist nach Kenntnisnahme der Erstmitteilung für die Unverzüglichkeit der Geltendmachung einer Gegendarstellung ausreichen zu lassen. Nach § 10 Absatz 2 Satz 4 LPG kann der Abdruck der Gegendarstellung jedoch nur dann verlangt werden, wenn die Gegendarstellung unverzüglich zugeht. Der Gesetzgeber hat an Stelle des Begriffes "unverzüglich" eben keine konkrete Frist von 14 Tagen normiert. Soweit beispielsweise das OLG Hamburg (NJW-RR 2001, 186) die Rechtsprechung des BGH (vgl. NJW 2000, 2282) zur Auslegung des Begriffs "demnächst" im Sinne von § 167 ZPO als in der Praxis brauchbare Richtschnur heranziehen will, überzeugt dies deshalb nicht, weil eine demnächstige Zustellung unverzügliches Handeln nicht voraussetzt, sondern durchaus eine vom Zustellungsbetreiber verursachte Verzögerung hinnimmt. Die Rechtsprechung des OLG München zur Aktualitätsgrenze kann auf § 10 Absatz 2 Satz 4 LPG Berlin ohnehin nicht übertragen werden, weil Art. 10 des BayPrG eine unverzügliche Zuleitung nicht verlangt. Entgegen der Auffassung des Antragstellers enthält auch § 56 RFStV gerade keine von § 121 Absatz 1 Satz 1 BGB abweichende Legaldefinition des Begriffes "unverzüglich". Insbesondere lässt sich der Vorschrift nicht entnehmen, dass eine innerhalb von sechs Wochen nach dem letzten Tage des Angebotes erfolgte Gegendarstellung stets unverzüglich sei. Die Sechs-Wochen-Frist stellt eine Ausschlussfrist dar.

2.

Vorliegend wäre es dem Antragsteller bei gebotener Anstrengung möglich gewesen, schneller tätig zu werden, so dass die Zuleitung der Gegendarstellung erst am 29. Mai 2008 auf eine schuldhafte Verzögerung durch den Antragsteller zurückzuführen ist. Bei den Anforderungen an ein "unverzügliches" Handeln des Antragstellers im vorliegenden Fall ist zu berücksichtigen, dass der Antragsteller gegenüber der Antragsgegnerin bereits einen Unterlassungsanspruch Geltend gemacht hat.

Nach eigenem Vortrag zeichnete sich bereits in den Folgetagen der Berichterstattung ab, dass das Interesse an dem berichteten Sachverhalt nicht abebben wollte und sowohl Mitarbeiter als auch Banken, Lieferanten und Kunden dem Antragsteller in der Sache keine Ruhe ließen. Brauchte der Antragsteller für die Entscheidung, die Antragsgegnerin zunächst auf Unterlassung in Anspruch zu nehmen, lediglich vier Tage (einschließlich eines Wochenendes), dann ist nicht ersichtlich, weshalb der Antragsteller, nachdem bereits in den Folgetagen nach Veröffentlichung der Ausgangsmitteilung dem Antragsteller offenbar wurde, dass die Thematik die Öffentlichkeit nachhaltig bewegte, für die Entscheidung, nun doch eine Gegendarstellung durchsetzen zu wollen, einen längeren Zeitraum benötigte.

Einen presserechtlich versierten Anwalt hatte der Antragsteller bereits gefunden. Dieser und der Antragsteller selbst waren bezüglich der Berichterstattung bereits in vollem Umfang informiert. Dass innerhalb des selben Zeitraums, der für die Geltendmachung eines Unterlassungsanspruches erforderlich war, eine erneute anwaltliche Beratung und Zuleitung der Gegendarstellung nicht gleichermaßen hätte erfolgen können, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Gleiches gilt für die vom Antragsteller für erforderlich gehaltene Abstimmung mit dessen Strafverteidiger sowie den Mitangeklagten.

Hat sich mithin in der Woche nach der Berichterstattung vom 16. Mai 2008, also in der Woche vom 19. bis 23. Mai 2008, herausgestellt, dass die Berichterstattung in der Öffentlichkeit anhaltend negative Auswirkungen für den Antragsteller nach sich zog, dann hätte er gleichermaßen bis zum darauffolgenden Dienstag, dem 27. Mai 2008, der Antragsgegnerin eine Gegendarstellung zuleiten können, wie es dem Antragsteller möglich war, nach Erscheinen der Ausgangsmitteilung am 16. Mai 2008 am darauffolgenden Dienstag, dem 20. Mai 2008, den Unterlassungsanspruch geltend zu machen. Danach ist die Zuleitung am 29. Mai 2008 verspätet erfolgt.

Dass zwischen dem Erscheinen der Ausgangsmitteilung und der Zuleitung der Gegendarstellung zwei Wochenenden lagen ist hiernach unerheblich. Ein Feiertag lag in diesem Zeitraum ohnehin nicht (Fronleichnam ist in Sachsen-Anhalt kein Feiertag.)

3.

Ob die Angelegenheit darüber hinaus noch fortwährend in der Öffentlichkeit behandelt wurde, ist dagegen unerheblich (a. A. Löffler/Ricker, Handbuch des Presserechts, 5. Auflage, Kap. 25, Rn 26). Dies bereits deshalb, weil eine erst im Nachhinein eintretende tatsächliche Entwicklung keine Auswirkungen auf die Sorgfaltsanforderungen für das vor diesem Geschehen erfolgende Verhalten des Antragstellers bei der Durchsetzung der Gegendarstellung haben kann.

Dahin gestellt bleiben kann, weil in den obigen Ausführungen berücksichtigt, ob generell ein Interesse des Betroffenen beachtet werden kann, über eine angemessene Überlegungszeit hinaus zunächst die Auswirkungen einer Berichterstattung in der Öffentlichkeit abzuwarten, um dann zu entscheiden, ob eine Gegendarstellung durchgesetzt werden soll.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.

Ende der Entscheidung

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