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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 15.12.1993
Aktenzeichen: Kart U 3713/93
Rechtsgebiete: GWB, ZPO


Vorschriften:

GWB § 1
GWB § 35 Abs. 1 Satz 1
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 515 Abs. 2 Satz 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 713
ZPO § 546 Abs. 1
ZPO § 546 Abs. 2 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
KAMMERGERICHT Im Namen des Volkes

Geschäftsnummer: Kart U 3713/93

Verkündet am: 15. Dezember 1993

In dem Rechtsstreit

hat der Kartellsenat des Kammergerichts auf die mündliche Verhandlung vom 15. Dezember 1993 durch die Vorsitzende Richterin am Kammergericht Werner und die Richter am Kammergericht Kollmorgen und Jalowietzki für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 5. Mai 1993 verkündete Urteil der Kammer für Handelssachen 97 des Landgerichts Berlin wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten seiner Berufung.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beschwer des Klägers beträgt 7.898,19 DM.

Tatbestand:

Der Kläger schrieb im Jahre 1981 im Rahmen des Bauvorhabens "Tiefgarage am Augsburger Platz" den Einbau von Entlüftungsanlagen aus. Submissionstermin war der 6. März 1981. Teilnehmer dieser beschränkten Ausschreibung war - neben fünf weiteren Unternehmen - die Dr. W Ing.-Gesellschaft m.b.H. & Co (nachstehend:), aus der später die Beklagte im Wege der Umwandlung hervorgegangen ist. Bot die Ausführung der Arbeiten für 263.273,05 DM an, erhielt als billigster Bieter am 10. Juni 1981 den Auftrag und führte ihn aus. Die Schlußrechnung datiert vom 23. November 1982 und lautet auf 313.329,88 DM.

Das Bauvorhaben war u.a. Gegenstand eines vom Bundeskartellamt gegen HI und deren Geschäftsführer Dr. P erlassenen - rechtskräftigen - Bußgeldbescheides wegen fortgesetzter Beteiligung an der Durchführung wettbewerbsbeschränkender Absprachen (B 1 - 70 10 00 - A - 97/85 - 19; dort Obj. Nr. 14330). Gestützt auf diesen Verfahrensausgang und auf Nr. 18 Abs. 2 der "Zusätzlichen Vertragsbedingungen Berlins für die Ausführung von Bauleistungen" (ZVB), die im Falle einer aus Anlaß der Vergabe getroffenen Wettbewerbsbeschränkung die Verpflichtung des Auftragnehmers vorsehen, an den Auftraggeber einen Betrag in Höhe von 3 v.H. der Auftragssumme zu zahlen, hat der Kläger erstmalig mit Schreiben vom 21. Februar 1990 Zahlung von 8.318,49 DM als "vereinbarten Schadensersatz" von der Beklagten verlangt.

Dieser Anspruch ist - geringfügig reduziert - Gegenstand der Klage. Zur Begründung hat der Kläger vorgetragen: Vor Abgabe des Angebotes habe mit dem an der Ausschreibung ebenfalls beteiligten Wettbewerber T GmbH (TKT) eine Absprache über das Bieterverhalten getroffen. Auf dieser Grundlage habe TKT Herbst durch ein überhöhtes Angebot "geschützt". Dem Kläger sei auf diese Weise ein Schaden entstanden; denn erfahrungsgemäß hätten die Absprachebeteiligten unter Wettbewerbsbedingungen schärfer kalkuliert, und zu einem niedrigeren Preis angeboten. Regelmäßig betrage diese Differenz ca. 10 %.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 7.898,19 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 1. März 1990 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat den behaupteten Geschehensablauf bestritten. Eine Absprache sei nicht getroffen und dem Kläger kein Schaden zugefügt worden. Auf die ZVB könne er sich ohnehin nicht berufen, da diese mit dem AGBG nicht vereinbar seien. Schließlich seien etwaige Schadensersatzansprüche verjährt, da der Kläger bereits im Frühjahr 1986 von den Ermittlungen des Bundeskartellamtes erfahren habe.

Das Landgericht hat die Klage nach Vernehmung der vom Kläger benannten Zeugen B, R und W mit der Begründung abgewiesen, der Beweis für eine Preisabsprache sei nicht erbracht. Wegen der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des am 5. Mai 1993 zugestellten Urteils Bezug genommen.

Mit seiner am 7. Juni 1993 eingelegten und am 6. Juli 1993 begründeten Berufung wendet sich der Kläger vorrangig gegen die vom Landgericht vorgenommene Beweiswürdigung. Insoweit macht er geltend: Das Landgericht habe nicht nur den Ausgang des Bußgeldverfahrens gegen H unberücksichtigt gelassen, es habe auch den Beweiswert der bei dem TKT-Mitarbeiter R beschlagnahmten Aufzeichnungen (Niederlassungslisten, Monatslisten) verkannt. Aufgrund der Bekundungen des mit den kartellbehördlichen Ermittlungen befaßten Zeugen W sei erwiesen, daß es sich dabei um eine unternehmensinterne Absprachebuchhaltung handele, die für das Projekt "Tiefgarage Augsburger Platz" eine Schutzabrede zugunsten von H ausweise. In Einklang damit stünden die Feststellungen des Kartellsenats in dem Bußgeldverfahren Kart 4/91. Anders als von den Zeugen B und R bekundet, dokumentiere die Niederlassungsliste nicht den Kenntnisstand von TKT nach der Submissionseröffnung. Die hohe Fehlerquote der Eintragungen (300 bei 2000 überprüften Fällen) zwinge vielmehr zu der Annahme, daß ihnen Prognosen aufgrund von Absprachen zugrunde gelegen hätten.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des angefochtenen Urteils zu verurteilen, an ihn 7.898,19 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 1. März 1993 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das landgerichtliche Urteil für zutreffend und führt ergänzend aus: Dem Ausgang des Bußgeldverfahrens gegen H könne ein Schuldeingeständnis bezüglich des hier in Rede stehenden Bauvorhabens nicht entnommen werden. Es habe sich um eine vergleichsweise Erledigung einer Vielzahl von Tatvorwürfen gehandelt, bei der die einzelnen Objekte nur die Bedeutung von Berechnungsfaktoren für die Bußgeldbemessung erlangt hätten. Im Verfahren Kart 4/91 gewonnene Feststellungen beträfen andere Objekte und ließen keine Rückschlüsse auf wettbewerbsbeschränkende Aktivitäten im vorliegenden Fall zu. Die behauptete Bedeutung der Niederlassungslisten sei nicht bestätigt worden. Der Wertung des Zeugen W stünden die Bekundungen der Zeugen 9 und R gegenüber, deren Erklärung über die Funktion der Listen widerspruchsfrei und plausibel seien.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen und R. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 15. Dezember 1993 (Bd. II Bl. 122 127 d.A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die - nur noch bezüglich des Klageanspruchs anhängige - Berufung ist unbegründet, dem Kläger steht der geltend gemachte Schadensersatzanspruch nicht zu.

Das Kartellverbot des § 1 GWB hat Schutzfunktionen zugunsten der jeweiligen Marktgegenseite, seine schuldhafte Verletzung löst Schadensersatzansprüche nach § 35 Abs. 1 Satz 1 GWB aus. Der Kläger hat den ihm obliegenden Beweis für das Vorliegen dieser Anspruchsvoraussetzungen jedoch nicht erbracht. Ob den Angeboten von und TKT eine Absprache zugrunde lag, ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme offen.

Zwar ist erwiesen, daß Unternehmensangehörige von TKT in einer Vielzahl von Fällen an Preisabsprachen - und worauf es entscheidend ankommt - auch an ihrer Durchführung beteiligt waren. Der Zeuge B, der deswegen ebenso wie sein damaliger Mitarbeiter B mit einer Geldbuße belegt worden ist, hat dies im Bußgeldverfahren gegen S ausdrücklich eingeräumt. Auch die Beklagte bestreitet eine Mitwirkung von H an derartigen Wettbewerbsbeschränkungen nicht schlechthin. Damit ist der Kläger aber nicht von der Verpflichtung entbunden, im jeweiligen Einzelfall das Zustandekommen einer Absprache und ihre Ursächlichkeit für die spätere Auftragserteilung nachzuweisen.

Um den Auftrag "Tiefgarage am Augsburger Platz" haben sich sechs Unternehmen beworben. Unter diesen Umständen war eine auf TKT und H beschränkte Verständigung über ein Schutzangebot wenig erfolgversprechend. Erfahrungsgemäß sind die Initiatoren einer Absprache bemüht, alle Bewerber einzubeziehen, um den Erfolg des vorgesehenen Mindestbieters nicht zu gefährden. Scheitern diese Versuche, so wird das Projekt "freigegeben", das heißt, getroffene Schutzabreden verlieren ihre Verbindlichkeit. Den Geschehensablauf im vorliegenden Fall hat der Kläger nicht durch Zeugen unter Beweis gestellt, die für die an der Ausschreibung beteiligten Unternehmen tätig geworden sind (Kalkulatoren, Niederlassungsleiter). Die nicht in der Berliner TKT-Niederlassung, sondern in der Zentrale B G tätigen Zeugen B und R haben sich - wie schon bei ihrer Vernehmung durch das Landgericht - darauf berufen, sie hätten an die Bearbeitung dieses Vorgangs keine Erinnerung mehr. Gegenüber dieser Darstellung mag Skepsis angebracht sein; eine Bestätigung des Klagevortrags bedeutet sie jedenfalls nicht.

Die vom Kläger als besonders beweiskräftig eingestuften Listen des Zeugen R sind ebenfalls ungeeignet, dem Senat die Überzeugung zu vermitteln, H habe den Auftrag aufgrund einer Submissionsabsprache erhalten. Ob diese Unterlagen die Funktion einer Kartellbuchhaltung hatten und in der sog. Niederlassungsliste (zweite Spalte von rechts) das Abspracheergebnis dokumentiert ist - so die Einschätzung des beim Bundeskartellamt mit den Ermittlungen befaßten Zeugen W - oder diese Eintragungen nach der Submission erlangte Kenntnisse über die Erfolgsaussichten der vermerkten Unternehmen wiedergeben - so die Zeugen B und R -, kann der Senat nach Erhebung aller angetretenen Beweise nicht mit hinreichender Sicherheit beurteilen. Die nur auszugsweise eingereichte Niederlassungsliste (Anlagen K 4, 26, 27) enthält unter der laufenden Nummer 1928.00.460 neben der Objektbezeichnung ("Sen. Berlin, Tiefgarage"), dem Submissionstermin (6.3.81) und dem TKT-Angebotspreis (252.073) ein - im Original rot - umrandetes Kästchen mit dem Zusatz "Dr.". Diese Eintragung läßt nicht erkennen, ob sie vor oder nach der Submission vorgenommen wurde. Soweit der Kläger auf andere Vorgänge verweist, bei denen die Listeneintragung nicht mit dem Ausgang des Vergabeverfahrens übereinstimmt (Anlagen K 25, 26), ist folgendes zu sagen: Nach Darstellung der Zeugen B und R stammen die Listeneintragungen aus der Zeit zwischen Submissionseröffnung und Auftragsvergabe. Die vom Kläger eingereichten Verdingungsverhandlungsprotokolle belegen, daß die in der Verhandlung bekanntgegebenen Angebotsendsummen anschließend einer rechnerischen Überprüfung unterzogen werden, deren Ergebnis von der ursprünglichen Reihenfolge abweichen kann. Die vom Kläger hervorgehobenen Widersprüche können auch darauf beruhen und setzen nicht zwingend voraus, daß die "Sieger" der Ausschreibung schon vor dem Submissionstermin in den Listen vermerkt wurde.

Auf den Inhalt des gegen H ergangenen Bußgeldbescheides kann die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits ebenso wenig gestützt werden wie auf die Feststellungen des Senats im Bußgeldverfahren Kart 4/91. Daß der Entscheidung der Kartellbehörde ein Schuldeingeständnis von H für die einzelnen Vorwürfe zugrunde gelegen hat, ist nicht vorgetragen. Nach der unwidersprochenen Darstellung der Beklagten hat es sich dabei um eine quasi-vergleichsweise Regelung gehandelt, bei der das Interesse an einer schnellen Verfahrensbeendigung im Vordergrund stand. Das Verfahren Kart 4/91 betraf andere Sachverhalte. Soweit der Senat im Urteil vom 4. November 1991 Feststellungen zur Funktion der Listen getroffen hat, geschah dies nach einer umfassenden Beweisaufnahme, die die Vernehmung zahlreicher Zeugen und die Würdigung fallbezogener Urkunden einschloß. Das so gewonnene Beweisergebnis entfaltet weder irgendwelche Bindungswirkungen, noch verschafft es dem Kläger eine Beweiserleichterung.

Fehlt es aber am Nachweis einer Submissionsabsprache, so bedarf es keiner Erörterung, ob der Kläger unter Berücksichtigung der die behördliche Schätzung erheblich unterschreitenden Kosten den Eintritt eines Schadens hinreichend dargelegt hat und ob er sich mit Erfolg auf Nr. 18 Abs. 2 ZVG berufen kann (vgl. zur Rechtsnatur derartiger Abreden BGH WuW/E 2523 "Vertragsstrafenklausel Baubehörde Bremen"). Die Berufung war nach alldem zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO und berücksichtigt die Rücknahme der Berufung gegen den Ausspruch über die Widerklage, § 515 Abs. 2 Satz 1 ZPO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Die Beschwer des Klägers ist gemäß § 546 Abs. 2 Satz 1 ZPO festgesetzt worden.

Eine Zulassung der Revision schied aus, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und das Urteil nicht von bundesgerichtlicher Rechtsprechung abweicht und auf dieser Abweichung beruht, § 546 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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