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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin
Urteil verkündet am 03.11.2005
Aktenzeichen: 10 Sa 1490/05
Rechtsgebiete: ArbGG, ZPO


Vorschriften:

ArbGG § 8 Abs. 2
ArbGG § 64 Abs. 1
ArbGG § 64 Abs. 2
ArbGG § 64 Abs. 6
ArbGG § 66 Abs. 1
ArbGG § 69 Abs. 2
ZPO § 511
ZPO § 519
ZPO § 520
Mit der Altersermäßigung bezüglich der Pflichtstundenanzahl bezweckt der Gesetzgeber nicht eine Reduzierung der (Gesamt-) Arbeitszeit der älteren Lehrer schlechthin, sondern nur - wegen der besonderen Belastung im Rahmen der Unterrichtsstunden - eine Umgewichtung der einzelnen Elemente (Unterricht, Korrekturen, Besprechungen, Vorbereitung u.a.) der - gleichbleibenden - Gesamtarbeitszeit.
Landesarbeitsgericht Berlin Im Namen des Volkes Urteil

10 Sa 1490/05

Verkündet am 03.11.2005

In Sachen

hat das Landesarbeitsgericht Berlin, 10. Kammer, auf die mündliche Verhandlung vom 03.11.2005 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Binkert als Vorsitzenden sowie den ehrenamtlichen Richter Richter-Rose und die ehrenamtliche Richterin Jacobs

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 03.06.2005 - 91 Ca 1781/05 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die seit 1981 bei dem beklagten Land als Unterstufenlehrerin beschäftigte Klägerin begehrt Mehrarbeitsvergütung und Freizeitausgleich unter Berufung darauf, dass ihr bezüglich ihrer Pflichtstundenzahl eine Altersermäßigung zugestanden habe, die das beklagte Land in - wie verwaltungsgerichtlich festgestellt - rechtswidrigerweise gestrichen habe.

Von einer näheren Darlegung des Parteivorbringens erster Instanz wird unter Bezugnahme auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung abgesehen, § 69 Abs. 2 ArbGG.

Das Arbeitsgericht hat die Klägerin mit Urteil vom 3. Juni 2005 mit ihrer Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin habe überhaupt keine Mehrarbeit geleistet. Ihre Wochenarbeitszeit habe 42 Stunden betragen, die Höhe der darin enthaltenen Pflichtstundenzahl lasse den Umfang der Arbeitszeit dabei unberührt. Die Besonderheit der Arbeitszeit von Lehrern bestehe gerade darin, dass sie durch Unterricht, Vorbereitung, Korrekturen von Klassenarbeiten etc. gekennzeichnet sei. Sie könne nur grob pauschalisierend geschätzt werden. In diesem Rahmen werde die Arbeitszeit durch die Pflichtstundenzahl konkretisiert. Hieraus ergebe sich, dass auch die rechtswidrige Streichung der Altersermäßigung nicht mit der Erbringung von Mehrarbeit gleichzusetzen sei. Soweit sich die Klägerin auf Ausführungen in den Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Mai 2003 und des Arbeitsgerichts vom 22. August 2001 berufe, stützten diese ihren Anspruch nicht. Es handele sich dabei jeweils um andere, nicht vergleichbare Fälle. Der Klägerin stehe auch kein Anspruch auf Nachgewährung der Altersermäßigung zu, dies sei rückwirkend überhaupt nicht möglich. Denn der Zweck der Altersermäßigung sei ein kontinuierlicher Belastungsausgleich, der nicht rückwirkend erreicht werden könne. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe (Bl. 42 ff. d.A.) Bezug genommen.

Gegen dieses am 4. Juli 2005 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin, die sie mit einem beim Landesarbeitsgericht am 29. Juli 2005 eingegangenen Schriftsatz eingelegt und mit einem beim Landesarbeitsgericht - nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 19. September 2005 - am 19. September 2005 eingegangenen Schriftsatz begründet hat.

Die Klägerin und Berufungsklägerin verweist in der Berufungsinstanz zunächst darauf, dass die Arbeitszeit der Beamten ab dem 1. August 2003 wieder auf 40 Wochenstunden festgelegt worden sei. Für die Belastung der Lehrer sei ohnehin auf eine Jahresarbeitszeit abzustellen. Dabei führe eine Erhöhung der Pflichtstundenzahl zu einer Hebung der Arbeitsleistung, die Nichtgewährung der Altersermäßigung habe den gleichen Effekt. Zu berücksichtigen sei, dass die Verordnung über Mehrarbeitsvergütung für Beamte davon ausgehe, dass drei Unterrichtsstunden als fünf Zeitstunden gelten würden, eine Unterrichtsstunde mithin als 1,66 Zeitstunden. Bei einem Pensum von 28 Wochenstunden und diesem Bemessungsfaktor komme man im Bezugspunkt des Lehrers auf 48,68 Wochenstunden und damit auf 1947 Jahresstunden. Demgegenüber müsse der Beamte nur 1845 Stunden arbeiten. Hieraus werde deutlich, dass Lehrer länger arbeiteten als sonstige Beamte. Das Bundesarbeitsgericht habe anerkannt, dass die Pflichtstunden durchaus ein Indikator für die geleistete Arbeitszeit seien, beispielsweise in dem Vergleich zwischen Teilzeit und Vollzeitlehrern in der Entscheidung vom 16. Oktober 2003. Seit dem Jahre 1990 sei eine kontinuierliche Verschlechterung der Arbeitszeit der Lehrer feststellbar, unter anderem durch Heraufsetzung der Schülerfrequenzen und durch eine Arbeitszeiterhöhung in der Form der Erhöhung der Unterrichtsverpflichtung. Das arbeitsgerichtliche Urteil gehe bezüglich der Arbeitszeit von einer beamtenrechtlichen Sichtweise aus, nicht aber von einer arbeitsrechtlichen. Der Klägerin sei über zwei Schuljahre hinweg eine Überforderung in Bezug auf ihre Arbeitszeit abverlangt worden. Dementsprechend stehe ihr - entsprechend den Regelungen beim Urlaub - eine Entschädigung dann zu, wenn der Zweck der Altersermäßigung rückwirkend nicht erreicht werden könne. So habe auch das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 28. Mai 2003 festgestellt, dass eine kompensationslose Benachteiligung des Beamten diesbezüglich nicht hinnehmbar sei.

Die Klägerin und Berufungsklägerin beantragt,

1. den Beklagten zu verurteilen, an sie als Ausgleich für die von Mai 2003 bis April 2004 nicht gewährte Altersermäßigung eine Entschädigung von 927,68 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 3. Juni 2005 zu zahlen;

2. den Beklagten zu verurteilen, an sie für die in der Zeit vom 1. Mai 2004 bis zum 28. September 2004 nicht gewährte Altersermäßigung einen Freizeitausgleich in Höhe von 21 Unterrichtsstunden zu gewähren.

Das beklagte Land beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Es verweist darauf, dass sich die Arbeitszeit der Klägerin nach der Arbeitszeit für entsprechende Beamte richte. Eine feste Relation der Zahl der Unterrichtsstunden zur Arbeitszeit bestehe aber im Bezugspunkt des beamteten Lehrers nicht. Die Änderung der Altersermäßigung betreffe nur die Gewichtung der einzelnen Aufgaben des Lehrers. Die Arbeitszeit des Lehrers sei eben nur teilweise exakt messbar, das habe auch die Rechtsprechung des Landesarbeitsgerichts Berlin stets festgestellt. Die dortigen Grundsätze würden auch für angestellte Lehrer gelten. Die von der Klägerin herangezogenen Urteile gäben für ihren Anspruch nichts her, da es dort im Wesentlichen um Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigungen und andere Fallgestaltungen gehe, die mit der vorliegenden nicht vergleichbar seien. Heranzuziehen sei auch nicht die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. März 2003; dort sei ein Beamter vorübergehend über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus zum Dienst herangezogen worden. Dies sei im Streitfalle nicht gegeben. Die Schlussfolgerung des Arbeitsgerichts, dass der mit der Altersermäßigung bezweckte Schutz rückwirkend nicht mehr erreicht werden könne, sei zutreffend. Da die Gesamtarbeitszeit der Klägerin durch die Frage der Altersermäßigung nicht tangiert worden sei, läge Mehrarbeit nicht vor; die Klägerin habe ihren Anspruch der Sache nach im Übrigen unzutreffend errechnet.

Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Parteivorbringens wird auf den Schriftsatz der Klägerin und Berufungsklägerin vom 19. September 2005 (Bl. 69 ff. d.A.) und auf denjenigen des beklagten Landes vom 24. Oktober 2005 (Bl. 81 ff. d.A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Die gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und 2 ArbGG, 511 ZPO statthafte Berufung ist form- und fristgerecht im Sinne von §§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO eingelegt und begründet worden.

Die Berufung ist daher zulässig.

2. Die Berufung hatte in der Sache keinen Erfolg.

Das Arbeitsgericht hat die Klägerin zu Recht mit ihrer Klage abgewiesen.

2.1 Nach gefestigter arbeitsrechtlicher und verwaltungsrechtlicher Rechtsprechung ist davon auszugehen, dass die Pflichtstundenregelung für Lehrer und für einzelne Lehrergruppen in die allgemeine beamtenrechtliche Arbeitszeitregelung eingebettet ist. Dabei ist dem besonderen Umstand Rechnung getragen, dass die Arbeitszeit der Lehrer nur zu einem Teil, nämlich hinsichtlich der eigentlichen Unterrichtsstunden, exakt messbar ist, während die Arbeitszeit im Übrigen entsprechend den pädagogischen Aufgaben des Lehrers wegen der erforderlichen Unterrichtsvorbereitung, der Korrekturen, Elternbesprechungen, Konferenzen und dergleichen nicht im Einzelnen in messbarer und in überprüfbarer Form bestimmt werden kann. Vielmehr ist insoweit nur eine - grob pauschalisierende - Schätzung möglich. In diesem Rahmen konkretisiert der Dienstherr durch die Pflichtstundenregelung die für Lehrer geltende durchschnittliche Wochenarbeitszeit. Bei dieser groben Schätzung muss die den Lehrern abverlangte Arbeitsleistung unter Berücksichtigung der jährlichen Gesamtarbeitszeit im Rahmen der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit der übrigen Beamten bleiben (zusammenfassend: OVG Nordrhein-Westfalen vom 14.07.2003 - 6 A 2040/01). Von diesen Grundsätzen geht auch die höchstrichterliche arbeitsrechtliche Rechtsprechung aus (BAG vom 23.05.2001 - 5 AZR 545/99 - NZA 2001, 1259), die ebenfalls feststellt, dass eine feste Relation zur Zahl der Unterrichtsstunden nicht möglich ist. Das Bundesarbeitsgericht verweist darauf, dass die zeitliche Inanspruchnahme des Lehrers für solche Arbeitsleistungen nicht unverhältnismäßig sein darf (BAG, a.a.O.).

Dies gilt auch im Streitfalle im Hinblick darauf, dass sich die Arbeitszeit der Klägerin nach Nr. 3 von SR 2 L zum BAT nach der Arbeitszeit entsprechender Beamter richtet.

Dass die beamtenrechtlich vorgenommenen Veränderungen von Pflichtstundenzahlen im Grundsatz wirksam sind, soweit sie bestimmte Grenzen nicht überschreiten, hat das Landesarbeitsgericht Berlin ebenfalls in ständiger Rechtsprechung festgestellt (z.B. LAG Berlin vom 12.03.2004 - 13 Sa 2400/03).

Aus dieser langjährigen und übereinstimmenden Rechtsprechung ergibt sich erkennbar, dass zwischen der Pflichtstundenzahl des Lehrers und seiner Wochenarbeitszeit kein Junktim etwa des Inhalts besteht, dass eine Erhöhung der Pflichtstundenzahl stets zu einer Erhöhung der geleisteten Wochenarbeitszeit führen würde.

2.2 Der Streitfall gibt keine Veranlassung, von diesen nunmehr festliegenden Grundsätzen abzuweichen.

Vielmehr zeigt gerade der vorliegende Fall der Altersermäßigung in Bezug auf die Pflichtstundenzahl, dass ein Zusammenhang nicht notwendigerweise gegeben sein muss. Mit der Altersermäßigung bezweckt der Verordnungsgeber nicht eine Reduzierung der "Arbeitszeit" älterer Lehrer "schlechthin", sondern er will sie im Hinblick auf die besonderen Belastungen des Unterrichtes in Bezug auf die zu erbringenden Unterrichtsstunden entlasten. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass gerade die Unterrichtsstunde eine besondere Belastung für den Lehrer darstellt; die hierfür altersabhängig vorgesehenen Entlastungen dienen mithin dem Umstand, dass der ältere Lehrer, die ältere Lehrerin im Rahmen ihrer Gesamttätigkeit eine Entlastung in diesem Punkt erfahren sollen. In der Altersermäßigung für Lehrer liegt insofern gerade keine Reduzierung der "Gesamtarbeitszeit"; dies wäre wohl aus beamtenrechtlichen und arbeitsrechtlichen, aber auch aus haushaltsrechtlichen Gründen nicht ohne weiteres möglich. Vielmehr soll die Belastung der älteren Lehrerin, des älteren Lehrers dadurch gemindert werden, dass ein besonders anstrengender Teilbereich ihrer Gesamttätigkeit reduziert wird. Die Entlastung in der Unterrichtsverpflichtung führt im Ergebnis dazu, dass die ältere Lehrerin, der ältere Lehrer die übrigen Teile der Wochenarbeitszeit des Lehrers intensiver nutzen können. Es geht also um eine Umgewichtung der die Gesamtarbeitszeit des Lehrers ausmachenden Elemente, nicht aber um eine "Erhöhung" oder "Reduzierung" der Wochenarbeitszeit des Lehrers.

2.3 Die von der Klägerin herangezogenen Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts geben für die hiesige Streitfrage nichts her; der bloße Umstand, dass in den Entscheidungen gelegentlich die Unterrichtsstunde "kommerzialisiert" aufgefasst wird, ändert nichts an den soeben getroffenen Feststellungen. Das Diskriminierungsverbot teilzeitbeschäftigter Lehrer gegenüber vollzeitbeschäftigten steht außer Frage und gibt für die vorliegende Fallgestaltung nichts her.

2.4 Unter Berücksichtigung und in Anwendung der dargelegten Grundsätze kann die Klägerin mit ihrer Klage keinen Erfolg haben.

Denn hieraus wird deutlich, dass die Klägerin auch dadurch, dass ihr eine Altersermäßigung im Bezugspunkt der Pflichtstundenzahl möglicherweise rechtswidrig vorenthalten worden ist, keine "Mehrarbeit" in dem Sinne geleistet hätte, dass sie hierfür Vergütung verlangen könnte. Es mag sein, dass für den fraglichen Zeitraum die Gewichtung der Einzelelemente ihrer Arbeitszeit nicht der objektiven Rechtslage entsprochen hat; "Mehrarbeit" im arbeitsrechtlichen Sinne entsteht dadurch jedoch nicht.

Der diesbezügliche Vergütungsanspruch der Klägerin besteht nicht.

2.5 Auch für den begehrten Freizeitausgleich im Hinblick auf nicht gewährte Altersermäßigung besteht keine Anspruchsgrundlage.

Aus den genannten Gründen, aus denen Altersermäßigung gewährt wird, ergibt sich, dass es um die aktuelle Entlastung des Lehrers, der Lehrerin geht. Dies kann nicht "nachgeholt" werden.

Der von der Klägerin herangezogene Vergleich des Urlaubs verfängt nicht; im Falle des Urlaubs ist der Arbeitnehmer insgesamt von der Erbringung seiner Arbeitsleistung, und zwar in vollem Umfange befreit. Dies ist - wie gezeigt - bei der Frage der Altersermäßigung und der insoweit bestehenden Relation zur Gesamtarbeitszeit nicht der Fall.

3. Die Berufung der Klägerin war daher mit der Folge zurückzuweisen, dass sie gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten des erfolglosen Rechtsmittels zu tragen hat.

4. Die Zulassung der Revision gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG kam nicht in Betracht, da sich die vorliegende Entscheidung auf der Grundlage der gefestigten Rechtsprechung der Obergerichte bewegt und ihr keine grundsätzliche Bedeutung zukommt.

Ende der Entscheidung

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