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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Brandenburg
Urteil verkündet am 08.11.2005
Aktenzeichen: 1 Sa 276/05
Rechtsgebiete: BetrVG


Vorschriften:

BetrVG § 113
Hört der Arbeitgeber den Betriebsrat im Rahmen einer Betriebsänderung zu den geplanten Kündigungen an, ist die Planungsphase damit abgeschlossen. Eine einstweilige Verfügung auf Unterlassen der Betriebsänderung bis zum Versuch eines Interessenausgleichs darf nicht mehr ergehen. Der Interessenausgleich kann nicht nachgeholt werden, die einstweilige Verfügung würde etwas unmögliches aufheben.
Landesarbeitsgericht Brandenburg IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

1 Sa 276/05

verkündet am 08.11.2005

In dem Rechtsstreit

hat die 1. Kammer des Landesarbeitsgerichts Brandenburg auf die mündliche Verhandlung vom 08.11.2005 durch den Präsidenten des LAG Dr. E. als Vorsitzenden sowie die ehrenamtlichen Richter D. und B.

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das am 09.05.2005 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Senftenberg - 4 Ca 1247/04 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe:

1. Wegen des Tatbestandes wird auf die Entscheidung des Arbeitsgerichts, die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung zweiter Instanz verwiesen.

2. Die Berufung der Beklagten ist nach den §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 ArbGG statthaft und auf Grund des Gegenstandswertes nach § 64 Abs. 2 b) ArbGG zulässig. Sie wurde nach den §§ 66 Abs, 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet.

3. Die Berufung ist unbegründet. Die Beklagte hat eine Betriebsänderung durchgeführt. Sie musste daher nach den §§ 111, 112 Abs. 2 BetrVG rechtzeitig mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich versuchen. Weil sie dies unterlassen hat, ist sie nach § 113 Abs. 3 mit Abs. 1 BetrVG gegenüber allen Arbeitnehmern, die infolge der Betriebsänderung entlassen wurden oder andere wirtschaftliche Nachteile erlitten haben, zum Ausgleich dieser Nachteile verpflichtet. Auch der Kläger kann daher von ihr einen Nachteilsausgleich in der beantragten Höhe verlangen.

a) Der Anspruch auf Nachteilsausgleich ist entstanden. Dies folgt aus § 113 Abs. 3 mit Abs. 1 BetrVG. Die Beklagte beschäftigt mehr als 20 wahlberechtigte Arbeitnehmer. Bei der Stillegung des Betriebes in F. zum 31.1.2005 handelt es sich daher nach § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG um eine Betriebsänderung. Die Änderungskündigung des Klägers war Teil dieser Betriebsänderung. Nachdem er den Vorbehalt nicht erklärt hat, ist er im Ergebnis auf Grund dieser Betriebsänderung entlassen worden. Dies wurde in dem vor dem Arbeitsgericht im Kündigungsschutzstreit geschlossenen Teilvergleich vom 2.3.2005 nur bestätigt, nicht herbeigeführt. Die Parteien haben sich dort nicht darauf geeinigt, dass das Arbeitsverhältnis durch den Vergleich beendet wurde, sondern dass es "durch Kündigung der Beklagten am 31.1.2005 sein Ende fand".

Die Beklagte musste den Betriebsrat einschalten, bevor sie darüber entschied, ob und inwieweit die Betriebsänderung erfolgt (Vgl. BAG 14. September 1976 - 1 AZR 784/75). Damit war sie nicht nur nach § 111 Satz 1 BetrVG verpflichtet, den Betriebsrat noch im Planungsstadium zu unterrichten und mit ihm die geplante Stillegung zu beraten. Sie war nach § 112 Abs. 2 BetrVG ebenso verpflichtet, schon vor Abschluss ihrer Planung alle Möglichkeiten einer Einigung über den Interessenausgleich auszuschöpfen. Können die Betriebspartner nicht selbst eine Einigung herbeiführen, endet dieses Verfahren nach § 112 Abs. 2 Satz 2 BetrVG erst nach Anrufen der Einigungsstelle mit der Einigung oder der von der Einigungsstelle getroffenen Feststellung ihres Scheiterns (BAG 20. November 2001 - 1 AZR 97/01). Die Beklagte hätte daher schon in diesem Stadium die Einigungsstelle anrufen müssen, um den Interessenausgleich zu versuchen ( Vgl. BAG 26. Oktober 2004 - 1 AZR 493/03). Das Beratungsrecht des Betriebsrats setzt schon während der Planung des Arbeitgebers ein, weil besonders hier eine reelle Chance besteht, Einfluss zu nehmen. Der Versuch des Interessenausgleichs muss daher abgeschlossen sein, bevor die Betriebsänderung auch nur teilweise verwirklicht ist (BAG 14. September 1976 - 1 AZR 784/75). Wird diese Reihenfolge nicht eingehalten, entstehen Nachteilsausgleichsansprüche.

Die Beklagte hat die Umsetzung des Stillegungsbeschlusses begonnen, bevor der Versuch eines Interessenausgleichs gescheitert war. Es kann offen bleiben, ob die Planungsphase nicht schon abgeschlossen war, als die Beklagten am 2.9.2004 endgültig die Stillegung des Betriebes in F. beschlossen hat ohne den Betriebsrat so beteiligt zu haben, wie das Gesetz es vorsieht. Denn jedenfalls war die Planungsphase am 22. September 2004 abgeschlossen, als sie den Betriebsrat zu den Änderungskündigungen anhörte. Nicht erst mit dem Ausspruch der Änderungskündigungen, sondern schon mit der Einleitung dieses Verfahrens wirkte der Stillegungsbeschluss nach außen und die Umsetzung der geplanten Betriebsänderung begann ( Vgl. BAG 20. November 2001 - 1 AZR 97/01). Der Nachteilsausgleichsanspruch des Klägers war damit schon zu diesem Zeitpunkt entstanden, weil schon jetzt die Beteiligungsrechte des Betriebsrates unheilbar verletzt waren. Denn das in § 112 Abs. 2 BetrVG vorgesehene Einigungsverfahren kann nicht mehr nachgeholt werden, wenn der Arbeitgeber die Betriebsänderung und die Kündigung der Arbeitnehmer endgültig beschlossen hat (BAG 14. September 1976 - 1 AZR 784/75). Der Verstoß gegen das Mitbestimmungsrecht kann auch nicht durch eine spätere Beratung oder Verständigung mit dem Betriebsrat rückgängig gemacht werden. Ein erst nach Beginn der Betriebsänderung unternommener Versuch des Interessenausgleichs ist nicht das Regelungsziel der §§ 111,112 BetrVG. Selbst wenn die Beklagte von der weiteren Durchführung der geplanten Betriebsänderung abgesehenen hätte, wären die Nachteilsausgleichsansprüche jedenfalls nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts daher nicht erloschen (BAG 23. September 2003 -1 AZR 576/02). Eine einstweilige Verfügung zur Sicherung des Beratungsrechts des Betriebsrates zum Interessenausgleich konnte das Arbeitsgericht nach Anhörung es Betriebsrates zu den im Rahmen der Betriebsänderung geplanten Kündigungen nicht mehr erlassen. Es hätte der Beklagten sonst etwas Unmögliches aufgegeben, die Betriebsänderung hätte im Ergebnis nie mehr durchgeführt werden dürfen.

Es kann offen bleiben, ob der vor diesem Hintergrund der vor dem Arbeitsgericht im einstweiligen Verfügungsverfahren abgeschlossene Vergleich die Beklagte überhaupt noch zu Verhandlungen über einen Interessenausgleich zwingen konnte. Die zu diesem Zeitpunkt schon angefallenen Nachteilsausgleichsansprüche ließ er jedenfalls aus den genannten Gründen unberührt. Im Übrigen hätten die Betriebspartner sie dort auch nicht durch Vergleich ausschließen können, weil der Betriebsrat nicht über schon angefallene Nachteilsansprüche verfügen darf.

So kommt es nicht darauf an, ob und wie eine Zusage des Einigungsstellenvorsitzenden, für eine bestimmten Zeitpunkt in der Vergangenheit das Scheitern des Interessenausgleichs in der Einigungsstelle festzustellen, das Entstehen von Nachteilsausgleichsansprüchen hätte beeinflussen können. Nur am Rande wird darauf aufmerksam gemacht dass diese Feststellung nur die Einigungsstelle als Gremium und nicht ihr Vorsitzender allein treffen kann, weil sie das Einigungsstellenverfahren erledigt. Im Übrigen hat die Beklagte schon am 12. Oktober 2004 und damit vor dem Zeitpunkt, für den nach ihrem Vortrag das Scheitern des Interessenausgleichs festgestellt werden sollte (20. Oktober 2004), erneut den Betriebsrat zu geplanten Änderungskündigungen angehört und damit sein Beratungsrecht verletzt. Spätestens jetzt wären Nachteilsausgleichsansprüche entstanden, wenn sie nicht schon längst bestanden hätten. b) Der Anspruch besteht in der geltend gemachten Höhe. Das Arbeitsgericht hat bei seiner Bestimmung die Dauer der Betriebszugehörigkeit des Klägers, die Höhe seines monatlichen Bruttoeinkommens, sein Alter, die Schwere des Gesetzesverstoßes und das in der Änderungskündigung liegende Beschäftigungsangebot der Beklagten ausgewogen berücksichtigt. Die Angriffe der Berufung führen nicht zu einem anderen Ergebnis.

Die Beklagte ist ihren Verpflichtungen aus dem BetrVG - entgegen ihrer Auffassung - nicht durch Abschluss des Vergleichs im einstweiligen Verfügungsverfahren "in vollem Umfang" nachgekommen. Denn er konnte ihren Verstoß gegen das BetrVG nicht mehr ungeschehen machen. Im übrigen haben sich die Betriebspartner dort gerade zu dem Verfahren verpflichtet, gegen das die Beklagte dann erneut verstoßen hat. Sie kann sich auch nicht mit Erfolg auf ihre schwierige wirtschaftliche Lage berufen. Der Nachteilsausgleichsanspruch hängt nicht von der finanziellen Leistungsfähigkeit oder der Leistungsbereitschaft des Arbeitgebers ab (BAG 20. November 2001 - 1 AZR 97/01). Im Übrigen kann sie ihre schwierige wirtschaftliche Lage nicht allein mit dem Hinweis auf die Annahme eines Sozialplanes darlegen, der für den Kläger eine niedrigere Abfindung vorsieht. So unterstellt sie, dass dessen Volumen an der äußersten Grenze des Zulässigen lag. Warum das so gewesen sein soll, trägt die Beklagte aber nicht vor. Die sich für den Kläger aus dem Sozialplan ergebende Abfindung enthält auch keine Obergrenze für den Anspruch auf Nachteilsausgleich. Der Sozialplan mildert Nachteile, die sich für die Arbeitnehmer aus der Betriebsänderung ergeben. Der Nachteilsausgleichsanspruch sichert das Beratungsrecht des Betriebsrats und sanktioniert zugleich betriebsverfassungsrechtliches Fehlverhalten des Arbeitgebers bei der Durchführung einer Betriebsänderung (BAG 24. Januar 1996 - 1 AZR 542/95). Auf eine Gleichbehandlung aller Arbeitnehmer, die Nachteilsausgleichsansprüche geltend machen, kann die Beklagte sich jedenfalls nicht in dem Sinn berufen, den sie damit verbindet. Selbst wenn dieser Grundsatz gelten würde, führte er nicht notwendig zu einer Angleichung aller Ansprüche nach unten. Ob und in welchem Umfang sich der Kläger auf den Nachteilsausgleich seine Ansprüche aus d em Sozialplan anrechnen lassen muss, ist nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Kammer hat die Revision nicht zugelassen. Keine der entscheidungserheblichen Fragen ist von grundsätzlicher Bedeutung. Ein anderer Zulassungsgrund nach § 72 ArbGG ist nicht ersichtlich. Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde nach § 72 a ArbGG wird hingewiesen.

Ende der Entscheidung

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